Читать книгу Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder - August Schleicher - Страница 4

Kapitel 1

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1.

Märchen

Vom schlauen Mädchen.

Es fuhr einmal ein Herr und ein Kutscher, und sie

kamen zu einem Hause und da spann ein Mädchen.

Der Herr schickte den Kutscher zu dem Mädchen, um

etwas zu trinken aus dem Hause zu holen, aber das

Mädchen sagte ›Bärtiges (d.h. alus, Hausbier; man

denke an die Grannen der Gerste) habe ich nicht, und

das aus dem Stillen gelaufene (d.h. Waßer) wird er

vielleicht nicht trinken.‹ Der Herr aber, der das hübsche

Rätsel zu lösen wuste, sagte zu ihr ›Bist du so

schlau, so werde auch ich so schlau sein. Wenn du zu

mir kommen wirst, weder nackt noch bekleidet, weder

zu Pferd noch zu Fuße noch zu Wagen, weder auf

dem Wege noch auf dem Fußpfade noch neben dem

Wege, im Sommer und zugleich im Winter, so werde

ich dich heiraten.‹ Da entkleidete sie sich und hieng

sich ein Netz um und setzte sich auf einen Geißbock

und ritt zum Herren hin immer im Fahrgeleise und

gieng in einen Wagenschuppen und stellte sich da

zwischen einen Schlitten und einen Wagen. Jetzt war

sie gekommen weder nackt noch bekleidet, weder zu

Pferd noch zu Fuße noch zu Wagen, weder auf dem

Wege noch auf dem Fußpfade noch neben dem Wege,

im Sommer und zugleich im Winter. Aber der Herr

wollte sie nicht heiraten und schickte sie nach Hause

und ließ ihr abgekochte Eier bringen. Diese Eier sollte

sie von einer Henne ausbrüten laßen. Das Mädchen

aber kochte Gerstenkörner ab und schickte sie dem

Herren hin, die sollte er säen; wenn sie keimen und

grünen würden, da würde sie auch die Hünchen ausbrüten

laßen. Da sagte der Herr ›Diese Gerstenkörner

werden freilich nicht keimen und du wirst keine Grütze

für jene Hünchen machen können.‹ Da muste er sie

heiraten.

Darnach kamen drei, die im Streite mit einander

lagen, zu dem Herren, um sich Recht zu holen; der

Eine hatte eine Peitsche, der Andere einen Wagen und

der Dritte eine Stute, und die Stute hatte ein Folen.

Sie stritten sich nun: der Eine sagte ›Das ist das Folen

meiner Peitsche;‹ der Andre sagte ›Das ist das Folen

meines Wagens;‹ der Dritte sagte ›Das ist das Folen

meiner Stute.‹ Der Herr aber war nicht im Stande,

ihren Streit zu schlichten. Da sandte er zu seiner Frau;

diese hieß sie sich ein Netz holen, führte sie auf den

Berg und ließ sie fischen; und sie konnten da nicht fischen.

Da sagte sie zu ihnen ›So wenig ihr auf dem

Berge fischen könnt, so wenig kann eine Peitsche ein

Folen haben und ein Wagen auch nicht, sondern nur

einzig und allein eine Stute kann ein Folen haben.‹

Vom hörnenen Manne.

Es war einmal ein Mensch, der hatte drei Kälber, und

mit den Kälbern gieng er durch einen Wald und begegnete

einem andern, der hatte drei Hunde, der sagte

›Tauschen wir, ich gebe dir die drei Hunde und du

gibst mir die drei Kälber; die Hunde werden dir aus

jeder Not helfen.‹ Da tauschten sie. Der Eine zog mit

seinen Hunden weiter und kam an ein Haus und gieng

da hinein, fand aber keinen Menschen, und wie er sich

umsah, da erblickte er in der Stube eine Flinte, einen

Säbel und eine Flasche. Die Flasche öffnete er und

versuchte sich etwas auf den Finger zu gießen, um zu

sehen, was darin sei. Wie er nun etwas auf den Finger

goß, da überzog sich der Finger mit dem Öle und

ward wie Horn, und er konnte weder mit dem Meßer

noch mit dem Säbel das Horn abschneiden. Da nahm

er das Öl aus der Flasche und wusch sich damit am

ganzen Leibe; da ward er am ganzen Leibe wie Horn.

Flasche, Flinte und Säbel nahm er mit und kam in

eine Stadt, die war ganz mit schwarzem Scharlach

ausgeschlagen. Da gieng er ins erste Haus zum Zöllner

und fragte, weshalb die Stadt so schwarz ausgeschlagen

sei. Der sagte ›Das ist deswegen, weil der

König jedes Jahr eine seiner Töchter einem Drachen

geben muß, und jetzt wird der König wiederum um

eine Tochter kommen‹. Und die Tochter war schon

gebunden, denn am folgenden Tage hätten sie sie hinaus

führen müßen. Da gieng der Mensch mit den

Hunden zum Könige und sagte, er werde seine Tochter

vom Drachen erlösen; und der König versprach

ihm die Tochter zur Frau zu geben, wenn er sie befreien

werde. Sodann gieng er auf den Berg, auf welchen

der Drache zu kommen pflegte. Da lag ein großer

Stein: den Stein bestrich er mit jenem Öle. So oft aber

der Drache her flog, pflegte er sich auf diesen Stein zu

setzen und des Wagens zu harren, auf welchem man

die Königstochter hinaus fuhr. Als nun dießmal der

Wagen heran kam und nicht mehr weit vom Drachen

war, da wollte er sich erheben, aber er hob den ganzen

Stein mit sich in die Höhe. Da ließ der Drache vor

Wut eine zwölf Klafter lange Lohe aus seinem Rachen

gehen. Der Mann aber stieg vom Wagen und

hieb dem Drachen mit dem ersten Hiebe fünf Häupter

ab und mit dem zweiten eben so viele, und mit vier

Hieben hatte er ihm seine zwölf Häupter sämmtlich

abgehauen: da wars mit dem Drachen alle. Jetzt band

der Mann das Fräulein los und fuhr mit ihr heimwärts.

Während des Fahrens schlief er aber ein, denn er war

sehr müde geworden von der großen Arbeit. Als er

nun eingeschlafen war, da wollte ihn der Kutscher ermorden,

und als das Fräulein schreien wollte, drohte

er sie mit dem Säbel zu erstechen. Sodann nahm er

jenen Mann, warf ihn aus dem Wagen und grub ihn

ein. Dem Fräulein aber sagte er ›Schwörst du mir

nicht, daß ich dich erlöst habe, so ersteche ich dich

auch.‹ Da schwur sie ihm, daß er sie vom Drachen erlöst

und daß sie ihn zu heiraten habe.

Aber die drei Hunde legten sich auf den Grabhügel,

unter welchem der hörnene Mann begraben war. Da

kam ein Mensch mit einem Spaten; da gruben die

Hunde fort und fort mit den Pfoten in die Erde, und

als der Mensch das sah, fieng er auch an zu graben

und grub den hörnenen Mann aus, und wie er ihn ausgegraben

und ihn betrachtet hatte, fand er, daß er

schlafe. Da weckte er ihn und sprach zu ihm ›Warum

kriechst du lebend in die Erde?‹ Jener aber wuste jetzt

nicht, wo er war. Er gieng nun allein in die Stadt,

schrieb einen Brief, wickelte den Brief in ein

Schnupftuch des Fräuleins, band es einem der Hunde

um den Hals und sandte ihn zum Könige, wo bereits

die Hochzeit des Kutschers und des Fräuleins vor sich

gieng. Der Hund kam hin, näherte sich dem Fräulein

und legte seinen Kopf auf ihre Knie; da bemerkte sie,

daß das ihr Schnupftuch sei, und fand den Brief und

erfuhr so, daß jener Mann noch am Leben sei. Da

schrieb sie ihm auch einen Brief und band den Brief

in dasselbe Schnupftuch und sandte ihn durch denselben

Hund hin. Wie er sah, daß die Stadt jetzt mit

rotem Scharlach ausgeschlagen war, da sprach er wie-

der bei jenem Zöllner ein und fragte, weshalb die

Stadt so rot ausgeschlagen sei. Der sagte ihm ›Ein

Kutscher hat eben des Königs Tochter vom Drachen

befreit und da gibt sie ihm der König zur Frau.‹ Da

gieng er schnell zum Könige, und wie er hin kam,

machte er sich in die Nähe des Fräuleins und fragte

sie ›Wer von uns hat dich befreit, ich oder der Kutscher?‹

Sie erwiderte ›Du,‹ und erzählte ihm alles,

wie er eingeschlafen sei und wie sie dem Kutscher

habe schwören müßen. Jetzt sann sie nach, wie sie die

Sache klug angreifen könne und gieng hinein und

sprach zu allen Anwesenden ›Ich verlor einmal den

Schlüßel meines Schrankes und ließ mir einen neuen

machen, aber jetzt habe ich den alten Schlüßel wieder:

welcher Schlüßel wird nun der beßere sein, der

alte oder der neue?‹ Da sagten alle ›Der alte ist

beßer;‹ und so sagte auch der Kutscher. Da gieng sie

hinaus, führte den hörnenen Mann mit sich in die

Stube, wo alle Hochzeitsleute waren, und sagte ›Das

ist mein alter Schlüßel, den ich verloren hatte.‹ Da

sahen alle, was das für ein Schlüßel sei, aber der Kutscher

erschrak sehr. Da sagte sie ›Der hat mich befreit,

nicht du.‹ Und sie ergriffen den Kutscher und

ließen ihn umbringen.

Vom alten Schimmel, dem Wolfe und dem

Bären.

Es war einmal ein Mann, der hatte ein Pferd, und wie

das Pferd alt geworden war, da konnte er es nicht

mehr brauchen. Da ließ er ihm einen stählernen Hufbeschlag

machen, führte es in den Wald und ließ es

laufen: ›Jetzt suche dir selbst dein Futter!‹ Der

Schimmel gieng seines Weges und traf im Walde

einen Bären, der sagte zu ihm ›Na wie, Gevatter, bist

du noch stark?‹ Der antwortete ›O ja freilich.‹ Der

Bär sagte sodann ›Wenn ich einen Stein nehme und

drücke, da kommt immer der Saft heraus.‹ Aber der

Schimmel sagte ›Wenn ich mit meinen Zehen über

einen Stein streiche, da kommt immer das Feuer heraus.‹

Jetzt ward es dem Bären bange, denn er dachte,

jener sei doch stärker als er. Da lief er von ihm weg

und traf einen Wolf und sagte zu ihm ›Wie, Gevatter,

bist du noch stark?‹ Der Wolf antwortete ›O ja freilich.‹

Da sagte der Bär ›Ich bin stark, du bist stark,

aber dort auf jener Wiese ist einer, der ist stark! wenn

der mit seinen Zehen über einen Stein streicht, da

kommt das Feuer heraus.‹ Da wollte der Wolf den

doch auch sehen und der Bär führte ihn hin. Der

Schimmel weidete hinter einer Anhöhe auf einer

Wiese und der Bär konnte ihn sehen, der Wolf aber

nicht. Da hob der Bär den Wolf in die Höhe, damit

auch er den Starken sehen könne, und beim Heben

drückte er ihn so sehr, daß der Wolf das Gesicht verzog.

Da sagte der Bär ›O du Kröte! hast ihn noch

nicht gesehen und verziehst schon das Gesicht‹1, und

schleuderte ihn auf die Erde, daß er mitten enzwei

barst.

Fußnoten

1 fürchtest dich schon.

Vom Däumling.

Es waren einmal zwei Leute, ein Mann und eine Frau,

die hatten keine Kinder, waren aber reich. Mit der

Zeit bekamen sie einen Knaben, der war nur daumenslang.

Als eines Morgens seine Mutter dem Vater

das Frühstück bringen wollte, da bat er, sie solle es

ihn tragen laßen; aber die Mutter sagte ›Was wirst du

tragen, du kleiner Wicht!‹ Er ließ aber nicht nach, bis

sies ihn tragen ließ. Als er das Frühstück seinem

Vater hin getragen, bat er den Vater, er möge ihn

pflügen laßen; aber der Vater sagte ›Was wirst du

pflügen? laß bleiben!‹ Der Junge sagte ›Ich werde in

des Ochsen Ohr kriechen.‹ Und er kroch hinein und

pflügte. Da kam ein Herr gefahren, der sagte ›Aber,

Mensch, gehen denn deine Ochsen so ohne Pflüger?‹

Der Mann erwiderte ›Mein Sohn pflügt; er sitzt in

eines Ochsen Ohre.‹ Der Herr sagte ›Verkauf du mir

deinen Sohn!‹ Aber der Mensch wollte nicht. Da

sagte sein Sohn ›Aber, Väterchen, verkauf du mich

nur; bedeckt er mich mit Geld, so kann er mich nehmen.‹

Der Herr dachte ›Ich werfe einen Silbergroschen

auf ihn.‹ Aber er warf einen Sack voll Geld auf

ihn, der Bursche war immer oben auf; er warf einen

zweiten Sack voll auf ihn und er war noch oben auf,

bis er ihn endlich mit einem Thaler zudeckte. Da

nahm ihn der Herr mit sich nach Hause. Eines Abends

sagte der Junge zum Herren ›Ich will in den Stall

gehen und bei den Ochsen schlafen, damit sie niemand

stehle.‹ Und der Herr ließ ihn dahin. Er gieng in

den Stall und hockte sich in eines Ochsen Ohr. Die

Nacht kamen drei Diebe, um Ochsen zu stehlen; da

sagte er in dem Ohre sitzend ›Die da sind die besten

Ochsen; ich bin auch ein Dieb, wie ihr drei, laßt uns

Kameraden sein!‹ Wie sie nun aufs Feld heraus

kamen und die Ochsen schlachteten, sprachen sie

unter sich ›Wer von uns wird gehen die Därme ausspülen?‹

Da sagte der Junge ›Ich bin der Jüngste, ich

bin der Flinkste, ich will gehen.‹ Die Diebe meinten,

er sei wirklich auch ein Dieb, denn es war finster und

sie konnten nichts sehen, und sagten ›Gut, spüle du!‹

Er trug die Därme ans Waßer, und wie er spülte, fieng

er an fürchterlich zu schreien ›Ach, bester Herr, ich

hab nicht allein gestohlen; dort braten noch drei Männer

das Fleisch am Feuer.‹ Wie sie dies vernahmen,

fiengen sie sämmtlich an zu laufen; denn sie dachten,

der Besitzer habe den Burschen erwischt und prügle

ihn, und ließen das Fleisch auf dem Felde im Stiche.

Da lief der Junge nach Hause zu seinem Vater und erzählte

ihm die Sache. Schnell spannte der Vater die

Pferde an, fuhr hin und holte sich das Fleisch. Nun

hatte er seinen Sohn wieder und so viel Geld und

Fleisch noch dazu.

Vom Fuchse.

Es gieng einmal ein Mensch durch einen Wald und er

ward müde und legte sich nieder. Da kam ein Fuchs

herbei gelaufen und sprach ›Mensch, steh auf, jetzt

hätte dich der Wolf beinahe erwürgt.‹ Der Mensch

stand auf und schaute sich um: kein Wolf war da. Der

Fuchs aber sagte ›Mensch, was wirst du mir dafür

jetzt geben, daß ich dich vom Wolfe errettet habe?‹

Da dachte der Mensch darüber nach, was er ihm wol

geben könne, aber der Fuchs sagte sofort ›So gib mir

ein Paar Hünchen dafür, daß ich dich vom Wolfe errettet

habe.‹ Da geht der Mensch nach Hause, nimmt

einen Sack, steckt ein Paar bunte Hündchen hinein

und geht wieder in den Wald. Der Fuchs kam ihm der

Hünchen wegen schon entgegen gelaufen und sagte

›Weis her!‹ Jener macht den Sack auf und läßt die

Hunde heraus. Der Fuchs erschrak über die Hündchen

und lief nach seinem Loche, und die beiden Hündchen

setzten ihm nach. Als er aber im Loche war, neckte er

die Hündchen mit seinem Schwanze und sagte ›Ihr

Bunten, da habt ihr den Schwanz!‹ indem er dachte

›Die kriegen mich doch nicht.‹ Aber die Hündchen

faßten ihn am Schwanze, zogen ihn aus dem Baue

heraus und zerrißen ihn.

Vom Räuber.

Es war einmal ein Landwirt, der hatte eine Tochter.

Einmal war er mit seiner Frau auf einige Tage weggefahren

und hatte die Tochter allein gelaßen. Eines

Abends, während sie allein zu Hause war, kamen

zwölf Räuber, die gruben sich unter der Wand des

Hauses durch und krochen da hinein. So wie aber

einer hinein gekrochen war, hieb sie ihm mit dem

Beile den Kopf ab und zog ihn hinein; so that sie mit

dem andern und so mit allen eilfen. Und wie der

zwölfte hinein kroch, da merkte er, daß es da so naß

sei; da zog er sich zurück und sie konnte ihm nicht

den ganzen Kopf abhauen, sondern nur die Hälfte,

und er lief davon. Nach nicht langer Zeit kam er zu

dem Mädchen auf Brautschau, aber sie wollte ihn

durchaus nicht. Als jedoch ihre Eltern sie nötigten, da

muste sie ihn nehmen. Wie sie mit ihm fuhr, ließ er

sich von ihr den Kopf absuchen; da fand sie, daß das

nur ein halber Kopf war, aber sie dachte doch nicht

daran, daß es jener Räuber sei. Als er mit ihr nach

Hause gekommen war, da ließ er sie Waßer in den

Keßel tragen. Es war eine alte Frau im Hause, die

fragte sie ›Wozu hab ich denn so viel Waßer zu tragen?‹

Die Frau sagte zu ihr ›Das, scheint mir, wird

für dich sein.‹ Und sie sagte weiter zu ihr ›Ich will dir

sagen, was du thun must. Wenn du zum Teiche hin

kommst, da lege du einem Pfale deine Kleider an und

lauf dann weg.‹ So geschah es. Jetzt ward dem Räuber

die Zeit lang, weil sie so lange nicht wieder kam,

und er lief schnell hin, um zu sehen, was sie so lange

mache; und wie er nahe herbei gekommen war, da sah

er, daß es ein Pfal sei. Da merkte er, daß da List im

Spiele und daß die Frau entlaufen sei. Sogleich setzte

er mit andern Räubern ihr nach, sie fanden sie jedoch

nicht. Wie sie durch einen Wald lief und jene hinter

ihr, da erstieg sie einen Baum und einer der Räuber

stach mit einer langen Pike in die Höhe und traf sie

zufällig in den Fuß. Das Blut floß, aber es war schon

Abends und man konnte sie nicht sehen, und einer der

Räuber sagte ›Ach, das regnet schön!‹ Da sie sie nicht

fanden, giengen sie wieder nach Hause. Zu Hause sah

der Räuber beim Spahnlichte, daß er ganz voll Blut

war und sagte ›So war die Kröte doch da!‹ Tags darauf

giengen sie wieder aus, sie zu suchen. Das Mädchen

war aber noch immer im Walde. Da sah sie

einen Wagen voll Baumrinde fahren und bat den

Menschen, der beim Wagen war, er möge sie unter

die Rinde kriechen laßen und mitnehmen; und er gabs

zu. Da kamen die Räuber und fragten den Menschen,

ob er hier kein Mädchen habe gehen sehen. Er sagte

›Nein;‹ sie aber glaubten es nicht und begannen selbst

die Rinde vom Wagen zu werfen bis auf die letzte

Schicht, die sie liegen ließen, indem sie dachten, daß

sie da doch nicht sein werde. Darauf giengen die Räuber

nach Hause und das Mädchen auch. Nach nicht

langer Zeit kam aber der Räuber wieder zu dem Mädchen;

jetzt wusten aber alle, was er für einer sei, und

sie brachten ihn um.

Von der schönen Königstochter.

Es war einmal ein König, der hatte eine sehr schöne

Gemahlin, die hatte um die Stirne herum die Sterne,

oben auf dem Kopfe die Sonne und am Hinterhaupte

den Mond; aber sie starb bald. Es hatte aber der

König eine eben so schöne Tochter, wie seine Frau

war. Und der König reiste rings umher, eine andere

Frau zu suchen, aber er fand keine so schöne wie

seine erste Frau, und deshalb wollte er seine eigene

Tochter heiraten; die aber wollte ihn nicht. Nun konnte

sie ihn aber nicht bewegen von ihr zu laßen; da gab

sie ihm auf, er solle ihr kaufen einen Läusemantel

(einen Mantel mit Läusefellen gefüttert), ein silbernes

Kleid, einen demantnen Ring und goldne Schuhe.

Und der König gab ihr alle diese Dinge. Der König

hatte aber auch eine alte Ausgedingerin (Altsitzerin).

Abends vor der Hochzeit fragte die Königstochter die

Alte, was sie jezt thun solle. Die riet ihr alles zusammen

zu packen und das Weite zu suchen; und so

gieng sie denn Nachts von dannen. Des Morgens

suchte der König sein Mädchen, fand es aber nicht

und fragte sein ganzes Gesinde ›Sahet ihr nicht, sahet

ihr denn nicht meine Braut?‹ Aber niemand konnte

ihm Auskunft geben. Als aber in jener Nacht die Königstochter

weg gieng, kam sie zu einem Fluße, und

da sollte sie ins Schiff steigen; der Ferge aber wollte

sie nicht fahren und sagte ›Wenn du nicht versprichst

mich zu nehmen, so ertränke ich dich zur Stelle.‹

Aber sie wollte den auch nicht. Da warf er sie aus

dem Schiffe und sie sprang ans Ufer des Waßers. Sie

gieng nun weiter, ohne zu wißen wohin; da kam sie

zu Steinen1 und sagte ›Ach, lieber Gott, wenn sich

doch hier eine Stube aufthäte!‹ Da that sich auch

wirklich eine Stube auf; in die gieng sie hinein, und

alles war da so, wie sie sich es nur gewünscht hatte.

Früh gieng sie sodann wieder heraus, ließ aber in der

Stube ihre prächtigen Kleider, und alles war wieder

Stein wie vor dem. Dann gieng sie in ein Gehöfte und

verdang sich bei der Frau vom Hause als Aschenbrödel.

Da war auch ihr Bruder, denn er war auch von

seinem Vater weg gegangen und war auf dem Gehöfte

als Schreiber, und er hatte einen Bedienten, und wenn

er seinem Bedienten hieß, er solle ihm Waßer oder

seine Stiefel bringen, da lief immer Aschenbrödel und

brachte es ihm, und so oft sie es ihm brachte, warf er

es ihr jedes Mal nach den Fersen. Darauf bat sie ihre

Herrin, sie möge sie doch hier und da ein Mal nach

Hause gehen laßen; sie gieng aber nicht nach Hause,

sondern zu jenen Steinen, und wenn sie in die Nähe

der Steine kam, da thaten sich die Steine wieder auf

und es war wieder eine Stube, und sie zog dann stets

ihre prächtigen Kleider an, und es kam alle Mal eine

Kutsche gefahren, in die setzte sie sich und fuhr in die

Kirche. Der Schreiber aber war auch in der Kirche,

und er sah dort das wunderschöne Mädchen und kam

deshalb den zweiten Sonntag wieder in die Kirche,

und das Mädchen war auch wieder da. Aber ihre Herrin

hatte ihr gesagt, sie müße eher nach Hause kommen

als der Schreiber. Eines Tages jedoch verspätete

sie sich, und da sie nicht mehr Zeit hatte ihre prächtigen

Kleider abzulegen, zog sie zu Hause Alltagskleider

über jene prächtigen an. Da ließ sie der Schreiber

durch den Bedienten rufen: sie solle kommen und ihm

den Kopf absuchen2, aber sie wollte nicht und sagte

›Man hat meiner bisher noch nie bedurft, und man bedarf

meiner auch jezt nicht.‹ Als aber der Bediente

zum zweiten und dritten Male sie rief, da muste sie

doch gehen. Wie sie ihm nun den Kopf absuchte, da

durchsuchte er ihre Kleider und kam bis zu jenem

Mantel. Und als er den Kopf von ihren Knien erhob,

da riß er ihr das Kopftuch vom Kopfe und erkannte

sogleich in ihr seine Schwester. Darauf verließen

beide das Gehöfte, aber niemand wuste, wohin sie

giengen.

Fußnoten

1 Die Erzählerin nennt ›Steine‹ was wir ›Felsen‹ nennen

würden. Eigentliche Felsen sind in Litauen nicht

vorhanden, wol aber gibt es große Massen erratischer

Blöcke, und diese hat wol die Erzählerin vor Augen.

2 Diese Liebeserweisung ist in den litauischen Märchen

die gewönliche Einleitung von Erkennungsscenen.

Vom trägen Mädchen.

Eine Frau hatte eine sehr faule Tochter, die zu keiner

Arbeit Lust hatte; da führte sie sie auf einen Kreuzweg

und auf dem Kreuzwege prügelte sie sie durch.

Da fuhr ein Herr des Weges daher, und das war ein

Edelmann, und er fragte, weshalb sie das Mädchen so

prügele. Sie sagte ›Herrchen, sie ist eine solche Arbeiterin,

ja sie kann uns das Moos von der Wand ab

spinnen.‹ Da sagte der Herr ›Ei da gib sie nur mir, ich

habe zu Hause genug zu spinnen.‹ Da sagte die Frau

›Nehmt sie nur mit, nehmt sie nur mit, ich will sie

nicht mehr.‹ Wie nun der Herr mit ihr nach Hause

kam, da stopfte er ihr den ersten Abend ein ganzes

Faß voll Werg1 und führte sie in eine Stube allein.

Jetzt ward es ihr angst: ›Spinnen mag ich nicht und

kann ich nicht.‹ Da kommen des Abends drei Laumes

daher und klopfen ans Fenster und das Mädchen ließ

sie schnell ein. Die Laumes sagten ›Wirst du uns auf

deine Hochzeit laden, so wollen wir dir heute Abend

spinnen helfen.‹ Schnell erwiderte sie ›Spinnt nur,

spinnt, ich werde euch laden.‹ Da spinnen denn die

Laumes den ersten Abend das ganze Faß leer: das

faule Mädchen schlief stets, die Laumes spannen. Am

Morgen kam der Herr nachsehen: das Mädchen das

schlief und die ganze Wand des Zimmers hieng voll

Gespinnst. Da ließ der Herr niemanden in das Zimmer

des Mädchens, damit sie recht ausschlafen könne

nach so großer Arbeit. Und den anderen Tag stopfte

er ihr ein eben so großes Faß voll Flachs. Die Laumes

erschienen wieder und es begab sich wie am ersten

Abende. Da hatte der Herr nichts mehr zu spinnen

und er sprach ›Jetzt will ich dich heiraten, da du eine

so vortreffliche Arbeiterin bist.‹ Den Tag vor der

Hochzeit sagte das Mädchen zum Herrn ›Ich muß

noch gehen meine drei Tanten einladen.‹ Und der Herr

ließ sie gehen. Als sie nun kamen und sich hinter den

Ofen setzten, da kam der Herr um sie an zu sehen und

als er sie sah in ihrer Häßlichkeit, da sagte er zu seinem

Mädchen ›Aber deine Tanten sind sehr unschön.‹

Und die eine Laume fragte er, weshalb sie solch lange

Nase habe. Sie erwiderte dem Herrn ›Herrchen, das

ist von dem starken Spinnen; wenn man immer spinnt

und der Kopf so nickt, da dehnt sich die Nase so stark

in die Länge.‹ Da fragte er die andere, weshalb sie so

dicke Lippen habe. Sie erwiderte dem Herrn ›Herrchen,

das ist von dem starken Spinnen; wenn man

immer spinnt und immer nezt, da werden die Lippen

so dick.‹ Da fragte er die dritte, weshalb sie einen so

ungefügen Steiß habe. Sie erwiderte dem Herrn ›Herrchen,

das ist von dem starken Spinnen; wenn man

immer spinnt und immer sitzt, da wird der Steiß so

ungefüge.‹ Da überkam ihn die Angst, seine Gemah-

lin könne vom Spinnen eben so häßlich werden, und

schnell warf er den Rocken in den Ofen.

Fußnoten

1 In Litauen Heede genannt, grober, schlechter

Flachs.

Vom schlauen Jungen.

Es waren einmal zwei Brüder; der eine, ein sehr reicher

Mann, war Kaufmann in der Stadt und kinderlos,

der andere aber war ein armer Teufel auf dem Lande

und der hatte drei Knaben, aber er war so arm, daß er

nicht einmal etwas zu eßen hatte. Da gedachte einst

der reiche seines armen Bruders, ließ sich die Pferde

vor den Schlitten spannen, denn es war zur Winterszeit,

packte für die drei Jungen der Reihe nach Kleider

ein und fuhr hin zu seinem Bruder. Als er hin gekommen,

hielt er vor der Thüre und sein Bruder kam

heraus in einem alten zerrißenen Pelze und beide begrüßten

sich freundlich und giengen in die Stube. Der

Reiche sagte ›Bruder, wo ist deine Frau?‹ »Ach, Bruder,

sie schämt sich hinter dem Ofen vor zu gehen; sie

hat nichts an zu ziehen und ist schon ganz halb

nackt.« ›Und wo sind deine Jungen?‹ »Die Jungen,

die sind in der Schule.« Indem sie mit einander redeten,

kamen die Kinder zum Eßen aus der Schule nach

Hause gelaufen und grüßten ihren Ohm freundlich.

Der Ohm hatte sein Wolgefallen an den Jungen und

ließ ihnen sogleich die Kleider bringen, die er ihnen

zu Hause hatte machen laßen, und wie sie angezogen

waren, da ließ er sie ein Ende mitfahren und es traf

sich, daß der Weg durch einen Wald führte, wo schö-

ne Bäume zu sehen waren. Im Fahren kamen sie an

dicke Eschenbäume. Da sagte der älteste von den

Knaben ›Ohm, das gäbe gute Tische!‹ Der Ohm sagte

»Na, mein Junge, willst du ein Tischler werden?« ›O

ja (sagte der Knabe) wenn nur mein Vater so viel aufbrächte,

um mich in die Lehre zu thun.‹ Der Ohm

nahm sein Journal1 und schrieb sich das auf. Sie fuhren

weiter und kamen an starke Eichen. Da sagte der

zweite ›Aber das wären herrliche Eichen für die Wagner.‹

Der Ohm sagte »Na, mein Junge, vielleicht

willst du ein Wagner werden?« ›O ja, (sagte der

Knabe) wenn nur mein Vater so viel aufbrächte, um

mich in die Lehre zu thun.‹ Der Ohm zog sein Journal

heraus und schrieb sichs auf. Sie fuhren noch ein

Ende und kamen an schöne und hohe Bäume; aber der

dritte sagte nichts. Der Ohm aber wartete darauf, ob

denn der auch etwas sagen würde. Da kamen sie an

ein solches Dickicht und verwachsenes Gestrüppe,

daß nicht einmal eine Mücke ihren Schnabel hätte

hinein stecken können; da sagte der jüngste ›Ohm, da

könnte man gut ein Schnippchen schlagen.‹ Der Ohm

denkt hin und her, aber er kann das Wort nicht verstehen

und er muß den Kleinen fragen, was das sei und

an was er denke. ›Ohm, (sagte der Junge) da könnten

sich Räuber gut verstecken.‹ Der Ohm sagte »Na,

vielleicht willst du gar unter die Räuber gehen?« ›O

ja, wenn ich nur dazu kommen könnte?‹ Der Ohm zog

sein Journal heraus und schrieb sich auch das auf. Sodann

kehrte er wieder zu seinem Bruder zurück.

Als er von seinem Bruder Abschied genommen,

fuhr er wieder nach Hause, und die Knaben seines

Bruders nahm er alle drei mit zu sich in die Stadt und

schickte sie in die Schule; nachher that er den einen

zu einem Tischler und den anderen zu einem Wagner

in die Lehre. Nicht weit von der Stadt aber war eine

Heide, und auf der Heide hielten sich Räuber auf; dort

hatten sie ihren Keller. Der Kaufmann aber war bekannt

mit den Räubern; wenn die anderen Kaufleute

aus der Stadt nach Waare fuhren, da gab er den Räubern

Kunde davon. Zu diesen Räubern that er den

dritten, und da sollte er das Räuberhandwerk lernen.

Als er schon eine Zeit lang dort gewesen, sah er bei

den Räubern großes Unrecht, indem sie die Leute,

wenn sie sie ausraubten, auch noch todt schlugen, und

er sagte einmal ›Brüder, das ist nichts; warum schlagt

ihr denn die Leute, die sind ja unschuldig; wenn ihr

ihnen die Waare abnehmet, raubt ihr ihnen alles was

sie haben, dann laßt doch die Leute laufen.‹ »Na da

machs doch so, wenn du so schlau bist,« sagten die

Räuber zu ihm. Als nun ein großer Wagen mit Waare

des Weges gefahren kam, da sagten sie »Geh und beraube

einmal den Wagen!« Der Junge sagte ›Ich

werde so viel rauben, als ich tragen kann, aber geht

auch ihr mit, damit wir alle etwas bekommen, ich

werde doch niemanden erschlagen.‹ Da hieng sich der

Junge fünf Pistolen um und gieng in das Dickicht am

Wege und wartete bis der Wagen kam. Wie der

Wagen nun kam, da spannte er drei Pistolen; der

Fuhrmann dachte ›Da sind wer weiß wie viele Räuber,‹

sprang vom Wagen, schnitt eiligst die Stränge

ab, entfloh mit den Pferden und ließ den Wagen im

Stiche. Da kamen die Räuber mit dem Jungen aus

dem Dickicht hervor, nahmen vom Wagen was ihnen

nur gefiel und trugen es in ihren Keller. Da sagte der

Kleine ›Na seht, Brüder, ist das nicht beßer als wenn

ihr die Leute ohne Not erschlagt?‹ Aber sie wurden

böse auf ihn, weil er schlauer war als sie. Und als sie

ihn unter die Gesellen thun wollten, da sagte der Räuberhauptmann

zu ihm ›Du must uns deine List noch

anders zeigen; jezt wird Jahrmarkt in der Stadt sein,

stihl du uns da eine Ziege.‹ Der Kleine antwortete ›Na

das ist ja gar nichts für mich, ich werde sie drei Mal

stehlen und zwei Mal verkaufen.‹

Er gieng nun auf den Markt, stellte sich neben das

Thor und wartete auf Leute mit Ziegen. Als er so wartete,

brachte ein altes Männchen eine weiße Ziege; zu

dem sagte er ›Wie, Väterchen, hast du die Geiß zu

verkaufen?‹ »Ja, mein Sohn.« ›Na da werden wir

beide ein Geschäft machen; was willst du für die

Geiß?‹ »Drei Thaler.« Der dang nicht lange und sagte

›Komm, Väterchen, laß uns in die Stube gehen, ich

werde ein Viertelchen Branntwein geben.‹ Während

getrunken ward, gieng der Kleine hinaus, nahm die

Ziege und gieng in ein Kornfeld bei der Stadt, machte

seine Ziege bunt und führte sie wieder in die Stadt;

und wie er sie hinein führte, begegnete er dem Alten,

dem er die Ziege gestohlen hatte. Der alte Mann fragte

ihn ›Mein Sohn, hast du die Ziege zu verkaufen?‹

»O ja, Väterchen.« ›Und was willst du für deine

Ziege?‹ »Zehn Gulden«2. ›Da, mein lieber Sohn, ich

hatte auch eine weiße Ziege zu verkaufen und wollte

eine andere kaufen; ich hatte drei Thaler ausgedungen

für die meinige, aber als wir beim Kauftrunk saßen,

verschwand mein Käufer mit der Ziege, die er mir

stahl, denn er hatte das Geld noch nicht bezahlt;

meine Ziege war gerade so eine wie deine, nur war

meine weiß und deine ist bunt. Na wie, mein Sohn,

gehts nicht unter zehn Gulden?‹ »Nein, anders gehts

nicht, es ist eine sehr schöne Ziege und sie ist noch

jung.« ›Na was ist zu thun wenn es nicht anders ist,

was ist da zu thun?‹ Und er zahlte ihm das Geld.

»Aber den Kauftrunk trinken wir noch,« sagte der

Junge. Als sie tranken, gieng er hinaus, stahl dem

Alten die Ziege, führte sie in ein Kornfeld, schwärzte

die Ziege am ganzen Leibe und führte sie wieder auf

den Markt. Er begegnete abermals dem alten Manne,

dem er die Ziege gestohlen hatte. Der Alte sagte ›Hast

du die Ziege zu verkaufen?‹ »Ja,« sagte er. ›Na was

willst du dafür, mein Sohn?‹ Er verlangte wieder dasselbe

Geld und bekam abermals seine zehn Gulden.

Der Alte nahm seine Ziege und führte sie gerades

Weges nach Hause, damit man sie nicht aufs neue

stehle; aber der kleine Räuber folgte ihm in einiger

Entfernung bis zu dem Hause.

Als der Alte mit seiner Ziege nach Hause gekommen,

führte er sie in den Stall und ließ den Stall unverschloßen;

er gieng sogleich in die Stube und sagte

zu seiner Frau, er habe eine schwarze Ziege gekauft,

sie solle ihm aber vor allem etwas zu eßen geben,

dann wollten sie beide in den Stall gehen und die

Ziege in Augenschein nehmen. Als er gegeßen, gehen

beide in den Stall mit einer Schleiße (einem

Spahnlichte), weil es schon dunkel war, aber die

Ziege fanden sie bereits nicht mehr, denn der Bursche

hatte während ihres Abendeßens die Ziege gestohlen.

Da ließ die alte Frau ihre Wut an dem Manne aus und

begann ihn von oben mit den Fäusten zu schlagen und

sagte ›Den ganzen Tag hast du dich herum getrieben,

den ganzen Tag hast du gezecht, die Ziege verkauft

und das Geld vertrunken, und nun kommst du nach

Hause und belügst mich noch, daß du eine Ziege mit

gebracht.‹ Was sollte der Mann nun anfangen? Er

gieng um die Ziege zu suchen, ob sie wol irgend

wohin weg gelaufen sei. Der Bursche aber hatte die

Ziege neben seinem Keller und er kniff sie in den

Schwanz, daß sie meckern muste. Wie das der Alte

vernahm, warf er sich sogleich nieder, legte die Ohren

auf die Erde und horchte, wo das wol sein könnte,

dann stund er auf und gieng der Stimme nach. Zufällig

muste er über ein großes Moor gehen und ins

Waßer waten; er watete so weit hinein, als er es in

Kleidern vermochte, dann kehrte er um, zog sich aus

und watete abermals. Jetzt übergab der Dieb die

Ziege seinen Kameraden, lief um den Sumpf herum

und stahl dem Alten die Kleider, brachte sie heim und

sperrte die Ziege in der Räuber Keller ein. Der Alte,

der die Stimme der Ziege nicht mehr hörte, kehrte auf

den Ort zurück, wo er sich ausgezogen hatte, aber er

fand seine Kleider nicht mehr und muste in bloßem

Hemde nach Hause gehen.

Jetzt besprachen sich die Kameraden des jungen

Menschen und sagten ›Wir wollen ihn nun zu unser

einem machen, und er kann nun auf die Wanderschaft;

wir haben nun gesehen, daß er schlauer ist als wir.‹

Da nahm er Abschied von ihnen, dankte für ihre Unterweisung

und gieng zu seinem Ohm. Der gab ihm

tüchtig Geld und alles was man zur Reise braucht,

und entließ ihn in die Welt. Als er nun so wanderte,

trat er zufällig in eine Schenke, um ein Glas Bier zu

trinken. Die Wirtschaft führte eine Witwe mit ihrer

Tochter. Als er ausgetrunken, rief er die Tochter herbei,

damit sie die Bezahlung für das, was er verzehrt,

in Empfang nehme. Als die Tochter kam, zog er aus

seiner Tasche eine ganze Hand voll Geld und wühlte

darin, um zu finden was er brauchte. Als die Tochter

sah, daß der Wandersmann so viel Geld habe, gieng

sie sogleich wieder zu ihrer Mutter hin und sagte

›Mutter, was dir der fremde Mensch Geld hat, das ist

ganz fürchterlich. Du könntest ihn fragen, ob er nicht

bei uns als Wirtschafter bleiben wolle.‹ »Das wäre

gut (sagte die Mutter), wir brauchen ohnehin einen.«

Da gieng sie ins Zimmer und begann ihn von weitem

aus zu fragen, woher er sei, wohin er gehe und was er

für einer sei; auch fragte sie ihn, ob er die Feldarbeit

verstehe. ›O ja (sagte er), ich verstehe alles was man

in der Wirtschaft braucht.‹ »Könntet ihr nicht bei uns

bleiben als Wirtschafter? wenn ihr nicht etwa noch

weit weg und die Welt sehen wollt. Ich bedarf sehr

eines Wirtschafters: ich lebe nun schon lange Zeit allein,

und mit meiner Wirtschaft gieng es bisher immer

schlechter.« Indem sie so redeten, kam die Tochter

herein, da sagte die Mutter »Wenn dir meine Tochter

da gefällt, so könnten wir wol einig werden; auf viel

Hab und Gut sehe ich nicht, wenn ich nur einen guten

Wirtschafter bekomme. Komm mit in meine Wirtschaft,

ich will sie dir zeigen.« Da zeigte sie ihm alles

was sie nur hatte, und es dauerte nicht lange, so ließen

sie sich trauen, und er führte da die Wirtschaft.

Jetzt aber erfuhren die Räuber, daß jener schlaue

Bursche in der Schenke die Wirtschaft führe, und es

verabredeten sich zwei von ihnen und machten sich

auf, ihn zu besuchen. Als sie zu ihm kamen, richteten

sie es so ein, daß sie ihn nicht zu Hause fanden, und

als sie in die Stube getreten, fragten sie, wo der Herr

sei. Die Frau antwortete ›Der Herr ist aufs Feld gegangen

zu den Pflügern, aber er wird gleich wieder

kommen, wenn ihr zu ihm müßt. Und wer seid ihr

beide?‹ fragte sie. Die beiden sagten »Wir sind die

Brüder des Herrn, einer der Tischler und der zweite

der Wagner.« ›Da wartet doch ein wenig, er wird

gleich nach Hause kommen.‹ »Wir haben keine Zeit

länger zu warten und müßen machen daß wir weiter

kommen.« Und damit giengen sie weg. Als sie weg

giengen, bemerkten sie, daß ein großes Mastschwein,

das früh geschlachtet worden war, im Wagenschupfen

hange. Als die Wirtin, die sie hinaus begleitet hatte,

wieder zurück gekehrt war, da kehrten sie auch wieder

um, nahmen das Mastschwein heimlich weg und

machten sich damit auf den Weg nach ihrem Wohnorte.

Der Herr, als er eine Weile bei den Pflügern zugebracht,

kam nach Hause, und seine Frau sagte ihm

›Deine beiden Brüder waren da und fragten nach dir.‹

Er sagte »Warum hast du sie denn nicht zum Bleiben

genötigt?« Sie: ›Ich habe sie genug genötigt, aber sie

blieben nicht da und sagten: Wir müßen machen, daß

wir weiter kommen.‹ Da merkte der Herr sofort, was

das für Brüder gewesen. Er gieng in den Schupfen,

um nach dem Schweine zu sehen, aber das war nicht

mehr da. Er gieng ins Zimmer zurück und fragte seine

Frau, ob sie etwa das Schwein in die Stube habe bringen

laßen. Sie erwiderte ›Ach, Gott erbarm! wo wäre

mir das ein gefallen!‹ Da wuste er nun, wo das

Schwein hin geraten; er setzte ihnen sofort nach und

ereilte sie im Walde gerade, als einer von den zweien

zurück geblieben war, um seine Notdurft zu verrichten,

und der andere trug indes das Schwein weiter. An

den gieng er heran und sagte ›Jetzt habe ich aus geruht,

laß mich tragen!‹ Im Walde war es aber sehr finster,

und so machte er sich davon und gieng mit seinem

Schweine heimwärts.

Nachher holte der, der zurück geblieben war, den

andern ein und sagte zu ihm ›Na Bruder, wo hast du

das Schwein? laß mich jetzt tragen!‹ Der erwiderte

»Du hast es mir ja eben erst abgenommen.« ›Aber,

bist du denn von Sinnen, ich habe dich ja eben erst

ein geholt!‹ »Gib acht, da hat uns der schlaue Bursche

das Schwein abgenommen.« Sie kehrten um und setzten

ihm nach, um es ihm wieder ab zu nehmen, und

erjagten ihn nicht weit vom Hofe. Jezt blieb ihnen

nichts anders übrig, als sich als Frauen zu verkleiden,

einer als Hauswirtin, der andre als Magd, und so

giengen sie ihm auf dem Hofe entgegen. Der welcher

als Hauswirtin angezogen war, kam herbei und sagte

›Nun, wie stehts, hast du den beiden das Schwein ab

genommen?‹ Er sagte »Im Walde holte ich sie ein und

nahm es ihnen ab.« ›Na da bist du wol sehr müde; gib

uns beiden das Schwein, wir werden es in die Stube

tragen, und du sieh nach ob alles gut verschloßen ist,

damit die Racker nicht etwa wieder kommen und uns

Schaden thun.‹ Da gab er den beiden das Schwein

und gieng überall nach zu sehen; die beiden aber

machten sich mit dem Schweine wieder fort auf den

Heimweg.

Als er in die Stube kam, fragte er seine Frau ›Wo

hast du das Mastschwein hin gethan?‹ Sie antwortete

»Na, hast dus mit gebracht? ich habe es ja noch gar

nicht gesehen.« ›Aber rede nur nicht albern: als ich

kam, nahmst du mirs ja im Hofe ab, und jetzt willst

dus nicht gesehen haben?‹ »I wo denn (erwiderte sie),

ich bin ja nicht zur Stube hinaus gekommen.« Da

merkte er, daß die Spitzbuben das gethan, und sogleich

setzte er ihnen nach, und im Walde holte er sie

ein, als sie sich ein Feuer angemacht hatten, um sich

einen Schinken, den sie sich ab geschnitten, zu braten.

Das Feuerchen aber begann zu verleschen und sie musten

Holz suchen gehen. Als sie beide nach Holz weg

gegangen, trat er an einen faulen Baumstumpf und begann

auf denselben mit einem Knüttel los zu schlagen,

er selbst aber schrie dabei ›Ich wills nicht wieder

thun, ich wills nicht wieder thun!‹ Da dachte der eine,

er schlägt jenen, und jener dachte, er schlägt den, und

beide liefen davon. Da kam der Wirt herbei, nahm

sein Mastschwein sammt dem gebratenen Schinken

und gieng damit nach Hause.

Als aber jene beiden auf dem rechten Wege sich

wieder zusammen gefunden, sagte der eine ›Na, dein

Rücken der wird blau sein‹, und der andre sagte »Und

deiner wird gar schwarz sein wie der Boden des Keßels;

wie du geschrien hast, das war wirklich schrecklich

an zu hören.« Nachdem sie sich eine Weile gestritten,

kam es zum Vorschein, daß weder der eine

noch der andere Prügel bekommen und daß jener

Schlaukopf sie abermals angeführt hatte. Aber beide

hofften doch, ihn zu überlisten und setzten ihm noch

ein Mal nach, konnten ihn aber nicht einholen. Als sie

zum Gehöfte kamen, war es schon zugemacht und

verschloßen, nur in der Stube, wo das Schwein lag,

brannte ein Spahn, und ein Fensterflügel war gerade

da offen, wo das Schwein und auf dem Schweine der

Schinken lag. Aber bei dem Fenster hart an der Wand

stund der Herr mit einem Säbel und wartete der

Dinge, die da kommen sollten. Er hatte noch nicht

lange da gestanden, da kam einer ans Fenster und

schaute hinein ›Das Mastschwein liegt auf dem Tische

und der Schinken oben drauf,‹ und er sagte zum

andern ›Bruder, schau, da liegt unser Schwein.‹ Jener

sagte »Na, da greif zu, zieh wenigstens den Schinken

heraus, mit dem Schweine gehts ohne dies nicht.« Der

will nun nach dem Schinken greifen; als er aber die

Hand weit genug hinein gestreckt, da hieb ihm jemand

mit einem Hiebe die Finger ab. ›Zum Teufel

(schrie er auf), der Schinken ist noch heiß!‹ »Geh, du

Dummkopf, nachdem er so weit durch die frische Luft

getragen worden ist, wird er noch heiß sein! Geh fort,

ich werde darnach greifen.« Als er so weit die Hand

hinein gesteckt, daß er den Schinken faßen wollte,

hieb jener auch ihm die Finger ab. ›Aber, Bruder, der

hat mir ja die Finger abgehauen!‹ Jener sagte »Das

geschieht dir recht, sonst hättest du dich darüber lustig

gemacht, daß ich um meine Finger gekommen

bin. Jetzt wollen wir heim, jetzt haben wir genug.«

Da giengen sie beide nach Hause und ließen jenen

künftig in Ruhe.

Fußnoten

1 So auch im Litauischen.

2 Ein ostpreußischer Gulden ist zehn Silbergroschen;

zehn Gulden sind also dre Thaler zehn Silbergroschen.

Von der Königstochter.

Es war einmal ein König, der hatte einen Bedienten,

der ein sehr guter Mann war. Als einst der König

nicht zu Hause war, war seine Tochter im Garten, und

der Bediente gieng auch in dem Garten umher; dem

Fräulein gefiel aber das nicht, daß er da immer herum

gieng, und sie ließ ihn umbringen. Nun aber ward ihr

angst, was sie bei des Königs Zurückkunft sagen

wolle, weil sie den Bedienten hatte tödten laßen, und

sie machte sich auf und entfloh aus dem Hause. Als

sie nun weit genug gelaufen war, kam sie an einen

großen Garten, in den gieng sie hinein, legte sich nieder

und schlief ein, denn sie war sehr müde geworden.

Bei dem Garten war aber eines Königs Hof, und früh

kam der Prinz in den Garten spazieren und fand jene

Prinzessin und weckte sie und fragte sie, woher sie

komme und wohin sie gehe. Da sagte sie ihm, daß sie

eine Königstochter sei. Und sie gefiel ihm so wol, daß

er sie in sein Haus führte. Er hatte aber eine sehr böse

Mutter und deshalb verbarg er das Mädchen vier Wochen

lang, damit sie sie nicht sehe. Eines Sonntags

aber war die Alte sehr gut, da sagte er zu ihr ›Aber

Mama, was ich für einen Vogel habe!‹ und zeigte ihr

das Mädchen. Und die Königstochter gefiel auch ihr

recht wol; aber als der Prinz sagte, er wolle sie als

Frau behalten, da konnte sie die Alte durchaus nicht

leiden, und sie wollte nicht zu geben, daß er sie

nehme. Als sie nun aber sah, daß keine Abhilfe sei, da

muste der Prinz seiner Mutter einen andern Hof draußen

im freien Felde bauen, denn die Alte wollte mit

der Schwiegertochter nicht zusammen leben. Der

Sohn that dieß und heiratete die Prinzessin.

Später muste der Prinz in den Krieg reiten, und da

ließ er seiner Frau ein rotes Petschaft und seiner Mutter

ein schwarzes. Nicht lange nachher kam einmal

die Alte zu Besuch zu ihrer Schwiegertochter und

stahl ihr ihr Petschaft. Wenn nun die Königin ihrem

Manne Briefe schrieb, so hatte sie kein Petschaft, um

sie zu versiegeln; und wenn sie schrieb, so muste

immer die Post mit dem Briefe durch den Hof der

Alten ihren Weg nehmen; und so oft die Post kam,

machte die Alte die Leute trunken, nahm, erbrach und

verbrannte den Brief der Königin und schrieb einen

andern Brief, den sie mit dem gestohlenen Petschafte

siegelte und dem Könige zusandte. Der König dachte

aber immer, daß seine Frau die Briefe geschrieben

habe. Einst schrieb die Königin, daß sie zweier Prinzen

genesen sei; aber als die Post zum Hause der

Alten kam, da machte sie wieder die Männer betrunken

und schrieb, sie habe zwei Hündchen geboren.

Der König aber antwortete, sie solle warten bis er

nach Hause komme; und wie die Post bei der Alten

vorbei kam, da nahm sie wieder den Brief und schrieb

ihr in einem andern, daß sie mit ihren beiden Kindern

sogleich umgebracht werden solle.

Man führte sie nun heraus in einen Wald, und sie

wollten zuerst ihre Kinder tödten, aber sie sagte

›Einen dreifachen Tod kann ich nicht sterben, tödtet

mich zuerst,‹ und bat sehr um ihr Leben: ›dieß Blut

(sagte sie), komme auf euch und eure Kindeskinder.‹

Da ward es den Dienern angst und sie tödteten sie

nicht. Den Leuten war aber befohlen, sie sollten

sämmtliche sechs Augen und die drei Zungen mit

nach Hause bringen. Es waren ihnen aber zufällig, als

sie in den Wald giengen, drei Hunde zugelaufen; dieser

drei Hunde Augen und Zungen nahmen sie mit

nach Hause. Die Königin aber versprach, nicht wieder

in die Stadt zurück zu kehren. Und wie sie sie gehen

ließen mit ihren Kindern, da legte sie sich unter einem

Baume schlafen; da kam ein Wolf und trug eins ihrer

Kinder weg, aber ein Bauer, der in dem Walde war,

sah den Wolf, wie er das Kind davon trug, lief herbei

und nahm ihm das Kind ab, und der Wolf kehrte um,

um das andre zu holen, aber der Bauer nahm ihm

auch das ab. Das Kind aber hatte eines erwachsenen

Menschen Hand über seine eine Schulter hangen, und

das war der Königin Hand, denn die Diener hatten sie

ihr ab gehauen. Die beiden Kinder nahm der Bauer

mit nach Hause, und als sie größer geworden, sagte er

zu ihnen ›Kinder, ich bin euer rechter Vater nicht;

wollt ihr, so könnt ihr da bleiben; wollt ihr aber nicht,

so könnt ihr gehen wohin ihr wollt.‹

Da verließen die beiden den Bauern; einer der Knaben

aber trug die Hand immer auf der Schulter. Da

kamen sie zufällig in eine Stadt und zu des Königs

Haus, und der König kam heraus, die zwei Knaben an

zu sehen, und wie er die Hand beschaute, da war an

einem Finger ein Ring, und den Ring erkannte der

König als den Ring seiner Frau. Nun fragte er die

Knaben, woher sie seien, und sie sagten ›Wir waren

bei einem Bauern, und der Bauer sagte uns, wir seien

nicht seine Söhne, und wenn wir wollten, so könnten

wir bei ihm bleiben, und wenn nicht, so könnten wir

auch gehen.‹ Da erkannte der König, daß es seine

Kinder seien, und er behielt sie bei sich und fuhr aus,

seine Frau zu suchen. Da kam er in eine Stadt und

gieng in eine Schenke, aber sein Kutscher blieb draußen

und sah ein Weib mit einer Hand, die gieng zum

Brunnen, um Waßer zu schöpfen. Der Kutscher lief

sogleich zu seinem Herrn hinein und meldete ihm das;

der König lief heraus, fand die Frau und erkannte in

ihr seine Gattin und nahm sie mit sich an seinen Hof.

So hatte er seine beiden Söhne und seine Frau wieder;

seine böse Mutter aber ließ er mit ihrem Hause,

sammt allem was darin war, verbrennen.

Vom Grünbart.

In einer Stadt lebte ein sehr reicher Kaufmann, der

hatte eine sehr schöne Tochter, die wollte durchaus

keinen andern heiraten als einen Mann mit grünem

Barte. Um die Stadt herum waren sehr große Wälder;

in diesen Wäldern hausten vier und zwanzig Räuber

mit einander. Der Hauptmann dieser Räuber, der von

dem Mädchen vernommen hatte, daß sie nur einen

Mann mit einem grünen Barte heiraten wolle, fragte

seine Leute, ob sie kein Mittel kennten, mit dem man

sich den Bart grün färben könne, und sie verschafften

ihm sogleich solche Farbe. Da färbte er denn seinen

Bart grün (und er war auch außerdem ein stattlicher

Mann) und reiste in die Stadt zu dem Kaufmann: er

wolle seine Tochter freien. Dem Mädchen gefiel er

auch sehr und so blieb er da über Nacht. Des andern

Tages verabredeten sie sich, daß das Mädchen zu ihm

hin reisen solle; er besitze hinter dem Walde ein großes

Gehöfte. Dem Mädchen bedeutete er, sie solle

immer die Straße entlang reiten, bis sie an eine Brükke

komme; jenseit der Brücke solle sie sich links wenden

und auf dem Pfade nur weiter reiten, so werde sie

zu seinem Hofe gelangen. Der Grünbart reiste ab.

Die Kaufmannstochter rüstete sich nun zur Reise,

ließ sich guten Kuchen backen, um ihn ihrem Bräuti-

gam mit zu bringen, und machte sich dann zu Pferde

auf den Weg. Sie kam zur Brücke und fand jenen Seitenweg,

von dem der Grünbart gesprochen hatte. Sie

ritt nun auf dem Pfade in den Wald; je tiefer sie aber

in den Wald hinein kam, desto schmaler ward der

Pfad: nur ein schmaler Fußpfad war noch da. Was

sollte sie nun thun? Reiten konnte sie nicht mehr, sie

muste absitzen, das Pferd anbinden und zu Fuße

gehen. Nachdem sie ein Ende gegangen, sah sie ein

Häuschen, an dessen Thüre zwei Löwen mit Ketten

angebunden waren. Als sie in die Nähe derselben gekommen

war, dachte sie ›Sollst du weiter gehen oder

nicht?‹ Aber da die Löwen nichts thaten, trat sie hinein

und gieng in eine Stube: da stunden Betten und an

der Wand hiengen mehrere Flinten. Als sie sich da

umgeschaut, gieng sie in eine andre Stube: da stund

ein Tisch und am Deckbalken hieng ein Käfich mit

einem Vögelchen. Der Vogel sagte zu ihr ›Wie

kommst du hierher? denn das ist ein Räuberhaus.

Hinweg kannst du jetzt nicht, denn wenn du hinaus

willst, so zerreißen dich die, Löwen; aber ich will dir

Unterweisung geben. Lege du dich jetzt unters Bett;

wenn die Räuber kommen, werden sie sich betrinken

und dann einschlafen; dann geh du weg, und wenn du

hinaus gehst, wirf beiden Löwen jedem ein Stück Kuchen

hin, dann kannst du ein Ende weit davon laufen.‹

So that sie auch und kroch unter das Bett.

Die Räuber kamen einer nach dem andern und sagten

›Hier stinkts nach Menschenfleisch;‹ aber der

Vogel wehrte ab so viel er nur konnte, und so ließen

sie sich davon abbringen. Die Räuber brachten ein

Mädchen mit; nachdem sie ihr Abendeßen zu sich genommen,

hieben sie das Mädchen in Stücke und fiengen

mit den kleinen Fingern an. An einem hatte sie

einen Ring, und der Finger mit dem Ringe rollte unter

das Bett, wo jene lag. Da nahm sie den Finger und

steckte ihn in ihre Tasche. Als die Räuber ihr Werk

vollendet, fiengen sie noch einmal an zu trinken und

betranken sich dermaßen, daß sie von ihren Sünden

nichts mehr wusten und sämmtlich einschliefen. Als

das Mädchen meinte, daß sie alle fest schliefen, stund

sie auf, gab dem Vögelchen ein Stückchen Zucker und

nahm in jede Hand ein Stück Kuchen, das sie beim

Hinausgehen den Löwen zuwarf. In der Zeit als sie

das fraßen, sprang sie hinaus. Kaum aber hatten sie es

gefreßen, als sie anfiengen zu brüllen und ein Geschrei

zu erheben, daß der Wald in einem fort erbebte.

Da sprangen die Räuber alle auf und verfielen gleich

darauf, daß das Mädchen da gewesen sein müße; alle

setzten ihr nun nach, aber sie erreichte doch ihr Pferd.

Als sie aufgeseßen, ritt sie in solcher Eile, daß sie, als

sie ihre Wohnung erreicht hatte, vor Schreck blaß war

wie eine Leiche, und daß sie sich sogleich niederlegen

muste und krank ward.

Der Grünbart schor nun seinen Bart sofort ab und

sann nach, wie er das Mädchen doch noch erwischen

könne. Er bestellte sich große Wagen und große

Fäßer, in deren jedes er vier Räuber kriechen ließ, und

fuhr damit zu dem Kaufmanne, als ob er Waaren kaufen

wolle: er sei auch ein Großhändler aus der und der

Stadt. Seinen Leuten hatte er gesagt, er werde ins

Zimmer zum Kaufmanne gehen und er wolle ihnen ein

Zeichen geben; wenn alle in der Stube eingeschlafen

sein würden, dann sollten sie die Boden der Fäßer

ausschlagen, alles ausrauben und beim Wegfahren

noch das Mädchen mitnehmen. Während er nun im

Zimmer war, hörte des Kaufmanns Knecht, der auf

dem Hofe umher gieng, in einem Faße eine Stimme,

die sagte ›Was das ist? das dauert sehr lange.‹ Da

gieng der Knecht hinein zu seinem Herrn und sagte

›Herr, was ist das? In den Fäßern da sind Leute drin.‹

Da bestellte der Kaufmann viele starke Männer, die

die Räuber ergreifen sollten; jenen Räuber ließ er in

der Stube ganz hinter den Tisch sitzen und ein Paar

starke Männer neben ihn. Da kam das Mädchen, zeigte

ihm den abgehauenen Finger mit dem Ringe und

fragte ihn, ob er sich desselben erinnere; da merkte er

daß er erkannt sei und sah sich um, wie er ausreißen

könne. Der Kaufmann ließ ihm aber nicht so viel Zeit,

sondern gab jenen ein Zeichen, daß sie ihn faßen sollten.

Da faßten ihn denn beide und banden ihm Hände

und Füße zusammen; in seinem Stiefelschafte aber

fand sich ein langes Meßer. Als sie ihn fest gebunden

hatten, da giengen sie auf den Hof, ergriffen jene alle

nach der Reihe und brachten sie ins Gefängnis. So

waren denn die Räuber alle besorgt und aufgehoben.

Das Mädchen führte sodann die Leute in das Haus der

Räuber. Das Vögelchen behielt sie selber, das übrige

theilte sie unter die Armen aus; das Haus ward verbrannt,

und die Löwen behielt der Kaufmann. Die

Räuber fanden sämmtlich ihren Tod im Gefängnisse.

So war denn alles vertilgt, und das Mädchen hatte fürderhin

keine Vorliebe mehr für grüne Bärte.

Vom Häuslerssohne, der einen sehr reichen

Herrn dran kriegte.

Ein Mann, der nur ein kleines Haus und einen halben

Morgen Feld besaß, hatte einen Sohn, den that er aus

in die Lehre und ließ ihn gut unterrichten. Als später

der Sohn wieder nach Hause kam, verschrieb ihm der

Vater das Häuschen mit dem Lande. Dem aber sagte

es nicht zu in dem Häuschen zu sein und er verkaufte

es und kaufte sich für das Geld feine Kleider, Wagen

und Pferde und mietete einen Kutscher und fuhr in

fremde Lande, um eine Frau zu suchen.

Da kam er zu einem sehr reichen Herrn, der Töchter

hatte und der ihm eine versprach. Als ihm der Herr

die Tochter zugesagt, führte er seinen Schwiegersohn

herum, um ihm sein ganzes Besitztum zu zeigen. Als

sie in die Brennerei kamen, sagte der Herr ›Schwiegersohn,

das sind Keßel!‹ Der Schwiegersohn sagte

»Das ist noch nichts gegen meine.« Der Herr dachte

›Meine sind groß, und wenn seine noch größer sind,

was müßen das für Keßel sein!‹ Da gieng der Herr zu

dem Kutscher hin und fragte ihn ›Kutscher, sind eures

Herrn Keßel in der Brennerei groß?‹ Der Kutscher

sagte »Ich gieng einmal in die Brennerei, um eine

Pfeife Tabak anzuzünden, da sah ich, daß fünf Männer

im Kahne drin herum fuhren und sich Käse

schmecken ließen.« Dann führte der Herr seinen

Schwiegersohn in den Pflanzgarten, um den Kohl zu

beschauen, und sagte ›Schwiegersohn, das ist großer

Kohl.‹ Der Schwiegersohn sagte »Das ist noch nichts

gegen meinen.« Der Herr fragte wieder den Kutscher,

der sagte ›Ich weiß nicht viel davon; aber einst gieng

ich, um für die Pferde Grünfutter zu hauen, da fieng

es an zu tröpfeln und fünfzig Männer stunden unter

einem Kohlblatte und fanden da Schutz gegen den

Regen.‹ Dann führte der Herr den Schwiegersohn aufs

Feld, um sich auch das anzusehen; der Herr hatte aber

sehr große Erbsen, da sagte er ›Schwiegersohn, das

sind Erbsen!‹ Der Schwiegersohn sagte »Das ist noch

nichts gegen meine.« Als sie drauf nach Hause

kamen, gieng der Herr wieder den Kutscher fragen, ob

seine Erbsen groß seien. Der Kutscher sagte ›Einst

führte ich die Pferde in die Schwemme, da sah ich,

daß in eine halbe Schote unserer Erbsen fünf Mann

sich einsetzten und auf dem Waßer fuhren.‹

Als nun die Hochzeit vorüber war, entließ der Herr

seine Tochter mit allen ihren Brautschätzen und mit

all ihrem Gelde. Wie sie so fuhren, da wurde ihr das

Fahren zu lang, und als sie an einem Gehöfte vorbei

fuhren, da fragte sie ihn ›Ist das dein Hof?‹ »Ei, was

da, was ist das gegen meinen; auch den werden wir

noch erreichen.« Endlich kamen sie an das Häuschen.

Da stieg er vor dem Häuschen aus und sagte »Das ist

es; einst gehörte es mir, aber jetzt gehört mir auch das

nicht.« Da erschrak sie, fiel rücklings zum Wagen

heraus und brach das Genick. Da bestattete er sie,

kaufte sich einen Hof für ihr Geld und nahm sich eine

andere Frau und ward auf diese Weise ein großer

Herr.

Vom Könige und seinen drei Söhnen.

Ein König hatte drei Söhne, von denen waren zwei

verständig und einer war dumm. Einst ließ der König

verkünden, daß alle Zigeuner sein Land zu räumen

hätten; nach Verlauf von vier Wochen werde er herum

reisen und da wolle er keinen mehr sehen. Als sich

nun der Herr und König auf die Reise begab, da kam

er nach Litauen und begegnete einem alten Zigeuner,

der mit einem Karren her gefahren kam, und auf dem

Karren hatte er ein wenig Erde. Der König sagte ›Na,

Zigeuner, bist du noch da? weist du denn nicht, daß

du mein Land zu verlaßen hast?‹ Der Zigeuner stellte

sich auf dem Karren auf die Erde und sagte »Ich stehe

auf meiner Erde1. Mein Herr und König, ich will

euch eine große Neuigkeit verkünden.« ›Wovon denn,

mein lieber Zigeuner?‹ »Lieber König, wenn ein Jahr

und ein Tag verfloßen sein wird, da werdet ihr erblinden.

« Der König sagte ›Da setz dich zu mir in den

Wagen,‹ und sie fuhren nach Hause. Der Zigeuner

aber bekam beim Könige zu eßen und zu trinken bis

ein Jahr und ein Tag verstrichen war.

Das Jahr gieng dahin und es kam der Tag und es

war ein sehr sonniger Tag. Als es nun Nachmittags

vier Uhr geworden, sagte der König zu seinen Dienern

›Bedeckt sich denn der Himmel mit Wolken?‹

»Ei, wo denn (antworteten diese), Herr und König, es

ist ja voller Sonnenschein.« Nicht lange nachher, als

es fünf Uhr war geworden, sagte der König wieder

›Ists denn schon Abend?‹ »Ei, wo denn (sagten die

Diener), es ist ja erst fünf Uhr.« Nach einer kleinen

Weile konnte der König schon nichts mehr sehen, da

ließ er den Zigeuner rufen. ›Nun, Zigeuner, wenn du

wustest, daß ich erblinden würde, so must du auch

wißen, wo man solche Mittel findet, die mir mein Augenlicht

wieder geben können.‹ »Ja wol, lieber König,

das weiß ich auch, nur bin ich schon zu alt, um die

Reise dahin zu machen, denn der Weg führt durch

drei verwünschte Länder.« Der König sagte ›Ich habe

drei Söhne, die werden doch hinreisen können?‹ »Ja

wol, die könnten,« sagte der Zigeuner.

Da machten sich die zwei ältesten auf die Reise.

Nachdem sie zwei Tagereisen zurückgelegt, kamen

sie zu einer sehr schönen Stadt mit Namen Schönheit,

und am Thore der Stadt stund geschrieben ›Wer in die

Stadt geht und nur drei Stunden sich aufhält, der

braucht nichts zu bezahlen, aber wer länger bleibt, der

muß für die Stunde einen Thaler geben.‹ Als beide in

die Stadt gegangen, vergaßen sie des Vaters. Der

Vater, der vergeblich ihrer Rückkehr harrte, sagte

zum dritten ›Begib du dich auf die Reise, mein lieber

Sohn: wer weiß, wo jene beiden hin geraten sind.‹

Da machte er sich auf den Weg, und wie er an die-

selbe Stadt kam und die Inschrift fand, da gieng er in

die Stadt hinein, sah sich um und gieng wieder heraus.

Nun setzte er sich in sein Schiff und setzte seine

Reise fort. Als er mit dem günstigsten Winde eine

Tagreise zurückgelegt, da sah er gegen Abend eine

Insel in der Ferne. Er machte mit seinem Schiffe Halt,

stieg in einen Kahn und ruderte ans Ufer; denn er

wollte wißen, was auf der Insel sei. Als er hin kam,

fand er einen kleinen Backofen; er gieng, ans Thürchen

desselben und sah durch ein Löchlein hinein, da

sah er drinn einen Wolf knien. Da erschrak er, aber er

klopfte doch an die Thüre und lief schnell in seinen

Kahn; der Wolf aber war aufgesprungen, setzte ihm

nach und rief, er solle warten. Der Prinz, als er in seinem

Kahne saß, dachte ›Sollst du gehen oder nicht?‹

Aber er entschloß sich doch und kehrte zum Wolfe

zurück. Der Wolf sagte zu ihm ›O Mensch, was hast

du mir gethan! Ich kniete hier schon neun und neunzig

Jahre, aber jetzt muß ich wieder neun und neunzig

Jahre knien; wärest du nicht gekommen, so hätte ich

nur noch ein Jahr zu knien gehabt und wäre dann erlöst

gewesen.‹ Der Prinz erzählte ihm seine ganze Angelegenheit,

wie er in das und das Land reise, um ein

Mittel für die Augen zu holen. »Nun, lieber Prinz,

was ist zu thun? Jetzt wirst du zunächst meinen Bruder

treffen, der ist ein Bär; gib Acht, daß du vor

Schreck nicht niederstürzest, wenn er anfängt zu brül-

len. Ich will dir aber ein Zettelchen geben, und wenn

du meinst, du könntest ihm nicht entfliehen, so wirf

ihm den Zettel hin, in den wird er hinein sehen und so

kannst du entfliehen.«

So reiste denn der Prinz wieder weiter. Der Wind

blies günstig und stark genug und so sah er denn wieder

gegen Abend eine Insel in der Ferne schimmern.

Er machte mit seinem Schiffe Halt, stieg in einen

Kahn und ruderte ans Ufer. Als er hin kam, sah er

abermals einen kleinen Backofen, und als er durch ein

Löchlein hinein sah, sah er drinn einen Bären knien.

Jetzt dachte er ›Sollst du klopfen oder nicht;‹ aber er

meinte, mag draus werden was da will, ich werde

klopfen. Er that einen Schlag an die Thüre und lief

haftig auf seinen Kahn zu. Als aber der Bär aufsprang

und zu brüllen anhub, da dachte der Prinz, er könne

nicht mehr entfliehen und warf das Briefchen hin, das

er vom Wolfe erhalten hatte. Der Bär sah in den Zettel

und während dem sprang der Prinz in seinen Nachen.

Der Bär rief »Prinz, komm einmal her! Es ist

nicht gut, daß du hierher kamst; ich habe nun schon

neun und neunzig Jahre gekniet und nun muß ich

noch einmal so lange knien; aber was ist zu thun?

Gott helfe dir! Aber jetzt wirst du noch zu meinem

Bruder, dem Löwen kommen; nimm dich in Acht, daß

er dich nicht zerreiße und daß du, wenn er anfängt zu

brüllen, vor Schreck über seine Stimme nicht zur Erde

stürzest. Ich will dir ein Briefchen geben, wenn du

dann meinst, du könnest ihm nicht entfliehen, so wirfs

ihm hin; er wird hineinsehen und du wirst entkommen.

«

Der Prinz reiste sodann weiter. Als er den ganzen

Tag gefahren war, sah er gegen Abend wieder eine

Insel in der Ferne schimmern. Er machte mit seinem

Schiffe Halt, bestieg einen Nachen und ruderte ans

Land. Hier sah er sich um und er sah wieder einen

kleinen Ofen stehen, und als er durch ein Löchlein

hinein sah, da erblickte er einen knieenden Löwen.

Jetzt dachte er ›Sollst du klopfen oder nicht;‹ aber er

klopfte dennoch an. Als aber der Löwe aufschrie, da

lief der Prinz zurück und der Löwe hinter ihm her. Da

erinnerte er sich des Briefchens und warf es hin; der

Löwe griff rasch darnach und las es und rief, der

Prinz solle umkehren. Da gieng der Prinz zurück zu

dem Löwen, der sagte zu ihm »Na, Prinz, es ist nicht

gut, daß du her gekommen bist; mit meinem Elende

wärs nun bald ein Ende gewesen, und nun muß ich

noch einmal so lang im Elende zubringen. Aber was

ist zu thun? vielleicht wird noch alles gut. Du reisest

in das Land nach Kräutern für die Augen; ich aber

will dir sagen, wie du sie bekommen wirst. Wenn du

zur Stadt kommen wirst, dann must du zwischen eilf

und zwölf Uhr hinein gehen, denn da schläft alles was

nur Leben hat; gib also ja recht Acht drauf, daß du

weder zu früh noch zu spät hinein gehest. Und in der

Stunde must du in das und das Haus hinein gehen, da

wirst du die Kräuter auf dem Fenster finden; nimm sie

weg und mach daß du wieder zurück kehrst.« So belehrt

reiste der Prinz weiter.

Als er zur Stadt kam, machte er Halt, sah nach seiner

Uhr, es war zehn; so wartete er denn bis um eilf.

So wie es eilf Uhr schlug, gieng er in die Stadt und in

das ihm bezeichnete Haus. Auf dem Fenster fand er

eine Flasche mit den Augenmitteln und eine andere

Flasche ganz reinen Waßers, die Flasche aber konnte

man nicht ausleeren, sie war immer voll, und auf dem

Tische lag ein Leib Brot. Sodann gieng er in eine andere

Stube und sieh! da fand er eine schlafende Prinzessin;

zu der legte er sich hin, weckte sie aber nicht

auf. Sodann stund er auf und schriebs auf die untere

Seite eines Tisches, daß ein Prinz aus dem und dem

Lande bei ihr zu der und der Zeit gelegen. Er nahm

nun den Brotleib und die Flasche mit dem Waßer, so

wie die Flasche mit den Heilmitteln, gieng in seinen

Nachen und machte, daß er so schnell als möglich den

Rückweg antrat. Als aber der Drache, der Herr der

Stadt, angeflogen kam und fand, daß ein Fremder da

gewesen, zerbarst er vor Wut, und nun war alles seinen

Krallen entgangen. Die Länder, die vorher verwünscht

waren, der Löwe, der Wolf, der Bär, alle

wurden erlöst, und der Prinz reiste nun nicht zu Schif-

fe, sondern zu Wagen zurück. Er ließ sich deshalb einige

Wagen machen und fuhr nach Hause; er führte

aber seinen ganzen Reisebedarf an Speise mit sich.

Als er nicht weit mehr von der Stadt war, deren

König vordem ein Löwe gewesen war, da kam der

König mit seinen Soldaten und mit großer Musik ihm

zu Ehren entgegen. Als man sich zu Tische gesetzt,

kam beim Eßen und Trinken die Rede auf dieß und

das, und der Prinz sagte ›Bei uns ists Sitte, daß wir,

wenn wir irgend eine Speise genießen, grobes Brot

dazu beißen.‹ Der König sagte »Aber bei uns gibt es

gar kein solches Brot.« Der Prinz sagte ›Geht in meinen

Wagen, bringt den Brotleib und bestellt einen

starken Mann!‹ Da lachten alle die vornehmen Herren

über ihn, weil er nur einen Leib Brot habe und noch

dazu einen starken Mann zu bestellen angeordnet.

Jetzt befahl er Brot abzuschneiden; als man aber bis

zur Hälfte geschnitten, da war der Leib wieder ganz.

Der König sagte »Würdest du mir den Leib wol verkaufen?

« ›Nein (sagte der Prinz), verkaufen kann ich

ihn nicht, aber versetzen so lange du willst.‹ Darauf

gieng der König ein und gab ihm drei Fäßer voll

Gold. Das packte er sich ein und reiste von dem Könige

zu dem andern, der vorher in einen Bären verwandelt

war. Als er nicht mehr weit von der Stadt

war, empfieng ihn auch dieser König mit großen

Ehren, mit Soldaten und großer Musik, und ladete ihn

zum Mittagseßen ein. Als man gespeist hatte, sagte

der Prinz ›Bei uns hat man die Gewohnheit, nach dem

Eßen reines klares Waßer zu trinken.‹ Der König

sagte »Wir haben aber kein solches Waßer.« Da

schickte der Prinz seinen Diener nach der Flasche und

einem großen Zuber; die Herren aber lachten über ihn,

daß er aus einer kleinen Flasche einen großen Zuber

zu füllen gedenke. Aber als er die Flasche auszuschütten

begann, da goß er den ganzen Zuber voll, und die

Flasche ward doch nicht leer. Da sagte der König

»Würdest du wol die Flasche verkaufen?« ›Nein

(sagte der Prinz), verkaufen kann ich sie nicht, aber

für drei Faß Gold will ich sie dir leihen.‹ So ließ er

denn die Flasche da, lud sein Gold auf und reiste weiter.

Das dritte Land, dessen König in einen Wolf verwandelt

war, besuchte er gar nicht, sondern reiste gerades

Weges in die Stadt Schönheit, wo er in einer

schönen Schenke, in einem Gasthofe abstieg. Nach

Tische sah er, daß sehr viel Menschen in der Straße

giengen; da fragte er den Wirt, warum so viele Leute

die Straße entlang giengen, ob etwa etwas zu sehen

sei. »O ja (antwortete der), es werden zwei gehängt.«

›Könnte ich das wol auch mit ansehen?‹ »Na, warum

denn nicht!« So gieng er denn auch auf den Platz hin.

Als er die zwei Verurteilten erblickte, erkannte er in

ihnen sogleich seine Brüder; er meldete sich deshalb

bei der Obrigkeit, ob er sie nicht befreien könne. ›Ei

ja, aber es kostet viel Geld; wenn einer vier Faß Gold

gibt, dann werden sie frei gegeben.‹ Da ließ der Prinz

vier Faß Gold bringen und nahm die zwei armen Sünder

mit nach Hause in seinen Gasthof, ließ ihnen

Eßen und Trinken bereiten, kleidete sie gut und gab

sich ihnen als ihr Bruder zu erkennen.

Sie verweilten nicht lange mehr und begaben sich

auf die Reise. Als sie ein gutes Ende Wegs zurück gelegt,

da dachten die zwei Brüder ›Was wird nun geschehen,

wenn wir zum Vater kommen? Der Dumme

hat die Arzneikräuter und hat uns noch dazu vom Galgen

erlöst; wir werden beim Vater nur mit großen

Schanden bestehen.‹ So faßten sie denn folgenden Beschluß

›Nicht weit von hier ist eine Hexe, gehen wir

zu ihr und laßen wir uns von ihr solche Kräuter

geben, von denen der Mensch, wenn er sie auf die

Augen streicht, erblindet, und die hinterlegen wir dem

Bruder, dann hat er die nichtsehenden Kräuter und wir

nehmen die sehenden2.‹ Sie verschafften sich auch

wirklich solche Kräuter und reisten weiter. Auf der

Reise schlief der Bruder vor Erschöpfung ein, und

während er schlief, vertauschten sie die Heilkräuter.

Als sie nun zum Vater nach Hause gekommen, da

fragte der Vater ›Wie, meine Kinder, habt ihr die

Kräuter mit gebracht?‹ »Ja, Vater, wir haben sie.«

›Nun, da streicht einmal auf.‹ Die beiden nahmen ihre

Kräuter und strichen auf, und der König öffnete die

Augen. Jetzt schloß aber der König die Augen wieder,

als sei er blind, und sagte zum dritten Sohne ›Na,

mein Sohn, streich einmal von deinen Kräutern etwas

auf.‹ Als dieser es that, sah der König nichts mehr.

Da sagte der König ›Nun streicht ihr beide wieder

von euren Kräutern auf!‹ Und sobald sie aufgestrichen,

konnte der König wieder sehen. Der König ergrimmte

nun so über seinen Sohn, weil er ihm solche

Kräuter gebracht hatte, daß er befahl ihn sofort zu erschießen.

Wie aber der Jäger mit ihm ritt und ihn von

hinten erschießen wollte, da versagte ihm das Gewehr.

Der Prinz sagte ›Was wolltest du eben da

thun?‹ Der Jäger sagte »Lieber Prinz, der König hat

befohlen, ich solle dich erschießen und Herz, Leber

und Lunge mit zurück bringen.« ›Na, wenn das so ist

(sagte der Prinz), sieh, da ist ein Hund, erschieß den

Hund, nimm sein Herz, Leber und Lunge heraus,

brings nach Hause und wirfs in den Ofen, so ist die

Sache abgethan; ich werde nicht mehr in die Heimat

zurück kehren, auch wenn man meiner einst bedürfen

wird: ich gehe zu dem Müller da und lerne als Müller.‹

Der Jäger that das, brachte die Sachen und zeigte

sie dem Könige; der sagte ›Wirfs in den Ofen, da

kanns verbrennen.‹

Zu der Zeit genas die Prinzessin jenes Landes, aus

welchem der Prinz die Kräuter mit gebracht, eines

Sohnes. Nachdem sieben Jahre verfloßen waren und

der Junge heran gewachsen, sprang er ein Mal in der

Stube umher und kroch unter einen Tisch; er sah in

die Höhe und sah da etwas schimmern. ›Mutter (sagte

der Knabe), sieh doch einmal her, was da so flimmert.‹

Die Mutter kam, sah unter den Tisch, aber sie

konnte nicht verstehen, was da geschrieben stund. Da

ließ sie sich vier Männer mit verbundenen Augen

bringen, um die Schrift zu lesen, und als sie sie gelesen,

verband man ihnen die Augen wieder und führte

sie hinweg. Aus der Schrift erfuhr aber die Prinzessin,

daß ein Prinz aus dem und dem Lande bei ihr gewesen

sei und die Arzneikräuter, den Brotleib und die

Waßerflasche mitgenommen habe. Sodann rüstete

sich die Prinzessin zur Reise mit einer großen Schaar

Soldaten, und eine große Menge Schießpulver nahm

sie mit und zog zu jenem Könige hin und machte eine

viertel Meile von des Königs Stadt Halt. Den Weg

von ihr bis zur Stadt ließ sie mit rotem Scharlach belegen

und die Stadt mit Pulver umschütten, und dem

Könige sagen, ›Er solle in vier und zwanzig Stunden

den zu ihr schicken, der von ihr die Kräuter gebracht

habe, sonst laße sie die Stadt mit Pulver gen Himmel

sprengen.‹ Da sandte der König sofort den ältesten

Sohn zu Pferde zu ihr; als er hin geritten, fragte sie

ihn ›Hast du die Kräuter gebracht?‹ »Ja,« sagte der

Prinz. ›Und was weiter?‹ »Nichts.« Da sagte die Prinzessin

›Reit du nach Hause und sag deinem Vater, er

solle in vier und zwanzig Stunden den schaffen, der

die Kräuter gebracht.‹ Der Prinz ritt nach Hause und

sagte es seinem Vater. Da sagte der Vater zum zweiten

›Nun, mein Sohn, du hast doch die Kräuter gebracht?‹

»Ja,« sagte der Sohn. ›Nun so eile und reite

du zu ihr hin.‹ Und da ritt auch er hin. Als das Kind

der Prinzessin ihn heran reiten sah, sagte es zu seiner

Mutter ›Der, wo da geritten kommt, ist mein Vater

nicht; der schont den Weg und der hat auch dich geschont‹.

Das sagte das Kind nämlich deshalb, weil er

neben dem belegten Wege her geritten kam. Als der

Prinz in die Nähe gekommen, fragte ihn die Prinzessin

›Hast du die Kräuter gebracht?‹ »Ja,« sagte der

Prinz. ›Und was weiter?‹ »Nichts.« Die Prinzessin

sagte ›Reit du nach Hause, und wenn in vier und

zwanzig Stunden der nicht zur Stelle kommt, der die

Kräuter gebracht hat, so fliegt die Stadt gen Himmel.‹

Der Prinz ritt nach Hause und sagte es seinem

Vater; da wuste der König vor Sorgen nicht, wo er

bleiben sollte. Jenen Sohn hatte er erschießen laßen;

wie sollte er nun den finden, der die Kräuter gebracht?

In tiefster Betrübnis gieng er auf dem Hofe auf und

ab; da erblickte ihn der Jäger, den er abgesandt hatte,

um seinen Sohn zu erschießen; und er fragte den

König, warum er so betrübt im Hofe auf und ab gehe.

›Ja, lieber Jäger, ich ließ meinen Sohn von dir erschießen,

und jetzt soll ich ihn schaffen, sonst werden

wir alle verbrannt.‹ »Ja, lieber König, vielleicht ist er

noch am Leben; ihr habt mir freilich befohlen ihn zu

erschießen, aber er bat so sehr um sein Leben, daß ich

ihn leben ließ; er gieng zu dem Müller da in die

Lehre, und da wird er wol noch sein.« Sogleich ließ

der König ihm sagen, er solle zu ihm kommen. Der

Prinz aber ließ sagen ›Der König hat so weit zu mir

als ich zu ihm; wenn der König mit vier Rappen wird

gefahren kommen, so werde ich mit fahren.‹ Der

König ließ sofort vier Rappen anspannen und fuhr zu

seinem Sohne hin; da setzte sich der Prinz in den

Wagen und fuhr mit seinem Vater nach Hause. Sodann

ließ sich der Prinz ein Pferd scharf beschlagen,

stieg auf und ritt mitten auf dem Wege so gewaltig

einher, daß die Fetzen davon flogen. Als der Knabe

ihn heran reiten sah, sagte er ›Na, Mütterchen, da

kommt mein Vater her geritten, der schont den Weg

nicht, der hat auch dich nicht geschont.‹ Als er dar geritten

kam, fragte ihn die Prinzessin »Hast du die

Kräuter gebracht?« ›Ja,‹ sagte der Prinz. »Und was

weiter?« ›Einen Leib Brot, den konnte man bis zur

Hälfte schneiden, da ward er wieder ganz; eine Flasche

mit Waßer, aus der konnte man schütten und

schütten und sie war doch stets voll.‹ »Gut (sagte die

Prinzessin), komm her zu mir in mein Zelt!« Nachher

ließ er seine Brüder von Ochsen zerreißen, den König

ließ er das Pulver zusammen schöpfen und beide rei-

sten mit einander in das Land der Prinzessin. Unterwegs

nahmen sie den Brotleib und die Waßerflasche

mit und hielten, als sie nach Hause gekommen, Hochzeit

und lebten glücklich mit einander bis zu ihrem

Tode.

Fußnoten

1 Für Erde und Land gilt im Litauischen dasselbe

Wort.

2 Wörtlich übersetzt.


Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder

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