Читать книгу Das zweite Gefühl - Christian Manhart - Страница 3

Lucy

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Als ich Lucy kennen lernte, hatte ich keine Freundin. Vor allem keine feste Beziehung, wie man so sagt. Oder Partnerin, Lebensgefährtin, wie auch immer. Ich war richtig solo. Ein Single. Nicht dass ich immer solo gewesen wäre. Nein, nein, ich hatte schon immer mal Freundinnen. Sogar für längere Zeiträume. Aber es ging immer so eine Zeitlang und dann nutzte sich das irgendwie ab. So richtig Schluss mit Krach und Trara habe ich nie gemacht. Und die Mädels auch nicht. Bei mir war das immer so schleichend. Man hat sich halt immer weniger oft getroffen. Zuerst hatte ich keine Zeit, dann sie nicht und so weiter. Plötzlich merkte man, dass man sich schon ein paar Wochen lang nicht gesehen oder gehört hatte. Dann war`s auch schon egal. Weil der andere ist einem ja gar nicht abgegangen. Es hatte nichts gefehlt.

Na ja, so geht man eben durchs Leben.

Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Also mein Name ist Melli. Ja, natürlich nicht richtig Melli. Ich heiße Wilhelm Memmel. Ein richtig blöder Name, stimmt doch oder? Also mir hat er nie gefallen. Weder Wilhelm noch Memmel. Aber was soll man machen. Ich habe auch noch einen Bruder. Der heißt tatsächlich Markus Memmel. Und wie haben wir ihn genannt? Mäcki. Unglaublich oder? Mäcki und Melli. Wie Dick und Doof. Max und Moritz. Tim und Struppi.

Furchtbar, wenn ich da zurückdenke. Was sich Eltern oft dabei denken, wenn sie die Namen für ihre Kinder aussuchen? Inzwischen gibt es ja richtig groteske Namenkreationen. Vor allem die Promis sind da vorne mit dabei. Aber ich glaube, da engagieren viele der Einfachheit halber eine Werbeagentur.

Na, egal mit der Zeit gewöhnt man sich halt an diese Spitznamen. Deshalb für alle: Melli. Das passt schon.

Ich war zu dieser Zeit als ich Lucy kennenlernte ungefähr 32 Jahre alt. Mein Gott, wie habe ich ausgesehen? Ich hatte ziemlich dunkle braune Haare.

K e i n e Glatze. Nicht die Spur von Geheimratsecken oder eines Hubschrauberlandeplatzes. Ich besitze sogar sehr dichtes volles Haar. Sie sind allerdings null gewellt. Glatt wie Makkaroni oder Spagetti. Also ich trug sie immer sehr kurz, weil ich der Meinung war, es sieht blöd aus, wenn glatte Haare lang sind. Mir gefiel es so kurz. Ich fand das sieht männlicher aus. Genauso gefällt es mir an Frauen, die ihr Haar lang tragen. Bubikopf und solche Frisuren haben mich nie besonders angemacht. Ich bin ungefähr einsachtzig groß und man kann sagen, schlank und muskulös. Kein Bierbauch oder schlabbernde Arschbacken. Graublaue Augen und eine gerade Nase. Meine Haut ist nicht weiß und rötlich sondern... gelbbraun? Nein, hautfarben, einfach hautfarben. Da wär`s erstmal.

Von Beruf bin ich gelernter Bankkaufmann. Das war mir dann allerdings zu öde. Ich habe mir dann die Mühe gemacht und in der kleinen Universitätsstadt Siegen vier Jahre lang BWL studiert. Dann war ich bei einer großen Firma und machte Controlling. Bei genauem Hinsehen natürlich auch endlos öde.

Obwohl, mir macht die Arbeit mit Zahlen Spaß. Mich beruhigt die Zahlenwelt. Mathematik hatte mich schon immer fasziniert. Schon in der Schule tat ich mich leicht in diesem Fach. Ich finde es genial.

Ich verdiente übrigens nicht mal schlecht. Für meine Bedürfnisse hatte es allemal gelangt.

Ach ja, ich lebte in München, wegen der Firma. Meine Eltern stammen aus Westfalen. Ich bin auch Westfale. Aufgewachsen in dem öden Kaff Lützeln. Kennt kein Mensch, ich weiß. Zu meinen Eltern hatte ich immer losen Kontakt gehalten. Also telefonisch. Im Urlaub und natürlich zu Weihnachten besuchte ich sie logischerweise regelmäßig.

Mein Bruder ist knapp 2 Jahre älter als ich. Er war schon länger verheiratet und hat eine Tochter. Er lebte und arbeitete in Hamburg. Er ist mir schon immer etwas voraus gewesen. Er hat auch Abitur und ich nicht. Mäcki hatte Jura studiert und macht jetzt einen auf Anwalt in einer großen Sozietät. Mäcki ist so einer, der mit seinem Spitznamen nicht mehr zu Recht kommt. Mäcki darf ihn heute nur noch ich nennen. Aber auch nur wenn niemand zuhört. Sonst wird er stinksauer. Ich kann das schon verstehen, alle sagen heute gehen wir noch zum Mäcki? Tja, die meinen aber was anderes, klar oder?

Und so entwickelte man sich halt auseinander. Aber sonst haben wir ein sehr gutes Verhältnis. Seine Frau und meine Nichte kenne ich allerdings kaum. Sein Gattin kommt aus reichem Haus und kümmert sich beruflich um das Familienunternehmen. Die Familie hat sich, das ist aber meine private Meinung, ihr Vermögen zusammen ergaunert. Systematisch die Leute bescheißen und dabei immer reicher werden. Die haben mit Immobilien und Firmen angefangen und jetzt haben sie alles in Holdings und Briefkastenfirmen versteckt. Die bräuchten gar nicht arbeiten. Aber solche Menschen halten sich für das Größte und bekommen nie genug. Ach egal, was geht mich das an.

Für die bin ich womöglich ein ungebildeter erfolgloser Depp. Ich möchte gar nicht wissen was die über Hartz IV Empfänger denken.

Trotzdem ich nicht dieses Niveau meiner Schwägerin erreicht habe, verdiente ich nicht schlecht da in meiner Firma. Ich konnte mir schon was leisten. Außerdem habe ich von Geld und Finanzen ein wenig Ahnung. Deshalb wohnte ich in einer Zweizimmer Neubauwohnung. In München wurde in den letzten Jahren viel gebaut. Meine Firma residierte in München-Unterföhring. Und genau da, hatte ich mir eine schmucke Eigentumswohnung gekauft. Ich bin doch nicht blöd und zahle in dieser überteuerten Stadt auch noch Miete.

O.K. Ein Kraftwerk ist in Sichtweite. Aber das störte mich nicht besonders. Die Kraftwerke sind besonders in München sehr sauber.

Ein Auto hatte ich noch. Standesgemäß. Ein bayerisches Auto. Zuerst habe ich den 3erBMW geleast und dann zum Restwert gekauft. Ein geiles Fahrzeug so ein BMW. Kein Vergleich zu irgend so einem popeligen Opel oder einem Allerweltsgolf. Ich war schon richtig eingebayert. Nur mit der Sprache haperte es natürlich. Das Bayerische kann man meiner Meinung nach nicht lernen. Verstanden hatte ich nach einiger Zeit so ziemlich alles. Aber dieser lässige Umgang mit den Vokalen, das würde mir nie gelingen. Sollte ich noch erwähnen, auch noch FCB Fan zu sein? Nicht nötig, ich weiß.

So das ist jetzt vorerst alles was sie wissen müssen. Vielleicht fällt mir im Verlauf des Schreibens noch etwas Wichtiges ein, das ich jetzt vergessen habe. Aber ich glaube das genügt zur Info wer ich bin.

Also nun zu meiner Eroberung Lucy:

Zu meinen Gepflogenheiten gehörte es, zwei bis dreimal die Woche in eine Kneipe zu gehen. Sie befand sich in Haidhausen, in der Nähe des Max-Weber-Platzes. Für mich äußerst bequem mit der U-Bahn zu erreichen. Der größte Mist für mich als Kneipengänger, waren die sich rasch auf das ganze innere Stadtgebiet ausgebreiteten Parklizenzgebiete. Mit dem Auto direkt hinzufahren war schier unmöglich ohne sich ein Ticket einzufangen. Meistens stellte ich mein Auto in der Nähe einer U-Bahnstation ab oder ich machte einen auf Risiko.

Wie gesagt, in der ‚Bar Topotronic’ so hieß der Laden, war unser Treffpunkt. Hier hatte man sich lose mit Kumpels und Freunden getroffen. Es waren auch immer Mädchen dabei. Nur war bei denen keine Passende für mich dabei. Hässlich oder vergeben. Aber wie gesagt, ich war solo zu dieser Zeit.

Ich war nicht immer solo. Ich hatte schon genügend Erfahrungen mit Mädchen. Zwei längere Beziehungen waren auch dabei.

Einmal endlose fünf Jahre lang und das zweite Mal auch immerhin etwa drei Jahre. Aber ich bin so nicht der Typ fürs Heiraten und Kinderkriegen. Wenn es mir zu eng und eingefahren wurde, ergriff ich immer die Flucht. Unbewusst. Also nicht mit bewusster Absicht. Ich weiß nicht warum, aber ich fing dann zu streiten an. So lange bis wir uns einig waren, dass es besser ist, man trennt sich. Ich kann schon ziemlich ekelhaft werden, glaube ich. Zumindest hat mir das Anni, das war die letzte, die mit der Dreijahresbeziehung, an den Kopf geworfen.

Jetzt war ich schon fast ein halbes Jahr ohne Beziehung. Natürlich auch ohne Sex. Es hatte sich nicht mehr ergeben. Komisch, aber umso älter ich wurde, umso weniger verspürte ich Lust dazu Mädels aufreißen. Ich bin auch kein richtiger Womenizer. Nicht dass ich schlecht aussehe, aber um den Hals fallen tun mir die Weiber auch nicht gerade. Da musste ich schon dafür ackern. Und auf diese Tour hatte ich seit geraumer Zeit eben keine Lust mehr. Das Anbaggern und bist du dann irgendwann merkst, Mist, die hat schon einen. Oder du bist nicht ihr Typ. Ja woher soll ich denn das alles wissen, dass ich nicht ihr Typ bin? Ich bin ja kein Hellseher. Das Resultat aus der Misere: Kein Sex. Nur Handbetrieb.

Nun, an dem bewussten Abend traf ich auf Lucy. Eine unscheinbare, aber hübsche junge Frau. Mit einem superhübschen Lächeln. Lucy hatte mir auf den ersten Blick gefallen. Nicht so wie bei allen hübschen Frauen. Nein, da war das gewisse Etwas. Genau das Unbeschreibliche was man sucht. Wie sie lächelte! Ein Typ von Mädchen der mich ungeheuer ansprach. Nicht so ein Käse von Liebe auf den ersten Blick. Aber man sieht jemand und wie er sich bewegt lächelt, spricht oder ein Merkmal besitzt, das löst eine Reaktion in dir aus. Man möchte sie näher kennen lernen. Man möchte sich vergewissern dass ist S i e.

Lucy war so eine Begegnung. Die hat man nicht alle Tage.

Ich konnte mir den Kopf darüber zerbrechen aber ich weiß nicht mehr genau mit wem Lucy in dem Lokal war. War sie alleine oder mit Freundinnen oder mit einer Clique in dem Lokal. Keine Ahnung.

Später hatte ich zwischenzeitlich den Verdacht, Lucy wurde auf mich angesetzt. Wie ein Blutegel. Nein, das mein ich nicht so. Das ist gemein. Das hatte sie wirklich nicht verdient. Aber woher kam sie so plötzlich? Meine Kumpels und ich waren schon seit Jahren Gäste in dieser Kneipe. Lucy hatte ich vorher noch nie darin gesehen. Und warum war alles so merkwürdig mit Lucy. Zuerst hatte ich doch glatt geglaubt, ich habe sie endlich gefunden, meine Traumfrau. Ein Trugschluss wie sich noch herausstellen sollte. Ich war gar nicht auf der Suche nach meiner Traumfrau. Ich war auch so glücklich. Meine Arbeit und meine Freunde und Bekanntschaften füllten mich vollends aus. Ich brauchte keine Partnerin. Zumindest hatte ich nicht das Bedürfnis nach einer festen Beziehung. Denn Beziehungen bedeuteten immer Stress und Ärger. Da hatte ich schon einiges an Erfahrungen gesammelt in meinem Leben. Den möchte ich sehen der keine Probleme mit seiner Partnerin hat. Also mein Bedarf an festen Beziehungen war nach der letzten gescheiterten absolut gedeckt.

Nun aber lief mir Lucy über den Weg. Ich weiß bis heute nicht was so Besonderes an ihr war. Das unscheinbare, das nicht plakativ zur Schau getragene, das war das Besondere. Das weiß ich heute. Das ist wie mit den Superblondinen. Die fallen natürlich optisch extrem auf. Alleine die großartigen blonden Haare, ob glatt und lang oder sonst irgendwie auffällig hinfrisiert, das lockt uns Männer an. Kein Zweifel. Auch wenn unter diesen wunderbaren blonden Haaren ein total blöde Kuh zu Hause ist. Das gleiche gilt übrigens für die, die sich Klamottenmäßig herrichten als würden sie allabendlich an einem Wettbewerb a`la Nuttenkontest teilnehmen müssen.

Nun Lucy war da so normal wie man es gar nicht beschreiben kann. Nicht blond und nicht aufgebrezelt. So eine, deren Qualitäten man schlichtweg erst ergründen und entdecken muss. Ein Glücksfall wenn man so eine entdeckt. Ein Glücksfall für mich.

Also nun, vorher war sie mir eben nicht aufgefallen. Bewusst nicht. Obwohl ich an dem Abend vielleicht zwei bis dreimal aufs Klo ging und jedes Mal an ihrem Tisch vorbei musste. Wer da noch alles mit ihr an dem Tisch saß? Ich weiß es beim besten Willen nicht mehr. Ist auch nicht wirklich wichtig.

In jedem Fall kam ich gerade vom Klo und wie es der Zufall will – sie stand auf und war genau vor mir. Wir sahen uns an. Mich durchströmte eine Welle der Neugierde und nicht beschreibbarer Zuneigung. Sie gefiel mir auf Anhieb.

Trotz meines, zugegebenermaßen erhöhten Alkoholpegels. Nachdem wir uns beide irgendeine Zeit lang angesehen hatten, lächelte sie dieses Lächeln. Dann sagte sie auch noch etwas:

„Hallo.“

Und ich:

„Hallo“

Sie zurrte ihre Handtasche fester, drehte sich etwas zur Seite und schlüpfte an mir vorbei zu den Toiletten. Ich war hin und weg. Ich starrte ihr nach. Am liebsten wäre ich da stehen geblieben und hätte auf sie gewartet. Aber ich stand im Weg und versperrte den Zugang zu den Toiletten. Ich machte mich wieder auf den Weg zurück zu unserem Tisch. Wie die mich angesehen hatte. Toll. An unserem Tisch redeten alle wirr durcheinander. Ich konnte keinem Gespräch mehr folgen. Meine Gedanken waren nur bei diesem Mädchen. Ich musste sie kennen lernen. Komischerweise vermisste auch keiner meine Kommentare. Auch gut. Ich schielte zu dem Tisch vor den Toiletten. Aber von meinem Platz aus konnte ich den Tisch nicht einsehen.

Jemand stupste mich an und ich plapperte ein paar Minuten mit. Aber ich fühlte mich nur abgelenkt. Ständig versuchte ich den Tisch weiter hinten zu beobachten. Dann hielt ich es nicht mehr aus und stand auf. Ich hatte mir vorgenommen an ihren Tisch zu gehen und sie einfach anzusprechen. Frechheit siegt.

Aber man glaubt es kaum. An dem Tisch standen nur noch leere Gläser. Das durfte doch nicht wahr sein. Ich fragte die Bedienung. Klar, erwiderte sie mir, die sind gerade gegangen. So ein Pech aber auch.

Ich kannte sie nicht mal und trotzdem wollte sie mir nicht aus dem Kopf gehen.

So schnell es ging, schlängelte ich mich durch die überall im Lokal umherstehenden Gäste nach draußen. Kein Mensch weit und breit.

Frustriert ging ich zurück, zahlte und ging heim. Auf dem Nachhauseweg spähte ich umher wie ein Privatdetektiv. Nichts zu machen. Sie war weg. Spurlos verschwunden. Vom sprichwörtlichen Erdboden verschluckt.

Von da an ging ich jeden Abend in diese Kneipe. Zuerst versuchte ich noch alle möglichen Leute zu überreden, mitzukommen. Aber es blieb nicht aus, dass ich nach drei Tagen alleine in der Wirtschaft saß.

Alleine in einer Kneipe, das ist nichts für mich. Ich bin nicht der Typ von Mensch, der sich da allabendlich an seinem Bierglas festhält. Ich brauche Unterhaltung. Einen Grund mich da rein zu setzen. Ich hatte zwar einen Grund, aber keine Unterhaltung.

Es gibt ja genügend Leute, die hocken sich an die Bar und sülzen den Barmenschen auf der anderen Seite mit irgendeinem Kram die Ohren voll. Da ich nichts mit mir anzufangen wusste, als dauernd zum Eingang zu schielen, probierte ich diese Variante der Unterhaltung kurzerhand auch einmal aus.

Ich beobachtete den Typen hinter dem Tresen, wie er sich mit seinen Gläsern beschäftigte. Der hatte keine Sekunde lang nichts zu tun. Obwohl das Lokal für meine Begriffe fast leer war, begann der Kerl pausenlos Bier einzuschenken. Dann mixte er auch noch allerlei Getränke zusammen. Ununterbrochen schob er dabei die Kühlschubladen auf und zu. Dazwischen beschäftigte er sich ausgiebig damit Gläser zu waschen, Limonen zu schneiden und lauter solche unnötigen Tätigkeiten. Der arbeitete dermaßen emsig. Wie eine Waldameise. Ich wurde das Gefühl nicht los, der wusste, dass ich nur darauf wartete ihn in ein blödes, uninteressantes Gespräch zu verwickeln.

Also wenn man so dasitzt und niemanden hat, mit dem man reden kann, also ich komme mir dabei wie ein Idiot vor. Außerdem hatte ich mein Weißbier in Null Komma nix hinuntergeschüttet. Erstaunlich, kaum hatte ich den letzten Schluck getan und wollte gerade das Glas absetzen, baute sich der Bartyp schon vor mir auf.

„Noch eins?“

Da hatten wir es, der wollte alles, nur nicht mit einem einsamen Trottel palavern. Ich sagte deshalb nichts und nickte nur. Das zweite Weißbier hatte er schon heimlich vorbereitet, die linke Sau. Ich musste mich zusammenreißen um nicht gnadenlos abzustürzen. Es würde mir gar nichts nützen, wenn dieses Mädchen hier ahnungslos hereinspaziert sollte und es wird von einem besoffenen Melli angelallt werden.

So begrenzte ich meinen Konsum von alkoholischen Getränken eisern auf zwei Weißbiere und stieg dann auf Mineralwasser um.

Gott sei Dank, zwei Tage später hatte ich Glück. Meine Ausdauer hatte sich doch gelohnt. Juhu. Lucy kam in Begleitung von zwei anderen genauso unscheinbaren Frauen ins Lokal. Dank meiner Strategie den Bierkonsum drastisch zu begrenzen und die Trinkdauer zu verlängern, war ich erst bei meinem ersten Bier.

Sie hatte mich mit keinem Blick, keiner noch so kleinen Aufmerksamkeit gewürdigt. Ich kann mir vorstellen, dass ich sie angegrinst habe wie ein minderbemittelter Depp.

Die drei platzierten sich wieder an denselben Tisch wie das erste Mal, als ich sie kennen gelernt hatte. Kennen gelernt war ganz leicht übertrieben. Aber immerhin hatte sie „Hallo“ zu mir gesagt.

Jetzt war der Tag der Tage. Wie sollte ich es am besten anstellen? Hingehen mit meinem Weißbier in der Hand:

„Hallo, Mädels ich bin der Melli, ich setz mich mal zu euch.“

Oder irgendeine andere saublöde Anmache. Tausend Varianten gingen mir durch den Kopf. Ich hatte die letzten Tage an tausend Dinge gedacht, aber wie ich sie ansprechen sollte. Aber jetzt wo es darauf ankam war alles weg. Das habe ich wohl unbewusst verdrängt. Weil ich weiß, wie viel man da verkehrt machen kann. Aber es nützte alles nichts, ich musste es einfach tun, auch auf die Gefahr hin mich lächerlich zu machen.

Ich spürte wie mir das Glas aus der Hand gezogen wurde. Der Barkeeper grinste mich wie inzwischen üblich, recht saublöd an und drückte mir ein frisches Weißbier in die leere Hand. Mein Gott, vor lauter grübeln um die beste Anmachmethode hatte ich das erste Bier schon weggegluckert.

Plötzlich saßen die beiden Begleiterinnen von Lucy alleine da. Mein Auftritt!

Ich verließ meinen Platz und positionierte mich in dem Gang zu den Toiletten. Und dann kam sie auch schon. Ich stellte mich ihr in den Weg.

„Hallo.“ sagte sie ohne mich richtig anzusehen.

„Ah, Hallo, so ein Zufall.“

Dann wandte sie sich in meine Richtung und sah mich irritiert an.

„Na, letzte Woche, da sind wir uns auch in dem Gang hier begegnet. Nur umkehrt, da kam ich gerade von den Toiletten.“

„Ja und?“

„Äh, nun also, wie soll ich sagen, äh… ich bin aber nicht zufällig hier. Ich würde dich sehr gerne Kennen lernen.“

So jetzt war es raus. Noch nie. Oder zumindest glaube ich fest daran, dass es mir noch nicht passiert ist, hat mich eine Frau so von oben bis unten taxiert wie Lucy. Dann zurrte sie wieder ihre Handtasche fest.

Ich zuckte mit den Schultern und versuchte so freundlich und einladend zu lächeln wie es nur ging. Vermutlich habe ich selten blöd dabei ausgesehen.

„Muss ja nicht jetzt sein. Ich … äh. Ich…“

Mir fiel ums Verrecken nichts mehr ein. Ich spürte wie mein Gesicht heiß und meine Ohren vermutlich glutrot wurden.

Sie wirkte entspannter. Ich meinte einen Anflug von Lächeln bei ihr zu entdecken.

„Wie heißt du denn?“

„Ah, ich… äh…Melli.“

„Lucy.“

Jetzt erst lächelte sie dieses einzigartige, dieses so wunderbare Lächeln, das mir so gefiel. Unfassbar. Eine Welle der Liebe durchlief mich. Kitschig ich weiß, aber ich empfand es so.

„Heute ist denkbar schlecht, ich bin mit Freundinnen da.“

„Aber, morgen, vielleicht hast du morgen Zeit? Was hältst du davon?“

Sie musterte mich noch mal mit strengem Blick. Ihr Lächeln war darauf hin nicht mehr so strahlend wie zuerst, aber ihr Gesichtsausdruck signalisierte Zustimmung. Langsam und gedehnt sagte sie dann:

„O.K. Gleiche Stelle, gleiche Uhrzeit?“

„Klar, ich freu mich schon, Lucy“

„Bis morgen, Melli.“

Sie hielt mir ihre schmale Hand hin. Vorsichtig ergriff ich sie und drückte sie sanft. Am liebsten hätte ich sie nicht mehr losgelassen. Es fühlte sich so sagenhaft gut an. Aber während ich mich noch mit diesen Gedanken beschäftigte, hatte sie ihre Hand schon zurückgezogen und sich mit diesem bezaubernden Lächeln abgewandt.

Ich konnte mein Glück gar nicht fassen. Wir hatten uns schon für den nächsten Tag verabredet. Das ging ja schnell. Ich konnte es kaum erwarten. Am liebsten hätte ich mir Urlaub genommen. Aber was hätte ich den ganzen Tag über getan? Gewartet und gewartet. Also doch in die Arbeit. Es vergeht einfach die Zeit schneller wenn man etwas zu tun hat.

Ich war, soweit ich mich erinnern kann, schon eine Stunde vor unserer ausgemachten Uhrzeit beim Lokal.

Aber der Abend verlief langweiliger als ich mir das vorgestellt hatte. Das ist ja oft so, dass man vor lauter Erwartungen und Vorfreude gar nicht so richtig in die Gänge kommt. So war es auch bei mir und Lucy.

Wir begrüßten uns wieder mit Handschlag. Ihre Hand war so schön feingliedrig, zierlich und klein. Sie hatte lange schmale Finger und ihre Nägel waren sauber manikürt und nicht lackiert.

Das war mir gestern schon aufgefallen. Sie zog jedoch die Hand gleich wieder zurück. Wir setzten uns an einen freien Tisch und sahen uns erstmal nur an. Keiner von uns beiden wusste, mit was für einem Thema er anfangen sollte. Die Bedienung brachte uns unsere Getränke und ich nutzte die Gelegenheit um ihr zuzuprosten. Und so kam ein recht zähes Gespräch in Gang. Sie lächelte die ganze Zeit über dieses bezaubernde Lächeln. Aber sie gab nicht viel von sich Preis. Also redete ich wie ein Wasserfall. Sie hörte mir aufreizend lächelnd zu.

Also rückblickend muss ich mich wie ein Volltrottel verhalten haben. Ich habe die arme Lucy vor lauter Nervosität voll geschwafelt bis zu geht nicht mehr.

Aber allem Anschein nach genoss sie meine Anwesenheit und mein ununterbrochenes Gerede. Klar, sie konnte sie mir ja kaum etwas von sich erzählen. Ich ließ sie doch kaum zu Wort kommen.

So verging der Abend und sie begann irgendwann mal öfter auf die Uhr zu gucken. Mit ernstem Blick schüttelte sie den Kopf hin und her.

„Schade, Melli, jetzt muss ich aber gehen. Sonst komm ich morgen früh nicht raus.“

„Haha, du hast Recht. Aber es war echt toll. Darf ich dich nach Hause bringen?“

„Wenn es dir nicht zu weit ist?“

„Keinesfalls. Wo wohnst du denn?“

Sie lächelte wieder.

„Keine Angst, soo weit ist es gar nicht.“

Gut, dass ich mich mit dem Trinken zurückgehalten hatte. Aber in weiser Voraussicht des kommenden Abends war ich mit dem Auto hergefahren. Allzeit bereit ist meine Devise. Obwohl ich nicht vorhatte meine Traumfrau gleich am ersten Abend aufs Kreuz zu legen. So sehr ich natürlich solche edlen Wünsche ständig in mir trage…aber für die echte, die reine wahre Liebe muss man sich einfach Zeit lassen.

Da fällt mir ein, ich hatte mal gelesen, dass die Erwartungshaltung und das hinauszögern des Aktes die allergrößte Erfüllung sein soll. Es soll Paare geben, die Ficken bis zum Umfallen, aber bevor der Mann Anstalten macht einen Orgasmus zu bekommen, hören sie auf und lesen Zeitung oder schauen fern. Das ist für mich schon auch eine Art der Perversion. In irgendeiner Zeitschrift die ich mal in den Fingern hatte, beschrieb so ein Mann in einem Leserbrief so ein schändliches Tun und wollte wissen, ob so eine bescheuerte Praxis schädlich sei. Hör mal! Der hatte jahrelang keine Dings da. Na, eine Ejakulation. Das ist doch krank oder? Wie kann man sich mit so einer Frau einlassen? Also wenn Lucy so etwas verlangen sollte…also da würde glaub ich, auch ihr Lächeln nichts mehr nützen.

Inzwischen waren wir am Auto angelangt und eingestiegen.

„Lucy, wo darf ich dich hinbringen?“

„Sag mal…“

Sie beugte sich zu mir herüber. Ihr Gesicht näherte sich dem meinem. Meine Brust wurde mir zu eng.

„…du hast mich da vor dem Klo abgepasst. Stimmt doch, oder?“

„Äh, ja, äh…ich...“

Ich konnte nicht anders. Sie sah mich an und ich konnte es nicht steuern, nicht kontrollieren. Ich küsste sie auf den Mund. Mir fiel ein Felsbrocken vom Herzen. Sie erwiderte meinen Kuss. So ein Glück. So ein wunderschönes Mädchen. Jetzt gehörte sie mir. Mir ganz alleine. In dem Augenblick hätte ich zu allem Ja gesagt, so selig war ich. Ich hätte sie auf der Stelle geheiratet und mit ihr zehn Kinder haben wollen. Ich legte meinen freien Arm um sie. Ich wollte sie ganz nah bei mir spüren. Aber plötzlich wehrte sie sich und befreite sich von mir.

„So, das reicht jetzt schon mal fürs Erste. Sonst wirst du noch übermutig, Melli.“

Sie funkelte mich mit ihren hübschen Augen an und streichelte mir mit ihrer zarten kleinen Hand unwahrscheinlich sanft über meine Wange. Sie rutschte wieder in ihren Sitz zurück. In meiner Erregung hatte ich sie fast zu mir herüber gezerrt. Schon klar, Lucy hatte zu Recht befürchtet ich würde sie gleich hier im Auto…Aber nein, das hatte ich doch nicht wirklich vor, oder? Sie hatte es beendet bevor es ausgeartet wäre.

„Entschuldige, ich bin ein richtiger Hitzkopf. Wo musst du denn nun hin, Lucy?“

Ich hatte mein Auto glücklicherweise gleich um die Ecke abgestellt. In der berüchtigten Parklizenzzone für Anwohner. Mein Blick schweifte weitgehend unabsichtlich über die Windschutzscheibe. Aber trotzdem hatte ich es gleich bemerkt. Ein kleiner weißer Zipfel lugte auf der rechten Seite am unteren Rand empor. Egal, auch wenn es ein 25 Euro Ticket sein sollte, das war es mir allemal wert.

„Ich wohne gleich da vorne, ein paar Strassen weiter. Und du?“

„Ich, ich wohne in Unterföhring.“

Ich startete den Motor und fuhr los. Wenige Minuten später fuchtelte sie schon mit den Händen.

„Hier. Hier ist es. Vielen Dank, Melli. War sehr nett mit dir.“

„Äh, wann sehen wir uns wieder? Morgen vielleicht?“

Sie beugte sich zu mir und wir küssten uns kurz aber sehr innig. Sie machte sich schnell und energisch wieder frei.

„Mal sehen. Ich hab ja deine Nummer. Ciao Melli.“

Bumm. Autotür zu und mit ein paar Schritten war sie auch schon im Hauseingang eines großen Altbaus verschwunden. Ich glotzte ihr nach wie ein minderbemittelter Idiot.

Am nächsten Tag schrieb ich ihr ein paar mal eine SMS, bekam aber keine Antwort. Was war los mit ihr?

Am Abend rief ich sie xmal an, aber ohne Erfolg. Sehr komisch war das.

Dann, ich war schon im Bett rührte sich endlich mein Handy. Sie entschuldigte sich per SMS mit Grüßen und Bussi, aber sie sei sehr beschäftigt. Wie musste ich das verstehen?

Das Wochenende kam und ich tippte mir am Telefon die Finger wund. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie so viele SMS geschrieben wie an diesem Wochenende. Aber alles was zurück kam war:

,Tut mir leid ich muss arbeiten`.

Lucy ließ mich knallhart zappeln. Ich musste das Wochenende tatsächlich ohne Lucy verbringen. Erst dienstagabends rief sie mich zurück.

„Hallo Melli!, Du bist mir vielleicht einer von den ganz hartnäckigen. Wie oft hast du mich angerufen? Und die vielen SMS erst. Der Speicher von meinem Handy ist ja randvoll!“

„Ja, ich weiß auch nicht. Du hast dich ja nicht mehr gemeldet und da dachte ich...“

Sie lachte und kicherte am anderen Ende.

„Schon gut. Ich musste doch arbeiten und hab das Ding gar nicht mit dabei gehabt. Wir haben zurzeit Handyverbot während des Dienstes. Ich hatte leider Wochenenddienst. Der dauert von Freitag bis Montag.“

„Oh, Gott. Das tut mir leid, wenn ich dich genervt habe. Können wir uns treffen?“

„Mal sehen...Moment...Ja, Jaaah, ich glaube es würde gehen. Heute hätte ich zuuufällig Zeit.“

Klar wir gingen an diesem Abend ins ,Topotronic‘.

Und von da an trafen wir uns fast jeden Abend. Eine Superzeit. Ich war verliebt wie noch nie in meinem Leben.

Nach ungefähr zwei Wochen fiel mir einfach nichts mehr ein, wo ich sie noch hinschleppen könnte. Wir waren nahezu überall. Im Kino. Im Tierpark. Im Wald spazieren. Einen Ausflug in die Berge hatten wir unternommen. Beim Essen. Sogar beim Shoppen. Zum Joggen hatten wir uns getroffen. Natürlich in allerlei Bars und Kneipen. Sogar ein Konzert hatten wir besucht. Ach, in zwei Wochen hatte ich mehr unternommen als in den zwei Jahren zuvor.

Und ich war immer artig. Unsere Küsse und Umarmungen, unsere Zärtlichkeiten wurden zwar immer vertrauter und intensiver. Aber ich hatte, soweit ich mich erinnern kann, in den zwei Wochen nicht mal ihre Brust berührt.

Und trotzdem kam was bei Verliebten eben kommen muss.

Ich fuhr auch auf die Gefahr, mir wieder einen Strafzettel einzufangen mit dem Auto zu ihr. Es gab auch noch Parkplätze an die man sich gegen Bezahlung hinstellen konnte. Vielleicht hatte ich Glück. Ab Freitagabend war eh freies Parken angesagt. Sollte ich, wie ich mir natürlich erhoffte, länger bleiben, hätte ich sowieso keine Probleme damit.

Wir waren zuerst beim Mexikaner essen und dann sind wir noch ins ‚Bar Topotronic’. Freitags war es bumsvoll in dem Laden. Von meinen Kumpels war komischerweise diesmal wieder keiner da.

Wir mussten uns in letzter Zeit einfach verpasst haben. Wir hatten, seit ich mit Lucy zusammen war eigentlich keinen Kontakt mehr. Nur übers Internet tauschten wir uns noch spärlich aus. Das war momentan auch nicht wichtig. Lucy war wichtig. Sehr wichtig sogar. Wir quetschten uns an die Bar und tranken ein Pils. Es war laut und eng. Ich hielt sie in meinem Arm. Fast ohne darüber zu reden, zahlte ich und wir gingen Arm in Arm zu ihr. Sie wohnte schließlich keine fünf Minuten weit weg.

Aber dann kam der Hammer. So eine Wohnung hatte ich vorher noch nie gesehen. Ihr Zuhause war für mich einfach nur beeindruckend. Sie bestand aus einem riesigen Zimmer mit ungeheuer hoher und reich verzierter Stuckdecke. Als ich darin stand, hatte ich das Gefühl der Raum wäre mindestens vier oder fünf Meter hoch. Dann gab es noch eine kleine Küche mit Minibalkon und ein noch kleineres Bad. Die Toilette war separat. Und das absolut Wichtigste an diesem Abend: Das Schlafzimmer. Das war allerdings ein wirklich komisches Schlafzimmer. Der Raum glich nämlich eher einer Kammer. Nur Platz für ein Bett und eine kleine Kommode. Noch dazu war es gar kein richtiges Bett. Ein dicke große Matratze lag einfach so auf dem Boden. Aber auch dieser Miniraum war diese sagenhafte fünf Meter hoch. Wie ein Turmzimmer.

Lucy seufzte, als sie ihre hochhackigen Schuhe auszog und ins Wohnzimmer tapste. Sie machte Musik und ich stand unschlüssig herum und sah mich um. Ich war so in einem Art Liebesrausch, ich konnte nicht mal die Farbe ihres Zimmers bestimmen. Sie kam tänzelnd auf mich zu und: lächelte. Sie lächelte ein so verlockendes Lächeln. Meine Knie wurden weich. Nicht dass ich keine sexuellen Erfahrungen besessen hätte, aber mit Lucy sollte es nicht nur einfach Sex sein. Das war mir von Anfang wichtig gewesen. Bloß nicht den Fehler machen und sie schnell ins Bett zu kriegen. Und jetzt wo es endlich so weit war, wusste ich nicht so recht wie ich es anstellen sollte. Ich hatte Angst vor mir selber. Angst es ihr nicht recht zu machen. Oder zu grob zu sein. Auch wenn es so einfach erscheint.

Ich glaube man kann beim Sex viel verkehrt machen. Es gibt ja viele Paare die können sich im Alltag nicht riechen und streiten andauernd. Aber im Bett sind sie wie für einander geschaffen. Das war jetzt eben mein Problem. Ich verstand mich mit Lucy prächtig. Aber werden wir auch im sexuellen Bereich ähnlich gleich ticken? Oder werden wir uns im Bett benehmen wie zwei Fremde? Leute, die in diesen Momenten nicht zueinander finden? Davor zitterten mir in diesem Augenblick die Knie.

Die Musik die Lucy eingeschaltet hatte, kam mir bekannt vor, aber ich konnte einfach keinen klaren Gedanken fassen. Und dann war sie bei mir. Eng umschlungen drehten wir uns im Kreis.

Ich war im siebten Himmel angekommen…Es war wunderschön...

Abrupt wachte ich auf und spürte ihren warmen Körper neben mir. Vom Bett aus glaubte man die Decke des Zimmers ist ewig weit weg. Wir hatten uns mit ihrer einzigen Bettdecke zugedeckt. Draußen war es noch zappenduster. Ich hatte keine Ahnung wie viel Uhr es hatte. Jetzt hatte ich Zeit und die Ruhe mir ihr Schlafzimmer genauer anzusehen.

Das schwache kühle Mondlicht schien seitlich durch die Vorhänge. Das Fenster war schier endlos hoch und schmal. Der Vorhang bestand aus einem rotorangefarbenen durchsichtigen Stoffgewebe. Direkt am Fenster war ein Rollo angebracht.

So ein Baumarktrollo oder eins von diesem Ikea. Ich sinnierte darüber um welche Farbe es sich handeln könnte. Ich kam nicht darauf. Es war eine undefinierbare Farbe. Das ganze Zimmer war in einem schwachen orange gestrichen. Eine kleine, aus sehr dunklem, fast schwarzen Holz bestehende, antike Kommode zierte die freie Wand neben dem Bett Nachtkästchen gab es nicht. In dem kleinen Raum hätten sie keinen Platz gehabt. Über der Kommode hatte sie einige seltsame Bilder aufgehängt. Fotos und Fotocollagen. Vom Bett aus hatte ich den Eindruck, es sei eine Art Trophäensammlung.

Lucy schlief weiter tief und fest. Ruhig und leise ging ihr Atem. Ich traute mich nicht, sie zu berühren. Ich wollte sie nicht aufwecken. Vorsichtig schlängelte ich mich aus dem Bett. Ein flaues Gefühl machte sich von meinem Magen ausgehend breit. Ich hatte zwar keine Lust aufzustehen, aber ein dringendes Bedürfnis zwang mich dazu. Anständig wie ich war, setzte ich mich zum Bieseln auf die Schüssel.

Das Klo war in einem Raum untergebracht, der gefühlte sieben Meter lang und maximal einen Dreiviertelmeter breit war. Und mindestens vier Meter hoch. Das Fenster hinter der Toilettenschüssel hatte lediglich die Ausmaße einer Schießscharte. Die Proportionen in dieser Altbauwohnung waren so was von gewöhnungsbedürftig. Ich kam mir vor wie in einem surrealistischen Film. Ein Film im dem die wahren Dimensionen verschoben waren.

Ich hatte echte Probleme mit der Einordnung dieser Verhältnisse. Täuschten mich vielleicht meine Sinne? Bildete ich mir diese Übertreibungen nur ein? Was war plötzlich los mit mir? Ich versuchte diese so belastenden Gedanken einfach zu verdrängen und beendete mein Bedürfnis.

Ein Waschbecken suchte man in diesem schlitzförmigen Raum übrigens vergebens. Zur Zeit der Errichtung des Gebäudes war entweder Klopapier oder Händewaschen nach diversen Geschäften noch unbekannt.

Leise schlich ich wieder in den riesigen Wohnraum. Als ich so alleine in ihrem Wohnzimmer stand, beschlich mich weiterhin ein merkwürdiges Gefühl. Zuerst hatte ich es auf den Drang zur Toilette geschoben. Aber es war schlimmer geworden. Als wäre ich in eine geheime Pyramide eingedrungen. Es erinnerte mich an etwas Unbestimmtes.

Sehr, sehr seltsame Gefühle und Empfindungen gingen mir durch den Kopf. Fast so als wäre ich nicht ich selber. Wie ein Schlafwandler kam ich mir vor. Ich stand in ihrem riesigen Wohnzimmer und der Drang mir alles genauestens anzusehen wurde übermächtig. Ihre Sachen zogen mich magisch an. In diesem Moment wollte ich alles über sie wissen. Wie unter Zwang, wie einem überirdischen Befehl folgend, arbeitete ich mich systematisch durch ihre Sachen. Es war sehr interessant. Sie hatte so viele Dinge die ich nie zuvor gesehen hatte. Manches verstand ich überhaupt nicht. Ich versuchte zwar in ihren Unterlagen zu lesen, aber der Inhalt interessierte mich überhaupt nicht. Nur die Gewissheit mich damit beschäftigt zu haben, hatte mich fasziniert. Ich wollte in diesem stillen frühmorgendlichen Moment, in dem ich so alleine in der für mich noch fremden Wohnung stand, alles anfassen was ihr gehörte.

Ich wusste nicht wie lange ich damit beschäftigt war. Ich hatte nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei. Schließlich war sie jetzt meine Freundin. Da durfte man das, oder?

Mein Unterbewusstsein sagte mir, dass es richtig war. Ich sollte so etwas öfter tun. Es tat gut zu wissen mit wem man es tun hatte. Wer weiß denn schon, ob man nicht an eine Betrügerin gerät? Obwohl, ich als Mann an eine Betrügerin? Das war totaler Quatsch. Wie kam ich nur auf so abstruse Gedanken? Was war denn plötzlich los mit mir? War ich jetzt plötzlich paranoid geworden? Litt ich an Verfolgungswahn?

Nun, mein Weg führte mich abschließend wieder ins Schlafzimmer. Ich schlüpfte so leise wie möglich wieder zurück ins Bett. Vorsichtig kuschelte ich mich an Lucy heran. Sie lag mit dem Rücken zu mir. Wir waren beide nackt. Ich verrutschte behutsam die Bettdecke um ihren nackten Körper zu betrachten. Ich spürte wie mich die Erregung packte. Zärtlich streichelte ich ihre Schulter. Meine Hand wanderte im Zeitlupentempo nach unten. Sie fühlte sich so wunderbar an. So weich und zart war ihre Haut. Meine Hand streichelte inzwischen über ihren wohlgeformten Hintern. Meine Erektion drängte mich, mehr mit ihr zu tun als nur streicheln. Ich beugte mich über ihre Schulter und küsste sie in den Nacken. Sie zuckte und gab ein wohliges Geräusch von sich. Meine Hand wanderte über ihre Hüfte nach vorne und tastete sich zu ihren Brüsten empor. Doch bevor ich sie berühren konnte, machte Lucy einen Satz und drehte sich in meine Richtung. Mit, wie mir schien, geübten Griff hatte sie sich dabei von meiner Hand befreit. Sie schnappte sich die Decke und klemmte sie sich unter den Hals. Mit ernstem Blick sah sie mir in die Augen.

„Melli, wir kennen uns noch kaum. Fürs Erste muss dir die Nacht genügen.“

Sie setzte wieder ihr Lächeln auf und so verdutzt wie ich da neben ihr lag, musste ich ihr wahrscheinlich leid getan haben, den sie schlang beide Arme um mich und küsste mich leidenschaftlich. Dann flüsterte sie mir liebe Zärtlichkeiten ins Ohr, die nur für mich bestimmt waren. Und genauso schnell wie sie mich umarmt hatte, beendete sie die Sache auch schon wieder.

Meine Erektion wollte und wollte nicht verschwinden. Ich lag rücklings und angestrengt in ihrem Bett und versuchte mich abzulenken. Es dämmerte draussen. Ich lag da und war einfach nur geil.

Ich gab mich meinen Tagträumen hin, ohne dass sich groß etwas änderte an meinem Zustand. Plötzlich stupste Lucy mich an und mit einem Satz war sie über mich geklettert. Aber statt sich mit mir zu beschäftigen, hüpfte sie aus dem Bett, und war auch schon aus dem Zimmer verschwunden.

Ich dehnte und streckte mich auf dem Bett aus und wartete endlos lange bis meine Erregung endlich abgeklungen war. Ich suchte meine Unterhose, die irgendwo neben dem Bett lag. Ich beschloss auch aufzustehen. Langsam trottete ich den Gang entlang in ins Wohnzimmer. Lucy war unüberhörbar im Badezimmer.

Nur mit meiner Unterhose bekleidet stand ich etwas unschlüssig in dem großen Saalartigen Raum.

„Hast du schon Kaffee gemacht?“ fragte sie mich unvermittelt.

Die Frau war schnell, das musste ich ihr lassen. Oder ich war so langsam. Vollständig bekleidet stand sie an der Badezimmertür. Mit einem Handtuch rubbelte sie noch in ihren dunklen Haaren. Mir blieb keine Zeit zu antworten.

„Oder möchtest du dich vielleicht auch duschen?“

„Ja, warum nicht. Kaffee hab ich noch nicht gemacht.“

Sie lachte und warf mir das Handtuch zu.

„Beeil dich. Schau mal raus, so ein schöner Tag. Schade wenn wir hier in der Bude herumsitzen.“

Wir verbrachten ein Superwochenende. Das Wetter spielte mit. Samstags ging ich schnell einkaufen. Lucy hatte vorgeschlagen in den englischen Garten zu radeln um dort auf einer Wiese picknicken. Ich fand das war eine Superidee. Ich besorgte alles Nötige. Da ich kein Rad dabei hatte, lieh ich mir kurzerhand eines bei einem dieser Mieträderanbieter aus. Sehr praktisch so ein Service. Die Sonne schien, es war warm, wir waren draußen und ich war verliebt wie schon lange nicht mehr. Was gab es Besseres? Ich fühlte mich großartig.

Lucy hatte nichts dagegen, dass ich auch noch die Samstagnacht bei ihr verbrachte. In dieser Nacht war ich sicher, dass Lucy genauso verliebt in mich war, wie ich in sie. Wir hatten uns so lange und angeregt unterhalten, dass wir fast vergessen hatten, ins Bett zu gehen. Und da hätte ich wirklich etwas verpasst. Natürlich kam mir zwischendurch schon der Gedanke, wie viel Männererfahrung Lucy wohl schon hatte. Denn sie verhielt sich im Bett sehr souverän und abgebrüht. Das sah man ihr so nicht an. Aber egal, wenn man so verliebt ist, kam es nicht darauf was sie vorher schon alles getrieben hatte.

In den dunklen frühen Morgenstunden, lange vor Sonnenaufgang, erwachte ich wieder. Lucy schlief tief und fest. Mit größter Vorsicht schälte ich mich aus dem Bett. Wenig später stand ich wieder in dem großen Wohnzimmer. Eine leichte Gänsehaut lief mir den Rücken hinunter. Alle Haare an den Armen und Beinen stellten sich auf. Sollte ich? Natürlich dachte ich mir. Oder ist es heimliche Schnüffelei? Ich konnte nicht anders, es war wie ein innerer Zwang.

Als ich wieder zu ihr ins Bett schlüpfte, wurde es schon hell draußen. Was hatte ich eigentlich solange gemacht in ihrem Wohnzimmer? Egal, oder? Es war wie ein kleiner Rausch gewesen. Insgeheim freute ich mich schon auf die nächste ‚Begehung’. Ob Lucy etwas bemerkt hatte? Nein, sie schlief weiter tief und fest. Ich streckte mich aus und atmete tief ein. Es war schön die Müdigkeit zu spüren. Den Schlaf kommen zu lassen. Ich wollte von Lucy träumen.

Sonntags regnete es leider. Und ich war müde wie ein Pferd. Als mich Lucy aufweckte war es schon Nachmittag. Sie war guter Laune. Sie erklärte mir, an ihrer Arbeit geschrieben zu haben, während ich so lange geschlafen hatte.

Sie machte Kaffee und ich holte etwas aus der Bäckerei.

Lucy hatte inzwischen Plätze im Kino reserviert. Lucy ging sehr gerne ins Kino. Kino fand sie toll. Die Atmosphäre und die große Leinwand. An diesem Nachmittag war mir erst aufgefallen, dass Lucy gar keinen Fernseher besaß.

Der Gedanke an ihre Wohnung schoss mir urplötzlich durch den Kopf. Komisch, was hatte ich dann in den letzten beiden Nächten in ihrem Wohnzimmer getan?

Nach dem Kino tranken wir bei ihr noch etwas. Zum Essen hatten wir uns kurzerhand eine Pizza bestellt. Aber ich schaffte die Pizza kaum noch, so müde war ich plötzlich.

Merkwürdig, obwohl ich so lange geschlafen hatte. Trotzdem schliefen wir noch einmal miteinander. Kaum waren wir fertig, schlief ich auch schon ein. Ich konnte nichts dagegen machen. Der Schlaf überwältigte mich förmlich.

Ich wachte nur auf, weil sie mich gerüttelt hatte. Schnell war ich wieder topfit. Nun aber wollte sie mich schleunigst loswerden. Es war zwar fast halb zwölf, ich hatte über drei Stunden richtig tief und fest geschlafen. Aber es war nicht unbedingt eine Zeit, zu der man heimgeschickt wird. War aber so. Sie verwies kühl auf den anstehenden Arbeitstag. Sie müsse früh raus und bräuchte auch ihren erholsamen Schlaf. Ich solle ihr bitte nicht böse sein, aber wir hätten ja immerhin das ganze Wochenende gehabt und es sei auch sehr schön gewesen. Aber nun sei es eben Zeit sich wieder auf den Alltag zu konzentrieren.

Tja, da wusste ich auch nicht ob ich ihr da widersprechen sollte. Ich zog mich an und wir verabschiedeten uns mit einigen innigen Küssen.

Apropos Alltag. Lucy arbeitete übrigens als Krankenschwester im Krankenhaus ‚Rechts der Isar’. Das Krankenhaus befand sich nur wenige Gehminuten von ihrer Wohnung entfernt. Ich hatte sie gefragt wie sich eine einfache Krankenschwester so eine tolle Altbauwohnung leisten konnte. Zuerst hatte ich schon Bedenken ob ich sie nicht beleidigt hätte. Sie sah mich irritiert an. Aber dann lächelte sie wieder und erklärte mir wie einem kleinen Jungen, dass sie nicht nur Krankenschwester sei, sondern nur zwischen zwei Studiengängen ein Praktikum absolvierte. Mit ihrem Studium zu einem Facharzt sei sie in Bälde fertig. Sie arbeitete gerade intensiv an ihrer Doktorarbeit. Dies sei sehr anspruchsvoll weil sie sich auf ein Spezialgebiet festgelegt hatte.

Die Wohnung hätte sie von einem Erbteil ihrer Großmutter gekauft. Und ich solle nicht so neugierig sein und sie ausfragen. Das irritierte wiederum mich ein wenig.

Ich wusste doch schon alles über sie. Hatte sie mir nicht alles schon mal gesagt? Über ihre Doktorarbeit gesprochen? Hatte sie mir nicht die Versuchsreihen und Ergebnisse ausführlich erklärt? Wieso machte sie da plötzlich so ein Geheimnis darüber? Als würde es mich nichts angehen?

Ich war doch jetzt ihr Freund. Wir waren zusammen. Und ich war sehr glücklich. Lucy sah gut aus und war intelligent. Eine angehende Fachärztin. Melli und die Frau Doktor. Da sollte meinen Bruder und seiner Frau mit ihrer Betrügerfamilie mal die Kinnlade herunterfallen, wenn Melli in nächster Zeit mit seiner Frau Doktor aufkreuzen wird.

Das war also unser erstes gemeinsames Wochenende. Ich war immer noch heftig verliebt in Lucy. Auch sexuell. Gerade im sexuellen war sie eine so wunderbare Frau. Wir verstanden uns auch in diesem Punkt superprächtig.

Glückselig stieg ich in mein Auto. Ich hatte keinen Strafzettel bekommen. Es passte wirklich alles. War ich zu diesem Zeitpunkt wirklich glücklich?

Um es mir selbst zu beantworten: Ja

Das zweite Gefühl

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