Читать книгу Ich bin Ich - Bettina Bäumert - Страница 8

Na endlich. Meine Mama ist gekommen! Sie ist wunderschön. Aber sie sieht auch ganz schön fertig aus. Jetzt verstehe ich auch, warum sie nicht gleich bei mir sein konnte. Ich wurde nämlich aus ihrem Bauch heraus geschnitten, sonst wäre ich gestorben. Sectio nennt man so etwas. Kaiserschnitt. Was an so etwas kaiserlich sein soll, weiß ich auch nicht. Meine arme tapfere Mama.

Mama traut sich kaum mich anzufassen. Sie meint, ich sei so winzig und zerbrechlich.

Und schon wieder stehe Leute mit ernsten und besorgten Gesichtern um mich und meine Eltern herum. Alle – bis auf meine Eltern – ganz in Weiß gekleidet. Wissen die denn nicht, dass es noch schönere Farben gibt? Scheint wohl die absolute Lieblingsfarbe hier zu sein.

Der Mann, der so lieb mit meinem Papa gesprochen hat, ist auch dabei. Wenigstens ein vertrautes Gesicht. Meine Eltern streicheln mich und ich halte schnell je einen Finger von Papa und Mama ganz fest. Sie sehen mal wieder beide so aus, als ob sie gleich umfallen würden. Meine Mama ist ganz blass. Einer dieser Leute, Ärzte sind das, sagt gerade:

„Ihr Sohn hat das Cornelia de Lange Syndrom.“

Klingt doch schön, elegant. Was schut ihr dann alle so ernst? Hört sich doch ganz nobel an.

Dieser Mann hat eine angenehme Stimme. Meine Mama wäre nicht meine Mama, würde sie nicht gleich nachfragen.

„Was bedeutet das?“

Der Sprecher der fremden Menschen räuspert sich:

„Nun ja, ihr kleiner Sohn ist geistig und körperlich behindert.“

Meine Mama ist plötzlich ganz wackelig auf den Beinen, und mein Papa schaut ganz ernst und presst die Lippen aufeinander, als der Mann da weiter sagt:

„Sie müssen auch damit rechnen, dass ihr Sohn nicht lange leben wird.“

Na, jetzt höre ich mal nicht mehr zu. Ich fühle mich ganz gut, bin nur ein bisschen müde. Und was Leben ist, weiß ich vom Boss. Er hat mir das erklärt. Und ich lebe solange ich das will.

Oh je, bin ich müde. Das Leben bisher ist schon ganz schön anstrengend gewesen. Abe in diesem Glaskasten, in dem ich liege, ist es wenigstens schön warm.

Ich wache davon auf, dass mich jemand streichelt und ganz sanft mit mir spricht. Noch bevor ich die Augen aufmache, weiß ich, dass das meine Mama ist.

Neben meiner Mama steht jemand in einem weißen Kleid. Dieser Jemand spricht eindringlich mit meiner Mama, und …

Eh, ne, jetzt hört aber auf. Was wird mir denn da gerade in den Mund gestopft? Iiiihhh, igitt, ist ja eklig. Was soll das denn schon wieder? Das darf doch wohl nicht wahr sein! Ich muss husten und würgen. Meine Mama ist da. Na Gott sei Dank. Sie sagt jetzt bestimmt dieser Fremden, dass sie mich in Ruhe lassen soll.

Aber nein, meine Mama macht da auch noch mit!!

„Johannes, mein kleiner Schatz. Komm, du musst trinken. Das ist ganz ganz wichtig, damit du Kraft bekommst und groß und stark wirst. Und zudem wollen wir dich doch möglichst bald mit nach Hause nehmen.“

Was Mama da mit so sanfter Stimme sagt, kann ich nicht verstehen, aber es hört sich gut an. Antworten kann ich ihr auch nicht, da ich gerade krampfhaft versuche mit diesem Ding, das sie mir in den Mund gesteckt hat, klar zu kommen. Oh nein, ist das eklig. Das kann's doch wohl nicht geben. Ich muss prusten und während mir Milch aus Mund und Nase läuft, schnappe ich nach Luft.

Gerade wenn man denkt, das kann nicht noch schlimmer kommen, kommt es noch viel schlimmer. Mir wird ein Schlauch durch die Nase in den Magen geschoben! Und meine Mama und mein Papa lernen das auch noch! Versteh das einer. Es sei nötig, sagen sie, damit ich genügend Nahrung bekomme. Sind die denn alle noch bei Trost?

Also, der Schlauch in der Nase, der ist wirklich fürchterlich. Aber im Moment weiß ich eigentlich gar nicht, was schlimmer ist: der Schlauch oder dieses komische Ding, das mir immer wieder in den Mund gesteckt wird. Milchflasche nennen Mama und Papa das. Ein albernes Zeug, das einem die Zunge nach unten drückt und den gesamten Mund ausfüllt. Man hat dadurch überhaupt keinen Platz mehr da drinnen, im Mund. Nicht mal für Spucke. Saugen soll ich, wird mir immer wieder und wieder gesagt.

Kann mir mal jemand erklären, was das ist und wie das gehen soll?!