Читать книгу Jeder wird noch von mir sprechen, wenn ich groß bin - Elmar Weihsmann - Страница 7

4. Kollegen

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Zu Mittag schickt mich die Jugoslawin zusammen mit Martina, also kurz Tina, die im zweiten Lehrjahr ist und heute auch mit mir in der Frischkostabteilung angefangen hat, in die Pause.

„Und pass mir ja auf mein Kücken auf, dass sie mir keiner rupft, sonst bekommt er es mit mir zu tun“, sagt die Jugoslawin zur Tina, die total verschlafen mault, dass weder ihr noch mir schon nichts passieren wird, denn es ist noch jede aufrecht stehend aus dem Pausenraum herausgekommen.

„Wer weiß. Besäufnisse gibt es viele in dieser Firma und gleich am ersten Tag einen Rausch ist nicht die beste Visitenkarte“, mault die Jugoslawin zurück, „und jetzt schwirrt schon ab, sonst ist die Pause um, bevor ihr noch eine geraucht habt.“

Tina nimmt mich bei der Hand und zieht mich von dannen.

Ich hör wohl schlecht. Rausch? Rauchen? Besäufnisse? Was noch? Alles was am Freitag noch total verboten war ist am Montag schon erlaubt!

Ich glaube es einfach nicht.

Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich nicht so sauer auf die Frau Magister Meyer gewesen, weil sie mich im Supermarkt untergebracht hat. Im Gegenteil, es war echt gemein von mir, dass ich das letzte Monat in der Kinderwohngruppe jeden Tag so grantig war, weil ich im July gleich schöpfen gehen muss. Und jetzt scheint das hier genau der richtige Ort für so eine wie mich zu sein, eine Wilde, die gerne einen draufmacht, ohne dass dauernd einer den Zeigefinger schwingt.

Vielleicht passe ich ja wirklich genau hier hin, jedenfalls gefällt es mir schon etwas besser, als noch vor Dienstantritt, ganz zu schweigen von gestern Abend, als ich die totale Panik hatte, was morgen kommt und ich schon kneifen und einfach heute nicht hier her kommen wollten.

Aber wer kann das wissen, dass es hier so cool ist? Echt, wieso nimmt mich nicht einer von diesen Paukern in der Penne her und sagt, Mädel sei schlau, mach eine Lehre, das ist besser für dich als die öde Schule.

Das hätte mir sicher mehr geholfen, als die blöden Ansagen von wegen, dass ich eh so schlecht bin und nur was hakeln soll, weil hakeln alle müssen, die beim Lernen nichts draufhaben und selbst in der untersten Neigungsgruppe nicht mitkommen.

Sechs Lehrlinge essen hier schon ihr Jausenbrot, zusammen mit Tina und mir sind wir acht Juniorverkäufer.

Seppi und Ali sind auch da, die beiden habe ich vorhin schon mal kurz gesehen, aber eigentlich kenne ich sie aus der Jugend-WG, nur sind die beiden schon im dritten und letzten Lehrjahr und schon eine Weile weg, aber die beiden erkennen mich sofort.

„Hey, die alte Nina ist auch da!“

„Total cool, dass du es aus dem einen Laden raus und in den anderen reingeschafft hast!“

Die beiden klatschen mit mir ab, nehmen mich ungefragt in die Mitte und stellen mich den anderen Lehrlingen vor.

„Alle mal herhören, das ist die Nina, sie ist gerade aus demselben Kinderheim raus, wie wir beide vor drei Jahren und hat sich jetzt im Lehrlingsheim eingenistet. Sie hatte es bis jetzt nicht leicht in ihrem kurzen Leben, aber das wird sich jetzt schwer ändern! Okay?“

Donnernder Applaus.

Ich weiß echt nicht wohin ich schauen soll.

Plötzlich bin ich nicht mehr alleine. Plötzlich bin ich eine von ihnen und keiner schaut hier auf mich runter, wegen meines total beschissenen Zeugnis, das nur so von Vierern strotzt, nur in Turnen, Zeichnen und Musik habe ich eine Eins, also alles was man im Leben nicht brauchen kann, aber so geht es hier jeder und jeden, weil die waren alle keine Kirchenleuchten, sonst wären sie jetzt nicht hier.

Aber, das stört hier keinen.

Seppe und Ali sind so etwas wie die Stars unter den Juniorverkäufern, die hier alles schon in- und auswendig kennen und können und schon ohne Aufsicht anpacken dürfen.

Die Pause ist um, wir gehen wieder in unsere Abteilung. Die Jugoslawin flirtet schon wieder mit den älteren Männern.

„Und wie war die Pause? Alles klar, ihr beiden?“

Ja, alles ist okay.

Die Jugoslawin teilt Tina und mich ein, das frische Gemüse aus dem Lager zu holen und ich lerne die Funktion eines Rollcontainers kennen, mit dem man gleich eine ganze Menge Kisten transportieren kann, ohne sich abschleppen zu müssen.

„Kluge Mädels“, meint die Jugoslawin anerkennend und zeigt uns, dass Gemüse nicht Gemüse ist und Salat ist nicht Salat und Gurken sind nicht Gurken und der Haifisch der hat Zähne und die trägt er im Gesicht, aber die Jugoslawin hat ein Messer und das Messer sieht man nicht.

Ich kann nicht mehr. Ich muss lachen, soviel lachen und keiner hat etwas dagegen, dass es auch mal lustig ist.

Ich glaube, hier bin ich richtig, absolut richtig, ich werde nicht gleich wieder alles hinschmeißen und so wie die anderen Loser ewig beim Arbeitsamt hocken und auf eine neue Lehrstelle warten, die ich dann erst nicht bekomme, weil jetzt keine nette Frau Magister Meyer mehr hinter mir steht, die schaut, dass etwas aus mir wird und weil ich mir wieder einmal alles selbst verdanken kann.

Nein, ich bleibe ganz bestimmt hier und werde mich nicht aus meinem neuen Spinnennest verscheuchen lassen.

Nach Dienstschluss gehe ich mit Seppi und Ali ins Lehrlingsheim zurück.

„Du musst dir unbedingt ein Fahrrad checken, dann kommst du überall hin und dein Revier wird größer, als wenn du zu Fuß rumtockern musst“, sagen die beiden.

Hm? Stimmt. Wieso hat mir das keiner früher gesagt, dass du auf einem Fahrrad schneller bist? Und wenn ich erst einmal ein Moped habe, dann geht es noch ein Stück weiter, aber bis es soweit ist, muss ich mindestens im dritten Lehrjahr sein.

„Cool bleiben, Baby. Spar lieber die Piepen für die Wohnung für die Zeit danach.“

„Was für eine Zeit danach?“

„Wenn du ausgelernt bist musst du aus dem Lehrlingsheim hinaus und selber schauen wo du bleibst, daher sei schlau, die eigene Wohnung ist besser als ein Moped. Alles klar?“

„Und was ist mit dem Fahrrad? Das kostet auch etwas?“

„Aber wo. Das Fahrrad borgen sie dir kostenlos im Lehrlingsheim, die meisten sind nur zu bequem um sich aufs Fahrrad zu schwingen, aber so ein faules Aas bist du ja nicht. Du bist ja gerade erst Schulmeisterin im Sport geworden.“

Woher die beiden das wieder wissen?

Keine Ahnung, aber ich freue mich, dass jemand weiß, dass ich eine gute Sportlerin bin.

Was für ein schöner erster Tag in meinem neuen Leben! Wann habe ich zum letzten Mal einen schönen Tag gehabt?

Jeder wird noch von mir sprechen, wenn ich groß bin

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