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I.

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In dem großen Kamin knisterten die Buchenscheite. Die aufschlagenden Flammen erhellten den kleinen lauschigen Salon mit rubinrotem Licht. Warm und wohlig drang es bis in die Falten der schweren, dunkelblauen Brokatvorhänge, die über die zugefrorenen Fensterscheiben fielen.

Auf einem niederen Taburett vor dem Feuer saß ein junges Weib. Die schlanke, ebenmäßige Gestalt im leichten, bequemen Seidengewand war ein wenig vornübergebeugt. Der Widerschein der Flammen, gegen die sie die feinen schönen Hände ausgestreckt hielt, um sie zu erwärmen, umspielte das lichtbraune Haupt und ein Stück des weißen Nackens.

Hinter ihr, die Hände auf die Schultern des jungen Geschöpfes gelegt, stand ein fast fünfzigjähriger Mann, eine stattliche, vornehm gekleidete Erscheinung. Die graue Puderperücke stand eigenartig zu dem frischen Gesicht mit den jungen lebhaften Augen.

»Nun Jeanne, noch immer in Gedanken?« fragte er, sich ein wenig niederbeugend und mit der Rechten leicht über das reiche weiche Haar des jungen Weibes fahrend. »Sollte man am Ende doch Sehnsucht nach dem auf Reisen geschickten Gatten haben?«

Jeanne d'Étioles sprang lachend auf, daß die weißen Zähne zwischen den ein wenig blassen Lippen schimmerten. In ihren Augen von unbestimmter Farbe spielten tausend lustige Teufelchen.

Sie schob ihren Arm unter den des Mannes.

»Das glauben Sie ja selbst nicht, Onkel Tournehem. Sie wissen ja so gut wie ich, weshalb wir Charles auf Reisen geschickt haben.«

Der große Mann schmunzelte.

»Alle Wetter ja! Ungern genug ist er gegangen, mein immer noch verliebter Herr Neffe! Nun, und die grande affaire? Hat Binet noch nichts von sich hören lassen?«

Jeanne d'Étioles schüttelte den Kopf und schnippte dabei übermütig mit den feinen Fingern.

»Die arme Mama ist in tausend Ängsten. Ganz ohne Grund. Wenn Binet nicht kommt, gehe ich eben ohne Einladung nach Versailles. Aber unbesorgt, er wird kommen!«

Herr Le Normant de Tournehem blickte auf das reizende Geschöpf und war überzeugt, daß es recht behalten würde.

Mit einer raschen Bewegung ließ Jeanne sich wieder auf das Taburett zurückfallen und zog den Onkel ihres Mannes, ihren besten Freund, neben sich in einen der tiefen, dunkelblauen Seidensessel. Sie nahm eine seiner wohlgepflegten ringgeschmückten Hände zwischen die ihren.

»Lieber Onkel,« sagte sie lebhaft, während die Farbe ihr in das zarte Gesicht stieg, »es kann ja nicht fehlen. Alles wird kommen, wie es kommen muß, wie es gar nicht anders kommen kann. Ich fühle es hier und da –« Sie machte zwei rasche Bewegungen gegen ihr Herz und die weiße kluge Stirn.

»Sie wissen ja, schon bei den Ursulinerinnen in Poissy nannten die Mädchen mich ›kleine Königin‹ und scharten sich um mich und erwarteten meine Befehle.«

»Frau Lebou nicht zu vergessen,« fiel Tournehem ein, »die dir, als du kaum neun Jahr alt warst, prophezeite, daß du eines Tages die Maitresse unseres geliebten Königs sein würdest.«

Jeanne nickte nur und fuhr dann eifrig fort.

»Die Dinge lagen nicht immer so glücklich wie heute. Aber die Zeiten haben sich geändert, seit Frau von Châteauroux tot ist. Es gibt niemand mehr, der behaupten könnte, der König traure noch um sie, sein Herz sei nicht frei. – Damals freilich...«

Jeanne lächelte ein wenig spöttisch.

»Im Walde von Senart, als ich ihm in den Weg ritt, beherrschte ihn die Châteauroux noch vollständig. Der König durfte mir nicht Wort noch Gruß gönnen, obwohl –«

»Obwohl du ihm schon damals in deinem blau und rosa Amazonenkleid und dem kecken Hütchen nicht übel gefielst, kleine Hexe!«

Jeannes schöne Augen strahlten triumphierend.

»Sie mögen mir's glauben oder nicht, Onkelchen, der König hat mir neulich bei der Audienz nichts weniger als ein unfreundliches Gesicht gezeigt! Er hat mir die Generalpacht für meinen Mann ohne Umschweife gewährt – nur daß« – ihr Gesicht senkte sich ein wenig nachdenklich – »wir waren allein – er hätte –«

Herr Le Normant schüttelte den Kopf.

»Du kennst den König doch nicht so gut, als du dir schmeichelst. Er ist langsam und scheu, wenn ihm nicht gleich sehr viel entgegengebracht wird – und daß dies nicht geschehen, war recht und klug von dir.«

Sie unterbrach ihn rasch. Wieder war sie aufgeschnellt und dehnte und reckte die feine, geschmeidige, übermittelgroße Gestalt. Die Arme gegen die Flammen gebreitet, daß sie wie in Glut getaucht schienen, rief sie mit einer Stimme, die zugleich voller Sehnsucht und Willensstärke war:

»Nur heraus aus dieser kleinen engen Welt – herrschen, seine Kräfte spüren, die Zügel in festen Händen halten – sein Ich durchsetzen gegen jeden Widerstand.«

»Und Marie Leszinska, die Königin?«

»Bah, sie ist keine Frau für Louis den Vielgeliebten – um sieben Jahre älter – häßlich – hergenommen von neun Kindbetten – ohne Geist und Willen. Eine Marie Leszinska fürchte ich nicht. Nichts – niemand fürchte ich – denn ich liebe ihn.«

Herr von Tournehem lächelte ungläubig.

»Jeanne, betrüge dich nicht! Wie solltest du dazu kommen, den König zu lieben?«

Sie warf den Kopf in den Nacken. Die Flamme der Buchenscheite wob einen leuchtenden Feuerschein um das lichtbraune Haar.

»Ich liebe ihn, weil ich ihn lieben will. Verstehen Sie das, Onkel Tournehem?«

Herr Le Normant blieb stumm.

In Jeannes Augen stand ein Licht – heiß und stark, beredter noch als ihre Worte –, das jeden Widerspruch im Keim erstickte. Näher trat sie zu ihm hin und legte die Hände zärtlich auf seine Schultern.

»Wenn ich dem König gefalle, ganz gefalle, danke ich's Ihnen, Onkel Tournehem. Sie haben mich zu dem gemacht, was ich bin. Sie haben mir den Sinn für alles Schöne und Große erschlossen. Sie haben mich in den strengen Wissenschaften, in allen freien Künsten erziehen lassen, Sie haben mir gezeigt, daß es auch für eine Frau andere Aufgaben gibt, als einen Mann zu nehmen und Kinder zu bekommen.«

»Und Alexandra?« warf Tournehem mit dem Versuch zu scherzen ein.

Jeanne lächelte ein zärtliches Mutterlächeln.

»Es ist gut, daß sie da ist, die Kleine – um so besser, da ich das erste Kindchen so rasch verlor –, aber sie läßt Raum für vieles andere, Raum und Kraft, die Welt mit meinem Namen zu erfüllen. Und ist es so weit, so sollen Sie mich dankbar finden, Sie, der Vater und die Mutter und Bruder Abel, alle die mir Gutes getan.«

»Und Charles Guillaume, dein Gatte?«

»Er ist ein guter, anständiger Junge – im übrigen – –. Wenn er meiner bedarf –. Natürlich –.«

Herr von Tournehem wußte genug.

Hinter einem der dunkelblauen Brokatvorhänge öffnete sich die Tür. Eine noch schöne, kränklich aussehende Frau um Anfang der Vierzig trat ein. Lebhaft, mit gewöhnlichen Bewegungen, die weitab von der vornehmen, rassigen Grazie ihrer Tochter standen, kam sie auf Jeanne und Tournehem zu.

»Was sagt Ihr! Vetter Binet noch nicht hier? Jedenfalls hat er keine Einladungskarte für Jeanne erhalten – und gerade zu den Hochzeitsfeierlichkeiten des Dauphins nicht – es ist – man möchte –«

Madeleine Poisson machte Miene, mit dem Fuß aufzustampfen.

Ein Blick auf Tournehem ließ sie innehalten.

»Meine liebe Madeleine,« sagte er halblaut, »Sie sind nicht mehr so bezaubernd, daß Sie sich dergleichen Extravaganzen noch gestatten dürften. Früher hat man Ihnen auf Konto Ihrer Schönheit mancherlei verziehen. Selbst Herr Poisson ist gegen Ihre allzustürmischen Emotionen empfindlich geworden.«

Sie tat, als habe sie ihn nicht gehört, und ging mit ausgebreiteten Armen auf Jeanne zu, die ernst und nachdenklich in die Flammen blickte.

»Mein armes Kind, haben wir dich dafür so vornehm erzogen, bist du darum so engelschön, daß dieser Esel, dieser Binet – oder hat er vielleicht vergessen, daß das Hôtel des Chèvres in der Rue Croix des Petits Camps liegt?«

Jeanne fuhr der Mutter über das welke, bis vor kurzem noch so schöne Gesicht, das das ihre an Zauber noch übertroffen hatte.

»Beruhigen Sie sich doch, geliebte Mama! Vetter Binet ist kein Esel –«

»So hat er die Einladung nicht bekommen, was noch schlimmer ist,« schluchzte Madeleine Poisson.

»Er wird sie schon bekommen haben. Sie unterschätzen die Macht des Kammerdieners Sr. Hoheit des Dauphins. Aber vergessen Sie nicht, die Hochzeitsfeierlichkeiten bringen viel Arbeit – und ehe er von Versailles bis zum Hôtel des Chèvres kommt!«

Frau Poisson trocknete ihre Tränen.

»Du magst recht haben, mein Liebling. – Du bist ja klüger als wir alle zusammen, meine geliebte Jeanne.«

Sie herzte und küßte ihr schönes Kind.

»Herr von Tournehem,« sagte sie dann, sich mit gekünsteltem Zeremoniell nach ihm zurückwendend.

Tournehem verneigte sich in gleicher Art mit der leichten liebenswürdigen Ironie, die ihm eigen war.

»Madame Madeleine Poisson?«

»Poisson schrieb mir heut flüchtig und beruft sich auf einen Brief an Sie, den er Ihnen per Kurier, vom Rhein glaube ich, sandte. Er sagte, er habe Ihnen darin den jetzigen Stand seiner Angelegenheiten auseinandergesetzt. Wie liegen die Dinge?«

Auch Jeanne trat vom Feuer fort auf Herrn Le Normant zu.

»Ja, was machen die Angelegenheiten des armen Papa? Man sollte sich wirklich besser anstrengen, seine lange Verbannung wieder gutzumachen. Die Brüder Pâris, für die er sich doch im Grunde geopfert, dürften sich mehr für ihn ins Zeug legen.«

»Ta, ta, meine liebe Jeanne, wir dürfen – trotz aller schuldigen Liebe – die Fehler deines Vaters denn doch nicht gar zu gering anschlagen. Er hat als Angestellter der Proviantkommission ein bißchen stark auf eigene Hand gewirtschaftet.«

»Ich muß sehr bitten,« fuhr Madeleine Poisson auf, »François hat sich bei der Verproviantierung von Paris zuschanden gearbeitet. Da können kleine Irrtümer in den Finanzen schon vorkommen.«

»Das Schatzamt hat 232000 Livres zu Recht von ihm zurückverlangt. Wenn Sie das kleine Irrtümer nennen!«

Madeleine fuhr abermals auf.

»Lassen Sie doch die alten Geschichten, Tournehem. Das Urteil wurde vor beiläufig achtzehn Jahren gefällt. Da Seine Eminenz, der Kardinal Fleury, es durchgesetzt hat, daß François nach acht Jahren aus Deutschland zurückkommen durfte, da er vom Staatsrat Entlastung für einen Teil seiner Schulden erhalten, da die Pâris ihn mit Freuden wieder in ihre Dienste genommen haben, kann mein Mann doch nicht ganz der Dieb und Räuber sein, zu dem Sie ihn stempeln wollen.«

Tournehem lächelte über den Zorn der Freundin.

Sich bequem in den schweren, vergoldeten Armstuhl zurücklehnend, in dem er im Laufe des Gesprächs Platz genommen hatte, meinte er: »Da wären wir ja wieder bei dem alten Streit, der so überflüssig als irgend denkbar ist; denn wir haben alle drei nur Poissons Bestes im Auge, das er, nebenbei gesagt, seiner Begabung und seiner Energie halber vollauf verdient.«

»Ja, das haben wir, Onkelchen, und wenn ich erst da bin, wo ich bald sein werde,« – sie tauschten einen raschen Blick des Einverständnisses – »soll der Vater bald zu hoher Gunst und Ehre gelangen!«

Madeleine Poisson umarmte gerührt ihr schönes Kind.

»Ja du, du wirst uns alle glücklich machen,« schluchzte sie; dann, fast in demselben Atem, in ihren heftigen Ton zurückfallend, fing sie aufs neue auf Binet zu schelten an: »Wäre nur dieser verdammte Dummkopf erst da!«

Tournehem nahm den Faden wieder auf, ohne des weiteren auf den temperamentvollen Ausbruch Madeleine Poissons zu achten. Vierundzwanzig Jahre hatten genügt, ihn daran zu gewöhnen.

»Im übrigen geht es Poisson nichts weniger als schlecht. Seine Reise an den Rhein, wohin ihn die Pâris vorige Woche mit einem geheimen Auftrag geschickt, scheint sich recht einträglich zu gestalten. Klug, ehrgeizig und raffiniert, wie Poisson ist, wird er bald wieder Oberwasser haben.«

»Wollte Gott und die heilige Jungfrau, es wäre so!« Frau Poisson schlug die Augen fromm gegen die Salondecke auf. »Ich habe heut schon dreimal für ihn im Betstuhl gekniet.«

»Hoffentlich nicht vergebens«, tröstete Le Normant ironisch.

Halblaut fügte er hinzu. »Sie wissen doch, Madeleine, daß dem Himmel die Gebete der Sünder wohlgefälliger sind als die der Gerechten!«

Frau Poisson tat, als habe sie ihn nicht gehört, was sie nicht hinderte, ihm einen koketten Blick aus ihren noch immer bezaubernd schönen Augen zuzuwerfen.

Jeanne, die das Talent hatte, alles zu sehen und zu hören, auch wenn sie mit ganz anderen Dingen beschäftigt schien, war die leise Bemerkung Tournehems und das Augenspiel ihrer Mutter nicht entgangen, obwohl sie seit einer ganzen Weile schon gegen das Fenster lehnte.

Wieder schoß ihr ein Gedanke durch den Kopf, der ihr schon öfter gekommen war: Sollte Tournehem, dieser vornehme Kulturmensch, der ihr in Abwesenheit des Vaters eine so gediegene Erziehung gegeben, mit dem sie soviel kluges Verstehen verband, nicht am Ende ihr eigentlicher Vater sein?

Nachdenklich preßte sie die Stirn gegen die gefrorenen Scheiben. Was nützte das Grübeln? Sie würde die Wahrheit vermutlich nie erfahren. Im übrigen würde diese Wahrheit weder an ihren Gefühlen, noch an ihrer Beurteilung der beiden Männer auch nur das geringste ändern.

Sie hatte sie beide lieb, den begabten, gewalttätigen, grobschlächtigen, im Grunde gutmütigen Poisson sowohl, als den vornehmen, weltmännischen Tournehem.

Sie würde, wenn sich ihres Lebens Ziel erfüllte, an der Zukunft, an dem Glück und dem möglichen Ruhm beider mit gleicher Willenskraft arbeiten.

Als Jeanne d'Étioles sich zu den anderen zurückwandte, hörte sie, daß Tournehem von ihrem Bruder Abel sprach.

»Was nützt ihm seine Schönheit, Madeleine, wenn er faul und ohne Ehrgeiz ist?«

Die Frau, die in einem Stuhl vor dem Feuer kauerte, meinte müde, daß sie nicht wisse, wie ihr einziger Sohn zu diesem Mangel an jeglichem Temperament komme. In der Hauptsache sei Abel scheu und schüchtern über die Maßen, und aus diesem Grunde zu keiner Stellung tauglich.

»Der Effekt bleibt derselbe.«

»Ich werde ihn schon aufrütteln. Wartet's nur ab!« rief Jeanne, die wieder zu ihnen getreten war, den schönen Kopf stolz im Nacken.

»Sieh zu, gutzumachen, was dein Vater mit der Knute verschüttet hat!«

»Keine Sorge, Onkel Tournehem, ich weiß schon, wie der Bruder zu nehmen ist.«

»Still!« rief Frau Poisson, aus ihrem Stuhl aufschnellend. »Es biegt ein Wagen in die Rue Croix des Petits Camps.«

Sie stürzte ans Fenster und versuchte, mit den Nägeln den Frostschleier von dem Glase zu schaben.

Dann, als das Geräusch eines auf dem holprigen Pflaster näher kommenden Wagens stärker wurde, flog sie zur Tür, riß sie weit auf und schrie laut nach der Jungfer.

Nanette legte im Erdgeschoß die letzte Hand an Jeannes Maskenkostüm für das Fest in Versailles. Das Kostüm war bis jetzt für jeden tiefes Geheimnis geblieben.

»Nanette! Nanette!«

Der schwarze Kopf der Gerufenen wurde auf der Treppe sichtbar.

»Rasch öffnen! Es kommt Besuch, mach' den Wagenschlag auf!«

Herr Binet, Kammerdiener Seiner Hoheit des Dauphins, lächelte mit glatten Mienen, als er den Eifer der hübschen Zofe sah.

»Gemach, gemach, Kleine! Sie reißen mir ja den Mantel in Stücke. Eilt's denn so sehr?«

Dann rief er dem Kutscher die Weisung zu, in einer Stunde wieder vorzufahren.

Nanette starrte derweilen verzückt auf das kunstvoll gemalte Wappen am Wagenschlag.

Herr Binet schritt ihr mit großen, majestätischen Schritten voraus, die Treppe hinauf.

»Meine schöne Cousine zu Haus?« fragte er nachlässig zurück.

Auf den oberen Stufen wurde Frau Madeleines scharfe Stimme laut.

»Wir erwarten Sie schon, Vetter. Mit Ungeduld erwarten wir Sie.«

Binet zuckte vornehm die Schultern unter dem dunklen Mantel.

»Hofdienst, meine liebe Madame Poisson, geht vor Frauendienst!«

Auf der obersten Stufe angelangt, küßte er Madeleine galant die Hand.

»Ich grüße Sie, Madame Poisson!«

»Warum so steif, mein lieber Binet, weshalb nicht Cousine – Tante?«

»Weil ich mit den Étioles, nicht mit den Poissons verwandt bin,« gab der Kammerdiener Seiner Hoheit des Dauphins mit Würde und starkem Nachdruck zur Antwort.

Frau Poisson hielt ihren Gast an den weit ausfallenden Spitzen seines Ärmels fest.

»Gleichgültig! Die Hauptsache, bringen Sie die Einladungskarte?«

Wieder zuckte der große Mann die Schultern.

»Wäre ich sonst hier?«

Frau Poisson atmete erleichtert auf und bekreuzigte sich.

»Gott sei Dank! Gott sei Dank!«

Als sie in den blauen Salon traten, in dem die Holzscheite zusammengesunken waren und nur noch einen schwachen Lichtschein gaben, fanden sie das Zimmer leer.

Während Frau Poisson den vielarmigen Lüster entzündete, fragte Binet ungeduldig nach Madame d'Étioles.

»Mein Auftrag geht an meine schöne Cousine.«

»Sie wird bei der Kleinen sein. Jeanne ist eine zärtliche Mutter!«

»Ein Vorzug mehr«, meinte Binet vieldeutig, mit zynischem Lächeln.

Nanette, die den schon vorher beorderten Muskateller und die kleinen Körbchen mit süßem Kuchen, Binets Lieblingskuchen, vor dem Gast niedersetzte, erhielt den Auftrag, Frau d'Étioles zu rufen.

Kaum daß Madeleine ausgesprochen hatte, trat Jeanne schon ins Zimmer, strahlend, erwartungsvoll.

Binet küßte die schöne, schlanke Hand länger, als nötig gewesen wäre.

»Alles steht zum besten!« flüsterte er. »Ich habe Ihnen viel zu sagen.«

Jeanne nickte und ersuchte ihre Mutter, sie mit Herrn Binet allein zu lassen.

Als Madeleine zögerte zu gehen, fragte Binet ungeduldig:

»Darf ich fragen, Madame, wer im Hôtel des Chèvres Herrin ist? Sie, die Sie nur Gast sind, oder Madame d'Étioles, der das Haus gehört?«

Frau Poisson wollte heftig werden. Ein bittender Blick der Tochter besänftigte sie sofort. Schweigend und verärgert verließ sie das Zimmer.

»Und nun erzählen Sie, Vetter,« bat Jeanne mit heißen Wangen. »Hab' ich dem König wirklich gefallen? Will er mich wirklich beim Fest haben? Seine blauen Augen, bei Gott, die schönsten blauen Augen Frankreichs, wie man sie nennt, sahen mich bei der Audienz sehr gütig an. Haben Sie Seiner Majestät gesagt, daß ich schon um ihn geweint, als er in Metz auf den Tod lag?«

Binet streichelte die schöne Hand seiner Cousine.

»Alles hab' ich ihm gesagt, direkt oder durch den Herzog von Ayen. Seine Majestät hat die bezaubernde Amazone aus dem Walde von Sénart nicht vergessen. Übrigens dürfen Sie Ayen getrost als Ihren Bundesgenossen betrachten.«

Binet griff in die Tasche.

»Hier die Einladungskarte für die Schlußfeierlichkeiten der Hochzeit. Morgen Maskenball in Versailles, übermorgen Ball im Stadthaus.«

Jeanne wiegte mit triumphierendem Lächeln die Karte in der Hand. Laut las sie ihren Namen und das Datum der Tage.

»Man wird ihn sich merken müssen, diesen 25. Februar 1745, an dem eine gewisse Madame d'Étioles zum erstenmal das Parkett von Versailles betrat,« meinte Binet vielsagend.

Jeanne saß nachdenklich da, das feine Oval ihres Gesichtes in die Hand gestützt.

Nach einer kleinen Pause, während Binet wohlgefällig und seiner Sache gewiß das schöne Geschöpf betrachtete, sagte sie zögernd:

»Wir haben in unserem Optimismus eins nicht bedacht, Binet. Ich gehöre nicht zur Hofgesellschaft, ich bin eine Bürgerliche. Wird der König darüber fortkommen?«

Binet bewegte mit der Miene des Besserwissers den Kopf.

»Gerade darin liegt ein neuer Anreiz für Seine Majestät. Er hat die Mailly, die Vintimille, die Châteauroux gründlich satt. Diese drei Schwestern Nesle haben ihm genug zu raten aufgegeben. Die Zeit der vornehmen Damen ist für ihn vorüber. Sie haben ihm zuviel Ungemach eingetragen.«

»Immerhin, er hat sie geliebt. Seltsam – drei Schwestern – eine hat die andere abgelöst.« Und bei sich dachte sie: Dieu merci, daß ich keine Schwestern habe!

»Der König liebäugelt mit dem Bürgertum. Er braucht den Bourgeois und will ihn dadurch ehren, daß er keine Frau von Geburt mehr zur Geliebten nimmt. Aber das alles wird Ihnen der Herzog von Ayen oder – der König selbst viel besser erklären, als ich es vermag.«

Er hielt einen Augenblick inne.

»Sie sind sehr klug, Jeanne, und dabei, leugnen Sie es nicht, im Grunde eine kalte Natur. Sie werden, wenn Sie die Gunst Louis des Vielgeliebten erringen – und ich zweifle nicht daran –, sehr bald tiefer und klarer in die Dinge hineinschauen als wir, trotzdem wir seit Jahren am Hofe sind. Nur auf eines möchte ich Sie von vornherein aufmerksam machen: des Königs Gedanken und Sinne bleiben bei keinem Gegenstand, auch bei keiner Frau, lange stehen. Wer ihn halten will, muß es verstehen, ihn dauernd zu beschäftigen und zu amüsieren, mit einem Wort: es verstehen, ihn über sich selbst hinauszubringen, damit er den unwiderstehlichen Anwandlungen der melancholischen Langeweile, die ihn wie eine Krankheit gefangen hält, nicht unterliegt.«

Jeanne nickte verständnisvoll.

»Ich weiß von diesen Anwandlungen. Abbé Bernis und der Herzog von Nivernois, die ich auf den Montagen der Madame Geoffrin kennen lernte, und die dann später in Étioles viel bei mir verkehrten, haben mir öfter davon erzählt. Auch Voltaire weiß ein Lied davon zu singen. Wo mag der alte Spötter stecken?«

»Wie man sagt, in Cirey bei seiner Freundin.«

»Der weisen Marquise von Châtelet!« lachte Jeanne. »Ich kann sie mir lebhaft vorstellen, die beiden, wie sie in ihrer geliebten Champagne Mathematik und Naturwissenschaften miteinander treiben – anstatt –« Sie biß sich auf die Lippe und verhielt ein Lachen.

Binet blickte nach der Bouleuhr auf dem Kaminsims.

»Gleich neun! Um zehn hab' ich Dienst. Übrigens fragt Seine Hoheit, sonst die Präzision in Person, momentan nicht viel nach Pünktlichkeit, so verliebt ist er in die Infantin, seine Braut.«

»Um so besser,« dachte Jeanne. »So wird er sich nicht um andere Dinge kümmern, bei denen man den frommen Herrn ganz und gar nicht brauchen kann.« –

Binet war aufgestanden, nachdem er den letzten der kleinen, süßen Kuchen zwischen die Lippen geschoben.

»Nur eine Frage noch, schönste Cousine! Haben Sie für ein interessantes Kostüm gesorgt, und was ist es, was Sie tragen werden?«

Jeanne legte den Zeigefinger auf den Mund.

»Pst!« machte sie. »Staatsgeheimnis, Herr Vetter!«

»Oh! Oh! Ich werde es doch erfahren dürfen?«

»Trotz aller schuldigen Dankbarkeit – nein!«

»Wirklich unerbittlich?«

»Unerbittlich!«

Jetzt sah Jeanne auf das Zifferblatt.

»Der Dienst ruft, Herr Vetter. Selbst ein verliebter Dauphin braucht seinen Kammerdiener – Vielleicht erst recht –«

Sie knixte und öffnete ihm die Tür.

»Ein Tausendsasa, diese schöne Frau. Zehn gegen eins, sie gewinnt das Spiel,« dachte Binet, während er die Treppe hinunterstieg.

Kaum war die Tür hinter Binet zugefallen, als Jeanne den kleinen Schreibtisch zwischen den brokatnen Fenstervorhängen aufschloß und ihm eine Rolle entnahm. Sie trug sie zu dem Tisch mit dem vielarmigen Kerzenleuchter und entfaltete sie.

Die Gravüre zeigte das Porträt Athenais von Montespans nach dem berühmten Gemälde von Mignard. Jeanne hatte ihr Kostüm zum morgenden Maskenfest genau nach dem Kostüm anfertigen lassen, das die Geliebte Louis' XIV. auf diesem Bilde trug.

Nur die Kostbarkeit der Edelsteine und Spitzen hatte sie nicht imitieren lassen können. Dazu reichten die Mittel Herrn d'Étioles, trotz der Freigebigkeit Onkel Tournehems, nicht aus.

Lange und nachdenklich blickte Jeanne auf das Blatt, das sie heimlich einer der Sammlungen des Onkels entnommen hatte.

Würde der König Gedanken und Absicht erkennen, die sie dazu verführt hatten, gerade dies Gewand zu wählen? Aufmerksam betrachtete sie das wundervolle Blau der spitzenverzierten, seidenen Schoßtaille, den reich gestickten Seidenrock, den von den Schultern fallenden, braunroten Samtmantel, die Perlenschnur, die sich durch das gewellte, hoch aufgetürmte Haar, von ähnlicher Farbe wie das ihre, schlang.

Jeanne wußte nicht, sollte sie es wünschen oder fürchten, daß der König ihre Absicht erriet?

Wie siegesgewiß Mignard dies schöne Weib, das eine La Vallière zu verdrängen imstande gewesen, auf das Blatt gezaubert hatte!

Und doch war dem Sieg die Niederlage gefolgt! Nach der Montespan war eine Maintenon gekommen und hatte ihr das Zepter entrissen.

Jeanne fröstelte und trat näher zu dem Kamin, in dem die schwache Flamme am Erlöschen war. Ihre Augen blickten mit tiefem Ernst in die sterbende Glut.

Dann warf sie den Kopf in den Nacken und biß mit den weißen Zähnen in die schön geschwungene Unterlippe, daß sie blutete.

Nein, in dem Frankreich Ludwigs XV. durfte es keine Maintenon geben!

Dora Duncker: Die Marquise von Pompadour. Romanbiografie

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