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Nadelöhre des Welthandels

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Der internationale Warenverkehr spielt sich zu 90 Prozent auf den Weltmeeren ab. Die Erdoberfläche besteht zu 71 Prozent aus Wasser, genug Platz für alle Verkehrsmittel ist also vorhanden. Meistens muss der Kapitän sein Schiff jedoch durch Nadelöhre navigieren, um an seinen Bestimmungsort zu kommen. Dabei unterscheidet man natürliche Engstellen, wie die Ostseeausgänge, den Ärmelkanal, Gibraltar, den Bosporus, Bab al Mandeb und das Inselgewirr um Malaysia und Borneo.

Die beiden größten künstlichen Wasserstraßen, der Suezkanal und der Panamakanal, fertigen heutzutage ungefähr 65 Prozent des globalen Warenverkehrs ab. Schon frühzeitig haben die Franzosen die Bedeutung dieser Nadelöhre erkannt. Napoleon, in weitschauender Voraussicht, hatte bei seinem ägyptischen Abenteuer von 1798-1802 vor allem die strategische Bedeutung der Verbindung zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer im Auge. Ihm war klar, dass der Herrscher über einen Kanal zwischen dem Mittelmeer und dem Roten Meer die absolute Kontrolle des gesamten Seeverkehrs mit Asien innehatte. Die Alternative, die Umschiffung des Kaps der Guten Hoffnung, bedeutet einen Umweg von Indien aus von ungefähr 5.000 nautischen Meilen. Das bedeutete bei einem Etmal [13] von 288 Seemeilen, dass ein Schiff mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 12 Knoten 17 Tage braucht, um diese Strecke zurückzulegen.

Es musste also von vitalem englischem Interesse sein, dass Ägypten nicht, wie Napoleon plante, französische Kolonie wurde. Der Verkehr mit seinem Kronjuwel Indien wäre in ernsthafter Gefahr. Die Reaktion Englands ließ nicht lange auf sich warten. Bereits einen Monat nach der Landung der französischen Truppen in Alexandria im Juli 1798 war die Flotte Napoleons in der Seeschlacht von Abukir von der englischen Flotte unter Admiral Nelson vernichtend geschlagen, was im Endeffekt das Ende des französischen Abenteuers in Ägypten bedeutete. Die Armee wurde begleitet von Wissenschaftlern und einem Ingenieurkorps, die Commission des Sciences et des Arts, welche in Gemeinschaftsarbeit das großartige Werk, die Description de l'Égypte anfertigten.

Ferdinand de Lesseps nahm dann ungefähr 60 Jahre später die geniale Idee des Korsen auf und baute durch Anregung der oben genannten Unterlagen den Suezkanal. Mit der Konvention von Konstantinopel, unter entscheidender Mitwirkung des später in diesem Werk aufgeführten Henry Drummond Wolf, wurde der Kanal zur neutralen Zone erklärt und England erhielt die Kontrolle über den Kanal. Mit dieser Vereinbarung hatte England den Schlussstein zur Absicherung seiner Interessen im Orient und in Afrika gesetzt. Gibraltar, Malta, Zypern, der Suezkanal, Singapur und das Kap der Guten Hoffnung waren unter englischer Herrschaft.

Das Empire war strategisch abgesichert. Deutschland hatte davon nichts gelernt, aber durch eine unsinnige Flottenpolitik, welche unter Berücksichtigung der aufgezählten Flottenstützpunkte total verfehlt war, hatte es sich die entschiedene Gegnerschaft des Empire zugezogen.

Wer jedoch davon gelernt hatte, war die ehemalige Kolonie jenseits des Atlantiks. Je mehr England seine Macht in Afrika und im Orient stabilisierte, umso mehr setzte Amerika seine südlichen Nachbarn unter Druck. Ganz offensichtlich war das Bestreben Amerikas nach »pazifischer Macht«. Um 1880 wurden Bunkerstationen längs der Pazifikküste aufgebaut.

Die mysteriöse Explosion des US-Kriegsschiffs Maine 1898 im Hafen von Havanna war letztlich der Anlass zum spanisch-amerikanischen Krieg. Mittelamerika kam unter amerikanische Kontrolle, gleichzeitig wurden Hawaii und Guam, strategisch wichtigste Punkte im Pazifik, amerikanisch. Die Philippinen wurden von den Spaniern befreit und bis 1946 waren sie amerikanische Kolonie. Trotz all dieser Raubzüge fehlte das Prunkstück.

Wieder spielten die genialen Franzosen einen unglücklichen Part. Nachdem die Orient-Europa-Wasserstraße, obwohl von Franzosen erdacht und angegangen, letztendlich unter britische Herrschaft kam, so ging es auch mit dem zweiten Unternehmen des Herrn de Lesseps. Er erlangte von Kolumbien die Konzession zum Bau des Panamakanals, der Verbindung von Atlantik und Pazifik, den Paso, welchen Magellan in diesen Breiten vergeblich suchte und ihn schließlich bei Feuerland fand. Diese Verbindung war für die USA von größter Wichtigkeit. Der damals reichste Mann der Welt, Cornelius Vanderbilt, hatte einen Großteil eines Vermögens mit dem Personentransport von der Ostküste der Staaten an die Goldküsten Kaliforniens in Schiffen gemacht, welche im Osten nach San Juan del Norte in Nicaragua fuhren. Von dort wurde der Passagier mit Booten an die Westküste von Nicaragua verbracht und von dort mit wartenden Schiffen nach San Francisco geschifft. Der industrialisierte Osten konnte seine Güter nicht nach dem Westen der USA transportieren. Selbst als um 1880 die Eisenbahn zur Westküste fertig war, waren die Transportkapazitäten nicht ausreichend.

Die Société Civile Internationale du Canal Interocéanique musste 1889 den Bau einstellen. In der achtjährigen Bauzeit wurden 287 Millionen US-Dollar ausgegeben und Tausende von Arbeitern starben an Malaria oder Gelbfieber. Eine Nachfolgegesellschaft verkaufte dann 1902 für 40 Millionen Dollar das zu ungefähr 40 Prozent fertiggestellte Kanalprojekt an die USA. Auch übernahmen die USA die Wyse Konzession, jenes Papier, mit dem Kolumbien die Konstruktion des Kanals genehmigte, und verlangten die Abtretung des Kanalgebiets von Kolumbien. Kolumbien lehnte ab, wurde von US-Truppen besetzt und Panama erblickte das Licht der Welt. 1904 wurde in Washington ein Vertrag geschlossen, welcher den Vereinigten Staaten ein Hoheitsgebiet von fünf Meilen auf jeder Seite des Kanals zusprach, die sogenannte Kanalzone. Amerika hatte die absolute Macht im Pazifik errungen.

Der Mann, welcher Amerika in den Schnellaufzug der Weltgeschichte gesetzt hatte, war ein Seemann. Alfred Thayer Mahan machte eine durchschnittliche Marine-Karriere und wurde 1896 im Rang eines Kapitäns zur See in den Ruhestand versetzt. In den letzten 24 Jahren seiner Dienstzeit wurde er nur einmal befördert. Als Seemann scheint Mahan keine besonderen Qualitäten gehabt zu haben. Er hatte mehrere Verwendungen an Bord und im Ausland. Sein Talent als Schriftsteller entdeckte der New Yorker Verlag Charles Sccribener´s & Sons, von welchem er gebeten wurde ein Buch über die Verwendung der Marine im Sezessionskrieg zu schreiben. »Rough Rider« Teddy Roosevelt war in der Zeit vor dem Kuba-Abenteuer Chef des Marine-Departments und wurde auf Mahan aufmerksam.

In den letzten sechs Jahren seiner Dienstzeit veröffentliche Mahan ein Buch und eine Abhandlung, welche die Weltgeschichte entscheidend beeinflusste. Das Buch, The Influence of Sea Power upon History, beschreibt vor allem den Aufstieg Englands zur ersten Weltmacht und die Bedeutung, welche dabei der Suezkanal spielte. Er analysierte die Situation und kam zur Einsicht, dass ein Isthmus-Kanal in Mittelamerika für die Vereinigten Staaten von entscheidender Wichtigkeit sei, um im Konzert der Weltmächte mitspielen zu können. Nicht das das eine neue Idee gewesen wäre. Schon in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts träumte Amerika, besser gesagt der damalige Bill Gates alias Cornelius Vanderbilt, von einem solchen Kanal, allerdings in Nicaragua. Sein Instrument, der Flibustier William Walker, scheiterte jedoch nach anfänglichen Erfolgen in Honduras vor dem Erschießungskommando am 12. September 1860. Mexiko glaubte das Problem mit einer Eisenbahn vom Atlantik zum Pazifik lösen zu können und die Franzosen versagten gerade in Panama. Draufgänger Roosevelt war von der Idee fasziniert und unter seiner Präsidentschaft wurden die weiter oben beschriebenen Maßnahmen zur Übernahme des Kanals unter amerikanische Herrschaft eingeleitet und durchgeführt. Auch erwähnte Mahan in diesem Buch die wichtige strategische Lage Kubas im Golf von Mexiko und Guantánamo war geboren. Im Jahre 1893 veröffentlichte er einen Briefwechsel mit Lord Beresford, beide Kapitäne zur See, welcher den Titel trug Possibilities of an Anglo-American Reunion.… and breaking down the barriers of estrangement which have too long seperated men of the same blood. [14]

Im Jahre 1906, zehn Jahre nach seiner Pensionierung, hat ihn Präsident Roosevelt zum Konteradmiral befördert. Nicht ausreichend für einen Mann, welcher Amerika innerhalb kürzester Zeit zur Weltmacht beförderte und peinlich genug, dass diese Beförderung so unpassend und spät erfolgte.

Mahans Buch The Interest of America in Sea Power, Present und Future, welches acht Artikel zu seinen Thesen enthält, und das im Jahre 1917, dem Jahr des Kriegseintritts der USA, von George Lois Beer publizierte Buch THE ENGLISH-SPEAKING PEOPLES; their future relations and joint international Obligations, schufen die Grundlagen zu dem, was wir heutzutage unter den »Five eyes« verstehen. Beide Bücher sind im Anhang unter Online-Bibliothek gelistet und können kostenfrei heruntergeladen werden.

Nun stand man auf Augenhöhe mit dem britischen Empire und es war Zeit, sich zu arrangieren. Betrachtet man nun dieses französisch-amerikanische Geschäft aus der Distanz, so haben die Amerikaner einen sagenhaften Deal gemacht. Für 14 Prozent des aufgewandten Geldes haben sie den zu 40 Prozent fertiggestellten Kanal gekauft – jenen Kanal, der mit einem Schlag einen Spitzenplatz in der internationalen Politik sicherte. Soll wirklich nur Geld als Kaufpreis geflossen sein, oder gab es noch andere diplomatische Zusicherungen, einen politischen Preis zugunsten Frankreichs im Falle von bestimmten europäischen Konstellationen? Wir wissen es nicht, aber in Amerika gab es ab dieser Zeit ein politisches Ausgrenzen einer ethnischen Gruppe der Patchwork Nation, nämlich der Deutschen.

Die Briten reagierten prompt. Aus »Anglo-Saxons« wurden »Ami-Saxons«.

[13] Die über Grund zurückgelegte, tägliche Strecke in Seemeilen.

[14] »… es ist an der Zeit die Barrieren der Entfremdung niederzureißen, welche zu lange unser gleiches Blut trennte.«

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