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Nach einer unruhigen Nacht war der Kommissar früh auf den Beinen. Schon kurz nach sieben erschien er im Büro und konnte es kaum erwarten, dass es hell wurde, um die verschiedenen Lokalitäten bei Tageslicht zu betrachten.

»Wenn es kein Unfall war«, überlegte Paul Wellmann auf der Fahrt, »dann haben wir es mit einem fast perfekten Verbrechen zu tun.«

»Rückstandsfreie Beseitigung im Heizkraftwerk, ähnlich wie im Säurebad, mal was Neues.«

»Fast hätte es geklappt. Leider hat der Bauhof dazwischengefunkt.«

Die außergewöhnliche, winterliche Wärmeperiode schien kein Ende nehmen zu wollen.

»Jetzt haben wir Januar und stehen in der leichten Sommerjacke hier rum«, schüttelte Wellmann den Kopf.

Lindt gab ihm recht: »Normalerweise frieren wir um diese Jahreszeit wie die Schneider.«

Er erinnerte sich an verschiedene ›Winter-Fälle‹, wo die Ermittlungen im Freien von schneidendem Ostwind, klirrendem Raureif oder dichtem Schneetreiben begleitet worden waren.

Regen machte ihm nichts aus. Mit Schirm, wasserdichter Jacke und festen Schuhen konnte man sich gut dagegen schützen, aber Kälte mochte er nicht. Zumindest nicht ohne ausreichende Bewegung. Stundenlange Außentermine mit der Staatsanwaltschaft bei Minusgraden und knöcheltiefem Neuschnee …

Er erinnerte sich und war gleichzeitig wieder dankbar, dass im Moment diese absolut untypische Wetterlage vorherrschte. Die Haselsträucher am Waldrand und die Weidenkätzchen gaben schon kräftig stäubend ihre gelben Pollenladungen in die laue Luft ab und die Knospen der Schlehdornen waren so dick geschwollen, dass es schien, als wollten die weißen Blüten jeden Moment hervorbrechen.

›Frühling im Januar‹, dachte der Kommissar und sog mit einem ausgedehnten Rundumblick die Örtlichkeit in sich auf. Den strauchbewachsenen Waldrand auf der südlichen und die landwirtschaftlichen Flächen auf der nördlichen Seite des asphaltierten Feldweges, dazu die dicken Stämme der gefällten Pappeln, aufgestapelt zu drei LKW-Ladungen.

Der Polizist des örtlichen Postens, der die Anzeige wegen des aufgebrochenen Lastwagens bearbeitete, übernahm die weiteren Erklärungen. Er berichtete, wo das Fahrzeug gestanden hatte, daneben der große Haufen mit grobem Astwerk, der noch zu zerkleinern war und dahinter der lange Abrollcontainer, in den die Holzspäne geblasen wurden.

»Ein extra Motor, nur für den schwedischen Hacker, hat mir der Fahrer erklärt, 500 PS, mehr als die LKW-Maschine hat, aber damit können auch Stämme bis 60 Zentimeter Durchmesser völlig mühelos zerkleinert werden.« Die Faszination für die Großtechnik war dem Beamten am Gesicht abzulesen.

»Wo finden wir das Fahrzeug denn im Moment?«, wollte Lindt wissen.

»Um zehn gestern Morgen war der hier fertig und ist dann nach Muggensturm weitergefahren. Dort am Kieswerk hat er noch den ganzen Tag gehackt. Der Firmenchef ist natürlich ziemlich sauer, weil wir seine Maschine am Abend von den Rastatter Kollegen sicherstellen ließen. Kostet immerhin hundert Euro in der Stunde, da kommen die gleich mit Verdienstausfall und drohen mit ihren Anwälten.«

Lindt nickte. Wie Firmen auf polizeiliche Ermittlungen reagierten war für ihn nichts Neues und trotzdem legte er Wert darauf, dass alle nötigen Untersuchungen mit größter Sorgfalt durchgeführt wurden.

»Die Kollegen von der SpuSi Rastatt sind sicherlich bereits dort und wir fahren auch gleich hin, aber etwas Zeit brauche ich hier schon noch«, kratzte sich der Kommissar am Hinterkopf und lehnte in aller Ruhe an seinem Dienstwagen, um die erste Pfeife dieses Morgens zu stopfen.

Es war völlig windstill und so bildete der Rauch des Presstabaks eine regelrechte Nebelwand um Oskar Lindt. Seine Mitarbeiter brauchten den nach nirgendwohin gerichteten, ganz ausdruckslosen Blick des Kommissars nicht weiter zu interpretieren, um zu wissen, dass sie ihren Chef jetzt besser nicht störten. In solchen Situationen bat er immer darum, einige Minuten nicht angesprochen zu werden.

Das Bild eines Tatorts möglichst vollständig im Kopf zu haben, war seiner Meinung nach die wichtigste Voraussetzung, um sich den Ablauf der Geschehnisse mit allen entscheidenden Einzelheiten vorstellen zu können.

Der Kommissar entfernte sich von seinen Kollegen, ging ein Stück entlang des Weges, verschwand im Unterholz und machte einen großen Bogen um die eifrig suchenden Techniker der Spurensicherung. Mehrere hundert Meter weiter hinten tauchte er wieder auf, ging im sandigen Ackerboden durch die grünen Halme des schon knöchelhoch aufgekeimten Winterweizens und blieb dazwischen immer wieder stehen.

Wellmann und Sternberg störten sich nicht an diesem recht unkommunikativen Verhalten ihres Chefs, das man auf den ersten Blick doch für reichlich merkwürdig halten musste. Sie hatten sich schon lange an seine unkonventionellen Methoden gewöhnt, aber auch die Beamten der Schutzpolizei, die den altgedienten Kriminalkommissar nur selten zu Gesicht bekamen, warteten respektvoll bei ihrem Wagen, bis er seinen Rundgang beendet hatte.

Wer Oskar Lindt war und welche erstaunlichen Erfolge die Jahrzehnte seiner Ermittlungsarbeit zierten, das wusste im Umkreis von Karlsruhe selbst jeder neue Streifenpolizist bereits nach wenigen Wochen.

»Wir können dann …« Er hatte seinen von reichlichen Pausen unterbrochenen Spaziergang beendet und war wieder bei den Kollegen eingetroffen.

»Auf jeden Fall ein ungestörter Ort, um mal eben kurz eine Hackmaschine anzuwerfen und einen Menschen in kleinfingerlange Stücke zu zerlegen«, gab Paul Wellmann seine Einschätzung der Lokalität zum Besten und auch Jan Sternberg stimmte ihm zu: »Von der Stadt her nicht einsehbar, auch keine öffentlichen Straßen oder einzelnen Häuser in der Nähe – wenn also nicht gerade ein Bauer mit dem Traktor, ein Radfahrer oder sonst ein Herr ›Zufall‹ daher kommt, ist so eine Leiche hier ruckzuck zerkleinert.«

»Na dann wollen wir mal hoffen, dass es diesen Herrn ›Zufall‹ tatsächlich gibt und er sich auch noch bei uns meldet«, brummte Lindt, ohne weiter auf die Äußerungen seiner Kollegen einzugehen. Er gab Gas und setzte den weinroten Dienstwagen Richtung Muggensturm in Bewegung.

Viel zu sehen gab es dort nicht, außer den Kriminaltechnikern der Rastatter Kripo, die sich gründlich mit dem imposanten, dreiachsigen Lastwagen beschäftigten, der auf dem Gelände eines Kieswerks darauf wartete, sein zerstörerisches Werk wieder aufzunehmen. Da das Fahrzeug jetzt im Nachbarlandkreis stand, leisteten die dortigen Kollegen Amtshilfe und übernahmen die Spurensicherung.

»Wir sind jetzt so weit«, kam einer der Männer im weißen Tyvek-Overall auf die Karlsruher Kriminalisten zu. »Führerhaus und Kran-Kabine können wir schon wieder freigeben. Die Walzen am Einzug, die Schwungscheibe mit den Hackmessern und den Auswurfschacht haben wir auch bearbeitet.«

»Den Greifer vorne am Kran?«, wollte Lindt wissen und zeigte auf die stählernen Zangen. Der Kollege nickte – »Nichts dran, fertig!« – und gab dem ungeduldig wartenden Maschinisten ein Zeichen, dass er seine Arbeit fortsetzen konnte.

Das laute Grollen der startenden Motoren ließ jedes weitere Gespräch verstummen. »Bei 500 PS bebt der Boden«, schrie Jan Sternberg seinem Chef ins Ohr. Es dauerte eine Weile bis die Hackerscheibe im Innern der Maschine die nötige Drehzahl erreicht hatte, doch dann brach das lärmende Inferno erst richtig los.

Mit dem langen Kranausleger wurde ein ganzer Erlenstamm mit sämtlichen Ästen dran von einem seitlichen Stapel aufgehoben und in den stählernen Schlund seiner Maschine geschoben. Die beiden stacheligen Einzugswalzen zerrten den Baum in wenigen Sekunden hinein und mit infernalischem Krach zerhäckselten die scharf geschliffenen Hartmetallmesser das Holz. In hohem Bogen spuckte ein Auswurf die Hackschnitzel in den bereitstehenden Container.

Während der technikbegeisterte Jan Sternberg mit leuchtenden Augen die gewaltige, schwedische Maschine bei der Arbeit betrachtete, schauten sich Lindt und Wellmann nur gegenseitig an. Jeder wusste, was der andere jetzt dachte. Statt eines Baumstammes sahen sie einen menschlichen Körper zwischen den Stacheln der beiden Walzen verschwinden. Wellmann schüttelte seinen Kopf, wie wenn er dieses schreckliche Bild abschütteln wollte.

Oskar Lindt biss fester auf das Mundstück seiner Pfeife, wandte sich ab und als sie wieder im Wagen saßen, meinte er nur tonlos: »Hoffentlich war er schon tot!«

Nach dem möglichen Tatort am Waldrand und der Besichtigung des Großhackers hatten Lindt, Wellmann und Sternberg am späten Vormittag auch noch den großen Stahlcontainer in Augenschein genommen, der im Bauhof der Stadt Rheinstetten abgestellt und noch zu über drei Vierteln mit Holzhackschnitzeln gefüllt war.

Auch hier waren zwei Beamte der Spurensicherung schon seit dem frühen Morgen am Werk und suchten penibel das gesamte Material durch.

»Sieht wirklich sehr nach Nadel im Heuhaufen aus«, war der Kommentar von Jan Sternberg gewesen, doch Paul Wellmann hatte verbessert: »Wenn schon, dann Finger im Holzhaufen! Vielleicht taucht ja noch einer auf. Die Gerichtsmedizin würde es uns auf jeden Fall danken, wenn sie nicht nur lauter unförmige Gewebefetzen untersuchen müsste.«

»Mafia, ganz klar organisierte Kriminalität«, lautete die Einschätzung von Sternberg, als das Dreier-Team gegen Mittag wieder im Karlsruher Polizeipräsidium eingetroffen war, um die bisherigen Fakten zusammenzustellen. »Früher haben die ihre Opfer im Rhein versenkt, aber heute geht es ja viel problemloser. Hacker knacken, kurzschließen, warten bis die Messerscheibe genügend Schwung hat und dann eins-zwei-drei hinein damit.«

»Irgendwie denke ich dabei an Wilhelm Busch«, musste Oskar Lindt, der am Fenster stand, unwillkürlich lächeln. »Wenn ich mich recht erinnere, war das Ende von Max und Moritz doch ganz ähnlich. Rein in den Trichter, ab durch das Mahlwerk und hinten warteten schon die Gänse auf die Brocken.«

»Allerdings hatten die Mühlen damals keine 500 PS«, warf Paul Wellmann grinsend ein. »Aber wir könnten uns ja jetzt SOKO Max & Moritz nennen.«

Lindt stieß dichte Rauchwolken aus und meinte nachdenklich: »Ob auch in unserem Fall ein ›Böser‹ für seine Übeltaten bestraft wurde?«

»Oder vielleicht waren es ja auch zwei?«

»Das wird uns die DNA-Analyse wenigstens sagen können, aber wenn der Gen-Code nirgends gespeichert ist und die Fingerabdrücke genauso wenig, dann sieht es schlecht aus mit der Identifizierung.«

Sternberg nickte und zeigte nach vorne auf den Computermonitor: »Es gibt zwar im Kreis Karlsruhe momentan acht aktuelle Vermisstenfälle, aber ob von denen einer passt …? Das dürfte schwierig werden.«

»… nach den bisherigen Erkenntnissen ist ein Unfall zwar theoretisch denkbar, aber ein Gewaltverbrechen für uns sehr viel wahrscheinlicher«, verkündete Oberstaatsanwalt Wolf bei der Pressekonferenz am späten Nachmittag.

Es war unumgänglich geworden, die Öffentlichkeit zu unterrichten, denn der Fingerfund hatte sich in Rheinstetten wie ein Lauffeuer herumgesprochen und das Großaufgebot der verschiedensten Polizeieinheiten tat ein Übriges, die Gerüchteküche anzuheizen.

Sogar ein privater Fernsehsender war erschienen und hatte Mutter und Kind vor der Kulisse des Spielplatzes und der dort arbeitenden Kriminaltechniker gefilmt. Das Mädchen werde von einem ortsansässigen Psychotherapeuten intensiv betreut, um sein Trauma zu verarbeiten, hatte es im TV-Bericht geheißen.

Was Oskar Lindt von so viel öffentlicher Schaumschlägerei hielt, konnte man unschwer an seinem Gesicht ablesen, aber er gab vor den hungrigen Journalisten dazu lieber keinen Kommentar ab. Die Macht der Medien hasste er, wusste aber auch, dass er auf Tipps aus der Bevölkerung angewiesen war.

»Die Auswertung der Ergebnisse von Spurensicherung und Kriminaltechnik wird noch mehrere Tage dauern«, informierte Ludwig Willms die Presse über den Stand der Untersuchungen in seiner Abteilung und Hauptkommissar Lindt appellierte mit eindringlichem Tonfall: »… sachdienliche Hinweise bitte direkt an uns oder jede andere Polizeidienststelle. Wir gehen allen Spuren nach.«

Die Karlsruher KTU arbeitete zusammen mit den Spezialisten des Landeskriminalamtes unter Hochdruck. Wie ein riesiges Puzzlespiel sortierten vier Gerichtsmediziner in einem taghell erleuchteten Saal auf acht langen Edelstahltischen die wenig appetitlichen Fundstücke, die sie von der Spurensicherung geliefert bekamen. Am ergiebigsten hatte sich der Inhalt des Containers erwiesen, der in zweitägiger Kleinarbeit regelrecht durchgesiebt worden war. Nach und nach wurden von den Kriminaltechnikern insgesamt sechs Kubikmeter Holzhackschnitzel Schaufel für Schaufel auf mehreren, herbeigeschafften Tapeziertischen ausgebreitet und sortiert. Makabere Sprüche wie: »Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen« machten dabei die Runde, wenn sich wieder ein harmlos aussehendes Holzstückchen doch als Knochenfragment von menschlicher Schädeldecke oder Beckenschaufel erwies. Von weitem schon zu erkennen waren die weichen, lappigen Reste der inneren Organe, die der Hackscheibe nicht so viel Widerstand geboten hatten und deshalb weniger stark zerkleinert worden waren. Ein Teil des Dünndarms mit vierundzwanzig Zentimetern Länge war das größte Fundstück. Muskeln und vor allem Knochen waren dagegen auf höchstens fünf Zentimeter zerhackt worden. Fast unversehrt fanden sich neben dem Fingerteil vom Spielplatz noch drei Fingerkuppen, vier Zehen und sechs Zähne.

Gerade davon versprachen sich die Pathologen viel, denn vier wiesen Gold-Inlays auf. Das daraus rekonstruierte Zahnschema wurde zusammen mit hochauflösenden Digitalfotos an über hundertachtzig Zahnärzte in der Region Karlsruhe gemailt und auch als Download ins Internet gestellt.

Weitere körperfremde Metallteile oder Bruchstücke von Schmuck? Fehlanzeige!

Die Abdrücke der Finger ergaben zwar leidlich gute Ergebnisse, aber nach Abgleich mit den Datenbanken war keine Übereinstimmung mit registrierten Personen zu finden.

Die Untersuchungen des möglichen Tatorts und des Großhackers führten auch nicht weiter. Zwar gab es in Führerhaus und Krankabine Fingerabdrücke, die nicht zum Maschinist oder anderen Firmenangehörigen passten, aber keiner der Abdrücke war irgendwo gespeichert.

Schließlich lieferte das LKA nach vier Tagen auch die Ergebnisse der DNA-Untersuchung.

»Leider nichts Konkretes«, zuckte Ludwig Willms

mit den Schultern, als er die Resultate an Lindt und sein Team weitergab. »Wir können nur ein wenig eingrenzen: Alle Proben stammen von einer einzigen Person, männlich, hellhäutig, Haare blond mit Übergang zu grau, daher ganz grob im mittleren Alter. Leider ist der Erbgut-Code in keiner Datenbank gespeichert, also können wir die Person auf diesem Wege nicht identifizieren.«

»Aber ausschließen, ob es sich um eine der vermissten Personen handelt, könnten wir vielleicht«, hatte Jan Sternberg eine Idee. »Wenn wir zum Beispiel die Zahnbürsten dieser Leute untersuchen würden oder die Haare aus ihren Kämmen …«

Mit wenig begeistertem Gesichtsausdruck drehte sich Willms zu Lindt und wollte einen Kommentar über die Kosten und Zeitdauer einer derartigen Aktion abgeben, doch der Kommissar kam ihm flugs zuvor: »Immer die besten Ideen, unser Nachwuchs, meinst du nicht auch, Ludwig?«

»Na gut«, knurrte der, »aber fangt mal mit den Vermissten im näheren Umkreis an, dass es nicht gleich so viele werden. Ich sag solange in Stuttgart Bescheid.«

Der KTU-Chef war schon an der Tür, da fiel ihm noch etwas ein: »Halt, die Faserspuren, die hätte ich ja fast vergessen.«

»Faserspuren?«, fragten Wellmann und Sternberg wie aus einem Mund.

»Natürlich, Reste der Kleider. Oder glaubt ihr, der Mann war nackt, als er gehäckselt wurde?«

»Auf das Naheliegendste sind wir noch gar nicht gekommen«, musste auch Lindt zugeben. »Die ganze Zeit diskutieren wir hier über Darmfetzen und Kniescheibenfragmente, Leberhack und Lungenbläschen, aber an die Kleider hat tatsächlich noch niemand gedacht.«

»Deshalb habt ihr ja uns«, antwortete Willms mit einem Gesichtsausdruck, der die Freude widerspiegelte, diesmal der eingespielten Ermittlertruppe eine Nasenlänge voraus zu sein.

»Also«, fuhr er etwas theatralisch fort, »wir hätten da folgendes im Angebot: Schweizer Unterwäsche, reine Baumwolle, in weißer Oxford-Qualität als Oberhemd, Edel-Denim bei der schwarzen Hose, Alpakawolle für die Socken, ein genauso nobler Wollstoff für das Sakko und schwarzes Rindsleder von den Schuhen. Budapester Form übrigens, ein Stück der oberen Ziernähte ist vollständig erhalten.«

»Wie wäre es denn mit den Fabrikaten?«, stichelte Jan Sternberg etwas vorlaut.

»Kein Problem«, kam gleich die Retourkutsche. »Falls euch Calida und Bogner etwas sagen, dann wisst ihr über die Preisregion Bescheid. Von Hemd und Jackett konnten wir leider nichts finden, aber die Schuhe sind rahmengenäht und bestimmt nicht unter dreihundert Euro zu haben.«

Lindt pfiff leise durch die Zähne: »Also im Milieu der Obdachlosen brauchen wir wohl nicht zu suchen.«

»Und bei allzu großen Größen vermutlich auch nicht«, schielte Willms auf die etwas vollschlanke Figur des Kommissars. »Einen Gürtel musste der Mann jedenfalls nicht tragen. Seine Hüftknochen haben wohl weit genug herausgeschaut, um die teure Jeans zu halten.«

»Immerhin brauche ich noch keine Hosenträger«, verteidigte sich Lindt mit gespielter Schmollmiene.

»Noch nicht, mein Lieber! Nächste Weihnachten legt Carla dir bestimmt welche unter den Christbaum.«

Lindt machte sich nichts aus den kleinen Sticheleien des hageren Extremsportlers und revanchierte sich ab und zu mit spitzen Bemerkungen über Sportverletzungen und abgenutzte Kniegelenke.

»Jetzt aber zurück zu unserem Hacker-Opfer«, mischte sich Paul Wellmann ein. »Wenn ich recht verstanden habe, war es ein Mann mittleren Alters, gute Kleidung lässt auf passable finanzielle Verhältnisse schließen und eine sportliche Figur scheint er auch gehabt zu haben.«

»Stimmt genau, die Gerichtsmedizin schreibt hier von sehr wenig Körperfett.«

»Jetzt reicht’s aber«, entrüstete sich Lindt. »Wahrscheinlich auch so ein hyperaktiver Triathlet wie du.«

»Aber Oskar, du musst nicht jede Bemerkung persönlich nehmen. Außerdem sind die Schlanken meist ausgeglichener und gehen nicht so schnell an die Decke«, grinste Willms über den Erfolg seines kleinen Seitenhiebes.

Der Kommissar schnaufte tief durch und blies zur Beruhigung ein paar dicke Rauchwolken aus seiner Pfeife in den Raum.

»Passt denn so ein Profil auf einen der Vermissten?«, wandte er sich an Jan Sternberg.

»Leider nicht, Chef. Ich hab auf die Schnelle mal die ganze Liste durchgeschaut. Allerdings sind das nur die Fälle aus unserem Landkreis. Vielleicht kam der Mann ja von außerhalb.«

»Denkst du schon wieder an die Mafia?«, warf Paul Wellmann ein.

»Ach so, wegen dem schwarzen Jackett meinst du? Aber dann hätten wir auch eine Sonnenbrille finden müssen«, lachte der KTU-Chef.

»Also bitte, Ludwig, jetzt aber mal wieder den nötigen Ernst bei der Arbeit!«

»Und wenn er gar nicht vermisst wird?«, überlegte sich unterdessen Jan Sternberg. »Vielleicht lebte er allein, Single, geschieden oder was weiß ich.«

»Aber am Arbeitsplatz, da müsste doch jemand was merken?«, gab Wellmann zu bedenken.

»Freiberufler, Künstler, Durchreisender … wer weiß?«

»Stimmt«, nickte Oskar Lindt. »Da ist alles Mögliche denkbar. Wir müssen einfach die gesamten Spuren und Hinweise abarbeiten. Irgendwo findet sich was. Das ganz perfekte Verbrechen gibt es nicht, davon bin ich fest überzeugt.«

»Ja, Chef«, gab ihm Sternberg recht. »Hackschnitzel verbrennen im Kraftwerk, das wäre perfekt gewesen.«

Lindt stimmte zu: »Das heißt wiederum, der oder die Täter hatten vermutlich keine Ahnung, dass das Material für einen Spielplatz gebraucht wurde.« Er besann sich einen Moment. »Oder es war ihnen egal. Vielleicht ging es ja nur darum, eine Leiche so unkenntlich wie möglich zu beseitigen – wer weiß?«

»Eines haben wir aber noch nicht bedacht«, meldete sich Paul Wellmann wieder zu Wort. »Auch wenn irgendeiner den LKW geknackt hat – um die ganze Maschinerie anzuwerfen, braucht es einiges an technischem Verständnis. Also ich wüsste nicht, wie man so ein Monstrum startet.«

»Richtig Paul. Wieder ein wichtiger Aspekt, um den Täterkreis einzugrenzen. Vielleicht müssen wir doch noch mal diese Hackerfirma genauer unter die Lupe nehmen. Zumindest aber war es jemand, der sich mit LKWs oder Großgeräten auskannte.«

»Zudem muss er gewusst haben, dass die Maschine dort arbeitet und …«, Wellmann machte eine Gedankenpause, »… wo sie über den Feiertag geparkt ist.«

»Und wenn das alles nur ein Zufall war? Vielleicht so: Zwei Männer müssen eine Leiche beseitigen …«

»Also bitte, Jan, das klingt aber sehr nach einem amerikanischen Billig-Krimi!«

»Lassen Sie mich doch mal fertig überlegen, Chef. Die wollten im Wald ein Loch graben, kommen aber mitten in der Nacht an diesem Holzhackmaschinchen vorbei und ändern kurz entschlossen ihren Plan. Einer der beiden ist technisch begabt, Baggerfahrer oder so, also Scheibe einschlagen, Maschine anwerfen und ruck-zuck ist die Arbeit erledigt. Längst nicht so ermüdend wie ein Loch auszuheben.«

»Du schaust einfach zuviel Fernsehen«, meinte Lindt schmunzelnd. »Vor allem die falschen Serien. Zuviel Action, zuwenig Hirn. Ich finde, du solltest dich mal an die Arbeit machen, was deinen Vorschlag mit den Vermissten betrifft. Der hat mir doch wesentlich besser gefallen, als die Theorie von den zwei Männern, die zufällig mit einer Leiche im Kofferraum vorbeikommen.«

»Aber ganz ausschließen, dass es sich so zugetragen hat, können wir auch nicht«, musste Sternberg doch noch das letzte Wort haben.

Hackschnitzel

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