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|38|III. Eine heilige Kuh der Ökonomie: Pareto-Optimalität

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Nachdem ich das normative Fundament dieser Arbeit erläutert und mich somit zum utilitaristischen Wirtschaftszweck und dem Postulat der Glücksmaximierung bekannt habe, müssen wir beachten, dass sich in den Wirtschaftswissenschaften eine andere häufig vertretene Auffassung von Optimierung findet: Die Pareto-Optimalität. Dieses Denkmodell will ich in diesem Kapitel erläutern und kritisieren. Zwar gibt es viele Ökonomen, die es nicht mehr als hinreichendes wohlfahrtsökonomisches Modell verstehen, aber es findet z.B. in den Lehrbüchern der Ökonomie regelmäßig Verwendung (Varian 2009, Kpt. 1.9; Pindyck und Rubinfeld 2009, 763–792) und zwar auch in Zusammenhang mit der These, dass interpersonale Nutzenvergleiche nicht möglich seien (z.B. Wiese 2014, 267, Endres und Martiensen 2007, 67). Viele konzipieren die Wohlfahrtsökonomie weiterhin so, dass Wohlfahrtsveränderungskriterien nicht hinter die Einsichten Paretos, z.B. in puncto Nutzenvergleiche zurückgehen dürfen (Kleinewefers 2008, 45f.). Ich setze mich vor allem deshalb mit dem Pareto-Weltbild auseinander, weil es den Utilitarismus in puncto Nutzenvergleiche in Frage stellt, was geklärt werden muss, will man den Utilitarismus vertreten. Viele Paretianer gingen ursprünglich vom utilitaristischen Wirtschaftszweck, von der Maximierung des Wohls insgesamt aus, hielten aber Messung und Vergleich des Nutzens bei verschiedenen Personen für unmöglich. Der vierte Pfeiler des Utilitarismus, der sogenannte Aggregationismus, wird abgelehnt. Damit scheiden auch egalitaristische und viele andere „Wohlfahrtsfunktionen“ aus, für die man auch interpersonale Vergleiche braucht (Hammond 1991, 201). Dann bleibt zur Vermehrung des Wohlergehens nur noch übrig, pareto-optimale Zustände zu erzielen: Pareto-superiore Zustände sind Zustände, in denen wenigstens eine Person ökonomisch bessergestellt werden kann, ohne dass eine andere schlechtergestellt wird. Ein pareto-optimaler Zustand s liegt vor, wenn kein anderer Zustand erzielbar ist, der pareto-superior zu s ist.[29] Diese Zielvision hat sich im Laufe der Zeit zur Hochburg der Effizienz bei den Ökonomen entwickelt: Die Zustände in einer Gesellschaft können dann und nur dann effizienter gemacht werden, wenn es möglich ist, |39|die Situation von mindestens einer Person zu verbessern, ohne die einer anderen zu verschlechtern.

Der Übergang von der utilitaristischen Wohfahrtsökonomie zum Pareto-Weltbild resultiert meist aus messtheoretischen Problemen. Die interpersonale ordinale oder kardinale Messung von Nutzen wird von vielen Ökonomen als gescheitert angesehen; es wird ein „empirischer Kollaps“ der klassischen Wohlfahrtsökonomie diagnostiziert (Kleinewefers 2008, 277). Woher soll man wissen, dass zehn Nutzeneinheiten für dich dasselbe bedeuten wie zehn Nutzeneinheiten für mich? Insbesondere dann, wenn wir verschiedenen Kulturkreisen angehören? Wie sind interpersonelle Nutzenmessungen möglich, wenn kein gemeinsamer Nutzennullpunkt und kein gemeinsames Ende der Nutzenskala bekannt sind? Das sind die Gründe, aus denen heraus der Aggregationismus abgelehnt wird. Damit ist der Weg zu einem vertragstheoretischen Verständnis des Pareto-Weltbilds geebnet:

Wenn jeder nur seinen eigenen Nutzen (…) kennt (…), dann ist der einzige operationalisierbare Test, ob eine bestimmte Handlung den Gesamtnutzen der Menschen erhöht, (…) die Zustimmung der Betroffenen. Menschen äußern ihre Zustimmung, indem sie freiwillige Verträge abschließen. (…) Wenn alle zustimmen, erwarten alle für sich Vorteile, ist der Erwartungswert (…) positiv. (Vaubel 2007, 111)

So wird angenommen, dass der Nutzen des Einzelnen nur durch freiwillige Tauschverträge nachweislich erhöht wird. Es gibt nicht ein Pareto-Optimum wie es ein Nutzenmaximum gäbe, sondern die Individuen realisieren verschiedene pareto-optimale Zustände abhängig von ihren Präferenzen und den Ausgangsbedingungen beim Tausch (Pindyck und Rubinfeld 2009, 766f.). Dabei werden nur intrapersonale Präferenzen in ordinaler Ordnung als bekannt vorausgesetzt, die sich durch Tauschhandlungen nach außen hin manifestieren (Kleinewefers 2008, 64). Wie Vaubel oben schon sagte: Jeder kennt nur seinen Nutzen. Aussagen über Präferenzen (stated preferences) werden hingegen als nicht verlässlich eingestuft, da die Subjekte bei Befragungen den Anreiz haben könnten, die Unwahrheit zu sagen, um sich Vorteile zu verschaffen. Es zählen Taten, nicht Worte.

Der paretianische Ansatz fragt nur noch: Holt der Einzelne sein persönliches Maximum an Nutzen aus den Gütern heraus (Kleinewefers 2008, 43)? Aber es kann relativ zu den Grundausstattungen verschiedene Optima geben, das nützlichste oder gerechteste Optimum für alle ist nicht ermittelbar. Umverteilung kommt nur noch zustande, wenn niemand durch sie schlechtergestellt wird. Für jede diese Pareto-|40|Bedingung verletzende Umverteilung wird man die Zustimmung des durch sie schlechtergestellten Individuums nicht erhalten: „Niemand wird freiwillig in einen Tausch einwilligen, wenn er dadurch schlechter gestellt wird.“ (Kleinewefers 2008, 65, vgl. 21) Und: „Da die Marktverträge (…) freiwillig abgeschlossen werden, also die Zustimmung der Beteiligten voraussetzen, ist die Marktwirtschaft ein herrschaftsfreier Koordinationsmechanismus.“ (Vaubel 2007, 113)

Wenn alle Verträge freiwillig eingegangen worden sind, die zu einem Status Quo geführt haben, an dem nicht weiter getauscht wird, kann man diesen Status eben durch diese Eigenschaft moralisch rechtfertigen: Da alle Tauschhandlungen freiwillig zustande kamen und so zu diesem bestimmten Status quo führten, ist dieser Status quo durch den Wert der Freiheit gerechtfertigt. Von diesem Status quo abzuweichen, ist nur im Konsens möglich, sonst kann man nicht ausschließen, dass sich der gute, da von den Tauschpartnern frei hergestellte Status quo verschlechtert. H. Kleinewefers bringt das auf den Punkt: „Würde man normativ verlangen, dass politische Entscheidungen die Wohlfahrt nach dem Pareto-Kriterium erhöhen, so käme dies einem absoluten Schutz der jeweiligen Besitzstände bzw. einem Vetorecht für jeden einzelnen möglicherweise negativ Betroffenen gleich.“ (Kleinewefers 2008, 65) Oder mit H. Wiese gesprochen: „Freie Märkte sind eine wunderbare Sache.“[30] (Wiese 2014, 279)

Also basiert die Attraktivität des Pareto-Prinzips u.a. auf einem Werturteil. Wie Homann schon ausführte, wird Freiheit von ihm und vielen Ökonomen als höchster Wert angesetzt (Homann 2003, 125). Das führt J. Coleman weiter aus: „Individuals engage in transactions until it is no longer in the interest of at least one of them to do so. (…) In the ideal world of noncoercive markets (…) the exercise of liberty leads to Pareto-optimal states of affairs.“ (Coleman 1980, 540f.) Und gerade weil Pareto-Optimalität ein Ausdruck so verstandener (Tausch-)Freiheit ist und diese als Leitwert fungiert, halten viele Ökonomen dieses Prinzip hoch.

Nun wird das Pareto-Prinzip eben nicht auf politische Situationen angewendet, in denen es Gewinner und Verlierer gibt. Daher wurde zum Zweck der Politikberatung eine Debatte darüber begonnen, wie man Kriterien finden könne, die Aufschluss darüber geben, wann eine staatliche Maßnahme die gesellschaftliche Wohlfahrt erhöht. Dabei sollten die Einsichten, die Pareto bezüglich des Allokationsmecha|41|nismus gehabt hatte, möglichst gewahrt werden. Die Debatte um sogenannte Wohlfahrtsveränderungskriterien war eröffnet (Kleinewefers 2008, 45f.). Ein Kandidat war etwa das Kaldor-Hicks-Kriterium. Auf diese Debatte brauchen wir aber nicht eingehen, da wir bereits die eben benannten Voraussetzungen kritisieren werden.

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