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DIE BÖSEN BOTSCHAFTEN

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Wie denn kastrieren Mütter ihre Töchter?

Für eine »erfolgreiche« mütterliche Kastration sind zwei große Trigger-Worte von entscheidender Bedeutung: ABWERTUNG und UNZULÄNGLICHKEIT.

Je früher ein Mensch in seinem Selbstverständnis herabgesetzt und damit abgewertet wird, indem ihm Gefühle eigener Unzulänglichkeit eingetrichtert werden, umso nachhaltiger wird seine Persönlichkeit verunsichert und ein ganzes Lebenskonzept schon mal destruktiv geprägt.

Wenn einem Kind häufig genug angetragen wird, dass es »etwas« nicht kann, zu »etwas« nicht taugt, »etwas« niemals erreichen wird, wird dessen innere Überzeugung wachsen, offensichtlich in gewissen Bereichen seines Ichs, seines Daseins, seiner Vorstellungen unzulänglich zu sein. Es fühlt sich im eigentlichen Sinne des Wortes »unzulänglich«, also stets von der Hilfe und Präsenz anderer abhängig.

Zwei wichtige Persönlichkeitsaspekte bleiben auf der Strecke und dürfen nicht wachsen: Stolz und Selbstvertrauen. Stolz auf sich, stolz auf die eigene Leistung – Vertrauen in sich, Vertrauen auf die eigenen Ressourcen.

Diese Unzulänglichkeits-Botschaften können auch in viel Liebe und Fürsorglichkeit verpackt daherkommen. »Lass mal, Schatz, du könntest dir wehtun ...«, »Überlass das lieber mir, ich weiß ja, wie es geht ...«, »Pass auf, du bist noch zu klein ...«, »Mach das lieber nicht, das letzte Mal ging’s dir dabei schlecht...« etc.

So oder so, ob liebevoll gemeint oder beschränkend/abwertend, werden dem Kind buchstäblich seine Persönlichkeitsflügel beschnitten, die ihm eigentlich die Möglichkeiten hätten verschaffen sollen, genügend Autonomie und Selbstvertrauen zu entwickeln, damit gewisse Ziele geduldig angestrebt beziehungsweise jene auch erreicht werden können.

Diese Nicht-o.k.-Botschaften sind die Saat, auf der das alles verunsichernde Wissen um die angebliche Unzulänglichkeit und Wertlosigkeit aufgehen wird. Parallel dazu wuchert das erniedrigende Gefühl der Abhängigkeit.

Abhängig werden kann nur jemand, der inzwischen tatsächlich von sich glaubt, persönlich derart defizitär, derart »minderwertig« zu sein, dass er sich und seinen Empfindungen überhaupt nicht trauen kann und von daher auf stetige Bevormundung, sprich: Kontrolle angewiesen sein wird. Je länger diese andauert, desto mehr verwechselt er Kontrolle mit Zuneigungs- und Liebesbeweisen.

Kontrollinstanzen sind fortan gesuchte und integrierte Bestandteile im Leben eines solchen Menschen – schließlich wurde er darauf »programmiert«, sein Ich durch andere definieren und steuern zu lassen. Die Selbstbestimmung, die Regie über sein Leben hat er abgegeben beziehungsweise nie richtig übernehmen können. Er weiß ja, dass er nichts ist noch kann.

Wohl lehnt er sich ab und zu gegen seine Statistenrolle, seine Fremdbestimmtheit auf, kann aber nicht genügend Selbstkräfte und Geduldressourcen mobilisieren, um neue Wege einzuschlagen. Nach kurzem Aufbegehren bewegt er sich bald wieder in den ihm vorgegebenen Bahnen, anhaltende Autonomiebestrebungen gibt es nicht. Geduld bleibt ein Fremdwort. Mit anderen Worten: Dieser Mensch besitzt nun lebenslang eine abhängige Persönlichkeitsstruktur und damit einen suchtgefährdeten Charakter.

Wenn nun eine Mutter ihre Tochter aufgrund eigener Minderwertigkeitsgefühle nicht loslassen will, wird sie dem Mädchen besagte Persönlichkeitsflügel stutzen, um sie auf diese Art abzuwerten und von ihr abhängig zu halten. Dass sie in ihrer Selbstbezogenheit der Tochter gleichzeitig den Weg für eine schwere Sucht eröffnet, ist ihr nicht bewusst.

Mütterliche Überkontrolle und Bevormundung, die ersten Werkzeuge der Kastration, kommen auf leisen Sohlen daher und beginnen in den ersten Kinderjahren. Sie alleine weiß, wann ihr Töchterchen Hunger haben soll und wann nicht, sie besteht auf eine bestimmte »Töpfchendressur«, sie bestimmt konsequent über die Kleider und deren Farben, über die ersten Spielkameraden, sie will alles wissen und die Vertraute sein – das kleine Mädchen lernt früh einzusehen, dass Mama immer alles besser weiß und dass Mama nötigenfalls ein rachsüchtiger Kontrollfreak sein kann.

Leise, aber keinesfalls überhörbar schwebt die Botschaft im Raum: »Glaub mir – ich, deine Mutter, kenne dich, deine Gefühle und Fähigkeiten besser, als du selbst es je können wirst.« Ein defizitäres Lebensprogramm wird gestartet.

In unserer Gesellschaft dürfte ein chronisch anmutendes, massives Übergewicht für eine Frau das deutlichste Zeichen dieses programmierten »Ich-bin-nicht-o.k.« sein und damit für alle gut sichtbar die erfolgreichste aller mütterlichen Unzulänglichkeitsbotschaften bilden.

Die immer ausgeprägtere Verunstaltung, gepaart mit dem Verlust jeglicher Selbstachtung, ergibt eine derartig alles dominierende Problemhäufung, dass für andere und möglicherweise hilfreiche Lebensthemen sowieso kaum Platz bleibt. Die mit lauter Defiziten lieblos verknotete Nabelschnur zwischen Mutter und Tochter bleibt intakt – die Kastration ist vollbracht!

Ständig auf der Suche nach einer neuen Diät, nach einem bitte schnell wirkenden Wundermittel, hilflos der unbegreiflichen Essgier eines längst ungeliebten Körpers ausgeliefert, von allen Seiten wie ein Spielball mit Ratschlägen und Erwartungen bedrängt, enden mütterlich abgewertete Töchter nicht selten in der Sackgasse müder Resignation, chronischer Krankheiten, Depressionen und suizidaler Tendenzen.

Aber wehe, sollte eine Tochter sich instinktiv von einer sie ständig herabsetzenden Mutter distanzieren und eigene Wege mit anderen Bezugspersonen suchen! Denn dann könnte aus Selbstschutzgründen der Mutter die eigene Tochter sogar zur Gegnerin, zur Feindin werden.

Da die Abwertungs-, die Kastrationsversuche teilweise oder ganz fehlschlugen, erklärt ihr in solch einem Falle eine defizitäre, sich massiv infrage gestellt fühlende Mutter möglicherweise gar den Krieg. Auf diese Weise können unsägliche Familiendramen entstehen, ganz nach dem (hier mütterlichen) Motto: »Wer nicht für mich ist, ist gegen mich!« So geschehen in dem folgenden, tristen Fall von Céline.

Die böse Mutter

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