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Abschiednehmen

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Als ich am Todestag abends nach Hause kam, mich die fürsorglichen Sanitäter von Oberstdorf nach Erlangen mit meinem Kurgepäck transportierten und beim Ausladen halfen, ging ich ins Haus. Alle waren im Wohnzimmer versammelt, mein Ex-Mann, mein Sohn Robin, Halbbruder Fabian und meine Freundin Moni. Wer noch da war, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich hatte sie alle während meiner nicht endenden langen Fahrt nach Hause noch angerufen. Ich konnte im Krankenwagen grübeln, nachdenken, weinen, schreien, ruhig sein … alles haben die Sanitäter hingenommen und akzeptiert. Immer wieder erzählte ich dem Peter, dem jungen Sanitäter, dass Timo gar nicht tot sein kann. Das ist unmöglich, das ging nicht in meinen Schädel rein, ich wollte es einfach nicht wahrhaben bzw. akzeptieren.

Wie konnte Timo durch einen Zug getötet worden sein, wie soll er auf die Gleise gekommen sein?

Als ich ins Haus kam, empfing mich eine besondere Energie, die kaum zu beschreiben war. Sie fühlte sich kalt und frostig an. Ich ging wie versteinert und ferngesteuert ins Wohnzimmer, sah Robin erschöpft auf dem Sofa liegend, nahm kaum was war, ging anschließend in die Küche und zerdepperte irgendwas, um meine Wut loszuwerden, die aufgestaute Energie, die schier unerträglich in meinem Körper wütete. Moni kam und hielt mich fest, ich schrie und weinte …

Dann ging ich in den Keller, in Timos Hobby- und Spieleraum, den er sich gemütlich eingerichtet hatte. Er hatte sich so gefreut, für sich ein Zimmer zu haben, Freunde einladen zu können, dort zu chillen und zu feiern. Auch eine eigene Tür führte vom Kellerraum in den Garten zur Straße, ich bekam manchmal gar nicht mit wer so alles da war.

Als ich unten ankam, öffnete ich leise die Tür in sein Zimmer, in der Hoffnung, er liegt auf seinem Sofa und ruht sich aus, sieht einen Film an oder telefoniert. Doch ich fand Timo nicht vor. Der PC noch an, die Essensreste in einer Schüssel und Teller, ein Zustand also in seinem Zimmer, als würde er nur mal kurz rausgegangen sein und gleich wieder kommen. Die kleine rote Lampe brannte, die chinesische Lampe, die ich ihm aus einem Urlaub mal mitbrachte. Ich fühlte Timos Lebensenergie noch in diesem Raum, hoffte, dass ich doch endlich aufwachen werde, dass ich geschüttelt werde, weil ich vielleicht verschlafen habe. Doch niemand schüttelte mich, zwickte mich, es muss also stimmen, dass Timo nie mehr wieder zur Tür reinkommt, seinen PC anmacht, sich Filme ansieht oder hier mit seinen Freunden feiern kann?

Auf seinem kleinen Tisch standen noch Gläser und eine Hugo-Flasche. Ich erfuhr später, dass Timo abends, also am 2.11.13 noch Besuch bekam von zwei Schulfreundinnen. Die Julia wollte in ihren Geburtstag hinein feiern und sie überredeten Timo, doch mit in die Stadt zu kommen, obwohl er gar keine Lust mehr hatte, so die Aussage von Robin, als sie abends noch gemeinsam einkaufen waren. Timo wollte seinen Bruder nicht alleine lassen, schließlich hatte er ja nun die Aufsichtspflicht übernommen. Doch scheinbar waren die Überredungskünste doch stärker, denn Timo ging in Robins Zimmer und fragte ihn, ob er nochmal kurz in die Stadt kann. Robin macht sich noch heute Vorwürfe, wenn er doch nur nein gesagt hätte, dann …

All diese Energie lebte noch in diesem Raum, ich spürte sie sehr intensiv. Ich verließ Timos Zimmer, ohne irgend etwas anzurühren, ich ließ es so, wie er es verlassen hat, bis zu unserem Auszug am 1.2.14. Er ist nicht mehr nach Hause gekommen.

Die ersten Tage liefen automatisch wie ferngesteuert ab, ich konnte und wollte nichts denken, war auch unmöglich. Unser langjähriger Hausarzt kam auch sofort zu uns und gab mir und Robin eine homöopathische Notfallmedizin. Seine Worte werde ich nie vergessen. Er setzte sich zu uns aufs Sofa und sagte: „gehen Sie durch diesen Schmerz, erfühlen und durchleben sie ihn, ich gebe Ihnen nur diese homöopathischen Tropfen. Wenn ich Sie „zudröhne“, werden Sie Ihre Trauer nie richtig verarbeiten können. Ich weiß, wovon ich spreche“.

Mein Hausarzt verlor seine Frau an Krebs und musste mit zwei kleinen Jungen sein neuen lebbaren Weg finden. Ich vertraute ihm und immer noch. Er ist der beste Hausarzt, den man sich wünschen kann.

Herzlichen Dank, Dr. Günther, Sie sind uns ein guter Freund geworden. Sie haben sich mit mir gefreut, als Sie erfuhren, dass ich schwanger war mit Timo. Wir bekamen fast zeitgleich unsere Söhne und wenn ich in Ihrer Praxis war, redeten wir viel darüber. Ihre homöopathische Begleitung all die Jahre, die fürsorglichen Untersuchungen, die daraus entstandene freundschaftliche Arzt-Patient-Beziehung ist bis heute geblieben. Auch wenn ich jetzt noch in Ihre Gemeinschaftspraxis komme, werde ich begrüßt und von Ihrer lieben Arzthelferin, Frau Brettin, umarmt, willkommen geheißen. Das tut so gut zu wissen, dass man eine Anlaufstelle hat, wenn gar nichts mehr geht. Mein herzlichster Dank an Sie und Ihr Praxisteam.

Es wurde Nacht, es wurde sehr still im Wohnzimmer, alle gingen nach Hause nur Fabian, Halbbruder von Timo und Robin, blieb bei uns und das wochenlang. Ohne ihn wäre ich verloren gewesen, verloren in der Welt der Trauer, verloren in der Welt des Alltags. Ich war zu nichts fähig. Ich wollte auch in kein Zimmer mehr gehen auch nicht in meinem Schlafzimmer schlafen, ich fühlte mich allein. So beschlossen wir drei, uns es im Wohnzimmer mit Matratzenlager gemütlich zu machen. Dort lebten und schliefen wir eine ganze Weile, organisierten das Abschiednehmen von Timo, seine Abschiedsfeier im Sarg, seine Beerdigung in der Urne.

An dieser Stelle bedanke ich mich bei dir Fabian, auch wenn sich unsere Wege wieder getrennt haben, ich danke dir aus tiefstem Herzen, dass du für uns dagewesen bist, uns eine große Stütze und Berater warst, obgleich du selbst den großen Verlustschmerz deines Bruders verarbeiten musst. Ihr habt euch noch zuletzt in München beim Oktoberfest getroffen, Timo hat bei dir gewohnt, ihr hattet wundervolle super Tage in München verlebt, das verbindet.

Aber wie beerdige ich nun mein Kind? Diese Frage sollte sich NIEMALS eine Mutter stellen müssen. Ich habe die Looser-Karte gezogen und wurde herausgefordert, ging an meine Grenzen, schöpfte meine Energiereserven voll aus. Essensaufnahme war unmöglich, doch ich versprach meinem Hausarzt, wenigstens paar Datteln am Tag zu essen und viel zu trinken. Das nahm dann auch mein Magen an.

Am Schlimmsten war das nächtliche Einschlafen, da bekam ich eine kleine niedrig dosierte Einschlafhilfe. Ich ließ den Weihnachtsengel aus Halit-Salz ständig leuchten, er stand auf dem Tisch, Timos Bild daneben, ihn ständig betrachtend und ihn heimlich bittend, er möge nach Hause kommen, während ich versuchte, auf dem Sofa einzuschlafen.

Jedes kleine Geräusch ließ mich hochschrecken, es könnte doch Timo sein, der gerade die Haustüre aufsperrt und „Hi Mum“ ruft. Die Einschlafhilfe hat dann doch gewonnen und ich fiel in einen tiefen Schlaf.

Jeden Abend zündete ich draußen eine große Kerze an, vor der Kellertreppentür, die Timo doch den Nachhauseweg leuchten soll. Doch Timo kam nicht wieder ….

Fabian war unsere größte Stütze in dieser schweren Anfangszeit. Ich frage mich noch heute, woher er diese Energie nahm, diese Ruhe ausstrahlte, um mich und Robin für den schwersten Tag unseres Lebens vorzubereiten, die Beerdigung. Er fuhr uns zum Beerdigungsinstitut, wir redeten über Abschiedszeremonien, wie die Urne auszusehen hat vor allem standen wir vor der großen Frage. „wo wird Timos letzte Ruhestätte sein“?

Wir fanden nach langem Suchen eine schöne Stelle, ein Baumgrab sollte es werden. Ich erinnerte mich an ein Gespräch mit Timo, als wir von Röttenbach aus dem schönen alten Häuschen wegen Eigenbedarf des Mieters ausziehen mussten. Er fand ein Prospekt über Baumbestattungen und ich erklärte ihm, dass ich mir so etwas wünsche, wenn ich mal das Zeitliche segne. Er fand diese Idee gut und ich erklärte ihm, dass es an der Zeit ist, dass ich meinen letzten Willen aufsetze, damit er weiß, was zu tun ist, wenn ich gehe.

Nun ist es andersrum, ich musste Timo irgendwie und irgendwo begraben, mein eigenes Kind, welches in meinem Bauch heranwuchs, sein Strampeln ich oftmals an der Bauchdecke zu spüren bekam, mein Kind, das aus mir heraus gewachsen und geboren wurde, muss ich wieder zurückgeben in einer Urne … an Gott.

Ein Tag vor seinem Tod fragte mich Timo über whats app (ich war schon zur Kur), ob er eine „Homeparty“ Zuhause am 15.11.13 machen darf. Das war mir nur recht, wenn er Zuhause blieb bei seinem Bruder und stimmte dem zu. Ich bat ihn nur, zwei Zimmer abzuschließen, doch die Türschlüssel fand er nicht. Ich wollte es ihm noch schreiben, wo die Schlüssel zu finden sind, doch er antwortete mir: „das hat doch alles noch Zeit“ … das waren seine letzten Worte an mich ….

Was ich als Mutter immer versuchte einzuhalten waren die Versprechungen, die ich meinen Kindern gab. Wenn es mal nicht funktionierte, fand ich immer einen Weg, es nachzuholen. Somit versprach ich Timo an seinem Bild, eine Kerze anzündend, dass ich ihm seinen letzten Wunsch noch erfüllen werde. Ich werde seine Homeparty organisieren mit seinen Freunden.

Somit machten wir, Fabian, Robin und ich, uns ans Werk, suchten einen geeigneten Raum zum Feiern und einen Tag, an dem es stattfinden soll, an seiner offiziellen Beerdigung am 22.11.13, an John F. Kennedys 50igsten Todestag. Warum das Datum? Es hieß damals in den USA, dass ein Präsident dort einzieht, der den „heiligen Gral“ mitbringt. Das war die Verbindung von Timo zu ihm, Timos Abschiedsgedicht.

Zuvor war jedoch noch die Aussegnungsfeier mit Sarg angedacht. Es sollen seine Freunde und Lehrer, Bekannte und Verwandte sich auf eine besondere Art und Weise bei ihm verabschieden können.

Ich erinnerte mich an eine Situation, halbes Jahr zuvor, als die Erlanger Bergkirchweih zu Pfingsten stattfand. Mit Lederhosen und schicken karrierten Hemden machten sich die jungen Burschen auf den Weg zum Berg. Unterwegs war unser neu bezogenes Haus in Alterlangen eine willkommene Zwischenstation, um sich zu stärken für den weiteren „Kastenlauf“ zum Berg. So trafen einige Freunde bei uns ein und machten es sich in unserem kleinen Holzhäuschen gemütlich, feierten, lachten, tranken Bier, so wie es eben ist bei einer Kirchweih.

Einen Tag später ging ich in das Häuschen und es traf mich der Schlag. Der schöne Holztisch wurde bemalt, beschriftet mit Songs und Zitaten, sie hatten mächtig Spaß daran,die Buben. Und kurze Zeit später durften Timo und Jan diesen Holztisch abschleifen und neu versiegeln, unter sengender Hitze, mit Sonnenschirm als Schutz und kühlen Getränke von mir. Der Tisch sah dann danach wieder wie neu aus.

Und diese Begebenheit packte ich beim Schopf und legte neben dem Sarg auf dem Tisch eine Vielzahl von Stiften mit der Aufforderung, Timos Sarg doch zu bemalen, ihn zu beschriften, ihm noch persönlich was mitzugeben auf seine letzte Reise. Der Sarg sah danach wunderschön bunt aus und ich denke, dass es eine gute Idee war, somit war jeder von seinen Freunden und Bekannten nochmal ganz nah mit ihm zusammen, ganz nah bei ihm, während sie malten und konnte auf ihre Weise von ihm Abschied nehmen. Es wurden Bilder davon gemacht, die ich bis heute nicht anschauen konnte ….

Auf dem Tisch lagen noch Zettel aus, wer mochte, konnte ihm noch etwas schreiben oder etwas in die Glasschale legen, ein letztes Geschenk, letzte Worte an ihn gerichtet. All das wurde nach der Aussegnungsfeier mit in den Sarg gelegt und ging auf die Reise mit ihm zum Krematorium nach Coburg. Coburg ist die Stadt, wo meine Ahnen väterlicherseits herstammen.

Diese Abschiedsfeier sollte nicht steif und traurig verlaufen, das hätte Timo niemals gewollt und gewünscht. Ich holte mir immer seine Energie, wenn ich Entscheidungen treffen wollte und fühlte dann die Zustimmung von ihm aus der geistigen Welt.

Somit bat ich seine engsten Freunde, seine Lieblingsmusik aufzulegen, diese im Aussegnungssaal zu spielen, während die Menschen kamen und sich bei ihm verabschiedeten. Draußen gab es Kaffee und Wasser zum Trinken, seine Freunde sollten sich wohlfühlen, wenn sie ihn verabschieden müssen. All das wurde von dem Beerdigungsinstitut Baumüller bestens geplant und organisiert. Wunderbare Menschen, die Baumüllers, dafür danke ich Ihnen sehr. Lange Gespräche, Umarmungen, Tränen, Auswahl der Urne, Ablauf der Beerdigung und Aussegnung, alles haben Sie übernommen und harmonisch umgesetzt, immer im Hintergrund dezent dabei und dennoch da, wenn ich Sie brauchte. Ich danken Ihnen hier an dieser Stelle sehr.

Da Timo durch einen Seitenaufprall (laut meiner Recherche durch viel zu hoher Geschwindigkeit des Zuges durch die Innenstadt fahrend durch den entstandenen Sog hineingezogen worden) starb und sein Körper zerstört wurde, hat man mir eindringlich empfohlen auch seitens der Kripo, ihn nicht mehr persönlich zu verabschieden, ihn anzusehen. Ich haderte mit dieser Entscheidung, ich wollte doch nochmal seinen Kopf streicheln, ihn auf die Wange küssen, ihn nochmal umarmen, meinen Jungen, mein Kind ….

Verzweifelt kontaktierte ich Herrn Baumüller, brachte Timos Lieblingslederhose und sein karriertes Hemd sowie sein Foto mit und in der Aussegnungshalle stellte ich ihm drei Fragen mit der Bitte, sie nur kurz zu beantworten:

1 Können Sie ihm seine Lederhose und Hemd anziehen? Antwort: nein, nur drauflegen

2 Erkennen Sie Timo anhand dieses Fotos? Antwort: nein, nur schwer.

3 Kann ich ihn sehen und mich von ihm verabschieden? Antwort: er schüttelte verneinend heftig den Kopf

Mit Tränen in den Augen nahm er die Anziehsachen von Timo behutsam an und versprach mir, dass er sie so auflegen wird, dass man denken könnte, er hätte sie an. Ich weiß nicht mehr, wer mich dorthin gefahren hat und wie ich dann nach Hause kam; ich denke, dass Fabian immer in meiner Nähe war und mich beobachtete, schaute, dass ich durchhalte. Ich weiß nur noch, dass ich immer noch weinen konnte und immer noch Tränen kamen, die wie ein Wasserfall über meine Wangen liefen. Soviel kann man doch gar nicht weinen … oh doch, bis zur gänzlichen Erschöpfung und immer wieder ….

Der Tag der Aussegnung, bis dahin war ich tapfer und irgendwie stark, konnte reden, organisieren und immer noch weinen … doch als ich vor der großen Tür stand zur Aussegnungshalle und Fabian sie öffnete, war es aus.

Ich ging gestützt durch Robin und Fabian zum Sarg, der wunderschön dekoriert war mit gelben Blumen. Ich ging zu meinem Sohn Timo, um ihn zu verabschieden, ihm meine letzte Umarmung zu geben. Ich ging behutsam zum Sarg, er fühlte sich kalt an und ging an das Kopfende und umarmte den Sargdeckel. Ich musste einen Sargdeckel umarmen … meine Tränen liefen über den Sarg, ich nahm einen Stift und schrieb und malte auf den Sarg meine letzten Worte an ihn … wie grausam ist das Leben.

Viele Menschen kamen, Freunde, Lehrer, Bekannte, Nachbarn … ich habe nicht viel in Erinnerung, das ist wohl so, wenn man ein Kind beerdigt. Es war schön dekoriert, Timos Lieblingsmusik spielte, viele saßen einfach nur da und betrachteten den Sarg, das große Bild, welches auch auf seiner Gedenkseite zu sehen ist, daneben. Jeder hat für sich Abschied genommen, hatte Zeit dafür, kein Bedrängnis, den ganzen Nachmittag. Die Baumüllers haben das so wunderschön arrangiert, mit Geduld und Liebe zu ihrer Arbeit, die ich niemals machen könnte.

Kurze Zeit später fuhr Timo seine letzte Strecke nach Coburg zur Einäscherung und kam in einer weißen Urne verpackt wieder nach Erlangen. Dort bei den Baumüllers wurde sie in einem wunderschön geschmückten kleinen Raum abgestellt und wir konnten uns leise und so lang wir wollten, uns nochmal von ihm verabschieden. Die Urne hatte ungefähr das Geburtsgewicht von Timo: 3210 g.

Am 22.11.13 kam der Tag, wo ich Timo abgeben musste, endgültig. Ich konnte ja kaum schlafen und ich wollte doch mit Timo noch soviel reden, ihm sagen, wie ich ihn liebe, was er für ein wunderbarer Sohn war. So entstand die Idee, dass ich ihm meine letzten Worte und Gedanken an seiner Beerdigung vorlese und schrieb zugleich nachts am PC meine Zeilen an ihn.

Hier an dieser Stelle muss ich vermerken, dass ich immer wieder, Monate vor Timos Tod sogenannte Tagträume hatte und es auch einmal richtig träumte, immer den selben Traum: Ich stand in einer großen Kirche, viele Menschen versammelt, bis zum letzten Platz ausgefüllt, vorne am Rednerpult und las etwas. Ich sah eine Urne, es war eine Beerdigung, doch ich wusste nicht, von wem. Hätte ich doch nur einmal die vordersten Reihen näher betrachtet, dann hätte ich gesehen,dass du Timo nicht auf der Bank gesessen bist. Ich habe als Mutter dich verabschiedet in der Kirche in meinen Träumen. Das ist schrecklich, im Nachhinein zu erfahren, dass ich Signale von der geistigen Welt bekam und diese einfach nicht umsetzen konnte, wie das Nachtgedicht, Stunden vor deinem Tod. Hätte ich dich doch noch angerufen, hätte ich … hätte ich …

Auch der 6. August 2013 war für mich ein schlimmer Tag. Ich erhielt einen Anruf von einem Freund von Timo, dass er im Krankenhaus sei. Sie campten am Brombachsee, viele Freunde, und Timo wurde von einer Wespe gestochen. Eine Schulfreundin, Clarissa, bemerkte, dass Timo sein Gesicht verzehrte und sogar weinte vor Schmerz und fragte nach. Sie reagierte sofort und rief den Krankenwagen an, Timo hatte einen anaphylaktischen Schock, der tödlich enden konnte. Doch er wurde gerettet und freute sich noch im Krankenhaus darüber, dass er im Trockenen lag, weil gerade an diesem Tag ein großer Sturm aufkam und die Zelte zerstörte. Auch habe ich gehört, dass sich fesche Schwestern dort um ihn gekümmert haben. Ja, das war mein Timo, ein Genießer und lebensbejahender junger Mensch.

Doch seit diesem Tag hatte ich Angst um Timo, nervte ihn, dass er sich melden soll, wenn er wegfährt und sicher dort ankam. Ich konnte es mir selbst nicht erklären, denn das war die Jahre zuvor nicht. Ich spürte, dass was „im Busch“ ist, dass ich Timo verlieren werde und schob es dem bevorstehenden langen Urlaub auf Neuseeland zu. 1,5 Jahre ohne Timo, weit weg … welche Mutter ist schon damit freiwillig einverstanden, sein Kind so weit weg zu wissen. Vielleicht ist es dieser anstehende Verlustschmerz, wenn ein Kind auf Reisen geht, eine lange Zeit … doch es wurde eine Reise ohne Wiederkehr … eine Reise in die geistige Welt.

Am 22.11.13 um 13.30 Uhr fuhren wir zum Friedhof, stiegen aus und gingen langsam in Richtung Halle. Meine Beine wurden immer schwerer, das Atmen fiel schwer, mir war schwindelig. Immer wieder sagte ich mir, dass es doch nur ein Traum ist, aus dem ich bald erwachen werde …

Viele Menschen waren da, sie passten alle nicht in die Halle, deswegen wurde die Tür weit geöffnet und auch dort ein Bild von Timo aufgestellt. Robin links und Fabian rechts von mir, mich und uns stützend, gingen wir hinein. Die helle Urne, umrahmt mit einer liegenden Acht aus Blumen gestaltet, rechts brannte eine Kerze. Daneben nochmal ein Bild von Timo.

Die Rede des Pfarrers, mit dem ich einige Tage zuvor stundenlanges Gespräch hatte, der ihn konfirmierte, ihn auch kannte als Schüler im Religionsunterricht, war sehr lang. Timo hat in vielen Menschen einen tiefen Eindruck hinterlassen, so wohl auch beim Pfarrer. Ich bat ihn, mich an das Pult zu holen, damit ich meine letzten Worte als Mutter an meinen erstgeborenen Sohn Timo richten darf. Es war so weit, ich zitterte, hatte kaum noch Kraft aufzustehen und dennoch schaffte ich es, mich nach vorne zu bewegen, meinen Zettel aus der Jackentasche zu holen und meine letzten Worte an ihn zu sprechen:

„Ich versuche nicht mehr zu fragen „Warum“? Ich versuche zu verstehen, Antworten zu bekommen von meinem Herzen, denn mein Verstand findet sie nicht. Nun bin ich an einer großen Mauer angekommen, stehe still, bewegungslos vor Schmerz. Ich bräuchte mich nur umzudrehen, um die vielen Wege, die sich mir zeigen, zu erkennen, wahrzunehmen,zu gehen, mit deinem wunderbaren Bruder Robin und unserem lieben Hund Sammy. Doch ich bin blockiert vor Schmerz und Ratlosigkeit. Mein Mutterherz brennt lichterloh und ich hoffe, dass das schmerzende undefinierbare Feuer mit der Zeit kleiner wird.

Dieser Weg, der für uns, für dich, Robin, Sammy und mir zusammen bestimmt war, ist nun versperrt. Eine große Mauer – kein Durchkommen mehr. An dieser Wand stehe ich nun, bräuchte mich nur umzudrehen, doch die vielen Erinnerungen, dein wundervolles erfülltes Leben, dein Lachen, deine Stärke, dein Optimismus, lassen es nicht zu. Der Schmerz nagt in meinem Mutterherzen, Schmerzen, die nicht zu beschreiben sind. Du bist gegangen, viel zu schnell, zu jung. Unbegreiflich, unfassbar. Ich versuche nicht mehr zu fragen „Warum“?

Du hattest deinen Lebensplan gesteckt, geplant und dich darauf gefreut. Deine große Lebensfreude spiegelte sich stets in deinen Augen. Dein Ziel: Neuseeland.

Von dort habe ich dich im Januar 1994 mitgebracht, als wir, dein Vater und ich, aus einem langwöchigen Urlaub zurückkamen. Und dorthin wolltest du wieder – zu deinem Ursprungsland Neuseeland. Ich stehe an der großen Mauer und ich verspreche dir, dass ich mich baldigst umdrehe, mit Robin an der Hand und Sammy an der Leine unseren neuen Weg zu gehen. Dich stets in unserem Herzen begleitend, Du – unser Schutzengel auf unserem neuen Weg. Es werden uns deine Freunde, unsere kleine Familie und viele liebe Freunde begleiten, dessen bin ich mir sicher und dankbar dafür.

Mein Verstand will es nicht begreifen, was geschah, deswegen spreche ich aus meinem Mutterherzen. Ich liebe dich bis in alle Ewigkeit, verspreche dir, dass wir nicht mehr viel weinen werden, denn du warst ein lebensfroher und mutiger junger Mann, von Kindheit an hast du gestrahlt. Deine Augen – deine Seele – deine Liebe. Ich, wir alle werden das niemals vergessen immer daran denkend.

Du hast wundervolle zwei Brüder, Robin und Fabian, wunderbare Freunde, eine kleine Familie und schier endlose Bekannte und Wegbegleiter um dich herum, sie lieben dich, sie schätzen dich, deine Worte, Ideen und Wirken. Ich spreche in der Gegenwart, denn es gibt keine Vergangenheit oder Zukunft. Es gibt nur das HIER und JETZT!

Ich weiß, du fehlst ihnen allen sehr, auch sie werden dich im Herzen tragen, auch Kraft daraus schöpfen, wenn sie eine Mauer vor sich stehen haben.Dann wirst du da sein, ihnen helfen, sich umzudrehen, ihnen den Weg zeigen, ihnen Mut zusprechen über ihr Herz. Dein Lebenswille, deine allumfassende Liebe, das wird uns Kraft geben, den neuen Weg zu gehen. Bald! Nicht jetzt! Nicht heute!! Wir lieben dich und ich danke dir für die wundervollen doch sehr kurzen Jahre, so ereignisreich, voller Erlebnisse … daran werden wir alle Kraft schöpfen können.

Ich danke all den Freunden, Bekannten, die nun hier sind, auch den Wegbegleitern, die nun in Gedanken bei uns sind, weil sie aus verschiedenen Gründen heute nicht hier sein können.

Timo, du wirst auf einer anderen Ebene uns begleiten, uns stärken, uns Mut zusprechen, vielleicht sogar in unseren Träumen – da bin ich mir sicher. Ich liebe dich, wir alle lieben dich.

Du hast wahrlich dein Leben gelebt, in vollen Zügen, voller Heiterkeit, Optimismus und Freude. Und die letzten Wochen waren besonders für dich. Deine beiden Brüder wissen das zu schätzen, zu ehren und in Erinnerung zu behalten.

Ich habe mir für dich einen Spruch von Erich Fried ausgesucht, dessen letzter Satz auf deiner Tafelinschrift am Grab wieder zu erkennen ist. Ich habe mir erlaubt, ihn zu erweitern. Es geht um die LIEBE, die bedingungslose große weite Liebe, die du in Überfluss versprüht hast mit großer Freude:

Es ist Unsinn, sagt die Vernunft

Es ist was es ist, sagt die Liebe.

Es ist Unglück, sagt die Berechnung

Es ist nichts als Schmerz sagt die Angst

Es ist aussichtslos sagt die Einsicht

es ist nicht erklärbar, unfassbar, sagt der Verstand

Es ist was es ist, sagt die Liebe.

Es ist lächerlich sagt der Stolz

Es ist leichtsinnig sagt die Vorsicht

Es ist unmöglich sagt die Erfahrung

Es ist was es ist sagt die Liebe

Ich wünsche mir, dass du deine Reise fortsetzt, auch wenn wir das Ziel nicht kennen, es reicht, wenn du es weißt und du glücklich bist.

Wir lieben dich und tragen dich in unserem Herzen. Ich liebe dich und ich danke dir für die wundervolle liebevolle Zeit mit dir.

Deine Mum.

Es war still in der Halle, ich legte meine Zettel beiseite und ging zur Urne. Herr Baumüller überreicht dich an mich. Ich nahm dich fest in meine Arme, ein letztes Mal, ganz fest, wollte dich nicht mehr loslassen. Ein letzter Kuss auf die Urne an dich. Langsam, sehr langsam gingen wir hinaus zum Baum, jede Sekunde mit dir nochmal vereint, in meinen Armen … dann kamen wir an und ich musste dich endgültig loslassen, endgültig! Dein Vater übernahm dich und senkte dich sacht und sanft in die Erde, ein rotes Herz legte ich noch vorher oben auf.

Viele Menschen waren da, begleiteten dich auf deinem letzten Weg, viele Umarmungen, doch wer alles da war, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Man möge mir verzeihen.

Nun war es soweit, dich hier zu lassen, ohne dich auf deine Homeparty zu gehen, die ich dir versprochen hatte. Ich bat dich, dennoch bei uns zu sein, auf deine Art und Weise.

Wir fuhren zu einer anderen Kirche, die einen großen Raum daneben hatte, den man anmieten konnte.

Alle Tische waren schön geschmückt mit Blumen, ein großes Buffet war aufgestellt, jeder deiner Freunde brachte was mit. Mützi, Max und Michi und andere Freunde organisierten eine Dia-Show an einer Leinwand, spielten deine Musik ab und schon war sie da – deine Homeparty mit all deinen Freunden, viel mehr, als du in unserem Haus hättest je einladen können. Der Saal war voll.

Auf einem anderen Tisch stellte ich Bilder von dir auf, deine erste kleine Lederhose, die du mit einem Jahr an deinem Geburtstag getragen hast, lag daneben. Spielsachen von dir und jeder konnte nochmal dorthin und dein kurzes Leben betrachten. Als dann ein Bild umfiel, obwohl niemand in der Nähe war, wusste ich, du bist da, du freust dich, dass deine Mum deinen letzten Wunsch erfüllen konnte, wie immer, mein Großer, wie immer …

So weit weg uns doch ganz nah

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