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Kapitel 1

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Mord im Museum stand in dicken Lettern auf dem Banner über dem Eingangsbereich des Landesmuseums Stuttgart. Die rötlich-braunen Backsteine des Gebäudes wurden vom schwindenden Licht der untergehenden Sonne beleuchtet. Es war ein lauer Frühlingsabend Ende Mai. Durch das offene Eingangstor des Museums waren brennende Kerzen auf dem gepflasterten Innenhof des Gemäuers zu erkennen. Charlotte Bienert blies hörbar Luft aus und marschierte durch das Tor den Weg hoch zum Museumseingang. Die normalen Besuchszeiten waren seit zwei Stunden vorbei. Jetzt warteten nur noch die Besucher der Veranstaltung im Vorhof des Museums. Sie sprachen Bier oder Sekt zu, rauchten und unterhielten sich. ‚Oh Mann, ich hab’ echt gar keine Lust‘, dachte sich Charlotte, während sie eine Rauchschwade wegwedelte. Sie war nicht zum Privatvergnügen hier. Ihr Chefredakteur hatte sie hierhergeschickt. Der war nämlich für die wöchentliche Zeitung Weinstadt Woche verantwortlich und hatte Charlotte nach ihrem Volontariat beim Blatt die Kunst&Kultur-Rubrik zugewiesen. Außerdem „durfte“ sie von Zeit zu Zeit für den Sport-Teil Berichte lokaler Fußball-Turniere, Rollschuh-Derbies oder Handball-Spiele schreiben. Charlotte hätte viel lieber für die Rubrik Aktuelles geschrieben, da sie sich selbst nur wenig für diese Mannschaftssportarten interessierte. Aber da half kein Betteln oder Flehen, auf dem Ohr war ihr Chefredakteur Andreas Richling taub. Nun hatte sich Charlotte für ihren letzten Kunst&Kultur-Artikel in dieser Woche eine Karte für die Veranstaltung Mord im Museum gekauft. Eigentlich hätte Gabriele sie noch begleiten wollen, Charlottes Kollegin aus der Lokalredaktion. Gabi lag aber seit gestern mit einer Erkältung flach und hatte sich vor wenigen Stunden bei Charlotte abgemeldet. Charlottes Kollegin war öfter krank und sie hatte das Gefühl, dass Gabriele dies auch regelrecht zelebrierte. So erging sie sich gerne in Einzelheiten zu ihrer Erkrankung – wie in ihrer SMS: „Nase komplett zu, Schleim durchsichtig. Durchfall von Gelomyrtol-Tabletten. Kann leider nicht kommen.“ Mit zusammengezogenen Augenbrauen hatte Charlotte eine knappe „Gute Besserung“ zurückgetippt.

Also war Charlotte an diesem Abend alleine zum Museum aufgebrochen und lief nun über den gepflasterten Vorhof auf eine gläserne Eingangstür zu, neben der eine Reklametafel zu Mord im Museum aufgestellt war. Ebenfalls vor der Tür war ein Tresen aufgebaut, an dem zwei Museumsmitarbeiterinnen standen und die Neuankömmlinge begrüßten. Charlotte war sich nicht sicher gewesen, welche Kleidung zu diesem Event am passendsten wäre, und hatte sich für eine Zwischenlösung aus bequemer Jeans und Blazer entschieden. Ihre schulterlangen, brünetten Haare trug sie an diesem Abend offen. Charlotte zeigte ihre Eintrittskarte vor und erhielt von einer der Frauen einen roten Klebepunkt, den Charlotte gut sichtbar an ihre Kleidung heften sollte. Anschließend drückte sie die Eingangstüre auf und ging in einen großen, hallenartigen Raum. Am Kopfende des Raumes war auf einem Podest eine kleine Bühne aufgebaut. Überall waren einzelne Stehtische verteilt, auf denen große Pappschilder mit unterschiedlich farbigen Punkten aufgestellt waren. Charlotte lief auf den Tisch mit dem roten Punkt zu und stellte ihre Schultertasche ab. Dankbar griff sie nach einer der Wasserflaschen, die auf dem Tisch bereitgestellt waren. Während sie sich eingoss, angelte sie sich eines der ebenfalls bereitliegenden Infoblättchen. Darin stand die Story von Mord im Museum: „Der Kelch von Gustav dem Großen ist weg! Eben noch haben der Archäologe Dr. Himmelreiter und sein Assistent Rochert ihren Ausgrabungsfund stolz bei der Eröffnungsfeier der neuen Ausstellung präsentiert – da ist der Kelch auch schon verschwunden! Die Museumsangestellten machen sich sofort auf die Suche nach dem antiken Stück. Doch was ist das? Ein Wärter liegt plötzlich tot neben dem leeren Ausstellungskasten. Warum wurde er ermordet? Und wo ist der Kelch? Helfen Sie mit bei der spannenden Mördersuche!“ ‚Geistreich‘, schoss es Charlotte spöttisch durch den Kopf und sie nahm einen Schluck Wasser. Eine schief grinsende Mitvierzigerin kam auf den Rote-Punkte-Tisch zu. „Halloooo. Ich bin die Tatjana, und wer bist du?“ „Charlotte“, erwiderte sie und lächelte ebenfalls freundlich. Danach setzte ein peinliches Schweigen ein. Die Frau fuhr fort: „Na, dann bin ich mal gespannt, wie der Abend so wird. Hast du bei sowas schon mal mitgemacht?“ „Nein, ist mein erstes Mal“, sagte Charlotte und griente. „Eine Freundin hat mir die Karte zum Geburtstag geschenkt“, log sie, während sie ihren Blick durch die Menge schweifen ließ. Sie wollte ungern den wahren Grund für ihr Dasein erklären, weil das oft mit Fragen zu ihrem Job verbunden war. Aber dafür war sie heute Abend zu müde.

Als die Zeit voranschritt, wurde es im Raum immer voller. Charlotte schluckte. Sie fühlte sich nicht wohl, wenn viele Menschen auf einem Fleck waren. Um das aufkeimende Unwohlsein zu bekämpfen, atmete sie tief durch. Ein paar weitere Veranstaltungsbesucher gesellten sich zu ihrem Tisch dazu und alle begrüßten sich gegenseitig. Die Stimmung im Raum wurde zunehmend aufgekratzt. Ein Blick auf ihre Armbanduhr sagte Charlotte, dass es in 10 Minuten losgehen würde. Aus ihrer Gruppe griff eine End-Dreißigerin mit Kurzhaarfrisur und schwarz gerahmter Brille nach einer Infobroschüre auf dem Tisch und sagte: „Oh, ich sehe wir brauchen noch einen Gruppennamen.“ Sie sah die anderen Teilnehmer an. „Wie wäre es mit ‚The Benedicts‘? Ihr wisst schon, wegen Benedict Cumberbatch“, fuhr die Frau daraufhin euphorisch fort. Charlotte rief sich den Hauptdarsteller der Sherlock-Fernseh-Serie in Erinnerung. ‚Ach der‘, dachte sie wenig begeistert. Nach kurzer Diskussion konnte sich ihre Gruppe jedoch auf keinen anderen Namen einigen, so dass die Wahl nach ein paar Minuten tatsächlich auf ‚The Benedicts‘ fiel. Die Ideengeberin freute sich und kicherte, weil „Benedict Cumberbatch ja so ein heißer Typ ist.“ Noch während sie ihre Gruppe tauften, indem sie mit ihren Gläsern anstießen, begannen sich einige Personen im Raum langsam aber auffällig zur Bühne vorzuarbeiten. Sie rempelten absichtlich einige der Besucher an, um sich anschließend zu entschuldigen. ‚Das müssen die Schauspieler des heutigen Abends sein‘, dachte Charlotte. Jetzt fiel ihr auch auf, dass diese Personen verkleidet wirkten. Und tatsächlich: Vorne angekommen begannen die Schauspieler sich als Museumsmitarbeiter vorzustellen.

Eine junge blonde Frau stellte sich als Direktorin vor. Sie trug ein etwas zu groß geratenes Kostüm und machte beim Sprechen übertrieben ausschweifende Gesten, was den Eindruck vermittelte, dass sie etwas durchgedreht war. Aus ihrer Erzählung ging hervor, dass sie seit Jahren nur für das Museum zu leben schien. Dann stellte sich ein etwa 50-jähriger, gepflegt wirkender Mann mit graumelierten Schläfen vor. Er spielte den dandyhaften Archäologen Dr. Himmelreiter, der einen eleganten Dreiteiler trug. Es folgte ein schüchtern und kriecherisch wirkender Mitt-Dreißiger mit mausgrauem Haar. Dieser Schauspieler verkörperte den Assistenten des Archäologen, Rochert. Er trug ein verwaschenes Sakko mit Flicken an den Ellenbogen. Anschließend kam ein attraktiver Mann, ebenfalls um die dreißig, zu Wort und stellte sich als Buchhalter Rudolf Steiner vor. Er machte dank der farblich aufeinander abgestimmtem Hals- und Brusttücher sowie der polierten Lederschuhe einen sehr gepflegten Eindruck. Als Vorletzte stellten sich zwei Wärter in Uniform vor. ‚Einer davon spielt ja nicht mehr lange mit‘, dachte Charlotte. Schließlich sollte einer der Wärter die baldige Leiche verkörpern. Abschließend trat eine junge, aber müde wirkende Putzfrau in einem geblümten Kittel mit Staubwischer in der Hand auf. Nachdem sich alle vorgestellt hatten, ging endlich das Schauspiel los. „Wenn ich um Ruhe bitten dürfte, wir haben hier ein Problem“, vermeldete die Museumsdirektorin. Sie artikulierte überdeutlich und mit bebender Stimme: „Der Kelch von Gustav dem Großen ist fort und wir müssen ihn unbedingt wiederfinden!“ „Ja“, herrschte der Archäologe Dr. Himmelreiter dazwischen. „Unbedingt!“ Es folgte eine kurze Erklärung, wie der Kelch noch tags zuvor unter großem Applaus der Öffentlichkeit präsentiert worden war. Doch dann war das Prunkstück plötzlich am helllichten Tag mitten aus dem Schaukasten entwendet worden. „Bitte, liebe Anwesende“, übernahm die Direktorin gepresst, „helfen Sie uns bei der Suche. Am besten, wir teilen uns auf, nicht wahr.“ Sie blickte fragend zu den betroffen dreinschauenden Wärtern. Diese erwiderten ihren Blick mit einem stummen Nicken. „Bitte folgen Sie mir nach draußen, wo wir Sie in einzelne Suchtrupps einteilen werden“, sagte die Direktorin nun ans Publikum gewandt. Dann lief sie hektisch mit den Armen rudernd von der Bühne und signalisierte allen Teilnehmern an den Tischen, ihr nach draußen zu folgen. Die anderen Schauspieler blieben zunächst auf der Bühne zurück. ‚Vermutlich gehen die jetzt auf ihre Posten‘, dachte Charlotte beim Hinauslaufen.

Mord im Museum

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