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Kapitel 7 - Abtasten

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Typisch, dachte Katrin, ein Krimineller heißt entweder Ede, Kalle, Bruno oder Jonny. Was für ein Klischee.

Er war zwar klein für einen Mann und im Vergleich mit dem Doktor - Benjamin - wirkte er wie ein Zwerg, aber er machte einen durchtrainierten, kräftigen Eindruck und sie wollte sich auf keinen Fall mit ihm anlegen. Wer weiß schon, wozu so ein Krimineller fähig ist.

Sie wandte sich Benjamin zu und betrachtete ihn das erste Mal genauer. Abgesehen von dem Umstand, dass er keine Schuhe trug, war er makellos gekleidet: Ein anthrazitfarbener Anzug mit Nadelstreifen, ein weißes Hemd und eine rotblau gestreifte Krawatte.

Das ist ja nun wirklich nicht das richtige Outfit für einen Einbruch, dachte sie belustigt. Sie sah ihm direkt ins Gesicht und stellte verwundert fest, dass er ihrem Blick nicht auswich, wie es die meisten Männer taten. Im Gegenteil, er duldete ihre Inspektion mit einer spürbaren Erheiterung und ein leichtes Lächeln stahl sich auf seine Lippen - schöne, volle, sinnliche Lippen. Seine braunen Augen betrachteten sie und ihm war nichts davon anzumerken, dass er sich etwa über sie amüsierte. Seine kurzen, braunen Haare standen ein wenig wirr vom Kopf ab, und er hatte einen offensichtlich gepflegten Drei-Tage-Bart. Sie schätzte ihn auf ungefähr vierzig, obwohl er etwas jünger aussah. In einer anderen Situation wäre das genau der Typ Mann, mit dem sie sofort zu flirten angefangen hätte.

»Darf ich fragen, Herr Doktor - oder darf ich sie Benjamin nennen? - was Sie ausgerechnet zu dieser Zeit in dieses Haus geführt hat?«

Sie rechnete nicht wirklich mit einer Antwort, weshalb seine Reaktion sie sehr überraschte.

»Selbstverständlich dürfen Sie mich Benjamin nennen, Katrin. Was allerdings mein Hiersein betrifft, so muss ich für den Moment ins Feld führen«, er machte eine Pause, als müsse er in sich hineinhorchen, »dass wir uns noch bei Weitem nicht gut genug kennen, als dass ich Ihnen das anvertrauen würde. Es sei nur so viel gesagt: Ich habe private Gründe, die nichts mit materiellen Gütern zu tun haben. Ich suche in diesem Haus etwas, das ich für die Wiederherstellung meines Rufes benötige. Das muss zunächst genügen.«

Bei seiner Formulierung ›Wiederherstellung meines Rufes‹ war sie zusammengezuckt. Es konnte doch kein Zufall sein, dass er aus ähnlichen Gründen wie sie in die Villa eingebrochen war. Sie hätte es zwar nicht mit so wohlformulierten Worten ausgedrückt, zumal bei ihr der Gedanke an Rache dominierte, aber letztendlich ging es doch um das Gleiche.

Ihre Gedanken schienen ihr anzusehen zu sein, denn er neigte den Kopf leicht zur Seite und betrachtete sie aufmerksam.

»Ihre Intention scheint eine ähnliche zu sein, Katrin, oder liege ich da völlig verkehrt?«

Erschrocken rückte sie ein wenig von ihm ab. »Ist das so offensichtlich? Oder können Sie vielleicht Gedanken lesen?«

»Nein«, lachte er, »das nun wirklich nicht … leider. Aber ihre Gedanken stehen Ihnen quasi auf die Stirn geschrieben. Die Familie Helmholtz hat Ihnen ein Unrecht angetan und das ist der Grund dafür, dass Sie nun hier sind.«

»Verdammt will ich sein«, unterbrach ein Ausruf von Kalle ihre Gedanken, »jetzt weiß ich, woher ich dich kenne. Der Name kam mir sofort bekannt vor. Du warst doch wochenlang in der Klatschpresse, Mädchen.«

Katrin befürchtete, dass nun genau das zur Sprache kommen würde, was sie nicht mehr hören konnte.

»Du bist doch die kleine lesbische Erpresserin, die der Familie die ganze Kohle abluchsen wollte, oder?« Er klatschte sich lachend auf die Schenkel. »Was für eine geile Idee, ein Verhältnis mit der lesbischen Ehefrau anzufangen und dann den Ehemann zu erpressen. Eine Million, mein lieber Alter, wenn das geklappt hätte, nicht schlecht, Herr Specht.«

»Das ist eine verdammte Lüge«, rief sie verzweifelt aus, »kein Wort davon ist wahr. Ich bin nicht lesbisch und ich habe auch noch nie jemanden erpresst!«

Sie war laut geworden und erbost aufgesprungen.

Kalle war ebenfalls aufgesprungen, einen Schritt zurückgewichen und hielt nun wieder die erbeutete Waffe vor sich. »Langsam, langsam, Mädchen. Nicht aufregen. Ich hab doch nur das gesagt, was so in den Zeitschriften gestanden hat. Jetzt setz dich erstmal wieder hin und wir reden in Ruhe darüber.«

Katrin ließ sich wieder auf die Couch fallen. Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Schluchzend kauerte sie sich zusammen, nahm die Füße auf die Couch, schlang die Arme um die Knie und vergrub ihren Kopf zwischen den Knien.

»Ich … ich …«, stieß sie zwischen einzelnen Schluchzern hervor, »ich hab … doch … nix Falsches …, getan.«

Trotz ihrer seelischen Schmerzen bekam sie mit, dass Benjamin näher an sie heranrückte und vorsichtig einen Arm um ihre Schulter legte.

»Ich würde gerne behaupten, dass sich alles wieder einrenkt, aber das wäre wohl sehr kühn. Was ich allerdings sagen kann, ist, dass ich alles tun werde, um Ihre Ehre wieder herzustellen. Erzählen Sie doch bitte, was genau passiert ist.«

Katrin blickte mit verweinten Augen auf und stellte fest, dass er lächelnd mit einem altertümlichen Stofftaschentuch vor ihrem Gesicht wedelte.

Dankbar ergriff sie das Tuch, fuhr sich kurz über die Augen und schnäuzte sich dann geräuschvoll die Nase. Als sie fertig war, sah sie erschrocken auf das Taschentuch, das sie gerade Benjamin zurückgeben wollte.

»Oh, Verzeihung. Das war sehr gedankenlos, aber ich bin nur Papiertaschentücher gewohnt.«

Sie sah, dass er lächelte, aber sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es etwas gequält wirkte.

»Wollen Sie uns nicht berichten, was der Auslöser für Ihren Besuch in dieser Villa war«, lenkte er die Aufmerksamkeit von der peinlichen Situation ab.

»Ich habe … zuerst habe ich gedacht, es handelt sich um ein Missverständnis, aber … ich weiß nicht, warum ich so blöd war«, begann sie stockend. »Es ist ja nicht so, als hätte ich es nicht kommen sehen.«

Als sie aufblickte, entdeckte sie, dass der Kriminelle sie verständnislos mit offenem Mund anstarrte, während Benjamin feinsinnig lächelte.

»Äh … hab ich was Dummes gesagt, oder warum schaut ihr so blöd?«, fragte sie, während sie hastig zwischen den beiden hin und her sah.

Kalle nickte lediglich, während Benjamin das Wort ergriff: »Nein Katrin, aber sie haben den Fehler begangen, den die Meisten begehen, wenn sie Unwissenden einen Sachverhalt schildern wollen, der ihnen selbst nur zu gut bekannt ist.«

»Und der wäre?«, fiel sie ihm ins Wort.

Völlig unbeeindruckt fuhr er fort, als hätte sie die Frage nicht gestellt: »Versuchen Sie einfach, sich an alles zu erinnern, wie es sich chronologisch ereignet hat.«

Katrin nickte geistesabwesend, während die Erinnerungen sie übermannten.

Dann begann sie, zunächst stockend, dann immer flüssiger, den in ihrem Kopf ablaufenden Film zu schildern.


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