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16. Juli 2017

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Krebs ist ein feiger Hund. Dachte ich früher an Krebskranke Menschen, sah ich vor dem inneren Auge gelbliche Menschen mit eingefallenen Wangen und glasigem Blick. Menschen die sehr dünn waren, fahrig und wegen der Chemotherapie alle Haare verloren hatten. Menschen, die voller Schmerzen waren und denen die körperliche Qual tiefe Falten in das Gesicht geprägt hatten. Die zu schwach zum Sitzen waren. Die nur noch leise sprachen und sich verschlucken. Menschen, die hoffnungslos ins Leere blickten, darauf wartend, nein, hoffend, dass sie endlich erlöst werden. Die in abgedunkelten Zimmern schliefen. In dem es nach Desinfektionsmitteln roch.

Jetzt bin ich einer von ihnen. Ein an absolut tödlichem Krebs erkrankter Mann von neunundvierzig Jahren. Überall in meinem Körper wuchern entartete Zellen, befallen meine Organe, meine Knochen. Ich blicke auf meinen Bauch und sehe nicht, was unter der Hautschicht abgeht. Sechs Zentimeter groß sei der Tumor auf der Bauchspeicheldrüse. Die auf der Leber bis zu vier Zentimeter. Im Gallengang tummelt sich das Hauptkarzinom und streut fleißig ins Bauchfell und die Lymphsysteme. Davon kann man allerdings nichts sehen. Ich esse, wie ich immer gegessen habe, laufe, stehe und wurstle herum. Habe meine Haare noch und dank des Methadons kaum Schmerzen. Ich habe etwas Probleme mit dem Wasserlassen, aber das ist für Männer in meinem Alter nichts Besonderes. Kreislauf und Blutdruck sind in Ordnung und sogar meine Leberwerte sind klasse. Ich lache, weine und bewege mich wie früher.

Früher? Damit ist die Zeit von vor drei Wochen gemeint. Als ich Karl, das Karzinom schon längst als Untermieter hatte. Hätte ich die Oberbauchschmerzen nicht gehabt und wäre ich damit nicht zum Arzt gegangen, dann wüsste ich bis heute nicht, dass ich rein medizinisch gesehen schon lange ein toter Mann bin. Verdammt, man merkt es mir nicht an. Selbst die Ärzte schauen fragend auf mich und meine Agilität. Nicht einmal humpeln tue ich mehr. Das Methadon hat mir auch diese Schmerzen genommen. Hin und wieder spüre ich Karl unter dem rechten Rippenbogen. Dann taste ich nach meinem Port in der rechten Schulter, spüre durch die Haut das Kunststoff, das man mir eingepflanzt hat um die Chemotherapie zu ermöglichen. Wenn ich den großen Knubbel des Ports unter meinen Fingern spüre weiß ich, dass das alles kein einfacher Alptraum ist, sondern meine Realität.

Weil alle Symptome fehlen, ist es noch schwieriger das Unfassbare zu akzeptieren. Krebs, der feige Hund, versteckt sich, hält sich in Deckung und will sich in seiner grenzenlosen Hässlichkeit niemandem zeigen. Am wenigsten mir. Ob er Schiss hat? Bestimmt. Wäre ich Krebs, würde ich mir auch einen anderen Gegner suchen. Doch, mein Todfeind, ich weiß dass du da bist. Und ich habe eine Armee von Menschen, Freunden, Bekannten und Familie, die an meiner Seite mitkämpfen und mir Energie schenken, um diesen Kampf zu führen. Ich habe eine wundervolle Frau, die die Achse in meinem Leben ist, um die sich alles dreht. Gemessen an meiner Armee von Ärzten und Therapeuten, an Fachleuten und selbst Betroffenen, hast du dich, werter Karl, an jemanden gewagt, der es dir weiß Gott nicht leicht machen wird!

Wie sagte der KaLeu in „Das Boot“?: „NOT YET KAMERADEN, NOT YET!!!“ Ich habe gestern irgendwo erwähnt, dass es mein größter Wunsch sei, noch einmal nach Trogir/Kroatien zu fahren. Ich liebe dieses Land. Hier veränderte sich mein Leben vor über zwanzig Jahren, als ich als Soldat hier stationiert war, nach dem Bosnien-Krieg. Und ich werde mit meiner Frau dorthin reisen, bevor Karl Überhand gewinnt. Zunächst war mir diese dann angeleierte Aktion mit dem „Kroatien-Fond“ vollkommen peinlich. Ich wollte niemals in meinem Leben zu einem Bittsteller werden. Ich habe meine Sachen immer selber geregelt und aus jedem Schlamassel herausgefunden. Irgendwie…

Seit anderthalb Jahren lebe ich in Schmerz und Ungewissheit. Mit dem Verlust der körperlichen Gesundheit im Februar 2016 zerfiel auch viel von meinem Selbstwertgefühl. Giersche war also doch nicht unkaputtbar. Meine Seele fuhr Achterbahn. Ich fühlte mich wie ein gebrochener Mann, wissend, dass ich bei einer Zombieapokalypse nicht überleben würde, wegen meiner körperlichen Zerfallssituation. Das war immer mein Maßstab. Kann ich meine Familie und mich bei einer Zombieapokalypse retten? Mit dem kaputten Rücken, dem Diabetes und dem galoppierenden Blutdruck wohl kaum.

Ich lernte zu akzeptieren, dass ich Hilfe annehmen kann und muss. Und deswegen kann ich jetzt auch Hilfe annehmen. Ich kann meine Familie retten, vielleicht mich selbst nicht, aber das wiegt nicht so schwer für mich. Mit der Hilfe der Menschen um mich herum kann ich sie retten und meine verbleibende Zeit dazu nutzen, aus dem Krebs das Beste zu machen. Ich gönne Karl die Genugtuung nicht, dass das Böse, Schlechte und Destruktive die Überhand nimmt. Ich verwandle seine zerstörerische Energie in etwas Gutes um. Je mehr er powert umso mehr Energie werde ich in Gutes verwandeln, werde Handlungsstränge schaffen und Denkprozesse ermöglichen. Verstand und Gefühl von Menschen werde ich einladen, neugierig und angstfrei auf den Tod, das Sterben und den Umgang damit zu schauen. Jede Seele, die weniger Angst vor dem hat, was uns ja allen faktisch bevorsteht, schwächt den Tod und den Sterbeprozess.

Komm her Tod, ich lache dir ins Gesicht. Das soll die Devise sein, mit der wir leben. Den Tod als integralen Teil des Lebens zu sehen hilft, ihm den Schrecken zu nehmen. Und Schrecken ist die Energie, die er braucht um gewinnen zu können. Von mir bekommt er das nicht. Karl, verpiss dich aus meinem Leben! Und eines noch, lieber Karl...es gibt auch alternative Heilmethoden!

Es ist vernünftig von einem Arzt zu erwarten,

dass er vor der Macht des Geistes Krankheiten zu überwinden,

Achtung hat.

( Hippokrates)

Kampf dem Karl,

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