Читать книгу Die Bluthunde von Paris - Christina Geiselhart - Страница 11

7. Kapitel

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In all der Zeit, in der sich Philippine weiter bildete, in der sie ihren neuen Gesundheitsschuh angepasst bekam und die ersten aufwühlenden Regungen der Liebe empfand, waren Lea und Frieda im Hause des Verhörvollstreckers nicht untätig gewesen.

Frieda verrichtete mittlerweile ihre Arbeit so versiert, dass man sie im engen Kreis die geborene Hure nannte. La Putain war fortan ihr Name und er sollte sich innerhalb eines Jahres in ganz Paris herumsprechen. Sie beherrschte ein vollendetes Spiel der Verführung.

Manche dachten sie stände unter Drogen, wenn sie gierig mit der Zunge lockte, dabei die Augen verdrehte und aufreizend ihren Körper streichelte. Lechzend und sabbernd näherten sich dann die Kunden dem verlockenden Gesäß, durften es berühren, aber mussten sich plötzlich in höchster Not zurückhalten, weil Lea – die vom Fenster aus alles beobachtete – eintrat und zur Kasse bat.

„Jegliche Nahrung kostet Geld, mein Freund!“, sagte sie. „Und legst du etwas mehr drauf, darfst du es mit uns beiden treiben, wie es dir beliebt.“ Dabei fasste sie dem Kunden an die Hose und holte sich dabei sein winselndes Einverständnis.

Monatelang florierte das Geschäft im Haus des Verhörvollstreckers. Die Nachbarn – einfache, zum Teil geistig behinderte Leute – begriffen erst im Spätsommer, was sich dort zwischen drei Uhr Nachmittags und sechs Uhr Abends tatsächlich abspielte. Zunächst hielten sie die jungen Männer, die sich die Klinke in die Hand gaben, für Anwärter der äußerlich wenig ansprechenden Frieda und vermuteten, sie habe es nicht leicht, einen Mann zu finden. Deshalb das ständige Kommen und Gehen. Später führten sie die aus den Räumen dringenden Brunftlaute auf die Tatsache zurück, Frieda locke mit Vorzügen, die ihr Gesicht nicht bieten konnte. Im Monat September dann hatte ein Nachbar aufgrund der Laute einen bestimmten Verdacht und schlich sich in brennender Neugierde an eines der Fenster. Bevor er jedoch in den Genuss des Bildes kam, das ihm seine Ohren vorgaukelten, stand Lea neben ihm. Sie erkannte ihn als den älteren Bruder des Nachbarjungen, der vor Monaten hin und wieder mit Alberta geredet hatte.

„Na, lernt dein Bruder nun das Handwerk des Ebenisten?“

Der junge Mann zuckte zusammen und drehte sich erschrocken um.

„Äh ... natürlich. Er ... er macht seine Sache ganz gut!“. Sein Atem ging rasch.

„Und du? Was lernst du für ein Handwerk? Glotzen? Schnüffeln?“

Sich entschuldigend wich der Bursche zurück. Er sah aus, als fürchte er Lea wie den Tod.

„Es ist unanständig, andere Leute zu beobachten!“, fuhr sie fort. „Meine Tochter will sich verheiraten, einen eigenen Hausstand gründen. Sie sucht einen großzügigen Freier, den sie großzügig bewirtet. Außer Kuchen und Wein gibt es Köstlichkeiten, die nicht jedes Fräulein anbieten kann. Hast du Heiratsabsichten?“

Der junge Mann verneinte.

„Und Geld hast du ohnehin nicht. Meine Tochter soll eine gute Partie machen. Das Leben ist schon hart genug.“

„Ja, aber ist sie denn eine gute Partie? Sie ist die Tochter des Verhörvollstreckers. Das habe ich meinem Bruder auch immer gesagt, als er um Alberta herumschlich.“

„Ist es ein Verbrechen, die Tochter des Verhörvollstreckers zu sein? Bist du auf den Kopf gefallen? Sie kann besser sein als manche Winzers Tochter. Vor allem in gewissen Dingen. Meine Tochter zum Beispiel lässt dich den Wein auf unschlagbare Weise kosten!“

„Wie denn?“, fragte er mit offenem Mund und sah dabei reichlich dumm aus.

„Verrätst du es auch niemandem?“ Der Kerl schwor bei Gott und allen himmlischen Heerscharen. Aber Lea stieß ihn lachend weg.

„Kann ich dir glauben? Dir, dem Sohn der geschwätzigsten Nachbarin? Lass dir eines gesagt sein: Hast du den Wein bei ihr gekostet, willst du nur noch sie und heiratest sie auf der Stelle. Da ich dich aber nicht zum Schwiegersohn will, erfährst du nichts. Und nun verschwinde und lass dich nicht mehr blicken, sonst sag ich es meinem Mann, dem Folterer.“

Die Idee mit dem Wein war Lea erst in dem Augenblick gekommen, als sie dem jungen Nachbarn davon erzählte. Gleich am nächsten Tag führte sie den Plan mit sprichwörtlich rauschendem Erfolg aus. Sie begoss die nackte Frieda tüchtig mit Wein und trieb den Freier an, ihn ihr vom Leib zu lecken. Unter der hechelnden Zunge des Freiers verlor Frieda den Rest von Hemmungen, der ihr trotz aller Ausschweifungen noch geblieben war. Rasend vor Begierde ließ sie sich verschlingen und verschlang ihrerseits. Indes goss Lea ständig Wein nach, bis sie eines Tages mit Entsetzen die haarsträubenden Nebenwirkungen dieser Maßnahmen feststellte. Frieda verlor neben allen Hemmungen auch den Verstand. Zwei oder drei Zungen leckten an jedem Zoll ihres Körpers, drangen in alle Öffnungen und trieben sie in den Wahnsinn. Lea merkte es, als ihre Tochter einem Freier in den Schwanz biss. Sie bohrte ihre Zähne tief in das empfindliche Teil, so dass der Mann vor irrsinnigem Schmerz laut hinausjaulte. In einem Sprung war Lea herbei, schlug ihre Tochter gewaltig auf den Kopf und zerrte sie an den Haaren, wodurch diese ebenfalls schmerzerfüllt brüllte und dabei den Mund aufriss.

„Dass mir das nicht noch einmal vorkommt, du Miststück! Schwöre beim Leben deiner Mutter und deiner Schwester Philippine, in Zukunft eine gute und vernünftige Hure zu sein. Eine brillante Hure, die beste von ganz Paris, von ganz Frankreich!“ Sie zwang Frieda auf den Boden und stellte ihren Fuß auf die Brust der jungen Frau. Unter hysterischem Schluchzen schwor es Frieda.

„Die beste auf Gottes Erdboden. La Putain! Unbezahlbar und köstlich. Von überall her sollen sie kommen, dich zu besteigen. Es muss ein Ereignis werden, dich reiten zu dürfen. Wollen wir das erreichen? Wollen wir es schaffen, du dummes, gieriges Stück? Falls du nicht alles dafür tust, weißt du, was dir blüht.“ Leas Gesicht loderte und Frieda wiederholte ihren Schwur.

Die Sache mit dem Wein war doch keine gute Idee gewesen, dachte Lea sich später. Sie war kostspielig und gefährlich für Friedas dummes Hirn. Besser ist es, sie lernt Lesen und Schreiben. Wer weiß wozu es gut ist.

*

An diesem Abend kam Philippine spät nach Hause. Frieda hatte schon zu Abend gegessen und schlief hinter dem Vorhang der Mädchenkammer. Da Philippine am nächsten Tag gleich nach ihrem Vater aufstand, ein wenig frühstückte, dann eine Stunde im Stall verbrachte und danach zum Unterricht nach Saint-Ouen ritt, bekam sie die Schwester auch an diesem Tag nicht zu Gesicht.

Obwohl ein Nachbar wissen wollte, warum Frieda den Tag zuvor so furchterregend geschrien habe, gelang es Lea, den Hurenbetrieb noch einige Zeit vor den anderen Familienmitgliedern zu verbergen. Karl kümmerte sich ohnehin nicht viel um die beiden Weibsbilder. Sie wurden ihm zunehmend fremd und waren ihm schließlich egal. Außerdem trug er Lea den Tod seiner Tochter Alberta nach. Hätte sich das Aas mehr um die Kleine gekümmert, wäre sie nicht auf so schreckliche Weise umgekommen, sagte er sich. Und so trödelte er oft nach seiner Arbeit in der Bastille, saß beim Kartenspiel mit anderen Folterern und kam spät nach Hause. Ein wenig trauerte er um Friedas Schicksal. Doch letztendlich interessierte sie ihn nicht. Hingegen fühlte er sich mehr und mehr zu Philippine hingezogen. Seit Albertas Tod hing er stärker an dem Kind.

Jeden Morgen, bevor er sich zur Arbeit aufmachte, verbrachte er einige Zeit neben dem Mädchen, das Vraem aus dem Stall holte und sie im Sonnenlicht herrichtete. Er beobachtete seine Bewegungen bei der sorgfältigen Pflege des Pferdes. Sein Gebrechen fiel kaum auf, so leicht tanzte es um das Tier herum, säuberte mit einer Stahlborste das Gröbste von Rücken, Bauch und Beine, bürstete und polierte mit einem weichen Lappen nach, kratzte die Hufe aus, reinigte und fettete sie. Dabei fiel auf, dass Vraem ihre Hufe ohne Philippines Hilfe in die Luft hielt, damit sie kratzen und sich nebenbei abstützen konnte. Schweif und Mähne behandelte sie besonders sorgfältig und lange. Karl schien diesen Augenblick zu genießen. Dabei rauchte er eine Pfeife, schaute verträumt und gewann nach einer gewissen Zeit sogar einen freundlichen Ausdruck.

„Du machst das gut. Das Tier muss doch spüren, wie schön du es herausputzt, nicht wahr?“

„Natürlich merkt es meine Liebe!“, antwortete Philippine dem Vater. Das Pferd habe auch niemand anderen als sie. Es habe sich so sehr an sie gewöhnt, dass es leiden würde, ginge sie eines Tages von ihm weg.

„Warum solltest du auch weggehen? Mittlerweile bist du mein Augenstern. Habe ich dich auch anfangs verflucht, weil deine verdammte Mutter ständig Geld für dich wollte, dich besser behandelte als die anderen, ja dir sogar dieses Pferd kaufte und schließlich diese klobigen Pantinen, so verstehe ich sie heute allzu gut. Das gerissene Weib hat erkannt, was in dir steckt. Du bist klug, schön und gewandt. Alles Geld will sie zusammenkratzen, um aus dir eine Prinzessin zu machen. Eine Prinzessin, die dann einen reichen Edelmann heiratet und der Mutter für ihre Fürsorge mit einer Eintrittskarte an den Hof dankt. Solche Hirngespinste hat deine Mutter. Schade, dass sie so dumm ist. Und so verbohrt, so eigensinnig und bösartig. Sie hätte es weit bringen können. Jedenfalls wird sie mir allmählich unheimlich. Deshalb wäre es mir lieb, du verlässt mich nicht. Stell dir vor ich müsste mein Leben mit den beiden seltsamen Frauenzimmern fristen.“

*

Mehr als drei Wochen brachte Lea damit zu, die Fäden neu zu spinnen. Der verletzte Kunde hatte in den düstersten Farben von der Hure aus Saint-Ouen erzählt, indessen der unbeschädigte Kunde Frieda zur besten Kokotte aller Zeiten hochstilisierte. Auf der Straße, bei seiner Arbeit auf dem Fleischmarkt und in Cafés erzählte er, was für ein Teufelsweib die Hure von Saint-Ouen doch sei. La Putain de Saint-Ouen, rief er prahlerisch und stieß Grunzlaute aus. Eskortiert von der gierigsten Hurenmutter unter der Sonne. Beide zusammen würden den Mannsbildern so tüchtig einheizen, dass sie vor Lüsternheit schmorten wie Braten in einer Pfanne. Seine Worte schürten besonders die Fleischeslust der Metzgergesellen und mit gestärkten Hosenläden eilten sie in besagte Gasse in Saint-Ouen. Dort hatte Lea die Tochter in der Zwischenzeit tüchtig aufpoliert. Ganz von der Idee besessen, mit Frieda unerhörte Summen zu scheffeln, hatte sie den Traum, aus Philippine eine Prinzessin zu machen, hinten an gestellt und für Frieda aus den gekauften Stoffen erotische Gewänder geschneidert. Ihre Phantasie sprudelte. Ständig erfand sie Neues, Gewagtes, Frivoles, Obszönes, nie Dagewesenes. Außerdem hatte Friedas wahnsinniges Verhalten an jenem verhängnisvollen Tag des Schwanzbisses einen verwegenen Gedanken in ihr reifen lassen. Warum sollte Frieda nicht zwei Kunden auf einmal bedienen und sich dabei betrachten lassen? Das brachte das Vierfache ein! Lea machte sich daran, den Plan zu realisieren.

Die Bluthunde von Paris

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