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Kapitel 5

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Mein Herz blutet. Aber er hat bekommen, was er verdient hat. Jetzt kann er mich nicht mehr wie Dreck behandeln. Mit jeder Schlampe hat er sich abgegeben. Mich aber hat er verleugnet.

Am nächsten Morgen tauchte Charlotte nach nur zwei Stunden wirrem Schlaf übernächtigt in der Redaktion auf. Sie war die Erste im Büro und war froh, noch etwas Ruhe zu haben, bevor sie ihrem Chefredakteur Andreas Richling vom gestrigen Abend berichten musste. Sie machte sich eine Tasse Kaffee, setzte sich an ihren Rechner und checkte ihre E-Mails. In ihrem Outlook ploppte ein Erinnerungsfenster auf: ‚In 1 Stunde Kunst&Kultur-Artikel abgeben.‘ ‚Ach verdammt‘, dachte sie. Als nächstes las Charlotte eine Nachricht von ihrer hypochondrischen Kollegin Gabriele: ‚Hi Charlie, also ich bin dann mal den Rest der Woche krankgeschrieben. Echt ich sage dir, der halbe Ort ist beim Arzt um sich am Freitag krankschreiben zu lassen. Diese Simulanten. Mir löst sich schon die Haut an der Nase ab – aber wenigstens krieg ich langsam wieder Luft. Bin jetzt auf die alternativen Eukalyptusöl-Kapseln vom DM umgestiegen, die vertrag‘ ich ja besser. Ich wünsch dir ein tolles Wochenende! Liebe Grüße von der Gabi.‘ Unter der Nachricht stand die Signatur ‚Geschrieben von meinem iPhone.‘ Charlotte starrte die Nachricht an, schüttelte den Kopf und klickte dann mit dem Curser auf das X, um die Nachricht zu löschen.

Gegen 8:00 Uhr kam ihr Chef Andreas Richling ins Büro, steckte den Kopf zu ihr ins Zimmer und rief gedehnt „Morgen“. Dann lief er weiter in sein Büro. Richling hatte Bauch- und Glatzenansatz, trug eine rahmenlose Brille und mäanderte zwischen 40 und 50 Jahren. Seit mindestens 10 Jahren war er Chefredakteur des Lokalblatts und war auch nicht mehr aus der Position zu verdrängen. Charlotte wusste von ihm, dass er zuvor als Sensationsreporter bei einem Boulevardmagazin gearbeitet hatte. Aus dieser Zeit hatte er auch eine gewisse Sensationslüsternheit und Paparazzo-Mentalität beibehalten. Ansonsten wusste sie nur noch, dass er unverheiratet und kinderlos war, aber einen alternden Bernhardiner namens Dostojewski besaß. Charlottes Verhältnis zu ihrem Chef war für sie eher unbefriedigend, da er sie seit ihrem Volontariat immer noch wie eine Auszubildende behandelte. Nach ihr war auch kein neuer Volontär in die Redaktion gekommen, so dass sie unfreiwillig den Status des Kükens innehatte. Sie gab ihrem Chef 5 Minuten, dann ging sie hinüber und klopfte an seine Tür. „Herein“, sagte Richling, und sah sie überrascht über seine Brille hinweg an. Normalerweise kam sie nicht direkt nach dem Morgengruß zu ihm, es sei denn, es war dringend. „Also... ich war ja gestern bei dem Mord im Museum“, begann Charlotte. „Ja, und – schaffst du den Artikel bis heute Nachmittag?“, fragte Richling ungeduldig. Charlotte schüttelte den Kopf. „Eher nicht, denn es ist was dazwischen gekommen.“ Irritiert runzelte ihr Chef die Stirn. Charlotte blies Luft aus. „Also, believe it or not: Es ist gestern tatsächlich jemand umgekommen. Ähm, genau genommen wurde einer der Schauspieler umgebracht. Also in echt. Und ich war bis 3 Uhr nachts dort, weil wir alle noch von der Polizei vernommen wurden.“ Richling ließ die Neuigkeit einen kurzen Moment sacken. Anstandshalber fragte er: „Aber dir geht’s gut, oder? Ist dir was passiert?“ „Nein, nein, mit mir ist alles in Ordnung“, erwiderte Charlotte hastig. Dann kam Richling zum Wesentlichen: „Und, hast du was gesehen?“ Widerstrebend gab sie es zu: „Ja, die Leiche.“ Richling riss die Augen auf und breitete die Arme aus. „Ist nicht wahr. Perfekt! Daraus musst du eine Story machen!“ Sein Sensationsradar war angesprungen. Charlotte seufzte. Sie hatte es geahnt. „Woraus soll ich denn ‘ne Story machen, ich hab’ nur die Leiche gesehen“, bei ‚nur‘ setzte sie Anführungszeichen in die Luft. Richling wollte gar nicht darauf eingehen. „Na, das ist doch schon mehr als die meisten anderen Kollegen jemals zu sehen bekommen! Mensch, Charlotte, schalte deinen Verstand ein!“ Wütend dachte Charlotte: ‚Klar, der ist ja sonst immer auf Stand-By.‘ Richling fuhr fort: „Da war doch bestimmt ein leitender Beamter vor Ort. Häng‘ dich an den ran und versuch‘, mehr herauszubekommen!“ Charlotte war entgeistert. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. „Wie soll ich das anstellen? Mit Verlaub, Kunst&Kultur ist ja wohl nicht grade das, was mich zur Investigativ-Journalistin ausbilden würde!“ „Nein, meine Liebe, aber in kaltem Wasser lernt man das Schwimmen am schnellsten. Und vielleicht... schaffst du es ja mit der Story auch in die Aktuelles-Rubrik!“ Richling sah Charlotte auffordernd an. Sie erwiderte seinen Blick verärgert. „Der Typ hält mich für bekloppt, ok? Der hat mich gestern sogar durchsuchen lassen!“ „Hör mal, Charlotte, du bist von der Presse. Du hast das Recht auf behördliche Auskunft. Also, hol‘ sie dir!“ Damit war das Gespräch für Richling beendet und er bedeutet Charlotte, sein Büro zu verlassen.

Kopfschüttelnd verließ Charlotte das Zimmer. ‚Der spinnt doch‘, dachte sie. Gleichzeitig musste sie sich eingestehen, dass sie seine Ansage nicht ablehnen konnte. Wenn Richling sich etwas in den Kopf gesetzte hatte, war es nur schwer, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Und ein echter Mord war für ihr Lokalblatt das gefundene Fressen. Charlotte lief wieder in ihr Bürozimmer und sank auf ihren Stuhl. „Häng‘ dich an den leitenden Beamten ran“, hatte Richling gesagt. Ohne große Lust zog Charlotte die Visitenkarte des Kommissars aus ihrer Hosentasche. Darauf stand: Kriminalhauptkommissar Paul Jankovich, Polizeipräsidium Stuttgart. Charlotte griff nach ihrem Telefonhörer und wählte mit leicht zitternden Fingern die Nummer auf der Visitenkarte. Während sie das Freizeichen hörte, atmete sie tief durch. Nach dem 4. Klingeln hob jemand ab. „Jankovich“, klang die Stimme des Kommissars in ihr Ohr. Vor ihrem inneren Auge sah sie ihn wieder vor sich, wie er gestern Abend am Tisch gegenüber gesessen hatte. „Ähm ja, hier ist Charlotte Bienert. Also ich war gestern im Landesmuseum...“, Jankovich unterbrach sie und erwiderte sachlich: „Ich erinnere mich, Frau Bienert. Was kann ich für Sie tun? Ist Ihnen noch etwas eingefallen?“ Charlotte haderte mit sich, aber nun gab es kein Zurück mehr. „Das nicht, aber... naja, Sie wissen ja, dass ich Journalistin bin. Und als ich meinem Chefredakteur von der Geschichte gestern Abend erzählt habe, raten Sie mal was er gesagt hat?“ Sie machte eine Pause in der Hoffnung, er würde tatsächlich raten. Tat er nicht. Er schwieg. Plappernd fuhr Charlotte fort: „Also, er hat vorgeschlagen, dass ich Ihnen... quasi ein bisschen über die Schulter schaue, damit ich einen gut recherchierten Artikel über... das, was gestern passiert ist, schreiben kann.“ Unwillkürlich hatte Charlotte beim Sprechen die Finger gekreuzt. Die Stimme des Kommissars klang frostig, als er erwiderte: „Nein, tut mir leid, Zivilisten sind grundsätzlich von den Ermittlungen ausgeschlossen. Ich kann Ihnen im Moment auch keine weiteren Auskünfte geben, weil ich das Ermittlungsverfahren nicht gefährden darf. Außerdem haben wir eine eigene Pressestelle im Präsidium, über die sämtliche Kommunikation nach außen verläuft.“ Charlotte seufzte, gab jedoch noch nicht auf. „Hören Sie, ich reiße mich auch nicht darum, aber... ich möchte ungern meinen Job verlieren, verstehen Sie?“ „Ich glaube nicht dass Ihr Job daran hängt, Frau Bienert“, erwiderte der Kommissar in immer noch frostigem Tonfall. „Wenn Sie keine weiteren Informationen für mich haben, möchte ich das Gespräch jetzt gerne beenden.“ ‚Das war’s dann‘, dachte Charlotte und sagte mutlos: „Ja ok, dann... lasse ich Sie mal in Ruhe. Entschuldigen Sie die Störung. Auf Wiederhören.“ Sie legte auf, ohne auf seine Antwort zu warten. Als nächstes klingelte sie bei ihrem Chef durch. „No chance, er hat mich im Schnelltempo abgebügelt.“ Sie ahmte Jankovich nach: „Er will das Ermittlungsverfahren nicht gefährden.“ Richling überlegte und schlug dann vor: „Dann gehst du jetzt einfach selber zum Museum, zeigst deinen Presseausweis jedem, der dir über den Weg läuft und sagst, dass du Fragen über das Opfer stellen möchtest. Wer ihn kannte, wie er so war... Ob irgendjemandem was Merkwürdiges bei ihm aufgefallen ist, und so weiter.“ Zweifelnd fragte Charlotte: „Glaubst du nicht dass alle dort einen Maulkorb von der Polizei bekommen haben, dass sie mit niemandem darüber reden dürfen?“ Ungerührt erwiderte Richling: „Glaub‘ mir, Charlotte, die Leute reden einfach zu gern, um sich an Regeln zu halten. Und wenn was ist, ruf‘ mich halt an.“ Damit legte Richling auf. „Arschloch“, sagte Charlotte halblaut zu dem tutenden Hörer, als ihr Kollege Sebastian Pfeiffer ins Büro kam. „Dir auch einen wunderschönen guten Morgen!“ Der junge Mann grinste anzüglich und warf seine Tasche vor seinem Schreibtisch zu Boden. “Nicht du – der Chef.“ „Ach, will er dich jetzt doch zu Garten&Grünzeug abschieben? Was hast du angestellt?“ Charlotte protestierte. „Gar nichts! Ich soll jetzt ‚ermitteln‘ gehen – obwohl ich überhaupt keine Ahnung davon habe.“ Verständnislos sah Sebastian sie an. „Was soll das heißen, ‚ermitteln‘?“ Daraufhin erzählte Charlotte ihrem Kollegen von ihren gestrigen Erlebnissen inklusive der Abfuhr von Jankovich und der Anweisung von ihrem Chef.

Sebastian Pfeiffer war zwei Jahre länger bei der Redaktion als Charlotte und hatte damit einen dickeren Stein in Richlings Brett. Er hatte sich dank seinem Ehrgeiz schnell zu Richlings rechter Hand gemausert und genoss dadurch auch den Vorzug bei der Artikelvergabe. Somit sicherte Sebastian sich auch in schöner Regelmäßigkeit alle Artikel für die Aktuelles-Rubrik, die Richling nicht selber bearbeitete. Äußerlich war Charlottes Kollege gepflegt und trainiert, doch sein Glück bei Frauen beschränkte sich nicht zuletzt aufgrund seines selbstverliebten Charakters auf Kurzzeitbeziehungen oder One-Night-Stands. Und über die berichtete Sebastian in ihrem Büro gerne in allen Einzelheiten. Auch bei Charlotte versuchte er hartnäckig zu landen, doch mit seinem eingebildeten Gehabe verspielte er bei ihr sämtliche Sympathie-Punkte. Noch mehr, wenn er sie wie ein kleines, hilfloses Mädchen behandelte. So wie jetzt. „Pass‘ bloß auf Charlottchen dass du mit der Fragerei nicht noch ins Visier des Mörder gerätst und die nächste Leiche wirst!“ Sie funkelte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. „Danke auch, daran hab’ ich noch gar nicht gedacht. Aber schön, dass du mir das gleich unter die Nase reibst.“ „Hey sorry... Aber ich kann dich ja beschützen!“ Sebastian zwinkerte, spannte den Bizeps seines rechten Armes und bot an, ihr bei ihren Ermittlungen zu helfen. Charlotte schüttelte den Kopf. Sie wollte die in ihren Augen ohnehin aussichtslose Aktion nicht auch noch mit Sebastian im Schlepptau durchführen. Oder ihm das Gefühl geben, seine Hilfe zu benötigen. „Nein, ich mach‘ das alleine. Wahrscheinlich bin ich eh in ‘ner Stunde wieder da, weil keiner mit mir reden will.“ Sie griff nach ihrer Umhängetasche. „Und übrigens – nenn‘ mich nicht Charlottchen, ich hab’s dir schon tausendmal gesagt!“ Sebastian grinste. Frustriert machte sich Charlotte auf den Weg zum Landesmuseum.

Mord im Museum

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