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Amor ist auf den Hund gekommen

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Freitag der 13.

In jungen Jahren war an so einem besonderen Freitag einiges in die Hose gegangen.

Eventuell hätte sich da ein leichter Aberglaube einnisten können. Wenn man aber Jahre danach, jeden Tag als einen Freitag den 13. erlebt, verliert ein solches Datum durchaus seinen Schrecken.

Was sollte heute schon noch Blöderes passieren?

Walter Klein lag sprichwörtlich am Boden, ausgezogen bis auf die weiße Feinrippunterhose, und dank der Exgattin, auch keine Aussicht auf nahe Besserung seiner momentanen Situation. Nicht ganz, vielleicht gingen sich ein paar neue Boxershorts, natürlich aus dem Billigladen aus? Seine erlesene Kollektion an Boxershorts hatte die gute Ex sehr bald zu Putzfetzen degradiert.

Am Fenster der Hausbesorgerin saß deren schwarze Katze und beobachtete sein Tun. Dahinter, verborgen hinter dem Vorhang, spionierte sicher die Katzenbesitzerin.

„Auf in den Kampf“, dachte Walter bei sich.

Nie hätte er zu diesem Zeitpunkt geglaubt, dass dieser Freitag der 13., der Auftakt zu seinem völlig neuen Leben war. Zunächst sollte sich der Weg zum Glück noch äußerst holprig, und im wahrsten Sinne des Wortes als ziemlich haarig, erweisen.

Aber dieser Freitag der 13. war ein absoluter Glückstag.

Walter Klein hievte zwei Schachteln mit Büchern aus dem Kofferraum des Taxis, gab dem freundlichen Fahrer ein fürstliches Trinkgeld und bat ihn, die leichtere Schachtel bis in den Flur zu bringen.

Der Wiener Taxler bedankte sich höflich und erklärte Walter, dass er Fahrer und kein Scherpa sei, stieg in seinen Wagen und gab Gas.

Walter sandte ihm einen nicht sonderlich frommen Wunsch hinterher, und schubste eine Schachtel mit den Füßen bis zur Eingangstür, ließ diese dort stehen, sperrte auf und hoffte, dass der rachitische Lift etwas zügiger das Erdgeschoss erreichen würde.

Im Lift drückte er die 2 und wurde nach oben geruckelt. An und für sich benutzte er den antiquierten Beförderungskäfig ja nicht mehr, nachdem vor zwei Jahren, der Aufzug sich entschlossen hatte, zwischen ersten und zweiten Stock, mit ihm als Fahrgast, mal für gute drei Stunden in Streik zu treten.

Aber die Schachtel hatte ein ordentliches Gewicht.

Er versuchte die Wohnung aufschließen, aber seine Mutter hatte wieder einmal den Schlüssel innen stecken lassen.

Walter drückte genervt, mit Hilfe seines Ellenbogens, mühsam die Klingel.

Drinnen öffnete Margarethe Klein die Tür.

Draußen riss der Pappboden und sämtliche Bücher fielen auf den Fußabstreifer mit der für Walter völlig unpassenden Aufschrift ‚my home is my castle’.

„Warum schmeißt du die Bücher vor die Tür?“, begrüßte ihn seine Mutter im bekannt leidend vorwurfsvollen Ton.

Der Sohn verkniff sich die Antwort und räumte die Bücher in sein Zimmer.

„Mama, lass die Türe offen, eine Schachtel habe ich noch unten“, bat er sie.

„Beeil dich, Berta kommt gleich zum Essen!“, rief seine Mutter aus der Küche zurück.

Walter verdrehte die Augen.

Berta war seit drei Monaten Walters Exfrau.

Heute hatte er die letzten persönlichen Reste aus der ehemals gemeinsamen Wohnung geholt.

Er durfte die Wohnung nur betreten, wenn Berta nicht da war.

Walter war in ihren Augen ein Monster. Ein Sexmonster!

Eigentlich hätte die keusche Berta es besser wissen müssen, denn in seiner Ehe war das einzig Scharfe die Bügelfalte in seinen Jeans gewesen.

Die hatte sie, trotz seiner wiederholten Einwände, immer wieder stur hinein gedampft.

Aber er hatte nie Gewalt angewendet. Weder an Berta, noch an der Bügelfalte.

Die Exgattin besuchte weiterhin regelmäßig Walters Mutter, bei der Walter nach der Scheidung notgedrungen wieder eingezogen war.

Vorübergehend, wie er innig hoffte.

Die Wohnungssuche erwies sich allerdings komplizierter als gedacht. Die Wiener Makler waren anscheinend, zumindest die, die er bis jetzt getroffen hatte, direkte Nachkommen des Grafen Dracula. Mit dem einen Unterschied, dass die sich von der Blutsaugerei zur Geldsaugerei umgeschult hatten.

Private Vermieter hatten wiederum Vorstellungen, die mit den Seinen nicht wirklich konform gingen. Nie hätte er gedacht, dass nicht nur Familien mit Kindern oder Mieter mit Haustieren an der Beliebtheitsskala ganz unten standen, sondern bei Manchen auch geschiedene Singlemänner. Da hatte er sogar mit seinem Beruf als Gymnasialprofessor nicht punkten können.

Nein, das stimmte nicht ganz.

Ein einziges Mal hätte es geklappt. Super Wohnung, super Lage, etwas überteuert, aber da zeigten sich die Wohnungseigentümer mehr als entgegenkommend, als sie von Walters beruflicher Tätigkeit erfuhren. Kein Wunder, als beim netten Gespräch vier schulpflichtige Kinder nach und nach auftauchten und deren Mutter mit sichtlicher Hoffnung auf künftige bessere Noten bereits ein freudiges Glitzern in den Augen hatte.

Aber für Walter hatte es sich da ausgeglitzert.

Grausame Erinnerungen an Nachhilfestunden, die er in seiner Studentenzeit gegeben hatte, waren ihm, trotzdem schon einige Jahre vergangen waren, noch immer im Gedächtnis geblieben.

Er lief die Treppen nochmals nach unten und bemerkte erstaunt, dass er nur mehr ein Drittel der Bücher nach oben zu schleppen hatte.

Einige Mitbürger hatten sich seiner erbarmt und sich mittlerweile aus der Schachtel bedient.

Wieder oben angekommen, verstaute Walter die letzten Habseligkeiten und warf sich auf das mit Dagobert Duckbettwäsche überzogene Bett.

Relikt aus seiner Kindheit.

Dagobert Duckbettwäsche war, jetzt abgesehen davon, dass er den Dreißiger bereits über-schritten hatte, absolut unpassend.

Berta hatte ihn bei der Scheidung abgezockt.

Sein Fauxpas hatte ihn die Wohnung, das Ersparte und das Auto gekostet.

Im Nachhinein war es müßig darüber nachzudenken, ob alle Schuld wirklich nur bei ihm zu finden war. Aber das war jetzt ohnehin egal. Er war froh dem Ehemartyrium entkommen zu sein.

Wenn er wenigstens von dem vermeintlichen Ausrutscher etwas gehabt hätte, aber selbst das hatte ihm die gute Ex vermasselt.

Seine Mutter riss die Türe zu seinem Zimmer auf und rief voller Freude: „Berta ist da, wir können essen!

Walter!“, rügte sie ihn: „warum liegst du auf dem frisch gemachten Bett?

So geht das nicht, ich kann nicht immer hinter dir her räumen! Ich bin auch nicht mehr die Jüngste!“

Margarethe Klein war dreiundsechzig Jahre alt, aber schon seit ihrem Fünfziger auf dem Greisinnentrip.

Diesen Eindruck unterstrich sie noch durch ihren wöchentlichen Besuch beim Friseur, der ihre ergrauten Haare zunächst auf weiß färben musste und dann eine altmodische Dauerwellenfrisur auf ihrem Haupt kreieren durfte.

Jede Hundertjährige hätte den Friseur gewürgt.

Aber vielleicht war es auch so der Wunsch seiner Mutter gewesen.

Walter hatte überhaupt keine Lust auf ein gemeinsames Mittagessen, aber die Konsequenzen wegen verweigerter Nahrungsaufnahme waren nerviger als das frostige Zusammensein.

Er schlich in die Küche und wollte sich an den Küchentisch setzen.

„Wasch dir die Hände!“, erklang der mütterliche Befehl.

Walter machte kehrt und schlurfte Richtung Bad.

„Heb’ die Füße beim Gehen!“, rügte die Mutter.

Er ließ im Bad das Wasser über seine Hände laufen und warf einen Blick in den Spiegel.

Groß, schlank, blond, blaue Augen. Ein Typ wie der junge Hugh Grant. Ein Frauenschwarm, wie ihm sein Freund neidlos bestätigte.

Aber irgendwas lief immer schief, sonst stünde er nicht hier und musste belämmert in Mutters Alibert glotzen.

Zurückgekehrt an den Esstisch sah Berta freundlicherweise durch ihn hindurch und ignorierte ihn völlig.

Walter war dafür äußerst dankbar, was die gute Berta allerdings nicht im Geringsten ahnte.

Sie überreichte ihrer Exschwiegermutter einen Strauß Rosen.

Die schmachteten schon welk in der Folie und Walter war sich sicher, dass seine Ex wieder einmal ein gutes Geschäft vorhatte.

Was sie sich jetzt zu Mittag einverleiben würde, plus der Speisen, die sie dann in ihrem Plastikgeschirr mit nach Hause nahm, deckte locker die Ausgaben für das offensichtliche bereits verbilligte, verblühte Grünzeug.

Margarethe Klein tischte auf.

Walter konnte sich, wie so oft, nicht des Verdachts erwehren, dass seine Mutter in sich eine nicht geringe Boshaftigkeit beheimatet hatte.

Es gab Rotkraut mit Kartoffeln und Bratwurst.

Walter hasste Rotkraut.

Mama Klein klatschte zwei gehäufte Schöpfer auf Walters Teller.

Seinen leisen Einwand tat sie resolut damit ab, indem sie ihn fragte: „Glaubst du, dass dir Gemüse schadet?“

Und gleich ging es weiter.

„Ich stehe nicht Stunden in der Küche und dann wird nichts gegessen!“

Walter war kein Koch, aber er wusste, dass gefrorenes Rotkraut auftauen und Bratwürste in die Pfanne werfen, nicht Stunden dauern kann.

Selbst die Kartoffeln aufzusetzen und dann zu schälen, konnten schwerlich einen ganzen Vormittag in Anspruch nehmen.

Und mit Tiefkühlkost und Dosenfraß kannte er sich aus, denn damit war er während seiner Ehe zur Genüge gefüttert worden.

Berta säuselte: „Danke Margarethe, du kochst immer so köstlich.“

In seine Richtung, aber wie immer ihn keines Blickes würdigend, warf sie ein verächtliches: „Ich möchte nicht wissen, wie dankbar viele Söhne wären, wenn ihre Mutter für sie kochen würde.“

„Danke, liebe Berta“, sagte gerührt die Gelobte.

Berta strich ihr liebevoll über den Arm.

Walter würgte am Rotkraut.

Berta, zu ihrer Exschwiegermutter gewandt, nuschelte, dank vollem Mund, mit sorgenvoller Stimme: „Margarethe, du trägst ja noch immer schwarz?

Ich glaube, du hast ohnehin schon länger als sechs Wochen Trauer getragen. Damit hast du mehr als deine Pflicht erfüllt. Und jetzt ist Sommer, da ist die schwarze Kleidung zu heiß! Denk an deine angeschlagene Gesundheit“, mahnte die besorgte Exschwiegertochter und steckte sich den letzten Zipfel Bratwurst in den Rachen.

Margarethe griff sich sofort ans Herz.

Walters Tante Brunhilde, die Schwester seiner Mutter, war gemeinsam mit ihrem Mann bei einem Flug über die südlichen Anden, bei Santiago de Chile tödlich verunglückt.

Es gab eine hinterlegte Verfügung, dass beide in Chile beerdigt werden wollten. Hier hatten die Beiden auch einen kleinen Zweitwohnsitz.

Margarethe war über diese Entscheidung sehr empört gewesen.

So etwas schickte sich nicht!

Irgendwo bei den Indianern begraben!

Rücksichtslos wie immer von ihrer Schwester. Wie sollte sie mit ihrem angeschlagenen Herzen je ihr Grab besuchen können?

Das Klima würde sie umbringen.

Aber Brunhilde hatte ja nie auf irgendjemanden Rücksicht genommen.

Egoistisch hatte die nur ihre Ziele und Interessen verfolgt!

Walter kannte diese Litaneien auswendig und dachte an seine Tante.

Er war sehr traurig gewesen, als er vom Ableben Brunhildes erfuhr.

Er hatte sie sehr gemocht, auch wenn er sie nur maximal zweimal im Jahr sah.

Brunhildes Mann war ein bekannter Reisejournalist gewesen und seine Frau war eine kongeniale Partnerin an seiner Seite.

Die beiden hatten keine Kinder.

Ob gewollt oder ungewollt wusste er nicht.

Vielleicht war es ihnen einfach nicht beschieden gewesen eigene Kinder zu haben. Geliebt hatten sie einander sicher sehr.

Seine Mutter vertrat eher die Ansicht, dass die Kinderlosigkeit reiner Egoismus seitens ihrer Schwester war.

Mit einem Kind hätte sie nie so viel in der Weltgeschichte herum gondeln können, wie sie es tat.

Sie, Margarethe, hatte sich für ihr Kind aufgeopfert.

Und was war der Dank dafür?

Ein vernichtender Blick beider Frauen traf Walter.

„Mein Kind hat mein Leben auf den Kopf gestellt. In meinem Alter sollte man zur Ruhe kommen und keine Sorgen haben!“

Margarethe drückte einige Krokodilstränen hervor.

„Und meine liebe Schwiegertochter hast du mir auch genommen!“

„Sie ist ja noch da“, bemerkte Walter lapidar.

Margarethe brauste auf.

„Ja, weil Berta mir Trost spendet!“

„Und weil Berta dein Essen so gut schmeckt“, konterte er.

„Ich verbiete mir deinen Zynismus!

Du und Brunhilde!

Nur auf das eigene Vergnügen aus. Von mir hast du das nicht geerbt!

Keiner kann ahnen, wie viele Opfer von einer Mutter abverlangt werden“, ging es larmoyant weiter.

Und aus dem Fundus der Entsagungstruhe kamen die wohlbekannten Geschichten.

Das Rotkraut auf Walters Teller musste wiederum aus der Trickkiste eines Magiers stammen.

Er wurde immer mehr.

Apropos Opfer.

Davon konnte er etliche Lieder, nein Arien singen.

Zum Beispiel den Fraß runter zu würgen war ein Opfer!

Das allergrößte Opfer aber war, als ihm seine Mutter Berta aufs Auge drückte und ihn damit in eine Ehehölle hinein manövrierte.

Berta entlockte Margarethe noch einige Geschichten über die verunglückte Brunhilde.

Margarethe war in ihrem Element.

Walter reichte es.

Er stand auf, kippte den Rest des Rotkohls in die kleine Biotonne und verschwand in sein Zimmer.

Es dauerte nur Sekunden und Margarethe riss die Türe auf.

„Es ist heiß! Du musst die Türe und die Fenster offenlassen, damit es durchzieht!“

Walter setzte sich brav an seinen alten Schreibtisch und wollte die Immobilienannoncen einiger Tageszeitungen durchblättern.

Seine Mutter hatte keinen Internetanschluss. Sie brauchte dieses unnütze, neumodische Zeug nicht! War auch egal, denn auch seinen Laptop hatte sich Berta gekrallt. Aber für die rasche Freiheit war ihm bei der Scheidung alles recht gewesen.

In der Küche schluckte Berta einige Pülverchen. Die brauchte sie zur Nervenberuhigung, seit der Trennung von Walter.

„Mein armes, armes Kind!“, bedauerte sie Margarethe.

Berta seufzte: „Du und ich haben es beide nicht leicht! Es wird noch dauern, bis wir beide das verkraftet haben“, jammerte Berta laut genug, damit Walter es auch hören konnte.

„Ich habe noch immer diesen fürchterlichen Anblick vor mir!“, flüsterte Berta und schlug die Hände vors Gesicht.

In Erinnerung an die entsetzlich ungustiöse Geschichte schluckte auch Margarethe sicherheitshalber ihre Herztropfen.

Walter war sich sicher, dass es nur Placebomedizin war, denn sooft wie seine Mutter die Tropfen einnahm, musste sie schon längst eine Vergiftung haben.

Oder sie hatte die Konstitution eines sibirischen Elchs.

„Tante Brunhilde“, seufzte er leise.

Sie hatte recht gehabt.

„Bub!“, hatte sie laut ausgerufen, als sie von der bevorstehenden Eheschließung erfuhr.

„Heirate ja nicht diese übriggebliebene Betschwester!

Wohlerzogenheit und beste Manieren hin oder her, aber da muss man einen Trennungsstrich ziehen!

Wenn deine Mutter sie will, dann soll sie die Alte heiraten, heute ist das kein Problem.

Kümmere dich um das Kind, aber triff nie eine Entscheidung, die dir jemand anderer einreden will.

Merk dir das, Bub!“

Brunhilde hatte immer zu ihm gehalten.

Damals, als er mit dreizehn Jahren am Silvesterabend mit einigen Freunden Kracher warf. Nicht nur im nahe gelegenen Park und am Gehsteig.

Irgendwann erspähte er das offene Klofenster der bissigen Hausbesorgerin. Er warf zwei Kracher hinein.

Blöderweise als diese gerade in Begleitung ihrer Lieblingslektüre, in Ruhe eine Sitzung am stillen Örtchen starten wollte.

Als guten Einstieg für das Neue Jahr gab es eine Anzeige bei der Polizei.

„Mit dem Bankert werden sie noch eine Freude haben, Frau Professor!“ prophezeite hämisch die Hausmeisterin.

„Der hat eine kriminelle Energie!“

Mama Klein war am Boden zerstört.

Die Schande!

Die Nachbarn!

Als Brunhilde davon erfuhr, lachte sie lauthals und riet ihrer Schwester sich nicht ins Hemd zu machen.

Sie drückte ihm ein ordentliches Taschengeld in die Hand und sagte: „Schieß der alten Hyäne noch eine Ladung ins Häusl, aber lass dich nicht erwischen!“

So ab sechszehn Jahren wurden die Mädchen immer interessanter für Walter.

Außer dem Ausrutscher mit den Krachern war Walter bis dato ein ‚Braver’.

Gymnasiast, der Vater Professor für Deutsch und Geschichte, also beste Familie. Hervorragende Manieren, daher auch von den Eltern diverser Mädchen als Partygast gerne gesehen.

Den Mädchen wiederum war die Wohlerzogenheit eher egal, ihnen gefiel der fesche, große Blonde mit den blauen Augen.

Es gab nicht nur eine Interessentin.

An einem Freitag, einem dreizehnten (!), war er zur Geburtstagsparty der begehrten Manuela eingeladen.

Seit damals war er etwas abergläubisch.

Er war in der Blüte seiner Pubertät.

Er hatte die fesche Manuela im Arm und Iggy Popp auf dem Plattenteller, der „I’m a real wild one and I like the wild fun“ grölte.

„Weg mit dem Musterknabenimage!“, schwor er sich an diesem Abend.

Außerdem wollte er die Schöne endlich küssen.

So ganz traute er sich aber noch nicht.

Wie gut, dass es Alex als Mitschüler und Freund gab.

Der hatte zwei Flaschen Bacardi eingeschmuggelt.

Walter kippte auf die Schnelle einige Bacardi Cola.

Das Zeug wirkte super.

Alles war easy, alles war roger in Kambodscha.

Manuela kicherte erwartungsvoll, als er immer mutiger wurde.

Vielleicht war es auch an der Zeit einen Schritt weiter zu gehen?

Iggy Popp und sein Song gaben den zusätzlichen Kick.

Auf seinen Wunsch ertönte nochmals das Lied vom wirklich Wilden, der den wilden Spaß mochte.

Bevor es mit Manu zur Sache gehen sollte, gab er noch rasch ein Solo auf der Luftgitarre und er röhrte mit Iggy Popp gemeinsam.

Irgendwie verlor er dann das Gleichgewicht und er knallte mit dem Hinterkopf auf die Steinfliesen.

Dann wurde es dunkel.

Als es wieder hell war, lag er mit verbundenem Kopf und ausgepumptem Magen in einem Krankenhausbett.

Das Nachspiel war nicht ohne.

Manuelas Liebe war erloschen.

Besser gesagt ersoffen.

Im Aufwaschkübel, gemeinsam mit den Bacardi Colas und dem Cheeseburger, die er vor seinem Aufprall noch von sich gegeben hatte.

Vielleicht hätte er damals doch nicht im Bad mit dem After Shave von Manuelas Vater, zwecks besseren Mundgeruchs, gurgeln sollen.

Das hatte ihm anscheinend die Eingeweide rausgefetzt.

Alex hatte er natürlich nicht verraten, er nahm den Alkoholschmuggel auf seine Kappe, was bei seinem entsetzlichen Brummschädel auch schon egal war.

Es folgte ein lebenslanges Hausverbot von Manuelas Eltern.

Die Schande!

Die Nachbarn!

Seine Mutter erlitt einen Weinkrampf, der nahtlos in einen Nervenzusammenbruch überging.

Bis zu seinem siebzehnten Lebensjahr ging es dann eher ruhig dahin.

Dann starb sein Vater.

Brunhilde kam und bot ihre Hilfe an.

Seiner Mutter gab sie den Rat: „Klammere dich jetzt nicht an den Buben!“

Aber genau das tat die dann.

Über Walter schwebte ein Damoklesschwert in Form von Herztropfen, wenn er nicht so funktionierte, wie Margarethe sich das vorstellte.

Sein hervorragendes Maturazeugnis zwei Jahre später, versöhnte seine Mutter mit ihrer Leidensgeschichte ein wenig.

Brunhilde war auch stolz auf den tüchtigen Neffen und spendierte Führerschein und erstes Auto.

Walter wusste noch immer nicht so genau, was er studieren sollte.

Archäologie hätte ihn brennend interessiert.

Brunhilde zeigte sich ob seiner Überlegung begeistert und wusste sogar für ihn einen Platz, an dem er ein Jahr an Ausgrabungen teilnehmen konnte.

Wenn ihm das zusagte, dann sollte er sein Studium beginnen.

„Das kann ich mir nicht leisten!“, schmetterte Margarethe diese Überlegung ab.

„Ich werde ihm das Jahr finanzieren“, beruhigte sie die Schwester.

Walter war außer sich vor Freude.

Allerdings nur wenige Stunden.

Am Abend holte ein Krankenwagen seine Mutter. Das Herz!

Zwar fanden die Ärzte absolut nichts Besorgniserregendes, aber für Walter war es dann trotzdem vorbei mit der Archäologie.

Im beginnenden Wintersemester belegte Walter an der Universität die Fächer Deutsch und Geschichte für Lehramt.

Margarethe war so glücklich.

Die Familientradition war so fortgesetzt.

Professor für Deutsch und Geschichte an einem Gymnasium, so wie ihr Mann, dessen Vater und wie ihr Vater und Großvater.

Ihr Sohn sollte aber noch einen drauf setzen und an der Uni unterrichten.

Das war ihr Ziel!

Walter radelte das Studium mehr oder weniger lustlos herunter.

Es gab natürlich auch Treffen mit Studienkolleginnen.

Entweder schaffte es seine Mutter, seine Bekanntschaften so schnell wie möglich zu vergraulen oder es waren ohnehin nicht besonders tiefgehende Begegnungen.

Irgendwie war damals alles grau in grau.

Dann kam endlich Farbe in sein Leben.

Sofia!

Lange schwarze Haare, Traumfigur, bildhübsch und völlig ausgeflippt.

Damals wechselte sie zum fünften Mal das Studium, hatte gerade Indogermanistik inskribiert und war Walter in der Mensa über den Weg gelaufen.

Bei ihm war es Liebe auf den ersten Blick gewesen.

Ihr exotisches Flair hatte ihn sofort in ihren Bann gezogen.

Hier in Wien, fernab der elterlichen Obhut lebte sie sich allerdings erst einmal so richtig aus.

Sofias Vater war ein Fan der Loren gewesen, daher der Name Sofia.

Zu der gesamten Erscheinung passte allerdings der Background nicht so ganz.

Sofia Hinterhauser, Bäckermeistertochter aus dem kleinen idyllischen niederösterreichischen Örtchen Unterstinkenbrunn.

Alles im Leben hat eben zwei Seiten.

Sofia hatte ihre besonders ausgeprägt.

Einmal liebes, unschuldiges Mädchen aus der Provinz.

Dann wieder femme fatale der Großstadt.

Mit der Provinzversion kam Walter perfekt zurecht.

Die Großstadtvariante machte ihm mitunter schwer zu schaffen.

Sofia feierte gerne und tanzte dann auch auf den Tischen.

Sie kippte gerne ein Gläschen oder mehr.

Wenn sie in Fahrt war, dann eher mehr.

Ihren Modestil änderte sie mindestens zweimal am Tag, ebenso die Länge ihrer Röcke.

Ihr Make-up machte sie zu einer Mischung aus Punkerin und Bordsteinschwalbe.

Aber er war verrückt nach ihr.

Sie war eben auch nicht nur in Sachen Mode äußerst experimentierfreudig.

Seine Mutter hatte Sofia noch nicht zu Gesicht bekommen.

Das vermied er tunlichst.

Margarethe witterte allerdings schon bald eine unbekannte Gefahr und hatte ihre Antennen ausgefahren.

Immerhin blieb Walter auch über Nacht weg.

Brunhilde hatte er Sofia, als die wieder ihren Wienbesuch abstattete, vorgestellt.

Der gefiel die junge Wilde.

Die Tante meinte: „Die ist ein liebes Mädchen, die ist noch jung, die wird schon ruhiger. Lass die Kleine noch ein wenig austoben.“

Wieder war es ein Freitag, der dreizehnte!

Sofias Boiler im Bad musste ausgetauscht werden. Sofia wollte aber duschen.

„Ich dusche bei dir“, verkündete sie ihm.

Sollte kein allzu großes Problem werden.

Seine Mutter war mit ihrer Schwester auf dem Weg zu einer Cousine. Seinen Berechnungen nach konnten sie nicht vor dem frühen Abend zurück sein.

Aber Margarethe hatte ihre Herztropfen vergessen.

Gerade als sich Sofia, frisch geduscht, aber noch perfekt bordsteinschwalbenmässig geschminkt, nur mit einem Handtuch umwickelt, auf Walters Schoss setzte, kamen Mutter und Tante zurück.

Sofia kannte Brunhilde ja schon und streckte der unbekümmert, so wie Gott sie schuf, die Hand entgegen: „Hallo Bruni“, sagte sie erfreut und wandte sich dann Walters Mutter zu.

„Und sie sind Walters…“ Weiter kam sie nicht.

Margarethe kreischte wie von hunderten Taranteln gestochen und rang japsend nach Luft.

„Raus, raus!“, schrie sie mit hoher hysterischer Stimme.

Mit der scheinbar allerletzten Kraft schleppte sie sich noch ins Bad, packte Sofias Sachen und warf diese in den Stiegenaufgang.

Dann sackte sie in der Diele zu Boden.

Sofia stand noch immer starr und halbnackt im Wohnzimmer.

Brunhilde herrschte ihre Schwester an: „Reiß dich zusammen, du Cholerikerin, was ist denn schon passiert, dass du dich so aufführst!“

„Hol die Sachen der Kleinen, geht essen, ich kümmere mich schon um diese Komikerin“, forderte sie ihren Neffen auf.

Margarethe richtete sich auf und krächzte: „Waaalteeer“, dann schlossen sich ihre Augen und sie blieb regungslos liegen.

„Das ist nur Bluff! Los, sorge dich lieber um die Kleine, mach dir keinen Kopf, ich kenne mich mit meiner Schwester aus!“

Walter saß zwischen den Stühlen.

Aber es siegte seine Mutter, hinter der, so wie es für ihn aussah, der Sensenmann bereits hoffnungsvoll stand.

Der Sensenmann, ebenso wie der herbei gerufene Notarzt marschierten ohne Margarethe ab.

Den Weg ohne Wiederkehr hatte aber Sofia angetreten.

Brunhilde hatte ihre Kleider eingesammelt und dem Mädchen zugeredet, dieses Happening nicht allzu ernst zu nehmen.

,Aber Sofia konnte ihm nicht verzeihen, dass er sich um sie überhaupt nicht gekümmert hatte.

Sofia wollte einen echten Mann und kein Muttersöhnchen.

Aus, vorbei, Ende im Gelände!

Walter konnte machen was er wollte, es gab kein Zurück.

Der erste so richtige Liebeskummer war es für ihn gewesen.

Brunhilde war damals außer sich vor Wut gewesen.

Die Schwestern mieden daraufhin längere Zeit eine familiäre Zusammenkunft.

Walter und Tante hielten den Kontakt per Brief aufrecht.

Postlagernd.

Sicherheitshalber.

Brunhilde kam erst Jahre später zu seiner Vermählung wieder.

Nach der Trennung von Sofia und absolviertem Studium hatte er eine Anstellung an einem Gymnasium in seinem Bezirk angenommen.

Tristesse war wieder in sein Leben gezogen.

Die Schüler waren an manchen Tagen besonders verhaltenskreativ, nicht nur in ihrem Benehmen, auch in ihren schriftlichen Ergüssen.

Er überlegte oft, ob sie ihn nur ärgern wollten, oder ob diese Mistkröten tatsächlich nicht mehr auf dem Kasten hatten.

Die Korrektur der Hausaufgaben gab ihm so manches Rätsel auf.

Ein Aufsatz über Märtyrer war die Aufgabe.

Einer schrieb über Mehrtürer, abgeschrieben aus Autowerbungen.

Oder wie einmal zu lesen war, dass der Pfarrer die heiligen Hostessen austeilte.

Oder eine ungustiöse Variante, als das Fleisch auf dem Feuer brunzelte.

Da fehlte dann nur mehr, sich am Abend gemeinsam mit seiner Mutter auf der Couch im TV „Die Förstertochter und der einäugige Wilderer“, reinzuziehen.

Walter deutete sanft die Überlegung an, sich endlich ein eigenes Domizil zu beschaffen.

Margarethe ahnte Böses.

Sicher stand ihm der Sinn danach, ungestört mit irgendwelchen Schlampen nackt zu duschen.

Natürlich war er in dem Alter, wo man nach einer passenden Frau Ausschau halten sollte.

Und Margarethe wollte ja auch Enkelkinder.

Wie gerne würde sie sich auch für diese aufopfern.

Walter hatte in ihren Augen keinen guten Geschmack was Frauen betraf.

Aber Margarethe war fündig geworden.

Sie hatte in ihrer Pfarrgemeinde eine junge Lehrerin kennengelernt.

Amor ist auf den Hund gekommen

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