Читать книгу Loverboy - Astrid Seehaus - Страница 11

Erfurt - zur selben Zeit

Оглавление

Kevin Stolze, Rechtsanwalt und Partner in einer aufstrebenden Immobilienfirma, wollte sich gerade auf den Weg ins Büro machen. Das Frühstück hatte er hinuntergeschlungen, und das war ihm nicht bekommen. Seine nicht gerade glänzende Laune verschlechterte sich noch, als Katrin ihn vor der Tür abfing und mit ihm sprach, als ob er seinen Grips im Eierbecher gelassen hätte. Sein Ego war seit einigen Wochen angeschlagen wegen Geschäften, die geplatzt waren. Sein Bonus am Jahresende würde schmaler ausfallen. Seine Sekretärin stellte neuerdings Forderungen, was ihm zunehmend missfiel. Und nun fing auch noch seine Ehefrau an, ihm reinzureden.

„Katrin, zum wiederholten Mal, nein, ich werde mich nicht darauf einlassen. Ich verkaufe ihm kein Haus im Sperrbezirk. Auch kein Grundstück. Ich habe nicht das geringste Interesse daran, ihm etwas zu vermitteln. Soll er sich an den Bebauungsplan der Stadt halten. Der regelt die Ansiedlung dieses Gewerbes. Das ist mein letztes Wort“, herrschte er sie an und fügte dann doch noch hinzu: „Mir ist schleierhaft, warum dich das überhaupt interessiert.“

Katrin Stolze versuchte nicht, ihren Mann zu beruhigen. Er würde sich schon wieder abregen, und dann würde sie ihm erklären, wie wichtig es war, dass er alle Aspekte des Angebots von B., wie Kevin ihn nannte, beleuchtete. Katrin war nicht auf den Kopf gefallen. Sie wusste, warum er ihr den vollen Namen des Interessenten verheimlichte: damit sie sich nicht einmischte. Er vertraute ihr nicht und das beruhte in letzter Zeit auf Gegenseitigkeit.

Vor ihr stand der Mann, den sie als Neunzehnjährige aus Liebe geheiratet hatte. Aus Liebe! Dass sie nicht lachte. Wo war sie nur in der Zwischenzeit hin, ihre Liebe? Sie war nun sechsunddreißig und viel zu alt, weiterhin ihre rosarote Jungmädchenbrille zu tragen. Kevin war fünfzehn Jahre älter als sie. Damals hatte er ihr imponiert, und jetzt stand er vor ihr, sehr groß, immer noch schlank und starr aufrecht, als ob er trotzig gegen den Umstand ankämpfte, dass das Leben wie ein Mühlstein an seinem Hals hing. Hatte es den Mühlstein auch schon früher gegeben? Dieses Beharren auf eigene Positionen? Wenn ja, hatte sie es damals anscheinend als Attribut eines erfolgreichen Mannes gesehen und sich nicht daran gestoßen. Das hatte sich über die Jahre geändert. Er war immer noch ein attraktiver Mann, mit in der Zwischenzeit ergrauten Schläfen und einem scharfen Blick, der Angst einjagen konnte, wenn er den anderen ungeduldig erforschte. Und er war unduldsam – schnell in seinen Entscheidungen, brüsk in seinen Urteilen und geradezu vernagelt, wenn es um seinen Ruf als Geschäftsmann ging.

Sie lotste ihn von der Tür weg ins Wohnzimmer. Wenige Minuten und ein Whiskyglas später hatte sie ihn so weit, dass er ihr wenigstens zuhörte.

Er war sichtlich angespannt.

„Kevin, bitte, du musst an Alina denken. Sie ist unsere einzige Tochter. Wir sind uns immer einig gewesen, dass sie alles erhält, was wir ihr bieten können. Was ist schon dabei, wenn du an diesen B. verkaufst? Deinem Partner kann das doch egal sein, Hauptsache der Preis stimmt. Und für uns springt etwas extra heraus. Und das steuerfrei.“

Stolze stöhnte auf.

„Das Leben ist teuer“, betonte Katrin und machte einen Schritt auf ihn zu.

Sie wollte ihm beruhigend über die Schulter streichen, unterdrückte aber den Impuls. Er war noch zu aufgebracht, um sich von ihr berühren zu lassen.

„Lass mich damit in Ruhe“, blaffte er. „Mich interessieren solche Geschäfte nicht. Sollen die anderen sich ihr Stück vom Kuchen abschneiden.“

Immer wieder die gleiche Leier, dachte Katrin. Warum war es in letzter Zeit so schwierig, an ihn heranzukommen? Manchmal hatte sie das Gefühl, ihre Worte prallten an ihm ab. Wann waren ihr die Fäden aus den Händen geglitten? Sie war immer eine gute Menschenkennerin gewesen. In der Schule hatte sie sich sogar anhören müssen, sie würde Menschen manipulieren.

„Und was ist mit meinen Wünschen? Weißt du überhaupt, was ich will?“

Als er nicht reagierte, fuhr sie fort: „Denkst du etwa, ich will ewig in dieser Tretmühle bleiben? Meinst du nicht auch, ich könnte mir etwas Schöneres vorstellen, als tagein, tagaus Nachtschichten zu schieben? Mich vom Chefarzt abkanzeln zu lassen? Zweiundsiebzig Stunden Bereitschaft, lediglich unterbrochen von einem unruhigen Schlaf auf einer Untersuchungsliege? Glaubst du nicht auch, ich möchte das hier ein wenig mehr genießen?“ Und dabei machte sie eine weit ausholende Armbewegung, mit der sie die schicke Einrichtung ihres modernen Eigenheims umschloss.

„Ich lebe ja schon mehr im Krankenhaus als hier. Wann bin ich denn mal zu Hause? Nur Arbeit kann es doch nicht sein.“ Ehe sie ihm sagen konnte, dass sie sich das Leben mit ihm luxuriöser vorgestellt hatte, mit mehr Zeit, größeren Reisen und regelmäßigen Konzertbesuchen, unterbrach er sie auch schon.

„Du bist eine Ärztin mit hohem Ansehen, und die Leute vertrauen dir. Würdest du dieses Vertrauen aufs Spiel setzen?“

Sie schwieg.

„Ich entnehme deiner Reaktion, dass du es nicht tun würdest“, sagte er mit einem spitzen Lächeln auf den Lippen.

Jetzt ließ er wieder mal den Oberlehrer raushängen, als wüsste er, was gut und böse war. Wie Katrin das langweilte. Dabei machte er die Regeln, wie es ihm gerade in den Kram passte.

„Es ist nichts dabei, einem Geschäftsmann etwas zu vermitteln. Das macht ihr tagtäglich“, fuhr sie hartnäckig fort.

„Aber nicht an diesen Geschäftsmann.“

„Du kennst ihn doch gar nicht.“

„Eben.“

„Irgendwer wird dieses Haus kaufen. Wenn er es nicht tut, dann ein anderer.“

„Dann eben ein anderer.“

„Ach, Kevin, so kommen wir nicht weiter“, seufzte Katrin hilflos. Dann fiel ihr ein, was ihr Mann vor einiger Zeit über B. erzählt hatte.

„B. – war das nicht der, der angeboten hat, das Stadiondach mitzufinanzieren?“

„Du meinst das Public Privat Partnership?“

Katrin lächelte maliziös. Vielleicht war das eine Möglichkeit, ihrem Mann diesen geheimnisvollen B. doch noch irgendwie schmackhaft zu machen. Schien er nicht ein Wohltäter zu sein? Kevin hatte ihr von ihm erzählt, als er schweißgebadet und befriedigt neben ihr gelegen hatte. Entweder war es Glück oder ihren Verführungskünsten zu verdanken gewesen, dass er an dem Abend wie ein Wasserfall geredet hatte. Kevin erzählte ihr schon lange nichts mehr, was die Firma oder seine Arbeit anging. Anfänglich hatte sie ihm an dem Abend nur mit halbem Ohr zugehört, weil sie gedanklich verschiedene Variationen einer lukrativen Trennung durchgespielt hatte. Das Leben an seiner Seite machte keinen Spaß mehr, aber sie wollte ungern auf die Annehmlichkeiten verzichten, die er ihr bisher geboten hatte. Ihr Verhältnis war in den letzten Jahren jedoch derart eisig geworden, dass es womöglich nur noch eine Frage der Zeit war, bis er den Geldhahn zudrehen würde. Sie war hellhörig geworden, als in seinen Ausführungen eine sechsstellige Zahl gefallen war. Ihr vager Traum, nach Genf zurückzukehren, hatte sich auf einmal zu einem realen Ziel verfestigt. Sie musste dieser Ehe entfliehen, wenn sie nicht so werden wollte wie er: starr wie eine gefriergetrocknete Hähnchenkeule. Dabei gab es leider ein Problem: Alina. Sie war Papas Liebling, und er würde bestimmt alles tun, sie ihr abspenstig zu machen.

Ärgerlich stellte sie fest, dass sie sich von ihren Gedanken hatte mitreißen lassen. Was hatte Kevin gesagt? Ihre Unachtsamkeit konnte sie in dieser Auseinandersetzung die Oberhand kosten.

Sie riss sich zusammen und konzentrierte sich wieder auf das, was Kevin ihr zu erklären versuchte.

„Zuerst hört sich das nach einem attraktiven Angebot an, und später übertreffen die Rückzahlungen in Form von Miete oder Pacht bei Weitem die Investitionen, die man aufgewandt hätte, hätte man das Ding ohne Privatinvestor gebaut“, belehrte er.

„Wir brauchen das Geld, Kevin!“, beharrte Katrin. „Und weißt du immer, was dein Geschäftspartner macht? Vielleicht bescheißt er dich ja und verhandelt gerade selbst mit B.“

„Uli?“, fragte Kevin konsterniert. „Er ist der Kopf von Barkel & Stolze Real Estate. Er hat die Firma gegründet. Sie ist sein Baby. Mich hat er später ins Boot geholt. Warum sollte er jetzt alles, wofür er gearbeitet hat, für ein paar Mäuse mehr wegwerfen?“

„Ach, das weiß ich doch nicht“, entgegnete sie genervt.

Manchmal hatte sie das Gefühl, Kevin wäre mit seinem Partner verheiratet. Uli war das Maß aller Dinge, Kevin folgte ihm wie ein Schatten. Das war schon seit Schulzeiten so.

„Ich weiß nur, dass es niemandem schaden kann, wenn du das Haus verkaufst und wir dafür extra kassieren. Und wenn schon?! Interessiert es jemanden?“

„Ja, das Finanzamt zum Beispiel. Und nein, ich werde nicht an einen Geschäftsmann verkaufen, von dem ich nicht einmal weiß, welche dubiosen Geschäfte er macht, und der einem Schwarzgeld anbietet.“

In diesem Fall sagte er nicht ganz die Wahrheit. Er hatte zumindest eine Ahnung, womit B. sein Geld verdiente. Deshalb graute ihm auch davor, dass er mit diesem „sauberen“ Geschäftsmann in Verbindung gebracht werden könnte. Und sowieso musste seine Frau nicht alles wissen.

Er täuschte sich. Sie wusste bereits eine Menge: Kevin betrog sie mit seiner Sekretärin. Und was er sonst noch anstellte, wollte sie gar nicht wissen. Ihre Ehe war in den letzten Jahren zu einer Farce geworden, und sie war es leid, alles hinzunehmen. Sie wollte einfach mal nur an sich denken. Sie wollte reisen, Ausstellungen besuchen, Neues erkunden, sich ausprobieren. Ganz einfach: Sie wollte das Leben, das er ihr versprochen hatte. War das so schwer zu verstehen? Als Ärztin mit vielen Überstunden würde sie sich ihre Träume niemals erfüllen können. Zu allem Überfluss hatte sie diesen Beruf auf sein Drängen hin ergriffen. Ein Rechtsanwalt und eine Ärztin, das sei die Eintrittskarte zur High Society, so hatte er ihr damals den Studiengang schmackhaft gemacht. Dass sie nicht lachte.

Sie hatte angefangen, ihn im Bett maßlos zu verwöhnen. Was hatte sie sich von dieser Elena für Tipps geben lassen. Tipps, die ihr, wenn sie nur daran dachte, die Schamesröte ins Gesicht trieben. Nachdem sie Elena kennengelernt hatte, war ihr bewusst geworden, dass sie einiges dafür tun würde, um an sein Geld zu kommen, denn Geld war der entscheidende Faktor für Freiheit. Ihre Freiheit, erkauft mit seinem Geld. Viel Geld.

Elena war so alt wie sie, verdiente ihr Geld als Prostituierte in einer Bar in Erfurt und war eines Tages zu ihr ins Krankenhaus gekommen, um sich untersuchen zu lassen. Dass sie dafür extra nach Weimar gefahren war, hatte sie damit begründet, dass ihr Chef nicht alles wissen müsse. In ihrem Job könne man sich nie sicher sein, ob man sich nicht etwas eingefangen habe. Aber Elena hatte nichts, sie war gesund.

Obwohl Katrin nicht gerade prüde war, war sie doch ziemlich verlegen gewesen, als sich Elena ihr im Untersuchungszimmer in der Erotik-Wäsche präsentiert hatte. Und dann hatte sich die rumänische Hexe auch noch über sie lustig gemacht.

Das sei es, was man brauche, um einen Mann scharf zu machen, hatte Elena erklärt.

Nun waren Spitzendessous nichts, was Katrin ablehnte, aber bei dem Schnitt dieser speziellen Reizwäsche war ihr nur eines in den Sinn gekommen: dass es sie viel Überwindung kosten würde, sich vor Kevin derart darzubieten. Im Gegensatz zur großen und schlanken Elena war sie klein und mollig.

Kevin waren fast die Augen aus den Höhlen gesprungen, als sie am gleichen Abend mit geschlitztem Lack-Slip und nippelfreiem BH aus dem Badezimmer gekommen war. Reizwäsche, so subtil wie ein Holzhammer. Sie war sich sicher gewesen, dass er sie auslachen und Klein Kevin vor Unlust in der Hose bleiben würde. Doch das Glühen in seinen Augen hatte sie weitermachen lassen. Und als sie in Ermangelung einer Dominapeitsche Alinas Reitgerte hervorgezogen und ihm den Hintern versohlt hatte, war sie schockiert über seine Reaktion gewesen. Er hatte sich doch tatsächlich eine Wiederholung gewünscht.

In der Zwischenzeit erkannte Katrin, dass ihre Worte nichts bei Kevin ausrichten konnten. Den verbalen Schlagabtausch hatte sie verloren, aber sie nahm sich vor, im Bett weiterhin die Oberhand zu behalten.

Als Alina früher als sonst von der Schule nach Hause kam, war von der Auseinandersetzung zwischen ihren Eltern nichts mehr zu spüren. Befriedigt von dem, was seine Frau mit ihm angestellt hatte, hatte es sich Stolze anders überlegt und erledigte seine Arbeit, statt im Büro, zu Hause. Ihre Mutter Katrin lag in der Badewanne und machte Zukunftspläne. Das alles interessierte Alina nicht. Ihr wäre nicht einmal aufgefallen, wenn ihre Eltern sich im Wohnzimmer geprügelt hätten. Sie war in ihren Gedanken mit ihrem Traummann beschäftigt. Er würde sie im Filmgeschäft ganz groß rausbringen. Er liebte sie. Sie war sein sexy Partygirl.

Im Zimmer warf sie sich aufs Bett und wählte Lydias Nummer. Sie hatten sich gerade erst voneinander getrennt, aber Alina spürte schon wieder dieses Bedürfnis, mit ihr zu reden. Ihr alles von Zascha zu erzählen. Alina konnte sich endlos über ihn auslassen, und Lydia hörte immer zu, ohne sie jemals zu unterbrechen. Sie mochte Lydia wirklich gern, obwohl sie anders war. Oder vielleicht sogar, weil sie anders war. Ruhig und besonnen, fast schon schüchtern, nicht so impulsiv wie sie, die einfach im Mittelpunkt stehen musste. Lydia war die ideale Freundin.

Alina trat vor den großen Wandspiegel und arbeitete an einem verführerischen Lächeln und einem kessen Augenaufschlag. Sie war die geborene Schauspielerin. Und Zascha würde dafür sorgen, dass es bald die ganze Welt erführe.

„Ich liebe dich, Zascha“, murmelte sie.

Sie lauschte ihren Worten nach und lachte zufrieden auf, als sich Lydia in der Leitung meldete, der sie sogleich die Ohren vollquatschte.

Loverboy

Подняться наверх