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Peter unter der Erde

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Die Glocken ertönten, das Dorf versammelte sich. Alle schwarz gekleidet, alle in tiefer Trauer. Peter war tot. Keiner wollte es wahrhaben, am wenigsten Wayna und Helge. Eng umschlungen standen sie vor dem Altar, beteten gen Himmel. Vor ihnen der Sarg, in ihm ihr bester Freund. Warum Peter? Warum so früh? Sie konnten keinen klaren Gedanken fassen, zu überwältigend war die Trauer. Die Menschen bekreuzigten sich, der Pfarrer ergriff das Wort. Der alte Josef, der „Hicke“, wie man ihn im Dorf nannte. Er war steinalt. Einige sahen in ihm sogar den letzten Überlebenden der 12 Apostel. So gab er sich auch - streng konservativ und erzkatholisch. Die Kinder fürchteten ihn, vor allem aber die Beichte. Mit zitternden Knien saßen sie ihm im Beichtstuhl gegenüber, offenbarten ihre Sünden. Dieser Tortur waren auch Peter und Wayna ausgesetzt, früher in der Volksschule. Einmal beichteten sie, sie hätten ihren Hund erwürgt und ihre Eltern im Keller angekettet und eingesperrt. Danach war das Verhältnis zum Josef angespannt, dauerhaft. Daher wunderte es auch jeden, dass sich der Josef überreden ließ, die Messe für Peter abzuhalten.

Es wurde kein Rachefeldzug, nein. Im Gegenteil. Hochwürden predigte sehr sachlich, nahezu freundschaftlich. Zuerst der Lebenslauf. Dazwischen einige „ähs“ und „ähms“. Das war der Hicke. Er schaffte es, einen Satz so in die Länge zu ziehen, dass dieser oft einen ganzen Tag andauerte. Der Rekord lag bei 43 Stunden. Ein Zitat aus der Bibel, dazwischen etliche christliche „ähs“ und „ohs“ und „ähms“. Die Messe dauerte an. Einige Fürbitten, einige teils sehr emotionale Trauerreden. Und dann der Bürgermeister, es war seine Pflicht, einige Worte an die Gemeinde zu richten. „Dem Peter war ein gutem Mensch. Ich hab ihm gut gekannt. Schon seitden er einem Kind ist, oder war, oder ist, oder lassen wir das. Es tut weh, Abschied zum nehmen“. Das war alles, was er von sich gab. Danach fiel er um, prallte mit dem Kopf gegen den Altar. Der Gurktaler-Schnaps fiel aus seiner Jackentasche und kullerte vor den Pfarrer. Erschrocken trat er das Teufelsgetränk zur Seite, traf dabei jedoch die Gruber-Oma, und zwar mitten ins Gesicht. Jedem stockte der Atem. Plötzlich erhob sich der kleine Oli und schrie lauthals „Abseits, Abseits. Bist du blind, Schiri?“. Die Situation schien zu eskalieren, doch als der Pfarrer das „Vater unser“ anstimmte, beruhigten sich alle wieder. Bedingt, das „Vater unser“ war den Dorfbewohnern heilig, jeder kannte es in und auswendig. Sogar Helge, der nicht an Gott glaubte.

Vorne lag Peter leblos. In diesem viel zu engen Holzsarg. Den hatten Wayna und Helge im Nachbarort gekauft, bei den Katzen. Nicht bei den Tieren, nein, eine Familie hieß so. Der Sohn führte das Geschäft, nachdem der Vater vor einigen Jahren nach Mexiko durchgebrannt war. Der Markus war ein „Grader Michl“, wie man im Waldviertel so schön sagt. Das Gesicht eines Hamsters, aber das Herz eines Löwen. Er bot den Freunden den schönsten Sarg an, den er auf Lager hatte. Selbst geschnitzt. Darin lag er nun, der Peter. Und er hatte nichts davon.

Die Messe war vorbei, der Friedhof wartete. Düster war er an diesem Tag, nahezu unheimlich. Das Grab vom Peter war bereit, bereit für ihn. Es wurde sorgfältig ausgesucht, die beiden waren ja förmlich verdammt dazu, eine lange Zeit gemeinsam zu verbringen. Es lag eher am Rand, neben dem alten Huber-Opa. Alle versammelten sich wieder, rund um das Grab. Tränen flossen, Worte fielen, Taschentücher wurden hervorgeholt. Langsam und bedächtig wurde der Sarg hinabgelassen, Peter entschwand. Immer weiter Richtung Boden, immer weiter Richtung ewige Ruhe. Wayna hielt Helge fest im Arm, flüsterte ihm zu, tröstete ihn. Der Pfarrer betete, bekreuzigte sich mehrmals. Rosen fielen, auf und neben den Sarg. Der Bürgermeister hielt in der einen Hand eine Rose und in der anderen seine 95-jährige Großmutter, die Traudi. Er war nicht mehr bei Sinnen, völlig betrunken. In diesem Zustand verwechselte er die Rose mit seiner Großmutter und warf diese in hellem Bogen auf den Sarg. Entsetzen, ratlose Blicke. Die Traudi-Oma lag auf dem Sarg vom Peter. Kinder zückten ihre Smartphones und schossen Selfies, darunter auch der kleine David. Die Eltern antworteten mit schallenden Ohrfeigen. Die Großmutter vom Bürgermeister rappelte sich langsam wieder auf, ihr Gebiss lag neben dem Sarg in der Erde. Sie griff es und schoss es in Richtung ihres Enkels. Es traf mitten ins Schwarze. Dem Bürgermeister schossen die Tränen ins Gesicht, Tränen der Scham, Tränen der Verzweiflung. Die Traudi-Oma kletterte aus dem Grab. Es war wie eine Auferstehung. Die Auferstehung einer 95-Jährigen mit Demenz im Endstadium. Als sie wieder neben ihrem Enkel stand, hatte sie schon längst vergessen, was geschehen war. Ihre einzige Frage war, wer denn leicht gestorben sei.

Die Zeit heilt alle Wunden, so sagt man. Doch dem war nicht so. Im Dorf war alles anders. Helge tanzte nicht mehr, Wayna unterrichtete nicht mehr. Beide trauerten, beide weinten, beide rätselten. Wer hat ihren Freund auf dem Gewissen? Es war offensichtlich, Peter wurde erschlagen. Kaltblütig. Doch wer war fähig, so etwas zu machen? Wer hatte so ein krankes Hirn, so eine leere Seele? Die Abende verbrachten die beiden nun oft gemeinsam. Sie redeten viel, auch über Peter. Oft war Roman bei ihnen. Ein Bankangestellter, Mitte vierzig. Beide kannten ihn gut, aus der Schulzeit. Roman hatte es nicht leicht, vor allem in der Schule. Er wurde gehänselt, gedemütigt und auch verprügelt. Seiner Stimme wegen. Er krächzte wie ein Hahn, auch jetzt noch. Kinder sind gnadenlos, sie akzeptierten den Roman nicht. Sie bezeichneten ihn als Mädchen. Helge war deswegen oft sehr neidisch. Kinder sind auch heute noch gnadenlos. Beim Weltspartag machen sie sich immer über den Roman lustig, und Roman wehrt sich nicht.

Nun begann eine neue Zeit, eine andere Zeit. Wer hat Peter auf dem Gewissen? Diese Frage galt es zu klären. Für Wayna, für Helge, und ganz besonders für Peter. Die Freunde begannen auf eigene Faust zu ermitteln.

Kommissar Wayna und der tote Blonde

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