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Karel, der Brückner

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Es war ein kalter Morgen, ungewöhnlich kalt für diese Jahreszeit. Helge und Wayna waren frühmorgens losmarschiert, gegen acht Uhr erreichten sie den Bauernhof. Ungeduldig kaute Helge an seinen Fingernägeln. Er war nervös, das war nicht zu übersehen. Was würde sie erwarten? Entschlossen klopfte Wayna an der dicken, morschen Hoftür. Es dauerte nicht lange, bis sich aus dem Innenhof eine leise Stimme meldete. „Wer ist denn da? Wenn’s ihr wieder von den Zeugen Jehovas seid's, komm ich mit der Mistgabel runter!“ Wayna konnte sich sein Lachen nicht verkneifen. Er mochte die Gerlinde. Sie war eine gute Seele, 83 Jahre alt. Ihr Hof lag abgeschieden, mitten im Wald. Eine halbe Stunde über Stock und Stein, dann noch über einen steilen Hang. Eine idyllische Lage, inmitten von blühenden Kirschbäumen und hochstehenden Buchen. „Die Mistgabel kannst du oben lassen, Gerlinde. Ich bin‘s, Wayna.“

Der Gugelhupf schmeckte, der Kaffee war herb, nahezu bitter. „Ich hab’s nicht glauben können. Peter war immer mein Lieblingsenkel. So ein fescher Bub. Aus dem hätte einmal richtig was werden können. Wer tut denn nur so etwas?“, fragte Gerlinde mit brüchiger Stimme. „Das wollen wir eben herausfinden. Und dafür brauchen wir auch deine Hilfe, Gerlinde. Du hast doch einen Schlüssel für Peters Zimmer, oder?“, entgegnete ihr Wayna. Natürlich hatte sie einen. Sie schloss auf und fiel sogleich um. Im Zimmer herrschte das reinste Chaos, für die Großmutter zu viel Durcheinander. Über den gesamten Boden verteilt lagen völlig verklebte Stofftaschentücher. Gerlinde, die sich langsam wieder aufrappelte, war in voller Sorge. „Geh, hat der Bub leicht auch noch einen Schnupfen gehabt?“ Sie griff eines der Taschentücher, hob es hoch und reichte es Helge. Dieser hatte Tränen in den Augen, er konnte nicht glauben, dass sich sein Freund in seinen letzten Tagen auch noch mit einer Erkältung herumschlagen musste. Gerührt wischte er sich mit dem Taschentuch eine Träne aus dem Gesicht. Wayna schämte sich, er schämte sich für seinen Freund. Dieser war auf dem gleichen geistigen Level wie eine 83-jährige, schon etwas senile Großmutter.

Vorsichtig durchstöberten die drei das Zimmer. Es wurden viele Erinnerungen geweckt, Erinnerungen an Peter. An den Wänden hingen Fotos, Peter in Hemd und Hose bei seinem Abschlussball. Peter ohne Hemd und Hose, später am Abend. Versteckt im Eck ein eingerahmtes und verziertes Bild, Wayna und Peter, hinter ihnen der Sonnenuntergang. Irgendwo weit weg.

Plötzlich stand der Karel in der Zimmertür. Mit finsterer Miene musterte er die beiden Besucher. „Was wollt ihr hier? Mein Bub ist tot. Und ihr seid in meinem Haus, ohne meiner Erlaubnis. Und jetzt schaut, dass ihr verschwindet!“, fuhr er sie an. Der Karel war ein Eigenbrötler. Der Großvater vom Peter, oder besser gesagt der Vater. Er hatte ihn gemeinsam mit der Gerlinde großgezogen. Die Eltern hatten sich schon nach der Geburt vom Peter abgesetzt, der Vater eigentlich schon währenddessen. Dreimal war er im Kreißsaal kollabiert, seine Frau brach ihm vier Finger. Peter hatte keine leichte Kindheit, aber seine Großeltern sorgten gut für ihn. Der Karel war jedoch völlig verbittert. Sein ganzes Leben lang war er Brückner. Ein sehr seltener Beruf, der im Dorf jedoch geschätzt wurde. Die Brücken waren sein Ein und Alles. Im Laufe der Zeit fiel es ihm jedoch schwer, Beruf und Privatleben voneinander zu trennen. Im Dorf kursierten die wildesten Gerüchte. Sogar ein Verhältnis mit einer Brücke wurde ihm nachgesagt. Er konnte nicht mehr, er war am Ende. Er kündigte, nahm Abschied von seinen geliebten Brücken. Es brach ihm das Herz. Nun stand er vor ihnen, blickte ihnen tief in die Augen. Wayna und Helge warfen sich einen kurzen Blick zu, beide waren wie versteinert. Die Gerlinde fasste ihren Mann jedoch zur Seite, küsste ihn liebevoll auf die Stirn und sprach mit ihrer gewohnt sanften Stimme: „Komm Karel, gehen wir ein Stück spazieren!“

Nun waren sie allein im Zimmer, Helge und Wayna. Sie suchten weiter nach Hinweisen, nach Spuren. Und sie fanden was sie suchten. Unter dem Kopfpolster, gut getarnt, entdeckten sie ein kleines Buch. Es war ein Notizblock, voll mit Terminen. Peter hatte sich alles notiert, er hatte seinen Tag völlig durchgeplant. Auf der letzten Seite Stand ein großes R, daneben 14:30. Das Datum passte, es war genau der Tag, an dem Peter kaltblütig erschlagen wurde.

Kommissar Wayna und der tote Blonde

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