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Am Vormittag nach dem Treffen im Parador und ihrem Versuch mit Almeda alleine zu sprechen, der gründlich missglückt war, rief Ivy im Büro der Minengesellschaft an. Aber zuerst hieß es, sie möge es gegen Mittag nochmals versuchen, dann war er bei Tisch und zu guter Letzt erhielt sie von seiner Sekretärin die lapidare Auskunft, er käme nachmittags nie ins Amt und am besten wäre es, Montag wieder anzurufen.

»Shit!«, schnaubte Ivy und warf ihr Handy aufs Bett.

Sichtlich ließ sich Almeda verleugnen, um einem Gespräch mit ihr auszuweichen. Das bedeutete eine sehr unangenehme Situation, denn Kurkov wartete auf eine Nachricht und nun war es hier drei Uhr nachmittags und in der Schweiz durch die Zeitdifferenz bereits später Abend. Sie konnte es nicht mehr länger hinauszögern und musste ihn jetzt anrufen.

*

Die Sonate für Cello und Klavier in d-Moll von Schostakowitsch mit ihren klangvollen Akzenten, den nachdenklichen Passagen und dem feurig kraftvollen Finale war ein Standardwerk der Celloliteratur der russischen Moderne und Kurkovs erklärtes Lieblingsstück.

Niemand, dachte er, bewältigt den Wechsel zwischen dem elegisch gestrichenen Legato und dem harten Pizzicato so geschmeidig wie Andrej Majinski. Der russische Cellist lief in seiner Interpretation wieder einmal zur Höchstform auf.

Für Martin Kurkov war dies aber nicht bloß Genuss, sondern ein wichtiger Teil seiner persönlichen Imagepflege als Kunstmäzen. Er saß seitlich – in unmittelbarer Nähe des Podiums – vor einer der breiten Fensterflächen, durch die man auf den abendlichen See hinaussah, und lauschte mit hingebungsvoller Miene den Klängen. Jeder sollte sehen, dass er ein Kenner klassischer Kompositionen war. Schon der Name seiner Bank, die er von der Schweiz aus leitete, spiegelte dies in ihrem Namen wider: Art Union Bank. Damit wollte er die Verbindung von Kunst und Geld, von geistiger Erbauung und materieller Dominanz betonen – beides Pfeiler seiner Weltanschauung. So investierte er, neben seinem Engagement für Musik, auch mit Vorliebe in Werke der bildenden Kunst und wusste deren Wertsteigerung sehr zu schätzen. Waren die Künstler jung und unbedeutend, erwarb man ihre Bilder für ein Butterbrot, lagerte sie einige Jahre ein und ließ sie dann um ein Hundertfaches bei Christie’s in London versteigern. Künstler, die den erwarteten Marktwert nicht erreichten, blieben hingegen im Depot, wobei es vorkommen konnte, dass dort ein verheerendes Feuer ausbrach. In einem solchen Fall erstattete die entsprechend hohe Versicherung zumindest einen Teil des unwiederbringlichen Verlustes.

Hinter halb geschlossenen Augen beobachtete Kurkov seine Gäste in dem Konzertsaal des Splendid Royal in Lugano. Sein Büro befand sich nur wenige Straßen entfernt in der Nähe des Casinos und er mietete den intimen Raum des Luxushotels gelegentlich für auserwählte Klienten seiner Bank, um sie zu beeindrucken. Von dem reichen Banker hierzu eingeladen zu werden, galt in Kreisen des Geldadels als besondere Auszeichnung, denn oft ergaben sich bei solchen Gelegenheiten sehr profitable Kontakte. Vor allem, die Presse hatte keinen Zutritt, man blieb unter sich.

Abende mit Andrej waren besondere Leckerbissen. Der Cellist, unterwegs zu einem Gastspiel nach Amerika, machte exklusiv für Kurkov und seine betuchten Kunden heute Station in Lugano. Der Banker war seit langem ein Förderer des beliebten Künstlers. Er hatte ihn als jungen Musiker in Tallinn gehört und war von der Hingabe im Spiel auf der Stelle fasziniert. Er lud Andrej zu sich ein und begann regelmäßig Konzerte für ihn anzusetzen. Estland war damals noch Teil der Sowjetunion und Kurkov arbeitete, lange Zeit vor seinem Aufstieg, als Kulturbeauftragter der Partei in der Stadtverwaltung.

Später erkannte er dann die Möglichkeiten, die in einer derartigen Verbindung für ihn steckten. So entspann sich eine fruchtbare Zusammenarbeit, an der beide ihren Nutzen hatten, denn mit Kurkovs finanziellem Aufstieg wurde auch Andrej sehr bald zum Star. Als sich der Banker dann vor vier Jahren ganz in die Schweiz zurückzog – nach dem russischen Engagement auf der Krim, war er vorsichtig geworden –, übersiedelte auch Andrej und kaufte sich ein Apartment in Paris.

Nach der Darbietung standen die Besucher zwanglos in kleinen Gruppen beim Buffet, versuchten mit Kurkov ins Gespräch zu kommen und nickten anerkennend in Majinskis Richtung.

Der lehnte mit einem Brötchen und einem Glas Champagner etwas abseits der Menge. Er war mit dem Abend unzufrieden. Der Pianist, mit dem er sicherlich nie wieder spielen würde, hatte kein Gefühl für die stillen Passagen der Komposition und hackte das Stück ziemlich derb herunter. Keinem der Zuhörer war das aufgefallen, nicht einmal Kurkov selbst, der vorgab einiges davon zu verstehen, schien es bemerkt zu haben.

Wenn man nur damit beschäftigt ist zu beeindrucken, dachte Andrej bitter, verkommt die Kunst zum Event und verliert jegliche Bedeutung.

Er liebte die Werke der russischen Musikliteratur. Rachmaninow, Tschaikowsky, Prokofjew – das waren Komponisten, in die er sich gerne hineinfallen ließ. Über allen stand natürlich Schostakowitsch, den er als Genie empfand. Dessen noch immer unterschätzte d-Moll-Sonate war das bestimmende Werk in Andrejs Karriere und Leben. Er nahm es schon für die Abschlussprüfung an der Musikakademie in Tallinn, spielte es regelmäßig bei seinen Konzerten und entdeckte immer neue Fassetten der Partitur.

Trotzdem verdross ihn das Stück, wenn er sich Kurkovs Wunsch beugen musste, es nur für die eitle Geldgesellschaft zu spielen. In solchen Momenten haderte er mit seiner Nähe zu dem Banker, die ihn zwar bekannt, aber auch abhängig gemacht hatte.

Der stand mit seiner aktuellen Geliebten – meist junge blonde Damen, von denen er sich einige Zeit anbeten ließ, bevor er ihrer überdrüssig wurde – in einer Gruppe von Industriellen der Stahlindustrie, als sein Mobiltelefon läutete. Ungehalten über die Belästigung blickte er auf das Display: Schillman ruft an leuchtete auf. Es gab demnach endlich Nachricht aus Bolivien. Kurkov ging hinaus auf die Terrasse und meldete sich.

»Ich habe Ihren Anruf bereits vor Stunden erwartet«, fuhr er sie anstelle einer Begrüßung an. »Jetzt bin ich bei einem Konzert.«

»Sorry!«, kam es von der anderen Seite. »Es war nicht meine Absicht, Sie zu stören.«

»Was ist? Haben wir die Zusage für den Vertrag?«, fragte er ungeduldig.

»Es braucht noch Zeit.«

»Soll heißen …?«

»Ich muss auf einen Termin mit Almeda warten, um die Sache in aller Ruhe anzusprechen«, antwortete Ivy ausweichend. »Er war nur heute den ganzen Tag nicht erreichbar, darum melde ich mich auch erst jetzt.«

»Sie waren doch gestern bei dem Meeting?«

Ivy wand sich. »Schon, aber es hat sich dort keine passende Gelegenheit ergeben.«

»Genau dafür bezahle ich Ihre Honorare, um diese Gelegenheiten zu finden!«, sagte Kurkov überheblich.

»Das ist mir bewusst. Das Gespräch mit Almeda lief leider in die falsche Richtung, die Stimmung war nicht geeignet, ihm die Einzelheiten zu erklären …«

»Was reden Sie denn da?«

Sie gab sich einen Ruck. »Er hat abgelehnt und wollte nichts davon wissen. Er hat mich einfach stehen gelassen.«

Kurkov warf sich in einen der leeren Gartenstühle, die auf der Terrasse des Hotels standen. Seine Laune war schlagartig am Nullpunkt angelangt.

»Deshalb versuche ich«, kam es von Ivy nach einer Pause verunsichert, »ein gesondertes Treffen zu bekommen, um ihm klarzumachen, worum es geht.«

Kurkov atmete durch. »Das werden Sie nicht tun. Hat er Sie einmal abgewiesen, wird er das wieder tun. Ich kenne solche eitlen, selbstherrlichen Typen«, sagte er giftig und sein Tonfall klang verachtend, »die glauben, sie können sich aufspielen, weil sie auf einem Staatsposten sitzen.«

»Was soll ich dann …?«

»Sie kommen gefälligst her!«

Ivy passte es gar nicht, dass Kurkov sie von dem Auftrag abzog und für eine weitere Demütigung – etwas anderes erwartete sie nicht – in die Schweiz befahl. Sie wagte aber keinen Protest. Er hätte ihn auch nicht mehr gehört, denn die Leitung war unterbrochen.

Der Banker kochte. Er stemmte sich aus dem Sessel hoch und eilte zurück in den Konzertsaal. Im Vorbeigehen winkte er seinem Bodyguard Boris, der wie immer breitbeinig in einer Ecke stand und von dort aus die Gesellschaft beobachtete.

Boris ging sofort hinter Kurkov her, der den angrenzenden Servicebereich ansteuerte. Hier standen die Tabletts der Kellner mit den Kaviarbrötchen, die Getränke und die Kisten mit dem Champagner. Mit einer Handbewegung scheuchte er das Personal aus dem Raum und schloss die Tür.

Kurkov setzte sich auf einen der Tische, zog eine Servierplatte mit Aperitifs zu sich, die für das Dinner vorbereitet waren, und stürzte einen Martini Dry hinunter. Die Olive aus dem Glas warf er aufgebracht auf das Tablett zurück.

»Unglaublich«, brauste er auf, »was sich dieser unverschämte Provinzler erlaubt! Glaubt der, ich lasse mich vorführen oder mache das alles zum Spaß?«

Boris, der auch als Sicherheitschef agierte und jede Sonderaufgabe erledigte, wartete mit unbeweglichem Gesicht daneben. Er kannte derartige Ausbrüche seines Chefs, die für ihn meist bedeuteten, ganz spezielle Aufträge zu erfüllen. Sein Job war es dann, Leute gefügig zu machen, Geschäftspartner, die nicht spurten, auf die Reihe zu bringen oder sich um andere Drecksarbeiten zu kümmern.

»Sieh nach, wann die nächste Maschine nach Sucre geht«, befahl Kurkov. Als er den Blick von Boris sah, ergänzte er: »In Bolivien, die Flüge gehen über Santa Cruz.«

Boris holte sein Handy heraus und sah im Internet nach. »Montag mittags über Madrid«, meinte er bedächtig nach einer kurzen Suche.

»Dann buche für die Maschine.«

»Aber ich soll doch eine neue Lieferung übernehmen.«

»Da fährst du dann anschließend hin, zuerst müssen wir uns um diesen Politiker kümmern, das hat jetzt Vorrang. Genaueres sage ich dir morgen im Büro.«

»Okay!« Es war das Einzige, das Boris darauf antwortete. Um welche Art von Erledigung es sich handelte, war ihm ohnehin klar.

Kurkov stand auf und nahm sich noch einen zweiten Drink vom Tisch. Langsam beruhigte er sich. »Und nimm Nico mit, der spricht Spanisch, wer weiß ob euch in dem verfluchten Land sonst jemand versteht.«

Als Kurkov draußen war, buchte er die Flüge und ging dann, um nach Nico zu sehen. Dass er den jungen Italiener mitnehmen musste, gefiel ihm weniger – er arbeitete lieber allein. Nico bildete sich immer ein, etwas Besseres zu sein, nur weil er drei Sprachen beherrschte, und er redete viel. Aber wenn es sein Boss so wollte, dann akzeptierte Boris das. Seit ihn Kurkov mit in die Schweiz genommen hatte, war er diesem treu ergeben und als ehemaliger Troubleshooter des KGB erledigte er alle ihm übertragenen Jobs, ohne darüber großartig nachzudenken.

Lena Halberg: Der Cellist

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