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5. Juli 2017

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Und wieder ein Tag weniger auf der Liste. Heute vor drei Wochen habe ich die Diagnose empfangen. Von Hoffen und Bangen, ich liege hier in meinem Krankenhausbett und warte darauf, abgeholt zu werden. Rechts und links neben mir liegen zwei sehr alte Männer. Der eine ist schwer dementiell verändert und der andere hat nie eine gute Schule genossen. Ich weiß nicht wer nervtötender ist, die hochbetagten Greise oder deren Ehefrauen, die täglich zu Besuch kommen und alle Klischees über keifende und ultrakonservative Omas bedienen. Ich war/bin Altenpfleger und hatte tagaus tagein mit solchen Menschen zu tun. Das scheint im Moment denkbar weit weg. Mein Altruismus scheint weitgehend erloschen zu sein, denn ich verspüre keinerlei Helferimpuls mehr, wenn die beiden wieder einmal an die Grenzen ihrer Ressourcen kommen. Früher hätte ich mich umfassend darum gekümmert, das ist mir abhanden gekommen.

Wenn ich meinen Körper nach Schmerzquellen scanne spüre ich das Stechen im rechten Oberbauch deutlich. Ich bekomme zwar Morphium und habe ein Fentanylpflaster kleben, schlucke Tillidin und Pregabalin und dennoch ragt der Schmerz unter dem rechten Rippenbogen wie eine Turmspitze aus dem Nebel der anderen Schmerzen und Gefühlen heraus. Das ist „Karl“. „Karl, das Karzinom“. So haben Gisela und ich meinen inneren Mitesser getauft. Der sitzt da auf der Pankreas und lümmelt sich in der Leber. Gestern gab es noch einmal ein Ganzkörper-MRT um Karls Zweigstellen zu finden. Pankreaskrebs streut gerne in die Milz, die Nieren und in die Knochen. In der Leber ist er ja schon mächtig vertreten. Mal sehen, ob es damit genug ist oder ob Karl noch weitere Filialen betreibt. Als käme es darauf noch an….

Halt, so will ich nicht denken. Denn es gibt Hoffnung. Durch einen Krebsfall in der Familie, Wochen vor der eigenen Diagnose habe ich durch Zufall bei der Recherche einen Bericht entdeckt, der sich mit dem Mittel Methadon befasste. Methadon ist eigentlich ein Opioid, das eine starke schmerzstillende Wirkung hat. Bekannt ist es, weil es als Ersatzdroge für Heroin eingesetzt wird. Methadon hat die Eigenschaft, die Krebszellen anfälliger für die Chemotherapie zu machen. Es erhöht offenbar den Wirkungsgrad der Chemotherapie. Leider ist das noch nicht durch korrekte wissenschaftliche, klinische Studien bewiesen und deswegen sträuben sich noch viele Mediziner es im Rahmen einer Chemotherapie einzusetzen.

Es gibt fundierte Berichte über Krebspatienten, die nahezu völlig vom Krebs befreit wurden, obwohl sie nach medizinischem Ermessen keine Überlebenschance hatten. So wie ich mit meiner Diagnose keine Chance auf Genesung habe. Doch das Methadon verändert die Situation. Es ist wie ein Silberstreif am Horizont für Gisela und mich und unsere Kinder. Hoffnung ist eine starke Macht. Wo es Hoffnung gibt, widersetzt man sich dem Tod. Wo Hoffnung besteht, und sei sie noch so gering, ist man kein hoffnungsloser Fall, ist man nicht zwingend verloren. Ein wenig ist das wie Lotto spielen. Gibst du keinen Schein ab, brauchst du nicht auf den Hauptgewinn zu hoffen. Indem du deine Kreuze auf dem Zettel machst, wächst diese Pflanze „Hoffnung“, denn rein theoretisch kannst du gewinnen. Und täglich gewinnen Menschen im Lotto. Also… machen Gisela und ich unsere Kreuze auf dem Methadonzettel.

Hier im Krankenhaus widersetzen sich die Ärzte der Methadonidee nicht und begleiten die Chemotherapie mit diesem Wirkstoff. Das ist unser Strohhalm, unser Tor zur Zukunft. Ohne das wäre ich im wahrsten Sinne des Wortes ein hoffnungsloser Fall. Der Krebs ist sehr weit fortgeschritten und absolut tödlich. Ohne die Chance mit dem Methadon hätte ich ziemlich sicher weniger als acht Wochen bis ich sterbe. Doch dem brauchen wir uns jetzt nicht mehr zu beugen, denn es gibt berechtigte Hoffnung. So wie es die berechtigte Hoffnung gibt, im Lotto zu gewinnen.

Bei mir gingen Wege noch nie einfach geradeaus. Immer hatte ich irgendwie eine exponierte Position im Leben. Zieht sich wie ein roter Faden durch meine Biografie. Eine nicht tödliche Krankheit zu überleben passt da genau ins Schema. Gleich werde ich abgeholt. Man wird mir einen Port legen, ähnlich wie bei Dialysepatienten. Eine Art Dauerzugang zu meinem Gefäßsystem. Durch dieses Portal wird dann die Chemotherapie verabreicht. Offiziell hat die Chemotherapie in dem Krebsstadium nur noch palliativen Charakter, das bedeutet, sie soll mir die Zeit bis zum Tode erleichtern. Heilung wird da nicht mit angestrebt.

Ich kann das alles so einfach und nüchtern erzählen, weil ich Hoffnung habe. Und selbst, wenn der Tod mich auslacht und sich vom Methadon nicht beeindrucken lässt: Die Stunden und Tage in Hoffnung nimmt mir niemand wieder weg. Jede Minute Hoffnung ist unendlich kostbar. Für Gisela, für die Kinder und für mich. Wehe, jemand versucht mir, die Hoffnung wegzunehmen. Für den gibt es dann definitiv keine Hoffnung mehr!!!

Also gut….dann ab unters Messer. Der erste Schritt eines langen Weges, an dessen Ende der Topf mit Gold auf Gisela und mich wartet.


Kampf dem Karl,

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