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Erstes Kapitel. Robinsons Jugend und erste Fahrten, von ihm selbst erzählt.

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Robinsons Herkunft. – Hang zum Seeleben. – Unterredung mit seinem Vater. – Besuch in Hull. – Er geht zur See. – Sturm. – Des Schiffes Untergang auf der Reede zu Yarmouth. – Robinsons Unschlüssigkeit. – Reise nach London.

Im Jahre 1632 erblickte ich in der Stadt York das Licht der Welt. Mein Vater, aus der Familie Creutznaer in Bremen stammend, hatte sich als Kaufmann in Hull, in England, niedergelassen. Hier war ihm das Glück hold, so daß es ihm gelang, sich ein ansehnliches Vermögen zu erwerben. Darauf zog er sich von den Geschäften zurück und siedelte nach York über, um seine ferneren Lebensjahre in Ruhe zu verbringen. Dort führte er meine Mutter heim; sie zählte zu einer alten und angesehenen Familie, Namens Robinson. So kam es, daß ich den Doppelnamen Robinson Creutznaer empfing; letzterer Name wurde indes durch die Leute gewöhnlich in Crusoe umgewandelt, wie man es in England oft findet. Wir behielten auch in der Folge diesen Namen bei.

Ich hatte zwei ältere Brüder; der eine diente als Oberstleutnant in einem englischen Infanterieregiment in Flandern und fand seinen Tod, als die Engländer unter Cromwell Dünkirchen den Spaniern abgewannen. Was aus meinem zweiten Bruder geworden ist, habe ich niemals erfahren, ebensowenig als meine Eltern je darüber Aufschluß erhielten, wie es mir selbst später ergangen ist.

Ich war also der dritte Sohn meiner Eltern und hätte eigentlich daran denken sollen, ihnen einmal eine Stütze zu werden. Ohne ernstlich die Wahl eines Lebensberufs zu erwägen, hing ich indessen abenteuerlichen Gedanken und Plänen nach; ich dachte nur an die Herrlichkeiten fremder Länder und träumte Tag und Nacht von Palmenwäldern, Goldbergen und den fabelhaften Schönheiten fremder Zonen. Nichts ging mir über das Leben eines Schiffers, der in seinem leichten Fahrzeuge sich auf dem blauen Meere wiegen und alle jene von mir erträumten Wunder mit Augen schauen kann.

Zwar ließ es mein Vater an guten Lehren und an Schulunterricht nicht fehlen, zumal er wünschte, daß ich späterhin ein Rechtsgelehrter werden sollte. Allein der Hang zum Seeleben, den weder seine ernstlichen Warnungen noch die schmeichelnden Bitten der Mutter verdrängen konnten, nahm meine Gedanken unwiderstehlich gefangen und ließ mir alles, was die Heimat bot, gleichgültig erscheinen.

Eines Morgens rief mich mein Vater in sein Zimmer, das er infolge der Gicht hüten mußte, und sprach zu mir in warmen und eindringlichen Worten.

»Mein Sohn«, begann er ernst und nachdrucksvoll, »du bist auf dem Wege, mir und deiner Mutter großen Kummer zu bereiten. Mein Sohn, ich meine es gut mit dir; laß ab von deinen abenteuerlichen Plänen! Du willst den heimischen Herd, das Vaterland verlassen; glaubst du, daß du es anderwärts besser findest als hier, wo dir bei Fleiß und Kenntnissen eine sorgenfreie Zukunft erblühen wird? Täusche dich nicht! Nur solche, die arm und hoffnungslos sind, oder die ein ungebändigter Ehrgeiz treibt, mögen durch außergewöhnliche und kühne Unternehmungen Glück und Ruhm erjagen. Für dich sind alle diese Dinge entweder zu hoch oder zu niedrig. Gewöhne dich, den Mittelstand, dem wir angehören, als den glücklichsten Stand anzusehen. Ist er nicht der Wunsch aller? Gar manche Könige, in Glanz und Prunk aufgewachsen, hätten gern den goldenen Thron mit dem bescheidenen Handwerk vertauscht. Selbst der weiseste Herrscher hat einst den Mittelstand als den glücklichsten gepriesen, indem er Gott bat, ihm weder Reichtum noch Armut zu geben! Wer hier die Mittelstraße geht, den stacheln weder Neid noch glühende Wünsche des Ehrgeizes, noch wohnen in ihm Stolz und Mißgunst.«


Robinson Crusoe wird von seinem Vater ermahnt.

So ermahnte mich mein Vater eindringlich, nicht mich selbst ins Elend zu stürzen. Er gab mir seine väterliche Absicht kund, daß er alles aufbieten würde, um mich auf der Laufbahn, die er für mich bestimmt habe, so freigebig zu unterstützen, als es mir in jeder Weise förderlich sein würde.

»Beherzige meine Worte!« fuhr er fort. »Dasselbe sagte ich auch deinen Brüdern, aber sie gingen ihren eignen Weg. Was war ihr Los? Fern vom Heimatshaus fiel dein ältester Bruder auf flandrischer Erde, und wo das Gebein deines zweiten Bruders modert, das weiß Gott allein. Glaube mir, deinem Vater, der nur auf das Glück deiner Zukunft bedacht ist; folgst du meinen Ermahnungen nicht, unternimmst du den unüberlegten Schritt, aufs Geratewohl in die weite Welt hinauszustürmen, so wirst du sicherlich eines Tages, wenn das Unglück bei dir einkehrt und niemand der Deinen um dich ist, bitter bereuen, daß du meine Mahnungen nicht beachtet hast.«

Tief ergriffen hielt er nach diesen Worten inne, während Thränen der Wehmut und Rührung seine Wangen netzten.

In jener Stunde nahm ich mir vor, gehorsam dem Willen meines Vaters mich zu beugen. Doch schon nach wenigen Tagen erwachte die alte Sehnsucht aufs neue, und alle guten Vorsätze waren vergessen. Bei meinem Vater durfte ich nicht hoffen, mit meinen Bitten durchzudringen; deshalb versuchte ich meine Mutter günstig zu stimmen. Ihr stellte ich vor, daß mein Trieb, die Welt zu sehen, unüberwindlich sei, daß ich bereits im achtzehnten Jahre stehe und nun zu alt sei, um die juristische oder die kaufmännische Laufbahn zu betreten. Sie möge den Vater zu der Erlaubnis bewegen, mich wenigstens eine Reise unternehmen zu lassen; gefiele mir das Seemannsleben nicht, so wolle ich dann mit doppeltem Eifer das Versäumte nachholen.

Von diesen wiederholten Herzensoffenbarungen war meine besorgte Mutter durchaus nicht erbaut; sie sagte mir rundweg, daß es ganz zwecklos sei, mit dem Vater noch einmal über diesen leidigen Gegenstand zu sprechen. Trotzdem teilte sie gelegentlich die Unterredung dem Vater mit, und dieser gab ihr seufzend zur Antwort: »Der Junge könnte zu Hause ein ganz gutes Leben haben; geht er aber davon, so wird er der elendeste Mensch auf Erden. Ich gebe meine Einwilligung nicht!«

So verging abermals ein Jahr, währenddessen die wiederholten Ermahnungen meiner Eltern nur tauben Ohren gepredigt wurden. Eines Tages war ich nach Hull gegangen und traf dort zufällig mit einem alten Schulkameraden zusammen, der im Begriff stand, auf einem Schiffe seines Vaters nach London abzufahren. Er überredete mich, ihn zu begleiten, indem er mich nach Seemannsart mit den Worten lockte: »Die Fahrt soll dich nichts kosten, mein Junge.«

Mein Entschluß war gefaßt. Unbekümmert um die Sorgen der Eltern, bestieg ich das Schiff; es war am 1. September 1651.

Selten hat die Strafe für den Leichtsinn so schnell begonnen und so lange gedauert wie bei mir. Kaum waren wir aus dem Hafen ausgelaufen, als es zu stürmen begann und die See hohl ging. Ich hatte noch nie eine Seereise mitgemacht, und so ergriff mich denn die unerbittliche Seekrankheit. Jetzt überfiel mich auch schon die Reue über meine unbesonnene Handlungsweise; meine Gedanken kehrten ins Elternhaus zurück, wo gewiß Vater und Mutter unter Thränen vergeblich meiner Wiederkehr harrten.

Der Sturm brauste immer heftiger, das Schiff sank bald in den Abgrund, bald wurde es hoch emporgeschleudert – mich überkam namenlose Angst. In diesen qualenvollen Augenblicken gelobte ich, sofort wieder in das elterliche Haus zurückzukehren, wenn es nur Gott gefallen würde, mich aus der Gefahr zu erlösen. Als sich aber am nächsten Tage Sturm und Wellen gelegt hatten, waren auch alle meine guten Vorsätze dahin. Gegen Abend klärte sich das Wetter auf; die Sonne ging rein und glänzend unter, um am nächsten Morgen in gleicher Herrlichkeit wieder aufzugehen. Ihr heller Schein spiegelte sich auf der weiten Meeresfläche wider; ich konnte mich an diesem ungewohnten, prachtvollen Schauspiel nicht satt sehen.

Während der Nacht hatte ich gut geschlafen und mich auch von meiner Seekrankheit wieder erholt. Mein Blick schweifte über den glatten Spiegel des Meeres, dessen Wellen gestern noch so unheilvolles Verderben drohten. Eben stand ich in tiefes Sinnen versunken, da trat mein Freund, der mich zu dieser Seereise beredet hatte, an mich heran und sagte lachend:

»Nun, Robin, wie ist dir die Bewegung von gestern bekommen? Du hast dich doch wegen des kleinen Windstoßes nicht geängstiget?«

»Was? Windstoß? Ich habe in meinem Leben noch keinen solchen Sturm ausgestanden.«

»Das nennst du einen Sturm? Nichts war es. Hat man nur ein gutes Schiff und ist auf offener See, dann macht uns eine Mütze voll Wind mehr oder weniger nicht bange. Aber davon verstehst du noch nichts; du bist nur ein Süßwassermensch, mein Junge. Komm, wir wollen eine Bowle Punsch machen und alles vergessen. Sieh, was für prächtiges Wetter wir haben!«

Der Punsch wurde gebraut und ich mußte tüchtig trinken, als sei ich schon seit Jahren Matrose. Da ging im Rausche alle Reue über meinen Ungehorsam unter; ich vergaß alle guten Vorsätze. Zwar kamen noch Augenblicke, in denen meine Vernunft widersprach, doch sah ich bald in solcher Regung nur eine Schwäche und bemühte mich, meine Grillen, wie ich es nannte, dadurch zu vertreiben, daß ich lustige Gesellschaft aufsuchte und fleißig den Kameraden zutrank. Nach wenigen Tagen hatte ich mein Gewissen beschwichtigt und die Erinnerung an alle väterlichen Lehren übertäubt.

Am sechsten Tage unsrer Fahrt gelangte unser Schiff auf die Reede von Yarmouth; widrige Winde und Windstille hatten uns seit jenem Sturme nicht erlaubt, eine größere Strecke zurückzulegen, und wir sahen uns genötigt, vor Anker zu gehen. Der Wind, anfangs minder stark, wuchs aber bald bis zum Orkan; alle Hände mußten zugreifen, um die Stengen und Raaen zu streichen. Die Wellen schlugen über unser Schiff, und ein paarmal glaubten wir, unser Ankertau sei zerrissen. Auf Anordnung des Oberbootsmannes wurde nun der Taganker ausgeworfen, so daß wir sicherer vor zwei Ankern liegen konnten.

Der Sturm raste fort; Angst und Entsetzen lagerten sich auf den Gesichtern der Matrosen. Der Kapitän ließ alle Vorsichtsmaßregeln anwenden, sein Schiff zu erhalten; doch schien er schon selbst die Hoffnung aufzugeben, denn als er an meiner Schlafstelle vorüberkam, hörte ich ihn in die Worte ausbrechen: »Der Herr sei uns gnädig! Wir sind alle verloren!« – Da bemächtigte sich meiner eine solche Todesangst, daß ich für den ersten Augenblick wie gelähmt in der Kajütte liegen blieb. Ich vermag es nicht zu schildern, was ich fühlte! Dann aber sprang ich aus der Kajütte auf das Verdeck und schaute umher. Welch entsetzliches Schauspiel bot sich meinen Blicken! Die Wellen gingen bergehoch und brachen sich an unsern Schiffswänden nach je drei oder vier Minuten; wohin ich auch sehen mochte, erblickte ich nichts als Angst und Not. Zwei schwerbeladene Fahrzeuge, die sich in unsrer Nähe befanden, hatten ihre Masten am Fuße gekappt – – eine halbe Stunde von uns entfernt sahen wir ein Schiff untergehen. Zwei andre, von ihren Ankern losgerissen, wurden in die See hinausgeworfen. Die leichteren Fahrzeuge hatten weniger zu leiden; dennoch trieben zwei oder drei, nur mit dem großen Blindsegel versehen, bei uns vor dem Winde vorbei.

Gegen Abend baten der Hochbootsmann und der Steuermann den Kapitän um seine Einwilligung, den Vordermast zu kappen. Er mußte es schon zugeben, da der Hochbootsmann versicherte, das Schiff sei sonst unrettbar verloren. Als nun der Vordermast gefallen war, stand der große Mast ohne Stütze und erschütterte das Schiff so sehr, daß man sich genötigt sah, auch diesen umzuhauen.

Der Zustand, in welchem ich mich damals bei meiner Unerfahrenheit mit den Gefahren des Seelebens befand, ist unbeschreiblich. Deutlich erinnere ich mich, daß mich während dieser qualvollen Stunden mehr die Reue marterte, von meinen guten Vorsätzen abgegangen zu sein, als mich die Furcht vor dem Tode schreckte. Der Gedanke, daß dieses Unglück eine Strafe Gottes für meinen Ungehorsam sei, stürzte mich in tiefe Betrübnis. Aber das Maß unsrer Leiden war noch nicht voll.

Der Sturm tobte mit solcher Wut, daß selbst die Matrosen gestanden, nie einen ähnlichen erlebt zu haben. Obschon unser Fahrzeug tüchtig war, schwankte es doch heftig hin und her, so daß die Matrosen jeden Augenblick ausriefen: »Wir kentern!« d. h. wir schlagen um. Ja, was bei Seeleuten nur selten vorkommt, der Kapitän, der Hochbootsmann und mehrere andre sanken betend auf die Kniee und starrten hoffnungslos dem Untergange entgegen.

Um Mitternacht rief plötzlich einer der Matrosen: »Ein Leck im Schiff!« Ein andrer schrie: »Das Wasser steht schon vier Fuß hoch im Raum!« Alles mußte jetzt an die Pumpen. Ich war wie gelähmt und sank auf mein Lager zurück. Die Matrosen weckten mich unsanft aus meiner Erstarrung auf und meinten, wenn ich auch vorher zu nichts genutzt hätte, so könnte ich doch jetzt an den Pumpen mit helfen gleich den andern.

Mechanisch folgte ich dieser Aufforderung; ich erhob mich und arbeitete tüchtig. Während dieser Zeit erblickte der Kapitän einige leichte Fahrzeuge, die, weil sie wegen des Sturmes vor Anker nicht aushalten konnten, das Tau hatten schlüpfen lassen; sie sahen sich gezwungen, das offene Meer zu gewinnen, und wendeten alle Mittel an, um einen Zusammenstoß mit uns zu vermeiden. Der Kapitän ließ durch einen Kanonenschuß ein Notsignal geben. Da ich nicht wußte, was das zu bedeuten habe, und glaubte, das Schiff ginge krachend in Trümmer, fiel ich vor Schrecken besinnungslos nieder. Niemand achtete jetzt meines Zustandes.

Jeder war nur für sein eignes Leben besorgt; ja ein Matrose, der mich für tot hielt, schob mich mit dem Fuße seitwärts und trat an meine Stelle. Es dauerte geraume Zeit, ehe ich wieder zu mir selbst kam.

Trotz der angestrengtesten Arbeit stieg das Wasser im Schiffe immer höher. Es war gewiß, daß wir sanken. Obgleich der Sturm ein wenig nachgelassen hatte, konnten wir doch kaum hoffen, einen rettenden Hafen zu erreichen. Fort und fort erdröhnten die Notschüsse; ein leichtes Fahrzeug in einiger Entfernung wagte es, uns ein Boot zu Hilfe zu senden. Nur durch einen glücklichen Zufall kam das Boot in unsre Nähe; aber es war uns lange nicht möglich, an Bord zu kommen, da es nicht anlegen konnte. Die Leute im Boote ruderten unter Lebensgefahr mit allen Kräften. Als sie endlich nahe genug gekommen waren, konnten wir ihnen ein Tau zuwerfen.

Sie fingen es auf und legten an Bord. Im Nu waren wir alle im Boote; doch mußten wir es aufgeben, jenes Schiff zu erreichen, das uns so menschenfreundliche Hilfe gesendet hatte. Daher beschloß man, das Boot treiben zu lassen, indem man vorsichtig nach der Küste zu steuerte. Der Kapitän versprach, es zu ersetzen, wenn es durch Stranden zertrümmert werden sollte. So, teils rudernd, teils mit dem Winde treibend, steuerten wir dem Lande zu, gegen das Vorgebirge von Winterton-Neß.

Wir hatten das Schiff kaum eine Viertelstunde verlassen, als wir es sinken sahen. Meine Augen umflorten sich, als die Matrosen auf das untergehende Schiff hinzeigten. Schon von dem Augenblicke an, wo ich in das Rettungsboot mehr geworfen worden als gestiegen war, legten sich auch Furcht und Gewissensangst wie Blei auf mein Herz.


Des Schiffes Untergang.

Die Schiffsleute ruderten rastlos, um das Land zu erreichen. Sobald unser Boot sich hoch aus den Wellen emporhob, bemerkten wir eine Menge Menschen längs der Küste, die alle bereit waren, uns Hilfe zu leisten, wenn wir nahe genug gekommen sein würden. Allein unsre Fahrt ging nur sehr langsam von statten. Erst nachdem wir den Leuchtturm von Winterton umschifft hatten, wo das Ufer sich westwärts gegen Cromer umbiegt und die Wogen deshalb nicht mehr so heftig sind, gelangten wir mit unsäglicher Anstrengung glücklich ans Land. Wir gingen dann nach Yarmouth, wo wir Schiffbrüchigen mit aller Menschenfreundlichkeit behandelt wurden. Die Obrigkeit wies uns gute Quartiere an, und die Kaufleute und Reeder der Stadt steuerten eine Summe Geldes zusammen, die jeden von uns in den Stand setzte, entweder nach London zu gehen oder sich nach Hull zurückzubegeben.

Hätte ich meinen Menschenverstand zusammengenommen und wäre nach Hull zurückgekehrt – alle Not würde zu Ende gewesen sein. Mein Vater hätte, um mich der Worte der Heiligen Schrift zu bedienen, in der Freude seines Herzens ein gemästetes Kalb geschlachtet.

Wie mir später mitgeteilt ward, hatte er erfahren, daß das Schiff, auf welchem ich mich befand, auf der Reede von Yarmouth untergegangen sei, und erst lange danach wurde ihm Gewißheit darüber, daß ich aus dem Schiffbruch gerettet worden. Aber es schien, als hätte ein schlimmer Geist meinen Sinn verblendet. Zwar regte sich manchmal die Vernunft in mir und mahnte mich, die Schritte wieder zum väterlichen Hause zu lenken; dennoch hielt mich ein Etwas ab, dieser inneren Stimme zu gehorchen. Zu der Lust an Abenteuern und am Wandern, die mich zu dem ersten Schritte des Ungehorsams gegen meine Eltern verleitet hatte, gesellte sich jetzt die Scham; umkehren wollte ich nicht mehr, und so trieb mich das Schicksal weiterem Unglück entgegen.

Mein Kamerad, des Schiffsherrn Sohn, der mir vorher Anleitung gegeben, mein Gewissen zu beruhigen, war jetzt mutloser als ich. Erst einige Tage nach unsrer Ankunft in Yarmouth kam ich wieder mit ihm zusammen, da unsre Quartiere weit auseinander lagen. Jetzt schlug er einen andern Ton an als vorher; mit trüber Miene fragte er mich, wie es mir gehe. Als sein Vater dazu kam, teilte er diesem mit, wer ich sei, daß diese Reise nur ein Versuch für mich gewesen sei, und daß ich weiterreisen wolle. In dem Kapitän mochten die Erinnerungen an durchlebte gefahrvolle Tage des Seelebens emporsteigen, er wurde ernst, fast streng und sagte zu mir: »Junger Mann, Ihr dürft nicht wieder aufs Meer gehen; die kaum überstandenen Ereignisse müssen Euch die Überzeugung aufdringen, daß Ihr nicht zum Seemann geboren seid.«

»Wie, mein Herr«, erwiderte ich verwundert, »wollen Sie denn auch nicht mehr zur See gehen?«

»Bei mir ist das etwas andres; das ist mein Beruf, meine Pflicht, Ihr aber habt mit dieser Reise nur einen Versuch machen wollen, und ich dächte, Ihr hättet einen hinlänglichen Vorgeschmack dessen bekommen, was Euch bevorsteht. Doch sagt mir, wie kommt es eigentlich, daß Ihr zur See gehen wollt?«


Die Schiffbrüchigen auf dem Boote.

Ich erzählte dem Kapitän den Verlauf meines bisherigen Lebens. Als ich geendigt hatte, fuhr er in unmutigem Tone und tief erregt auf: »Womit habe ich verdient, daß solch ein Unbesonnener zu mir an Bord kommen mußte? Um keinen Preis möchte ich je wieder mit Euch meinen Fuß auf dasselbe Schiff setzen!«

Das Unglück, welches ihn betroffen, hatte den Kapitän ganz außerordentlich heftig gestimmt. Indessen sprach er später liebevoller mit mir und stellte ganz eindringlich mir vor, wie thöricht das Beginnen sei, die Vorsehung tollkühn versuchen zu wollen; ich thäte sicher besser, zu meinem Vater zurückzukehren.

»Seid überzeugt, junger Mann«, schloß er seine wohlgemeinten Ermahnungen, »daß, wenn Ihr nicht zurückkehrt, Eurer überall nichts als Täuschungen und Elend harren, und daß die ernsten Worte Eures Vaters in Erfüllung gehen werden.«

Ich erwiderte nichts, sondern verabschiedete mich von dem wohlmeinenden Manne. – Ich habe ihn leider nicht wiedergesehen.

Da ich etwas Geld besaß, begab ich mich zu Lande nach London, unentschlossen, was ich eigentlich thun sollte. Nach Hause zu gehen verbot mir, wie gesagt, die Scham; auch fürchtete ich das höhnische Gerede der Nachbarn. Wie thöricht ist doch die Jugend! Sie schämt sich oft mehr der Reue als der Sünde und stemmt sich mit Gewalt gegen die Weisungen des Verstandes. Sowie die Erinnerung an die ausgestandenen Gefahren schwand, trat auch der Gedanke an die Heimkehr in den Hintergrund; zuletzt gab ich ihn ganz auf und entschloß mich kurz, an Bord eines überseeischen Schiffes zu gehen.

Mein größtes Unglück auf allen meinen Reisen war die Hartnäckigkeit, mit der ich mich weigerte, als Matrose zu dienen. Zwar hätte ich dann gleich den andern tüchtig die Hände rühren müssen, aber ich hätte auch Aussicht gehabt, im Laufe der Zeit zum Steuermann, Hochbootsmann, Leutnant, ja vielleicht gar zum Kapitän emporzusteigen. Allein ich hatte ein besonderes Geschick, überall das Ungünstige zu wählen, und da mein Geld noch ausreichte und meine Kleider sich in leidlich guter Beschaffenheit befanden, so begab ich mich als Passagier an Bord, wobei ich freilich nichts zu thun hatte, aber auch nichts lernen konnte.

Ich kam also nach London. Dort hatte ich das Glück, in gute Gesellschaft zu geraten, was bei einem lockeren, leichtsinnigen Burschen, wie ich war, sicherlich selten genug ist. Meine erste Bekanntschaft war der Kapitän eines Schiffes, welches von der Küste von Guinea zurückgekehrt und im Begriff stand, wieder dorthin abzusegeln. Dieser treffliche Mann fand Wohlgefallen an mir und schlug mir vor, auf seinem Schiffe die Reise nach Guinea zu unternehmen. Er meinte, es solle mich nichts kosten, und wenn ich einige Waren einkaufen wollte, um sie in Afrika mit Vorteil loszuschlagen, so würde ich dadurch vielleicht einen erklecklichen Gewinn machen.

Wer war froher als ich? Ich nahm des Kapitäns Anerbieten ohne Bedenken an. Auf seinen Rat hatte ich für etwa 40 Pfund Sterling (800 Mark) Glaswaren und andre kleine Gegenstände eingekauft. Diese Geldmittel hatte ich durch Hilfe einiger Verwandten aufgebracht, mit denen ich in Briefwechsel geblieben, und letztere hatten auch meinen Eltern mein Schicksal und mein Vorhaben mitgeteilt, ja dieselben wohl vermocht, etwas zu meinem ersten Unternehmen beizusteuern.

Dies war die einzige Reise, von der ich sagen kann, daß sie glücklich ablief. Allerdings hatte mich das Mißgeschick nicht gänzlich unberührt gelassen; infolge der allzugroßen Hitze in den Tropen verfiel ich in ein heftiges Fieber, so daß ich längere Zeit in Afrika krank daniederlag; aber die Reise war doch nicht erfolglos für mich gewesen. Dies hatte ich lediglich der Rechtschaffenheit meines Freundes, des Kapitäns, zu danken, unter dessen Anleitung ich nicht unbedeutende Kenntnisse in der Mathematik und der Seemannskunde erlangte. Ich lernte ein Schiffstagebuch führen, nautische Beobachtungen anstellen, kurz Dinge, die ein Seemann wissen muß. Er fand ein gleiches Vergnügen daran, mich zu unterrichten, wie ich, von ihm zu lernen, und so bildete mich die Reise zum Kaufmann und Seemann. Mein Tauschhandel ging gut; ich brachte über fünf Pfund Goldstaub zurück, gegen die ich in London 300 Guineen (6000 Mark) erhielt. Dieser Erfolg erfüllte mich mit hochfliegenden Gedanken; aber Hochmut kommt stets vor dem Falle, und dieser Hochmut war die Ursache, daß ich eine dornenvolle Bahn durchwandern mußte!


Robinson Crusoe's Reisen, wunderbare Abenteuer und Erlebnisse

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