Читать книгу Winter - Barbara Schaefer - Страница 10

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Diese Reise, meine Reise, ist eine Flucht in den Schnee. Von Oslo aus geht es mit dem Zug, dem Bus, dem Schiff nach Norden, bis hinauf, ans Nordkap. Ich will Schnee sehen, mit Einheimischen darüber reden, wie sie die Mørketid, die Dunkelzeit überstehen, und warum sie den Winter lieben, so es denn so ist.

Beim Landeanflug auf Oslo zeigt sich die Umgebung als schwarz-weiße Patchworkdecke. Kleine Felder mit einer dünnen Schneeschicht, dazwischen immer mal wieder Waldstücke. Einzeln stehende Bäume in der hügeligen Landschaft werfen lange Schatten, als sei es später Nachmittag, aber es ist mittags halb zwölf Uhr und Mitte November. Auf der kurzen Zugfahrt vom Flughafen in die Innenstadt von Oslo wirbelt Schnee auf. Mein Herz hüpft. Abenteurer in Alaska riefen an ihren Glückstagen: „Gold! Gold! Gold!“ Und ich rufe jedes Jahr, wenn der erste grisselige Niederschlag fällt: „Schnee! Schnee! Schnee!“ Jedes Jahr.

Dann stupse ich Bürokollegen an, sie sollen aus dem Fenster blicken. Eine Freundin hat mir mal ein Video aus Südtirol geschickt, auf dem es anfängt zu schneien. Ein Mann liegt in einer Garageneinfahrt, auf kaum einem Hauch Schnee, und macht seinen ersten Schneeengel der Saison. Völlig irre. Ich verstehe ihn gut.


Der Mann mit dem schwarzen Hut und dem leicht ergrauten, dicken Nietzsche-Schnauzbart betrat den Farbenladen durch den Haupteingang in der Skippergata. Eilfertig begrüßte Farbenhändler Bjercke den Stammkunden, was es denn heute sein dürfe? „Pack mir zehn Tuben Zinkweiß ein und noch was vom Bleiweiß, und dieses Lithopone ist auch ganz gut, davon eine große Packung.” Das Paket solle wie üblich nach Ekely gebracht werden.

Alf Bjercke wunderte sich nicht, Edvard Munch malte also draußen in seinem Studio weiter an seinen Winterbildern. Wenn er nicht zu lange im Grand Café sitzen blieb zwischen Damen mit großen Hüten und Männern mit Zylinder. Das riesige Wandgemälde im historischen Café zeigt noch heute alle Geistesgrößen der vorigen Jahrhundertwende, auch Munch sitzt da.

„Munch kaufte oft bei Alf Bjerckes Farvehandel ein”, weiß Petra Pettersen, die 2012 im Osloer Munch-Museum eine Ausstellung mit Edvard Munchs Winterbildern kuratierte, sie hieß „Fornemmelser for snø – Gespür für Schnee”.

Edvard Munch, geboren 1863, begann als Jugendlicher zu malen. Eines seiner ersten Bilder heißt „Die alte Aker Kirche“. Noch recht traditionell malte er einen Straßenzug und darüber, auf einem Hügel, eine gedrungene Kirche. Es liegt nur wenig Schnee, viel strohfarbenes Gras schaut heraus. Der Maler Frits Thaulow erkannte Munchs Talent und überredete dessen Vater mit einer Geldspritze, Munch nach Paris zu schicken. Nach seinem Frankreich-Aufenthalt lebte er einige Jahre in Deutschland, erst in Berlin, dann in Thüringen und Warnemünde.

In Berlin kam es zu einem Skandal. Munchs dramatische Malweise – man denke an sein berühmtestes Bild „Der Schrei“ – missfiel den Zeitgenossen. Seine Bilder sähen aus wie Fischbrei mit Hummersoße, hieß es. Man stieß sich an seinem Stil und seiner Arbeitsweise, denn Munch übermalte die Leinwand wieder und wieder, kratze ab, legte wieder eine Schicht darauf. Der Norweger allerdings ergriff die Gunst der Stunde und nutzte den Skandal, indem er sich Kunsthändler suchte und mit diesen Exklusivverträge abschloss.

1909 zog er schließlich zurück nach Norwegen, nun als berühmter Mann. In einem Brief aus diesem Jahr schreibt er: „Das ist das erste Mal in zehn Jahren, dass ich den Winter in Norwegen verbringe. Hübsch viel Schnee liegt hier. Ich freue mich darauf, den Winter zu malen.“

In Paris haben ihn die Impressionisten beeinflusst, sagt die Kuratorin Pettersen, die aus Tschechien stammt und in Oslo Kunstgeschichte studiert hat. „Sie wollten das Licht malen“, und Schnee sei eine gute Substanz, „um Licht in seinen Brechungen zu sehen.“

Munch malte in Ekely, einem Vorort von Kristiania, wie Oslo damals hieß. „Sein Winter-Studio hatte eine elektrische Heizung.“ Er habe generell selten draußen gemalt, im Winter schon gar nicht. „Ich weiß auch nicht, wie das gehen sollte, da frieren einem ja die Finger ein.“ Es gebe zwar Fotos, die ihn im Schnee an der Staffelei zeigen. „Aber er trägt elegante Stadtkleidung, einen edlen Hut, also ich glaube, das war zum Angeben, er hat sich nur für die Fotos kurz in den Garten gestellt.“

Munch malte viel und vermachte seiner Heimatstadt 1200 Bilder, darunter viele Landschaften. Den Winter hielt er in Holzschnitten, Lithographien, Zeichnungen und Gemälden fest, „80 Winterdarstellungen besitzen wir, er scheint ihn intensiv beschäftigt zu haben.“ Besonders melancholisch könne man Munchs Winterbilder nicht nennen. „Er hat auch Düsteres im Sommer gemalt. Da kam es nicht auf die Jahreszeiten an.“

Als 22-Jähriger notierte Munch in seinem Tagebuch folgende Zeilen über den Winter, sie lesen sich wie ein Gedicht.

Große Schneeflocken fielen

endlos endlos.

(…) zum Boden, wo sie sich alle so sanft gesammelt haben,

eine Flocke über der anderen.

Der Schnee lag dort wie eine

Decke, lag so weiß und sauber

auf Dächern und draußen vor dem Fenster,

den ganzen Weg bis zum Feld

lag er so weich und weiß.

*

Pettersen zeigt auf Skizzen, die sie in den Katalog aufgenommen hat. Mit dem Zeichenstift Schnee zu malen, sei eine Herausforderung. „Weil der Schnee ja eben nicht gemalt wird, sondern man lässt die Fläche einfach weiß. Und trotzdem muss es aussehen wie Schnee, und nicht wie ein nicht bemaltes Stück Papier.“

Ganz anders bei seinen Ölbildern. Pettersen blättert um zum Bild „Schneesturm“ und zeigt auf die pastose Struktur: „Da hat er wohl die weiße Farbe direkt auf die Leinwand gedrückt, fett steht sie auf der Leinwand.“ Und der Neuschnee – Ny snø – muss bei recht warmen Wintertemperaturen gefallen sein. Kompakter Schnee liegt am Boden, ein grau-schneeiger Himmel lässt auf weiteren Niederschlag schließen, die Nadelbäume sind fast grafisch reduziert zu schwarzen Linien, auf den Ästen hockt der Schnee wie gepresste Pakete, zieht sie schwer nach unten.

Auch eine Sternennacht gibt es von Munch – vor einigen Jahren hing das Bild in einer Doppelausstellung im Osloer Munch-Museum, gemeinsam mit dem gleichnamigen, berühmten Gemälde von Van Gogh. Während sich bei dem Niederländer, zehn Jahre älter als Munch, der in Sternenkreisen explodierende Himmel über einer sommerlich-grünen Landschaft austobt, zeigt Munch eine winterliche Nacht: Nur ein paar Sternentupfer stehen am Himmel, darunter eine schneebedeckte Szenerie. Es ist der Blick aus Munchs Winterstudio in Ekely, der Schatten des Meisters fällt dunkel auf den Schnee.

*

Petra Pettersen wunderte sich bei ihrer Recherche: „Warum malten die anderen norwegischen Künstler so selten den Winter? Das hätte doch eigentlich nahe gelegen, oder?“

Da musste erst ein Franzose kommen. Frits Thaulow, der Munchs Vater überredet hatte, den Jungen nach Paris zu schicken, war befreundet mit Claude Monet und lud ihn ein, doch mal den Winter in Norwegen zu malen.

Was Monet tat. Und er erwischte es richtig gut, jedenfalls für jemanden, der Winter suchte. Monet erlebte 1895 einen außergewöhnlich harten Winter, wie der Zürcher Feuilletonist Aldo Keel recherchierte: Die Norweger hätten nur eines im Sinn – ihre Ski, zitiert er Monets Brief an seine Frau: „Sie ziehen Tag und Nacht in die Berge, nachts mit Fackeln.“

Im Gegensatz zu Munch scheint Monet trotz der Kälte die Freilichtmalerei bevorzugt zu haben. „Bereits um 8 Uhr früh pflegte sich Monet mit seinen Malutensilien im Freien zu installieren“, schreibt Keel. „In Monets mächtigem Bart bildeten sich Eiszapfen.“ Der Franzose war begeistert, zu Hause ahne man nicht, „mit welchen Effekten der Schnee hier aufwartet, es ist fabelhaft.“

Seit Monets Tirade über die Skibegeisterung der Norweger scheint sich nicht viel geändert zu haben. Das Museum laufe gut, sagt Petterson, „aber tatsächlich interessieren sich die Leute hier mehr für Sport als für Kunst.“

*

Ich spaziere zurück in die Innenstadt, durch den Park des Naturkundemuseums, die Nachmittagssonne lässt die letzten Blätter auf den Pappeln in grellem Gold erstrahlen. Ich schlittere leicht bergab und in der nächsten Straße trägt tatsächlich jemand nagelneue Langlaufski aus einem Sportgeschäft heraus, der Schneefall hat ihn wohl zum Kauf animiert.

Am Ufer bei der Oper erklingt Gelächter, ein tiefer Bariton, volltönend. Aber nicht von der Bühne, sondern von draußen. Erwachsene Männer bewerfen sich mit Schneebällen. Auch das Opernhaus strahlt in Weiß, liegt wie ein auf Grund gelaufener Eisberg in der Bucht, 2008 erbaut vom Architekturbüro Snøhetta, was übersetzt „Schneekappe“ heißt.

Davor ragt aus dem Wasser die Skulptur „Hun ligger“ („Sie liegt“) von Monica Bonvicini – eine 3-D-Version von Caspar David Friedrichs Eismeer-Gemälde. Als sollte sich hier alles zusammenfügen, was mit dem Winter und der Kunst zu tun hat.

Drumherum bilden sich erste, zartdünne Eisschollen, Schwäne dümpeln kopfüber, als wären sie festgefroren.

Los geht’s, ich breche auf nach Norden, in den richtigen Winter.

Winter

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