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Vorwort zur deutschen Ausgabe

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In den vor uns liegenden Jahrzehnten wird es in Deutschland mehr und keineswegs weniger Islam geben. Was aber können wir uns unter Islam genau vorstellen? Abseits von Schlagworten wie ‚Gastarbeiter‘, Flüchtlinge, Kriege, Frauenverachtung und Terrorismus bleibt die Frage, wer eigentlich die Muslime sind? Dieses Buch wagt sich an so schwierige Themen wie Identität, Geschichte und die Möglichkeit eines Zusammenlebens in der modernen Welt. Als Europäer und Muslim erzähle ich aus einer Innenperspektive eine Geschichte des Islam und gleichermaßen Geschichten über den Islam. Damit versuche ich, den Schleier des Unbekannten zu lüften, der den Islam und die Muslime verhüllt – unternehme quasi einen Versuch des Aufdeckens.

Kürzlich lief ich in Wien entlang der Überreste der Altstadtmauern, die die Osmanen im Jahr 1683 nicht zu überwinden vermochten. Die osmanische Belagerung wurde von diesen Stadtmauern aus zurückgeschlagen – dabei sollte diese Episode aber nicht vereinfacht lediglich als Kampf zwischen Islam und Christentum verstanden werden. In der militärischen Konfrontation mit den Türken stand König Johann III. Sobieski (1629–96) vereinten Truppen polnischer und deutscher Verbände vor. Jedoch dienten ihm ebenso die Kavallerieeinheiten der muslimischen Lipka-Tataren, die tapfer gegen die Osmanen kämpften. Indem sie ihre berühmt-berüchtigte Taktik anwandten, einen Rückzug vorzutäuschen, um dann urplötzlich die feindlichen Verbände einzukreisen, stifteten die Tataren verheerendes Chaos und Verwüstung. Als Anerkennung ihres militärischen Beitrags verlieh Sobieski den Tataren Ländereien in Polen. Dort befindet sich noch heute die älteste Moschee des Landes.

Die muslimischen Osmanen waren zu dieser Zeit mit dem römisch-katholischen Sonnenkönig Frankreichs, Ludwig XIV. (1638–1715), verbündet. Die Franzosen respektierten dieses Bündnis mit den Osmanen bis zu der Zeit, als Napoleon 1798 Ägypten besetzte. Die französische Allianz mit den Muslimen, repräsentiert durch das Osmanische Reich, stellt das am längsten währende Friedensabkommen in der französischen Geschichte dar. Die türkische Belagerung Wiens tat der Unterstützung der Osmanen durch Frankreich keinen Abbruch, ungeachtet der Tatsache, dass Ludwig XIV. ebenso wie die Habsburger in Wien katholisch war. Daneben gab es in Europa noch eine Reihe aufstrebender protestantischer Staaten, die es mit großer Genugtuung gesehen hätten, wenn das Heilige Römische Reich unter osmanische Herrschaft gefallen wäre.

Kurzum, Geschichte ist niemals nur schwarz und weiß. Narrative von „wir“ und „sie“ werden weder der Vergangenheit, noch der Gegenwart und Zukunft unserer Länder und Kulturen gerecht. Allen voran ist Deutschland eine gewichtige Heimstätte des freiheitlichen Denkens und der Auflehnung gegen Unterdrückung im Namen der Religion. Martin Luther ebnete einer Frömmigkeit der persönlichen Freiheit gegenüber dem Papst den Weg. Wenn sich in Deutschland diese Traditionslinie mit einem Verständnis des Islam aus einer Innenperspektive verbinden würde, dann könnten Deutschland und die im Land lebenden Muslime ganz Europa den Weg zu einem Modell leuchten, das Muslimen eine Loyalität sowohl gegenüber Deutschland als auch gegenüber dem eigenen Glauben erlauben würde. Mehrere Jahrzehnte lang plädierte der deutsche Muslim Professor Bassam Tibi für einen Euro-Islam. Ebenso ruft die deutsch-muslimische Autorin Sineb al-Asrar Muslime dazu auf, endlich die Opferrolle abzulegen, um eine Gleichstellung, gerade auch für Frauen, zu erreichen. Hierzu ist es aber unausweichlich, dass Muslime in Deutschland mit der Einflussnahme und den Abhängigkeiten von der Türkei vollends brechen. Denn sie sind nun einmal deutsche Staatsbürger. Um diese Abnabelung ganz und gar bewerkstelligen zu können, muss ihnen von der Mehrheitsgesellschaft allerdings auch das Gefühl vermittelt werden, Deutsche zu sein. Wäre es beispielsweise in Deutschland überhaupt denkbar, einen muslimischen Kanzler zu haben? Und sind auf der anderen Seite muslimische Verbände und einzelne Muslime gleichermaßen bereit, die religiöse Neutralität des Staates, Geschlechtergleichheit, Rechte für Homosexuelle und Meinungsfreiheit aufrichtig zu akzeptieren?

Wir verdanken Deutschland nicht nur Luther, sondern auch Hegel. Letzterer hat verschiedene Momente in der Geschichte herausgehoben, in denen es zu einem Wechselspiel aus These und Antithese kam. Aus dieser These und Antithese kann dann letztlich eine Synthese erwachsen, ein neuer Weg nach vorne hin zur Freiheit. Dieser Pfad hin zu menschlicher Freiheit und Selbstbestimmung war lang und beschwerlich.

Gerade Deutschland kann dabei mithelfen, heute eine solche Synthese aus Islam und dem Westen zustande zu bringen. Aber dazu müssen die Deutschen den Geist Luthers und Hegels zur Entfaltung bringen, um den Islam und die Muslime besser verstehen zu können. Wenn uns dies als Europäer und Muslime nicht gelingt, werden andere an unserer statt handeln und daraus wird dann eben keine Synthese entstehen, sondern etwas Abscheuliches und Zerstörerisches.

Bei einem kürzlichen Besuch des Frankfurter Goethe-Hauses erstand ich eine Ausgabe von Goethes West-östlichem Divan. Seit dem Jahr 1814 tauchte Goethe leidenschaftlich in das Studium von Islam, Arabern, Muslimen, Persern und des Sufismus, der Herzkammer des mystischen Islam, ein. Besonders eingehend beschäftigte er sich mit Hafis (siehe Kapitel 16), einem muslimischen Dichter des 14. Jahrhunderts, der den Wein liebte und die Vereinigung mit dem Göttlichen suchte. In Hafis erkannte Goethe einen Zwillingsbruder im Geiste. In dieser schillernden islamischen Seele aus der persischen Stadt Schiraz fand Goethe einen ebenbürtigen Rivalen und einen Wahlverwandten.

Und mag die ganze Welt versinken,

Hafis mit dir, mit dir allein

Will ich wetteifern! Lust und Pein

Sey uns den Zwillingen gemein!

Wie du zu lieben und zu trinken,

Das soll mein Stolz, mein Leben sein.

Nun töne Lied mit eignem Feuer!

Denn du bist älter, du bist neuer.1

Seite um Seite, Kapitel um Kapitel atmet Goethes Werk den Hauch der Seele eines Islam, der Liebe verkörpert und sehnsüchtig sich dem Göttlichen anzunähern sucht. Derselbe Geist erfüllte auch andere große deutsche Denker, etwa Kant, der seine Doktorarbeit mit der arabischen basmala-Anrufungsformel auf dem Titelblatt einreichte.2 Ebenso Wittgenstein, der stets jedem Tolstois Hadschi Murat zur Lektüre empfahl – sogar dem eingefleischten Atheisten Bertrand Russell.

Heutzutage sind Deutschland und die Deutschen in einer noch günstigeren Lage, dabei mitzuhelfen, der Kultur des Sich-als-Opfer-Fühlens, die unter Muslimen vielerorts so weit verbreitet ist, ein Ende zu setzen. Eine deutsche Kultur, die den Islam einzubeziehen und Muslime als vollwertige Mitbürger zu betrachten vermag, muss sich zukünftig noch stärker etablieren. Ohne eine solche Synthese werden die Muslime auch weiterhin mehrheitlich eine Unterschicht bilden und dies wird das gesellschaftliche Miteinander in Deutschland weiter eintrüben: Dann werden Radikalisierungen zunehmen, Terrorismus wird häufiger zu Tage treten und letztlich die extreme Rechte an Einfluss gewinnen. Muslime in Deutschland, die ursprünglich aus der Türkei, Kurdistan, Syrien, Libanon, Marokko – oder woher auch immer – stammen, müssen sich aus der Geiselhaft ausländischer Regierungen befreien. Ihre Loyalität und Verbundenheit gebührt nur einem Nationalstaat, nämlich Deutschland und eben nicht einer imaginierten umma, einer globalen Gemeinschaft aller Muslime. Gleichzeitig kommt dem deutschen Staat die Verpflichtung zu, die Integration weiter voranzutreiben und eine Einbürgerung zu erleichtern. In Großbritannien, Kanada und den USA haben die meisten Muslime zu dieser loyalen Haltung gegenüber dem jeweiligen Nationalstaat gefunden. Kann es Deutschland gelingen, eine Identität zu formulieren, die auch Kinder von Zuwanderern miteinbezieht, indem man auf Geschichte, Identität und Zugehörigkeit verweist?

Weltoffen aus Tradition kann hierbei als eindringliche Bitte um Unterstützung verstanden werden. Angesichts der ansteigenden Zahl der Muslime in Deutschland und bei zunehmendem Verständnis der innerislamischen Richtungskämpfe wird dann bei uns auch die Notwendigkeit solch einer Synthese noch dringlicher werden. Ein aus der Balance geratener Islam wird Deutschland Schaden zufügen, wohingegen ein friedfertiger Islam – von Muslimen real im Alltag gelebt – letztlich dazu beitragen kann, ein noch besseres Deutschland zu erschaffen. Dieses Buch ist ein Appell für solch einen friedvollen Weg.

Ed Husain

London, Januar 2020

Weltoffen aus Tradition

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