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II.

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Durch die eiskalte Februarnacht führte der Wagen Herrn von Tournehems Jeanne d'Étioles nach Versailles.

Die Sterne funkelten strahlend an dem blauschwarzen Himmel. Auf den Wegen lag der Schnee hart und festgefroren.

Wie in weiße, glitzernde Silbertücher gehüllt, standen die Bäume an den Straßenseiten, schimmernde Wegzeichen, die schon von weitem nach dem Königsschlosse wiesen, dessen strahlend hell erleuchtete Fassaden weit ins Land hinein funkelten.

Jeanne lehnte aus dem Fenster des Wagens. Ihre Augen öffneten sich weit. Die Flügel ihrer feinen Nase bebten. Sie las aus den glänzenden Lichtlinien ein Symbol ihrer glänzenden Zukunft. –

Im ganzen Umkreis des Schlosses staute sich die Menge. Die Pariser, immer bereit, zu sehen, dabei zu sein, gutlaunig im furchtbarsten Gedränge auszuhalten, standen zusammengedrängt wie eine Mauer. Die Wagen der Geladenen konnten nur mit Mühe vor das angegebene Portal gelangen.

Jeanne blickte strahlenden Auges auf die lange Reihe goldstrotzender, wappengeschmückter Karossen, mit ihren in Samt- und Seidenlivreen gekleideten Lakaien und Läufern, den Dreispitz auf den gelockten Puderperücken.

Kavaliere, die die Zeit nicht erwarten konnten, um in den Ballsaal zu gelangen, sprangen ungeduldig aus den Seidenpolstern ihrer Kaleschen auf. Jeanne sah Wagentüren sich öffnen, im Schein der strahlenden Beleuchtung gold- und silbergestickte Habits, Spitzenjabots, Schärpengürtel mit schimmernden Degenknäufen, weiße Seidenstrümpfe und hohe Lacklederschuhe mit roten Hacken über dem hellen Schnee leuchten.

Den Hut samt dem langen Elfenbeinstock mit dem Goldknopf in der Hand, die große Perücke ohne Puder über Hals und Schulter fallend, schritt die Noblesse gravitätisch einem der Schloßaufgänge zu.

Vorsichtiger waren die Masken. Sie hielten sich geduldig in den Karossen. Nur ab und zu sah Jeanne einen à la Watteau frisierten, gepuderten Frauenkopf, ein mit blaßfarbenen Bändern garniertes Seidenhütchen, einen – der jungen Dauphine zu huldigen – à l'espagnole kostümierten Kavalier, der sich weit aus dem großen Glasfenster seiner Kutsche beugte.

Langsam, Schritt vor Schritt, rückten die beiden Reihen der Karossen vor.

Ganz Paris schien sich auf den Weg nach Versailles gemacht zu haben, um das Hochzeitsfest des Dauphins und der jungen spanischen Infantin mitzufeiern, das wie kein anderer Bund die allgemeine Sympathie der Nation auslöste. –

Der Empfang und das Spiel der Königin in der Spiegelgalerie, das um sechs begonnen hatte, war längst vorüber. Louis und Marie Leszinska hatten um neun Uhr an der Galatafel teilgenommen. Um Mitternacht war der Beginn des Maskenballes angesagt.

Die Massen, die auf das Schloß zudrängten, schienen noch immer zu wachsen. Längst hatten die Wagenreihen sich geteilt. An der großen Marmortreppe sowohl wie am Kapellenhof stiegen die Gäste aus und betraten von beiden Seiten die feenhaft erleuchteten Schloßgemächer.

Endlich war die Reihe auch an Jeanne d'Étioles gekommen. Vorwärts gedrängt und geschoben stand sie, ohne recht zu wissen, wie sie so weit gelangt, in der Tür der von Lichtströmen überrieselten Spiegelgalerie.

Mit weit geöffneten Augen starrte sie hinein.

Höher hob sich die Brust, stärker schlug das Herz des schönen Weibes.

Das war wahrhaft königliche Pracht! Mit hungrigen Augen trank sie den Anblick dieser unzählbaren Kerzen, deren Glanz in den Spiegeln tausendfach widerspiegelte und sich über kostbare Seidenmöbel, über goldene und silberne, edelsteingeschmückte Ziergeräte und schwere brokatne Stoffe ergoß.

Unter den Deckengemälden von Lebrun stoben die Masken, sich neckend, miteinander schäkernd, durcheinander. An Jeanne vorüber, die ein wenig zurückgetreten war, um besser beobachten zu können und etwa bekannte Gestalten herauszufinden, zogen Kostüme aller Nationen: Armenier, Türken, Chinesen, Afrikaner.

Zwischendurch trieben Harlekins und Kolombinen, Pilger und Pilgerinnen ihre tollen Kapriolen. Gravitätisch schritten Ärzte und Gelehrte mit hohen Perücken, lange goldknöpfige Stöcke in den Händen, durch die Menge, als seien sie geradeswegs den Komödien Molières entstiegen.

Frauen in weiten Reifröcken, mit Blumenfestons und einer unzählbaren Menge von Volants und Falbalas geschmückt, mit Paniers von einem Umfang, daß die kleinen Frauen wie Kugeln, die großen wie Glocken aussahen, trugen der Mode des Tages mit einem leichten Anflug des Karikaturistischen, wie ein Maskenfest es gestattet, Rechnung.

Männer in kostbar gestickten Röcken aus drap d'argent oder drap d'or stelzten an Jeanne vorbei. Sie trugen die Hoftracht Louis' XV. und hatten nur Masken vorgelegt und die Perücke leicht gepudert.

Als die Gruppe vorüber war, hörte Jeanne hinter sich sagen:

»Haben Sie die Hofherren gesehen, Komtesse?«

Eine vergnügte junge Stimme gab bewundernd zurück:

»O, prachtvoll waren sie. Es müssen sehr reiche Leute sein.«

Der Sprecher dämpfte den Ton, aber Jeannes hellhörige Ohren verstanden ihn doch, als er der kleinen Komtesse antwortete:

»Ein großer Irrtum. Die Herren sind arme Landjunker, vom König zu den Vermählungsfeierlichkeiten befohlen. Da sie die Prachtliebe des Monarchen kennen und Kleider, wie sie sie tragen und tragen müssen – keines ist unter 2000 Livres herzustellen – nicht bezahlen können, haben sie mit einem Pariser Schneider das Abkommen getroffen, Anzüge für die drei Hauptfesttage zu entleihen. Zu einem Extramaskenanzug reichte es dann wohl nicht mehr aus.«

Jeanne hatte aufmerksam zugehört. Ein jedes Wort, das sie über die Verhältnisse am Hof Louis' XV. aufklärte, war ihr von größter Wichtigkeit.

Jetzt stürmte eine Gesellschaft von Polen an ihr vorüber, schlanke geschmeidige Gestalten, die der Königin zu Ehren die Nationaltracht ihres Geburtslandes angelegt hatten.

Durch eine Verschiebung der Gruppen rückte sie selbst nach und nach mehr in den Vordergrund.

Ihre zierliche, ebenmäßige Gestalt in dem interessanten Kostüm, der reizende Nacken, die Rundung des zarten Kinns, das wundervolle Haar, das in seiner natürlichen Farbe goldbraun im Glanz des Lichtmeers schimmerte, begann aufzufallen.

Zwei Harlekins umtanzten sie mit gewagten Sprüngen und gewagteren Reden.

Einer der Ärzte schritt mit langen Schritten auf sie zu und bestand darauf, ihr den Puls zu fühlen. Ein venezianischer Doge machte sich von seiner Dame, einer rotblonden Kolombine, los und trat rasch auf Jeanne zu.

»Schönste Athenais, darf ich Sie um einen Tanz bitten?«

Jeanne lächelte unter ihrer Maske, aber sie bewegte verneinend den Kopf.

Niemand sollte ihre Aufmerksamkeit ablenken.

Dieses Fest hatte für sie nur ein Ziel – und dieses Ziel hieß der König!

Der Doge ließ sich nicht so ohne weiteres abweisen.

»Der lebendig gewordene Mignard. Die goldene Zeit Ludwigs XIV. wird wieder wach. Seien Sie nicht grausam, schönste Athenais! Die Montespan war es auch nicht – und wenn ich mir leider nicht schmeicheln kann, le roi soleil zu sein –«

Jeanne wurde aufmerksam. Diese junge Stimme kam ihr plötzlich sehr bekannt vor. Die wundervollen, blendend weißen Zähne, die stattliche, ein wenig zur Fülle neigende Gestalt, die galanten Manieren dieses Dogen – nein, sie irrte nicht – in dem pomphaften Prunkgewand steckte Abbé Bernis, ihr guter Freund aus d'Étioles.

Es galt doppelte Vorsicht. Bernis hatte ihr stets eine sehr warme Verehrung entgegengebracht, ja beinahe mehr. Sie durfte sich mit keinem Wort, mit keiner Bewegung verraten. Er würde ihr sonst nicht von der Seite gehen.

Nicht Freund noch Feind durfte ihr heute abend in die Karten sehen.

Zu Jeannes Glück entstand gerade in diesem Augenblick eine starke Bewegung unter der noch immer wachsenden Menge der Masken.

All ihre Nerven spannten sich. Sollte der König –?

Binet hatte ihr heute morgen, im letzten Augenblick noch, verraten, welch ein Kostüm der schöne Herrscher tragen würde.

Eine der Spiegeltüren öffnete sich. Jeanne fühlte, daß ihre Hände eiskalt wurden. Dann strömte das Blut ihr wieder zum Herzen zurück. Nein, es war nicht Louis der Vielgeliebte!

Eine Reihe unmaskierter Personen betrat die Galerie.

Jeanne erkannte den Dauphin mit seiner jungen Gemahlin. Dem Paar voran schritt, am Arm eines Kammerherrn, Maria Leszinska, unvorteilhaft wie stets gekleidet. Wie stets schien auch an diesem Tage ein Hauch von Langerweile von ihr auszugehen.

Der Dauphin in der Tracht eines ländlichen Gärtners hielt glückstrahlend die Fingerspitzen seiner Gemahlin, die als Blumenmädchen kam. Beide waren im Stil Watteaus kostümiert. Hinter dem jungen Paar schritten der Herzog und die Herzogin von Chartres.

Eine Weile blickte Jeanne der Gruppe nach, die langsam, von den Masken umdrängt und neugierig betrachtet, durch den Saal schritt und sich dann auf den erhöhten Estraden verlor, auf dem die Königspagen Erfrischungen reichten.

Ringsum begann man, unruhig zu murmeln. Wo blieb der König?

Jeanne stand gerade und reglos wie eine Statue. Selbst wenn sie keine Maske getragen, würde niemand ihrem Gesicht angesehen haben, was in ihrer Seele vorging. Ihr Auge hing an einer Gruppe unmaskierter Damen mit ihren Kavalieren, die in ungeduldiger Aufregung lebhaft konversierten, die edelsteingeschmückten Fächer in steter, nervöser Bewegung haltend.

Jeanne hörte dicht hinter sich sagen, daß die reizendste der Frauen die Prinzessin von Rohan sei; die kleinere, ihr zunächst stehende, die Herzogin von Lauraguais. Beide Damen hatten, wie man sich zuraunte, es darauf abgesehen, den schönsten der Monarchen zu fesseln, ihm die Châteauroux zu ersetzen.

Wie eine geheime Parole schien es durch den festlichen Saal zu laufen, daß der König gewillt sei, gerade heute seine Gunst aufs neue zu verschenken.

Madame d'Étioles lächelte nur. Aber niemand sah dies kalte, beinahe grausame Lächeln.

Da plötzliche laute, lachende Zurufe in der lichtüberströmten Galerie. Von der Seite der Königsgemächer kommt ein gar merkwürdiger Zug. Acht Taxusbäume, im Geschmack der Zeit – die noch immer von den Einfällen Le Nôtres zehrte – zugeschnitten, setzen sich langsam, gravitätisch in Bewegung. Eine Gruppe schöner Frauen, die wohl ahnen mochten, wer in einem der Taxusbäume steckte, umschwärmte die dunkelgrünen Wandelgestalten.

Wie Jeanne die Gruppe gewahrt, geht ein Ruck durch ihren schönen Körper. Die große Stunde ihres Lebens ist gekommen. Sie findet Louis den Vielgeliebten auf den ersten Blick an Gang und Haltung zwischen seinen Kavalieren heraus. Ihr scharfes Auge hätte ihn unter Hunderten erkannt.

In der Mitte der Galerie teilt sich die Gruppe der Taxusbäume, laufend, hüpfend, tanzend. Mit dem gravitätischen Gang ist es zu Ende. Minder lebhaft als die anderen schreitet der König, den Jeanne nicht aus den Augen läßt. Er begrüßt die Damen Rohan und Lauraguais mit jener lässigen, ein wenig müden Grazie, die ihm eigen ist.

Eine Gruppe von Kolombinen umhüpft ihn und macht sich dreist an ihn heran.

Augenscheinlich wissen die Übermütigen nicht, an wen sie ihre lockeren Späße richten.

Eine kurze, gebieterische Handbewegung läßt sie erschreckt auseinanderstieben.

Dem Hof auf den Estraden dreht der königliche Taxus wie absichtlich den Rücken. Leises Lachen schüttelt ihn, als er ein leichtlebiges Weibchen, eine lange spanische Seidenmantille um die runden Schultern, nach seinen grotesken und wenig hoffähigen Manieren zu urteilen eine Bürgersfrau, erblickt, die sich an einen Taxus hängt, der ihm selbst an Gestalt und Bewegungen am meisten gleicht. Wahrhaftig, die Kleine hat Courage. Kein Zweifel, sie hält den Taxus, den sie umgarnt, für den König. Laut auf lacht Louis. Der Kavalier, Maria Leszinska verschwägert, wird warm. Er läßt sich nicht lange bitten und entführt die Leichtsinnige in die kleinen Kabinette.

Eine Weile sieht der König den beiden Entschwundenen nach, dann seufzt er gepreßt auf.

In ihm gähnt plötzlich wieder jene große qualvolle Leere, der er um alles zu entfliehen trachtet. Was gäbe er um ein Abenteuer, wie es seinem Vetter eben so mühelos in den Schoß gefallen ist! Er weiß, er braucht nur die Hand auszustrecken. Schneeige Nacken, weiße Hände, lockende Augen winken ihm von überall her. Ungezählte schöne Frauen sind bereit, sich auf den ersten Wink hinzugeben, ihm in den heimlichsten Winkel seiner »petits cabinets« zu folgen.

Aber gerade das langweilt ihn. Irgend etwas, das anders als alles bisher Gewesene ist, schwebt ihm vor. Er hascht danach, er wähnt, es zu greifen, und wenn er es zu halten glaubt, entschwindet es ihm. Er möchte die Maske herunterreißen, die ihm vor einer Stunde noch so lustig schien, und die ihm jetzt unsäglich läppisch scheint. Aber er will das Fest nicht stören, den anderen, die die gleiche Maske tragen, das Glück nicht schmälern, für den König gehalten zu werden.

Er blickt um sich, unschlüssig, matt in der Haltung, beinahe verlegen. Seine Gedanken schweifen ab. Er ist nicht mehr in Versailles, nicht mehr in dem feenhaft strahlenden Festsaal.

Irgendwo klingen Königsfanfaren – ein schattender Wald – die Jagd – die Jagd in den Wäldern von Sénart. Neben ihm reitet die Châteauroux. Aber er sieht sie nicht. Drüben am Waldrand hält ein leichtes Phaeton, ein schlanker Rappe. Ein reizendes junges Weib hält die Zügel. Flimmernde rosa und blaue Seidenstoffe schmiegen sich eng um eine entzückende Gestalt. Die schönsten und pikantesten Augen, Augen voller Rätsel und Tiefe, blicken ihn an. Die Châteauroux spricht ein scharfes Wort, der Zauber ist gebrochen.

Nachdenklich grübelnd steht der König, gegen eine der Spiegeltüren gelehnt.

Irgend jemand hat ihm von dieser reizenden Amazone aus Sénart gesprochen. Wer war es nur? Plötzlich besinnt er sich. Der Herzog von Ayen – und ein anderer noch – der pfiffige Binet muß es gewesen sein. Die Gedankenkette schließt sich. Eine andere Stunde steigt plötzlich auf, da er sie hier in Versailles gesehen und gesprochen, die holde Fee von Sénart, in einer kurzen, ach viel zu kurzen Audienz, die ihm mit der Uhr zugemessen war.

Hat man ihm nicht gesagt, daß diese Frau, wenn er sich recht erinnert die Herrin von Étioles, eine Einladung zu dem Fest in Versailles erhalten hat? Ist sie der Einladung gefolgt? Ist sie hier? Wie soll er sie finden unter den vielen hundert Masken? Weshalb hat ihm dieser Binet nicht gesagt, welche Maske sie tragen wird?

Ein leises »Sire«, hinter ihm geflüstert, unterbricht seine Gedanken. Der Herzog von Ayen ist zu dem König getreten.

Er deutet mit der Hand unauffällig auf ein mit Gold ausgelegtes Konsoltischchen, neben dem eine im Stil der Zeit seines Ahnen gekleidete schlanke Frau steht.

Überrascht halten seine Augen das reizende Bild fest. »Die Montespan, wie sie leibt und lebt! Wissen Sie, Herzog, wer auf den originellen Einfall gekommen ist?«

Der Herzog flüstert ihm etwas zu. Erregt richtet der König sich aus seiner gedrückten Haltung auf. Rücksichtslos durchteilt er die Gruppen, die sich zwischen ihm und Jeanne d'Étioles stauen.

Jetzt steht er vor ihr und verneigt sich tief. Ein paar Augenblicke lang fehlt ihm das Wort. Dann reicht er ihr die Hand und fragt beinahe ehrerbietig:

»Darf ich um die Ehre eines Rundganges bitten, schönste Marquise?«

Unter der knisternden Seide ihres blauen Gewandes schlägt Jeannes Herz laut und unregelmäßig, aber keine Bewegung verrät, was in ihr vorgeht. Leicht und graziös bewegt sie zustimmend den Kopf und überläßt ihre Hand der des Königs. Mit leisem Druck umspannt Louis der Vielgeliebte diese schönste Frauenhand, die er je in der seinen gehalten.

Einen Augenblick wartet Jeanne auf eine neue Anrede. Da der König schweigt, sagt sie mit ihrer zarten, wohlklingenden Stimme:

»Welch eine Ehre und Freude, Sire, daß Euer Majestät meine Maske gleich erkannt haben!«

Der König wird lebhaft.

»Meine Gedanken sind so oft, so mit ganzer Seele bei meinem großen Ahnen, daß ich alles, was mich an jene goldene Zeit Frankreichs erinnert, mit Freuden begrüße.«

Er ließ Jeannes Hand einen Augenblick aus der seinen und stellte sich vor sie hin, sie mit entzückten Blicken zu betrachten.

»Sie haben Geschmack, Madame, einen exquisiten Geschmack. Einen künstlerischen und historischen Blick zugleich.«

Jeanne lacht leise mit ihrem verführerischen Lachen und überlegt klug jedes Wort, das sie spricht.

»Wenn es so ist, Sire, wie Sie zu urteilen geruhen, so danke ich es der Erziehung meines Onkels, Herrn Le Normant de Tournehem. Er ist eine Künstlernatur und hat mich ganz nach seinen persönlichen Grundsätzen ausbilden lassen. Jélyotte gab mir Musikunterricht.«

»Das hört man Ihrer Stimme an, Madame; sie klingt wie eitel Musik.«

Der König hat aufs neue ihre Hand ergriffen und führt sie in der Richtung auf die Königsgemächer zu.

»Und was hat dieser treffliche Onkel Sie weiter lernen lassen, Madame?«

»Bei Guibandot tanzen, bei Crébillon dramatischen Unterricht und Deklamation.«

»Das läßt sich hören, Madame. Sie müssen mir gelegentlich einmal vorlesen, wenn meine melancholische oder heftige Laune mich überkommt, so etwa wie David König Saul mit seinem Harfenspiel besänftigte.«

»Es wird mir eine hohe Ehre sein, Sire.«

»Oder ziehen Sie vor, sich dramatisch zu betätigen?«

Lebhaft sagte Jeanne: »Das Theater ist meine Leidenschaft, Sire. Wir haben in Étioles eine große Bühne, die Herr von Tournehem neben dem Schloß erbauen ließ. Es sind dort Aufführungen veranstaltet worden, an denen selbst der gestrenge Herr Voltaire nichts zu tadeln fand, es sei denn, Crebillon lobte sie.«

Der König lachte ein heiteres unbefangenes Lachen, wie man es selten von ihm hörte.

»Haben Sie die beiden Kampfhähne wirklich zusammen bei sich gesehen? Und sind sie nicht mit Furor aneinandergeraten?«

Nun lachte auch Jeanne.

»Ich habe mein möglichstes getan, Sire, sie zu besänftigen.«

Louis streichelte ihre Hand. Leise und bedeutungsvoll sagte er:

»Diese schönste und zarteste Frauenhand kann ja nicht anders, als Frieden und Segen spenden.«

»O Sire, ich fürchte, Sie haben eine zu gute Meinung von mir. Ich bin nichts weniger als eine sanfte Taube.«

»Das vermute ich auch nicht in Ihnen, Madame. Dazu haben Sie viel zu viel Rasse und Verstand. Sie werden ja nicht vergessen haben, wie klug und schlagfertig Sie mich dazu überredeten, Ihrem Gatten die gewünschte Generalpacht zu übergeben.«

»Geruhen Euer Majestät, sich noch daran zu erinnern?« fragte Jeanne kokett.

»Vergißt man Augen wie die Ihren? Sphinxaugen, unenträtselbare! Damals war ich besser daran als heute. Damals durfte ich ohne Maske in den reizendsten Zügen lesen.«

Louis zog seine Dame gegen die große Spiegeltür, die zu seinen Gemächern führte.

»Legen Sie die Maske ab, Madame,« sagte er warm und drängend, mit den Augen die reizende Gestalt verschlingend.

Jeanne schüttelte den Kopf und machte Miene, sich ihm zu entziehen.

»Seien Sie nicht grausam, Madame! Mein Arbeitsgemach ist jetzt still und leer. Meine Minister sowohl als meine Pagen haben heute Besseres zu tun.«

Aber Jeanne machte keine Miene, ihm zu folgen. Heute noch nicht – nein. Morgen war auch noch ein Tag. Sie sah und fühlte, daß der König in Flammen stand. Sie verlor nichts und konnte nur gewinnen, wenn sie diese Flammen durch ihren Widerstand noch schürte.

»Nur auf einen kurzen Augenblick! Stellen Sie sich vor, Sie seien in Wahrheit Athenais von Montespan und Louis XIV. stände bittend vor Ihnen.«

»Ich stelle mir vor, was Sie wünschen, Sire und gerade deshalb – nein. Die stolze Athenais war nicht so leicht für ein Ja zu gewinnen wie die in Wahrheit sanfte Taube, die La Vallière. Sie ist nicht mein Genre, Sire.«

Der König widersprach lebhaft.

»Sie war liebendes, hingebendes Weib vom Scheitel bis zur Sohle. Gibt es Beglückenderes für einen Mann, der liebt, wie Louis Louise von La Vallière geliebt hat? Nehmen Sie ein Beispiel an ihr!«

Aber Jeanne blieb unerbittlich.

Der König zog sich scheu in sich zurück. Er hatte noch nie, als halber Knabe nicht, um Frauengunst gebettelt. Sollte er es als Mann um die Mitte der Dreißig noch lernen? Das Bewußtsein seiner fast grenzenlosen Macht, die er noch eifriger hütete, als der Sonnenkönig die seine gehütet, kam über ihn. Gleichzeitig aber auch das Bewußtsein aller Qualen, welche seine scheue unruhige Seele ihm bereitete.

Er ergriff die Hand Jeannes, die er hatte fallen lassen, aufs neue. Er hatte sich ja nach etwas anderem als allem bisher Erlebten gesehnt! Hier war es, was er heiß gewünscht. Sollte er es zurückstoßen aus gekränkter Eitelkeit?

»Ich will Sie nicht drängen,« sagte er leise, sich zu Jeanne niederbeugend. »Aber morgen, Sie werden auf dem Stadthausball sein? Dort tanzt man unmaskiert. Dann, nicht wahr, werde ich das Glück haben, Ihr reizendes Gesicht wiederzusehen?«

Jeanne nickte Gewähr. Sie hatte mit ihren scharfen Augen, mit ihren rasch auffassenden Sinnen des Königs Kampf beobachtet, hatte triumphierend ihren Sieg erkannt. Sie wußte, morgen durfte sie gewähren.

Der König flüstert ihr Ort und Stunde des Rendezvous zu.

»Sie werden kommen – bestimmt?«

»Ich werde kommen – bestimmt!«

Er drückte heiß ihre Hand, daß die kostbaren Ringe, die er trug, sich beinahe schmerzhaft in ihre zarte Haut eingruben. Dann entschwand sie ihm rasch mit den zierlich schnellen Bewegungen einer Gazelle in dem Gewühl der nächsten Gruppe.

Scheu blickte der König zu Boden. Er kam sich plötzlich mitten im Glanz seines Festes grenzenlos allein und vereinsamt vor.

Zu seinen Füßen liegt ein feines weißes Spitzentuch mit Gold- und Seidenfäden gestickt. Er hebt es auf. Es atmet denselben feinen Rosenduft, der das reizende Geschöpf umschwebt hatte. Er will ihr nach, ihr das Taschentuch zurückstellen; aber schon hat sich ein Wall von Menschen zwischen ihn und Jeanne d'Étioles geschoben.

Geschickt, mit einer groß ausholenden Geste, wirft er ihr das Tuch, über die Köpfe der Masken fort, zu.

Geschickt fängt sie es auf.

Hunderte von Augen haben dem langen, leisen Gespräch der beiden, dem Spiel mit dem Tuch zugesehen.

Ringsum flüstert es erregt, zustimmend oder voll Neid und Mißgunst:

»Das Taschentuch ist geworfen.«

Dora Duncker: Die Marquise von Pompadour. Romanbiografie

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