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1 | Thema, Erkenntnisinteresse(n), Forschungsfragen, Hypothesen

... in diesem Kapitel geht's um:

Thema: Basis für das gesamte Vorgehen • muss neue Detailaspekte beleuchten • darf keine Kopie bereits durchgeführter empirischer Erhebungen sein • nicht zu breit anlegen
Erkenntnisinteresse(n): Erhebungsziele kurz und exakt formulieren • Grundlage für Forschungsfragen und/oder Hypothesen
Forschungsfragen ‒ sind zu beantworten: müssen VOR dem Erhebungsinstrument festgelegt werden • wie eine „Themenliste“ • neutrales Erkenntnisinteresse in Frageform • Aufteilung in Subdimensionen ratsam • besser „Welcher Zusammenhang ...“ als „Gibt es einen Zusammenhang ...“
Hypothesen ‒ sind zu prüfen: müssen VOR dem Erhebungsinstrument festgelegt werden • wie eine „Prüfliste“ • Annahmen aufgrund von Basiswissen • Wahrscheinlichkeitsaussagen • ungerichtet oder (präziser) gerichtet mit vermuteter Art des Zusammenhangs • Aufteilung in Subdimensionen ratsam • inhaltliche ≠ statistische (für Signifikanzprüfung) Hypothesen • besser „Wenn-Dann“- und „Je- Desto“-Formulierung als ein Aussagesatz

„Wir brauchen rasch eine Umfrage‟ – und schon wird in der oft schnelllebigen Wirtschaft ein Online-Formular erstellt.

Empirische Sozialforschung sollte nicht unüberlegt starten! Ist Empirie Teil einer wissenschaftlichen Arbeit, darf sie niemals „einfach so‟ beginnen! Zuerst werden alle Details spezifiziert, dann erst kann die konkrete Umsetzung in Form einer Forschungsmethode erfolgen (vgl. Kapitel „2 | Qualitative und quantitative Forschungsmethoden‟ ab Seite 22).

In der Wissenschaft2 erfolgt vor jeder empirischen Erhebung eine exakte, ausführliche Problemdefinition. VOR jeder Erhebung müssen alle interessierenden Details feststehen. Erst dann, wenn alle Erkenntnisinteressen bzw. genauen Fragestellungen vorliegen, kann das konkrete Erhebungsinstrument im konkreten Wortlaut ausformuliert werden (= Operationalisierung).

Nun erst wird ein Fragebogen oder Leitfaden (vgl. Kapitel „7 | Leitfaden, Fragebogen‟ ab Seite 110) erstellt, ein Codierschema (vgl. Abbildung 3 auf Seite 26) entwickelt oder ein Beobachtungsprotokoll (vgl. Abbildung 5 auf Seite 31) entworfen.

1.1 | Thema

Jedes (wissenschaftlich) empirische Vorhaben benötigt zuallererst ein Thema, eine Problemstellung. Das Thema stellt die Basis für das gesamte weitere Vorgehen dar (vgl. [13] HERCZEG/WIPPERSBERG 2019: 71FF.). Dabei ist es wichtig, sich die Erforschung eines neuen Detailaspektes vorzunehmen (ebd.) und nicht bereits vorhandene Empirie zu „kopieren‟.

Das Thema darf nicht zu breit oder zu allgemein angelegt und formuliert werden. Sonst ist es mit vertretbarem Aufwand nicht mehr (empirisch) „behandelbar‟. Drei Beispiele für „gute‟ empirische – jeweils im Rahmen einer Masterarbeit erforschte – Themen:

„Sprache in der internen Veränderungskommunikation. Eine kritische Betrachtung unter linguistischen und kommunikationswissenschaftlichen Gesichtspunkten am Beispiel formeller, schriftlicher Kommunikation in deutschen Industrieunternehmen.‟(Sturm 2019)

„Sponsoring im Spitzensport. Der gegenwärtige Stellenwert von Sportsponsoring in österreich, in Bezug auf die Rolle von Sponsoringagenturen. Eine Fallstudie anhand der Erste Bank Open.‟ (Haas 2018)

„Informationswahrnehmung von Online-Wein-Shoppern: eine Eye-Tracking Studie mit Think-Aloud Technik.‟(Horvath 2015)

1.2 | Erkenntnisinteresse(n), Erhebungsziel(e)

Ist das Thema erarbeitet, müssen im nächsten Schritt die genauen Erkenntnisinteressen bzw. Erhebungsziele definiert werden. Das geschieht am besten einfach, klar, mit wenigen Sätzen (vgl. Herczeg/Wippersberg 2019: 80). Exakt formulierte Erkenntnisinteressen3 sind essentiell für wissenschaftliches Arbeiten – und damit auch für jede empirische Erhebung. Sie stellen die inhaltliche Klammer dar, an der Forschungsfragen und Hypothesen andocken.

1.3 | Forschungsfragen, Hypothesen

Wer (weiterhin) beim Wesentlichen bleiben und das Vorhaben nicht versehentlich an den Erkenntnisinteressen „vorbeilenken‟ möchte, formuliert im nächsten Schritt am besten Forschungsfragen (Programmfragen4) und/oder Hypothesen. Diese stellen vorerst nur eine Art Themenkatalog dar. Sie werden indirekt, also üBER jemanden oder etwas formuliert.

Im Falle z.B. einer Befragung wird zunächst noch keine Frage direkt an die Befragten gerichtet, sondern zunächst z.B. eine Forschungsfrage üBER sie artikuliert. Also nicht: „Wie ist Ihr Leseverhalten ‟, sondern: „ Wie ist das Leseverhalten von ...‟.

Eine derartige Themenabgrenzung ist essenziell notwendig, um einerseits Antworten auf ALLE Fragestellungen zu finden, andererseits KEINE Antworten auf NICHT VORHANDENE Fragen zu generieren.

Forschungsfragen bzw. Hypothesen stehen mit der Erhebung in Wechselwirkung: Eine Erhebung, die Forschungsfragen nicht beantworten oder Hypothesen nicht prüfen kann, geht [14] am Ziel vorbei. Umgekehrt zielen Forschungsfragen oder Hypothesen, die an der Erhebung „vorbei‟ formuliert werden, ins Leere.

Wer wissenschaftlich vorgeht, leitet aus den Erkenntnisinteressen zuerst Forschungsfragen und/oder Hypothesen ab. Erst dann ergeben sich aus ihnen und in weiterer Folge die empirische Methode, das Erhebungsinstrument und dessen genaue Inhalte.

Für das Erhebungsinstrument sind also die Forschungsfragen bzw. Hypothesen verantwortlich: Aus ihnen resultieren die konkreten Fragen im Fragebogen oder Leitfaden, die Dimensionen im Codierschema oder die Details im Beobachtungsprotokoll. Ziemlich oft wird allerdings der Fehler begangen, Methode, Erhebungsinstrument oder dessen Inhalte bereits festzulegen, bevor die Forschungsfragen bzw. Hypothesen fixiert sind.

Forschungsfragen bzw. Hypothesen sind für die Operationalisierung des gesamten empirischen Vorhabens verantwortlich: Wo bzw. bei wem wird in welcher Form was genau erhoben? Deshalb sollten sie derart formuliert sein, dass sie den Rahmen für die Erhebung sehr präzise abstecken.

Es ist (bei empirischen Erhebungen) ratsam, Forschungsfragen und Hypothesen in ihre thematischen Details aufzusplitten und explizit Sub-Forschungsfragen bzw. -Hypothesen zu formulieren. Das ermöglicht eine deutlich präzisere Gestaltung des Erhebungsinstruments und später eine maßgeschneiderte Datenanalyse.5

Ein Fragebogen, Leitfaden, Codierschema oder Beobachtungsprotokoll benötigt nicht weniger, auch nicht mehr, sondern genau so viele Fragen bzw. Merkmale, wie zur Abdeckung der Forschungsfragen und/oder Hypothesen erforderlich sind. Nicht jede Forschungsfrage bedingt eine Hypothese, nicht jede Hypothese eine Forschungsfrage.

Beide – Forschungsfragen und Hypothesen – stehen am Beginn der Forschung. Beide werden aus Theorie (Literatur) und/oder anderer Vorrecherche (vorliegenden empirischen oder anderen Sekundärdaten) abgeleitet. Worin liegt dann aber ihr Unterschied?

1.3.1 | Forschungsfragen – die „Themenliste‟

Forschungsfragen drücken ein neutrales Erkenntnisinteresse in Frageform aus. Sie definieren die genauen Inhalte und Formulierungen im Erhebungsinstrument (Fragebogen, Leitfaden, Codierschema, Beobachtungsprotokoll). Empirie beantwortet Forschungsfragen.

Auf Forschungsfragen baut jede empirische Erhebung auf. Sie geben vor, was genau betrachtet werden soll und was nicht. Auch in der Wirtschaft ist es sinnvoll, vor der Durchführung von Empirie zumindest eine Themenliste zu erstellen, welche Fragestellungen abgedeckt werden sollen. Forschungsfragen (bzw. Themenlisten) sind sowohl bei qualitativen als auch quantitativen Erhebungen notwendig (vgl. Kapitel „2 | Qualitative und quantitative Forschungsmethoden‟ ab Seite 22).

Der Beantwortung von Forschungsfragen sollte Raum gelassen werden: Deshalb ist es besser, sie sinngemäß als: „Welcher Zusammenhang besteht zwischen ...?‟ zu formulieren als:

[15] „Gibt es einen Zusammenhang zwischen ...?“. Oder besser: „Welche Unterschiede gibt es ...?‟anstelle: „Gibt es Unterschiede...?‟. Die beiden letzteren Formulierungen münden bloß in einfache Ja/Nein-Antworten, OB die Empirie einen Zusammenhang oder Unterschied festmachen konnte oder nicht. Die „W‟-Fragen hingegen lassen Platz für konkrete Ausführungen, WELCHER Zusammenhang bzw. Unterschied identifiziert werden konnte.

Im Folgenden werden beispielhafte Forschungsfragen (FF) angeführt. FF 1.1 bis FF 1.3 wären in einer quantitativen Bevölkerungsumfrage mit den ersten drei Fragen des Fragebogens6 auf Seite 101f. (vgl. Abbildung 27 und 28) messbar – also operationalisier- und datenanalytisch beantwortbar. Die Aufteilung der Forschungsfragen in drei Sub-Dimensionen könnte auf vorangegangenen Literaturrecherchen7 beruhen.

FF 1: Wie groß ist die Leseaffinität8 der österreichischen Wohnbevölkerung?

FF 1.1: Wie groß ist die Leseaffinität generell?

Frage 1

FF 1.2 : Wie groß ist die Leseaffinität in Bezug auf Belletristik?

Frage 2

FF 1.3: Wie groß ist die Leseaffinität in Bezug auf Fachliteratur?

Frage 3

Derselbe Fragebogen könnte unter anderen auch aus folgenden weiteren Forschungsfragen operationalisiert worden sein. Die mit den Forschungsfragen korrespondierenden Fragebogen-Fragen sind jeweils wieder mit gekennzeichnet.

FF 2 : Welche spontanen Anforderungen stellen österreichische Fachbuch-Leserinnen und -Leser an Fachbücher?

Frage 5 (nur für Datensätze mit „JA‟ bei Frage 3)

FF 3 : Wie hoch sind die halbjährlichen Ausgaben österreichischer Fachbuch-Leserinnen und -Leser für Fachliteratur?

Frage 8 (nur für Datensätze mit „JA‟ bei Frage 3)

FF 4 : Welchen Zusammenhang gibt es zwischen der Leseaffinität der österreichischen Wohnbevölkerung und ihrem Konsum von Literatur?

FF 4.1 : Welchen Zusammenhang gibt es [zwischen der Leseaffinität der österreichischen Wohnbevölkerung] und ihrem Konsum von Belletristik?

Fragen 1 und 2 [16]

FF 4.2: Welchen Zusammenhang gibt es […] und ihrem Konsum von Fachliteratur?

Fragen 1 und 3

FF 5 : Welche Meinung hat [die österreichische Wohnbevölkerung über Fachbücher] generell?

Frage 9, alle Items

Setzt sich die mit Forschungsfrage 5 angesprochene „generelle Meinung‟aus vier Dimensionen zusammen – z.B. persönliche (subjektive) Wahrnehmung, formale Aspekte, inhaltliche, und anwendungsbezogene Aspekte -, wären folgende Detaillierungen möglich:

FF 5.1 : Welche Meinung hat [...] in Bezug auf die eigene, subjektive Wahrnehmung?

Frage 9, Items 9.1, 9.4 und 9.9

FF 5.2 : Welche Meinung hat [...] in Bezug auf formale Aspekte?

Frage 9, Items 9.2 und 9.8

FF 5.3: Welche Meinung hat [...] in Bezug auf inhaltliche Aspekte?

Frage 9, Items 9.3 und 9.5

FF 5.4 : Welche Meinung hat [...] in Bezug auf anwendungsbezogene Aspekte?

Frage 9, Items 9.6 und 9.7

Datenanalytische Grundlagen zur Beantwortung der Forschungsfragen finden sich überblicksmäßig in den Kapiteln „6.2 | Messniveaus (Skalenniveaus) und Datenanalyse‟ ab Seite 97 sowie „8.1.3 | Datenanalyse forschungsfragen-/hypothesenkonsistent planen‟ ab Seite 142 und im Detail bei Braunecker 2021: 191ff.

1.3.2 | Hypothesen – die „Checkliste‟

Hypothesen stellen Annahmen bzw. Behauptungen auf, die auf Basiswissen (aus Vorerhebungen, Literatur usw.) beruhen. Sie sind „vermutete Antworten auf Forschungsfragen‟ (Vgl. Herczeg/Wippersberg 2019: 91). Empirie prüft Hypothesen.

Qualitative Erhebungen (vgl. Seite 22) zielen darauf ab, Hypothesen zu entwickeln, aus gewonnenen Daten neue Hypothesen aufzustellen (zu generieren). Quantitative Erhebungen (vgl. Seite 23) prüfen bereits vorhandene (aus Literatur oder anderen Vorrecherchen erstellte) Hypothesen anhand gewonnener, NEUER Daten.

Hypothesen (und Forschungsfragen) dürfen niemals mit denselben Daten überprüft (beantwortet) werden, aus denen sie erstellt wurden!

Hypothesen sind – in der empirischen Sozialforschung – Vermutungen über Ergebnisse von Datenerhebungen. Eine Hypothese formuliert das, was untersucht werden soll, als (wissenschaftlich) theoriegestützt überprüfbare Aussage. Damit ihre überprüfung klar definiert und gut möglich ist, sollten Hypothesen möglichst kurz und leicht fassbar ausgedrückt sein.

In den Sozialwissenschaften sind Hypothesen fast immer probabilistisch: Sie sind Wahrscheinlichkeitsaussagen und erheben damit keinen Anspruch auf Gesetzmäßigkeit.9 [17]

Angenommen, deutsche Studien haben ergeben: Menschen, die gerne lesen, konsumieren eher Fachliteratur als andere. Eine österreichische Studie könnte somit – unter ähnlichen Bedingungen – die Hypothese aufstellen: Auch in österreich konsumieren Personen, die generell gerne lesen, eher Fachliteratur als andere. Die Wahrscheinlichkeit, in der österreichischen Bevölkerung Fachbuchkonsumierende zu finden, müsste also bei jenen Personen, die generell gerne lesen, größer sein, als bei den anderen, die nicht gerne lesen.

Warum wird hier von Wahrscheinlichkeiten gesprochen? In der realen Welt wird es Personen geben, die gerne lesen und dementsprechend auch Fachbücher lesen. Aber auch bei Personen, die NICHT gerne lesen, wird Fachbuchkonsum feststellbar sein. Umgekehrt werden andere zwar gerne lesen, aber keine Fachliteratur: Nicht alle, die gerne lesen, müssen „automatisch‟ auch Fachbücher lesen – nur: Die Wahrscheinlichkeit ist einfach größer, in der Gruppe gerne Lesender Personen zu finden, die auch Fachbücher lesen.

Derartige Wahrscheinlichkeitsaussagen könnten zunächst als „Hypothese‟ in einem eher noch allgemeinen, nicht sehr wissenschaftlichen Sprachgebrauch artikuliert werden:

In der österreichischen Wohnbevölkerung gibt es einen Zusammenhang zwischen Leseaffinität und Fachbuchkonsum.

Diese Hypothese ist ungerichtet. Sie vermutet einen Zusammenhang, gibt aber nicht an, welchen. Es könnte somit sein, dass Menschen, die gerne lesen, auch mehr bzw. öfter Fachliteratur lesen als andere. Ebenso möglich wäre aber auch: Menschen, die gerne lesen, lesen lieber andere Texte – also eher weniger bzw. seltener Fachbücher als andere.

Ein wissenschaftliches Wording geht über reine Aussagen hinaus. Bei Hypothesen verbreitet sind Konditional- („Wenn-Dann‟) und Vergleichssätze („Je-Desto‟). Die obenstehende Hypothese (H) – nach wie vor ungerichtet, aber wissenschaftlicher – formuliert: 10

H I: Wenn Personen gerne lesen, dann unterscheiden sie sich in ihrem Fachbuch-Konsum von anderen Personen.

Fragen 1 und 3

Aus einer hingegen gerichteten Betrachtung könnte folgende Hypothese resultieren:

H I: Wenn Personen gerne lesen, dann lesen sie eher Fachliteratur, als wenn sie nicht gerne lesen.

Fragen 1 und 3

Hier wird – präziser – auch die RICHTUNG des vermuteten Zusammenhangs angegeben: Gerne lesen bedeutet eher auch Fachbuch lesen (und umgekehrt).

Beide Hypothesen – die gerichtete und ungerichtete – sind inhaltliche Hypothesen und wären in einer quantitativen Bevölkerungsumfrage mit der ersten und dritten Frage des Fragebogens auf Seite 101f. (vgl. Abbildung 27 und 28, Anmerkungen zum Fragebogen in FUßNOTE 6 auf Seite 16) abgedeckt. [18]

Hypothesen beinhalten den vermuteten Zusammenhang von zumindest zwei Merkmalen (vgl. Herczeg/Wippersberg 2019: 92; Karmasin/Ribing 2019: 90).

Um Hypothesen datenanalytisch exakt prüfen zu können, gibt es auch statistische Hypothesen: Diese fokussieren bereits auf die konkrete Operationalisierung – z.B. auf die Art und Formulierung der Fragen in einem Fragebogen – und damit in weiterer Folge auf die spätere Technik der Ergebnisauswertung. Statistische Hypothesen dienen der Signifikanzprüfung und könnten im angeführten Beispiel lauten:

Ho: Statistische Nullhypothese: Der Prozentanteil von Personen, die jährlich Fachbücher lesen, ist unter jenen, die gerne lesen, gleich (ähnlich) wie unter jenen, die nicht gerne lesen.

Ha bzw. Hi: Statistische (gerichtete) Alternativhypothese: Der Prozentanteil von Personen, die jährlich Fachbücher lesen, ist unter jenen, die gerne lesen, höher als unter jenen, die nicht gerne lesen.

Eine Nullhypothese geht von KEINEM (realen) Unterschied zwischen Vergleichsgruppen und damit keinem Merkmalszusammenhang aus. Die Alternativhypothese vermutet EINEN Unterschied zwischen Vergleichsgruppen: Sie geht von einem Zusammenhang zwischen einem unabhängigen (oft gruppenbildenden) Merkmal (im obigen Beispiel: Personen, die gerne lesen) und einem abhängigen Merkmal (im Beispiel: Personen, die Fachbücher konsumieren) aus. Oft lässt sich nicht festlegen, welches Merkmal das abhängige und welches das unabhängige ist – dann muss der Forschungskonnex entscheiden.11

Weitere – inhaltliche und statistische – Hypothesen wären folgendermaßen formulierbar:

HII: Wenn Personen gerne lesen, dann lesen sie jährlich mehr Bücher, als wenn sie nicht gerne lesen.

Fragen 1 und 16

Ho: Statistische Nullhypothese: Der Mittelwert der jährlichen Bücher-Lesemenge ist bei jenen, die gerne lesen, gleich groß (ähnlich) wie bei jenen, die nicht gerne lesen.

HA bzw. H1: Statistische (gerichtete) Alternativhypothese: Der Mittelwert der jährlichen Lesemenge an Büchern ist bei jenen, die gerne lesen, höher als bei jenen, die nicht gerne lesen.

H III: Je älter Personen sind, desto mehr Bücher pro Jahr lesen sie.

Fragen 14 und 16

Ho: Statistische Nullhypothese: Es gibt keinen zahlenmäßigen Zusammenhang (keine Korrelation) zwischen Alter und der Anzahl gelesener Bücher pro Jahr.

HA bzw. H1: Statistische (gerichtete) Alternativhypothese: Es gibt einen positiven zahlenmäßigen Zusammenhang (positive Korrelation) zwischen Alter und der Anzahl gelesener Bücher pro Jahr.

H II und H III in sind beide gerichtet und könnten mit den Fragen 1, 14 und 16 des Fragebogens auf Seite 101f. operationalisiert werden. [19]

Wie Forschungsfragen können – und sollten ‒ auch thematisch „breitere“ Hypothesen in ihre Sub-Details „zerlegt‟ bzw. untergliedert werden. In Analogie zu den Forschungsfragen erhöht das bei der späteren Datenanalyse deutlich deren Passgenauigkeit.

Möglich wäre eine weitere inhaltliche, ungerichtete Haupt-Hypothese – die korrespondierenden Fragebogen-Fragen sind wieder mit gekennzeichnet:

H IV: Wenn Personen Bücher [lieber in der Buchhandlung kaufen], dann haben sie generell [andere Anforderungen an Fachbücher, als wenn sie sie lieber im Versandhandel kaufen].

Frage 4 und Frage 6, alle Items

Setzen sich die durch die Hypothese angesprochenen „Anforderungen‟ aus vier Dimensionen zusammen – z.B. persönliche (subjektive) Wahrnehmung, formale Aspekte, inhaltliche, und anwendungsbezogene Aspekte, wären folgende Detaillierungen möglich:

H IV .1 : Wenn Personen [...], dann haben sie in Bezug auf ihre persönliche bzw. subjektive Wahrnehmung [...].

Frage 4 und Frage 6, Items 6.1, 6.4 und 6.9

H IV.2: Wenn Personen [...], dann haben sie in Bezug auf formale Aspekte [...].

Frage 4 und Frage 6, Items 6.2 und 6.8

H IV.3: Wenn Personen [...], dann haben sie in Bezug auf inhaltliche Aspekte [...].

Frage 4 und Frage 6, Items 6.3 und 6.5

H IV.4: Wenn Personen [...], dann haben sie in Bezug auf anwendungsbezogene Aspekte [...].

Frage 4 und Frage 6, Items 6.6 und 6.7

Generell müssen bzw. sollten Hypothesen – wie bereits weiter oben erwähnt – als „Wenn- Dann‟- oder „Je-Desto‟-Regeln formuliert werden.12 Der Vorteil dieser Wordings liegt vor allem auch in der größeren Klarheit für die spätere Datenanalyse zur Hypothesenprüfung (vgl. überblicksmäßig die Kapitel „6.2 | Messniveaus (Skalenniveaus) und Datenanalyse‟ ab Seite 97 sowie „8.1.3 | Datenanalyse forschungsfragen-/hypothesenkonsistent planen‟ ab Seite 142 und im Detail bei Braunecker 2021: 191ff.).

Hypothesen formulieren allgemein und können deshalb niemals vollkommen verifiziert werden: Die vorhandenen Daten erlauben es höchstens, sie „momentan zu stützen‟, vorläufig zu verifizieren (vgl. Herczeg/Wippersberg 2019: 94): Denn niemals könnten alle dazu notwendigen denkbaren Möglichkeiten der überprüfung weltweit, in allen Zielgruppen und JEDEM Zusammenhang – also sämtlichen je existierenden Fällen – durchgeführt werden.

Häufig werden zu Beginn der Auseinandersetzung mit einem wissenschaftlichen Thema einfach Annahmen als Hypothesen formuliert – z.B.:

österreichische Jugendliche kaufen Fachbücher lieber im Versandhandel.

75% der österreichischen Jugendlichen kaufen Fachbücher lieber im Versandhandel. [20]

Österreichische Jugendliche im Alter von 18 bis 25 Jahren kaufen Bücher mehrheitlich lieber im Versandhandel.

Um derartige Behauptungen „wissenschaftstauglich‟ zu machen, sollten sie unbedingt einer methodischen „übersetzung‟ zugeführt werden. Eine bessere Formulierung, mit Einbeziehung zumindest zwei dazu benötigter Merkmale (vgl. Herczeg/Wippersberg 2019: 92; Karmasin/Ribing 2019: 90), könnte lauten:

Wenn in österreich lebende Jugendliche im Alter von 18 bis 25 Fachbücher kaufen, dann kaufen sie diese eher lieber im Versandhandel als im stationären Handel.

Wie soeben erläutert, weisen Thema, Erkenntnisinteresse(n), Forschungsfrage(n) und/oder Hypothesen der (den) am effizientesten einzusetzenden qualitativen oder quantitativen Forschungsmethode(n) (vgl. Kapitel „2 | Qualitative und quantitative Forschungsmethoden‟ ab Seite 22) den Weg.

Zusatzinformationen und weiterführende Literatur zu diesem Kapitel:

Herczeg, Petra/Wippersberg, Julia (2019): Kommunikationswissenschaftliches Arbeiten. Eine Einführung. Wien: facultas. Thema, Erkenntnisinteresse: Seite 71-83; Forschungsfragen: Seite 8590; Hypothesen: Seite 91-109.

Karmasin, Matthias/Ribing, Rainer (2019): Die Gestaltung wissenschaftlicher Arbeiten. Ein Leitfaden für Facharbeit/VWA, Seminararbeiten, Bachelor-, Master-, Magister- und Diplomarbeiten sowie Dissertationen. 10., überarbeitete und aktualisierte Auflage 2019. Wien: facultas. Thema: Seite 21-25; Forschungsfrage, Unterfragen: Seite 25-29.

[21]

2 Die Ausführungen in diesem Kapitel basieren auf Anleitungen zum wissenschaftlichen Arbeiten. Dabei liegt der Fokus auf „Wissenschaftlichkeit‟ in Verbindung mit empirischer Sozialforschung.

3 Karmasin/Ribing 2019: 25f. bezeichnen bereits das Erkenntnisinteresse als „Forschungsfrage‟.

4 In der Literatur werden Programmfragen auch als Vertiefung (Konkretisierung) von Forschungsfragen beschrieben (vgl. Brosius/Haas/Koschel 2016: 96): Sie verfolgen den Zweck, Erkenntnisinteressen zu präzisieren – wie die Detaillierung einer zentralen Forschungsfrage in mehrere Sub-Forschungsfragen. Nützliche Tipps zu den Möglichkeiten, Forschungsfragen zu formulieren, finden sich bei Karmasin/Ribing 2019: 25ff. Detaillierter gehen Herczeg und Wippersberg auf Forschungsfragen (vgl. Herczeg/Wippersberg 2019: 85ff.) und Hypothesen (ebd.: 91ff.) ein.

5 vgl. dazu die Kapitel „6.2 | Messniveaus (Skalenniveaus) und Datenanalyse‟ ab Seite 97, „7 | Leitfaden, Fragebogen‟ ab Seite 110 sowie „8.1.3 | Datenanalyse forschungsfragen-/hypothesenkonsistent planen‟ ab Seite 142.

6 Der Beispielfragebogen dieses Buchs stellt keinen Anspruch auf „echte‟ Wissenschaftlichkeit: Die Formulierung der Fragen ergab sich NICHT aus zuvor erfolgter Literaturrecherche. Ihre Erstellung erfolgte „frei‟ durch den Autor – wenn auch unter Einbeziehung willkürlicher schriftlicher Basisbefragungen von Studierenden verschiedener Studienrichtungen und Fortschritts-Phasen im Studienplan. Der Fragebogen ist aus unterschiedlichen empirischen Blickwinkeln zu betrachten: Er dient der möglichst praxisnahen Veranschaulichung von (technischer) Operationalisierung von Forschungsfragen bzw. Hypothesen, Skalenniveaus, Arten der Frageformulierung sowie möglichst vielen Formen der Datenanalyse. Als Grundlage der BUCHdaten bildet er auch die Basis aller datenanalytischen Ausführungen bei Braunecker 2021. Fragebogen und BUCHdaten sind unter „Downloads‟ auf howtodo.at bzw. bei utb-shop/de verfügbar.

7 Ab dieser Stelle wird in diesem Kapitel zur Demonstration technisch und nicht real theoriegestützt argumentiert.

8 Mit „Leseaffinität‟ ist hier „Hinwendung, Neigung zum Lesen‟ (= „gerne lesen‟) gemeint.

9 Darin unterscheiden sich sozialwissenschaftliche Fragestellungen von naturwissenschaftlichen: Dort werden oft deterministische Hypothesen („in 100% aller Fälle‟, z.B. physikalische Gesetze) aufgestellt: „Wenn eine Person ein (unverpacktes) Buch ins Wasser fallen lässt, dann wird es nass.‟

10 Grundsätzlich setzt jede der hier angeführten Formulierungen eine vorangegangene (Literatur-)Recherche voraus, aus der die jeweilige hypothetische Annahme abgeleitet werden kann. Zur leichteren Lesbarkeit wird in den folgenden Beispielen auf die Präzisierung, auf WEN (z.B. österreichische Wohnbevölkerung) sich die jeweilige Hypothese bezieht, verzichtet. Diese (wiederholte) Präzisierung ist in der Realität einer wissenschaftlichen Arbeit aber ratsam.

11 Die theoretischen und datenanalytischen Grundlagen zur überprüfung statistischer Hypothesen werden im Detail bei Braunecker 2021: 77ff. behandelt.

12 Ob sie das tatsächlich müssen/sollten oder auch Formulierungen als „noindent1e‟ Aussagesätze möglich sind, wird in der wissenschaftlichen Praxis nicht ganz übereinstimmend betrachtet.

How to do empirische Sozialforschung

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