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Siedendheiß und bitterkalt

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Die Temperaturskala des Anders Celsius (1701–1744)


Anders Celsius, schwedischer Astronom * 27. November 1701 in Uppsala25. April 1744 in Uppsala

»Nachts Frost bis minus fünf Grad, Temperaturen tagsüber ansteigend auf Werte zwischen vier und acht Grad.« Täglich hören wir solche Informationen im Wetterbericht, und jeder weiß sofort Bescheid: Es handelt sich um Celsius-Grade.

In den USA hätte diese Ansage eine ganz andere Bedeutung, denn dort werden die Temperaturen bekanntlich nicht in »Grad Celsius« (°C), sondern in »Grad Fahrenheit« (°F) gemessen.

Nochmals anders müßte der Wetterbericht im wissenschaftlichen Sprachgebrauch lauten: »Nächtliche Tiefsttemperaturen bis 268,13 Kelvin ...«. Die international festgelegte Maßeinheit der »thermodynamischen« Temperatur ist nämlich das »Kelvin«.

Man sieht: Die Bezeichnung »Grad« ist ohne Zusatz keineswegs eindeutig. Es gibt ohnehin ja noch zahlreiche andere Gradeinteilungen: Die geographische Länge und Breite, der Winkel, das Mostgewicht, die Härte der Edelsteine – alles wird in Graden gemessen.

Nach diesem Exkurs in die ähnlich klingenden, aber total verschiedenartigen Fachgebiete Meteorologie (Wetterkunde) und Metrologie (Maß- und Gewichtskunde) kehren wir zurück zum Namen Celsius. So vertraut uns das Temperaturmaß »Grad Celsius« auch ist, so wenig bekannt dürfte für die meisten das Leben des Mannes sein, der dieser häufig benutzten Maßeinheit seinen Namen gab.

Erbliches Interesse für Mond und Sterne

Anders Celsius, 1701 in Uppsala geboren, wuchs mit den Gestirnen auf. Schon als Zehnjähriger kannte er die Namen der Sternbilder, mit dem Fernrohr seines Vaters betrachtete er die Mondkrater und wartete in den Augustnächten auf Sternschnuppen. Dieses bei Kindern seines Alters eher ungewöhnliche Interesse hatte er geerbt: Sowohl der Vater, Nils Celsius, als auch die beiden Großväter waren Professoren der Astronomie an der ältesten schwedischen Universität in Uppsala, einer Kleinstadt von (damals) 3000 Einwohnern.

Als Anders Celsius die Schule verließ, war er schon fast ein perfekter Sternenkundler. Daß er später Astronomie studieren würde, war für ihn selbstverständlich. Der Vater, der keine allzu guten Erfahrungen mit den Universitäten gemacht hatte, wollte jedoch, daß der Junge im Staatsdienst Karriere machte. Dafür war ein Jurastudium das beste Sprungbrett.

Widerwillig gehorchte der Sohn, doch seine Vorliebe für Mathematik und Naturwissenschaften war stärker als das väterliche Machtwort. Zusammen mit einem Freund vergnügte er sich in der Freizeit an physikalischen, arithmetischen und meteorologischen Aufgabenstellungen. Am liebsten frönte er seinem Hobby, der Sternbeobachtung. Schwankend zwischen der Juristerei und seinen Liebhabereien, zog sich sein Studium fast zehn Jahre dahin. Als Celsius seine Promotionsschrift vorlegte, handelte diese nicht von Paragraphen, sondern von der Drehbewegung des Mondes. Im Alter von 28 Jahren wurde Anders Celsius zum Professor der Astronomie ernannt. Seine Vorlesungen über die »astronomische Beobachtungskunst« waren sehr beliebt und stets überfüllt.

Zwei Jahre auf großer Tour

Um seinen Studenten nicht nur die Theorie, sondern auch die Praxis der Sternbeobachtung vermitteln zu können, stellte Celsius den Antrag, an der Universität Uppsala ein mit den modernsten Instrumenten ausgestattetes Observatorium zu bauen. Nur so könne Schweden künftig mitreden, wenn es um die »Sternenkunst« gehe. Nach langen Verhandlungen genehmigte der König den Antrag und dazu das Geld für eine Auslandsreise. Zwei Jahre lang sollte sich Professor Celsius an den bedeutendsten europäischen Sternwarten über den neuesten Stand der Astronomie und der astronomischen Instrumente informieren.

Für Celsius, damals 29 Jahre alt, war die grand tour die Chance seines Lebens. Seine erste Station war Berlin; hier blieb er fast ein Jahr. Dabei hatte er das Glück, eine partielle Sonnenfinsternis beobachten und dokumentieren zu können. Am Observatorium in Nürnberg bestimmte er die geographische Breite der Stadt. Dann reiste er weiter an die damals berühmte Gelehrtenuniversität Altdorf in Franken und nützte dort die Zeit, um eine Abhandlung über »316 Beobachtungen des Nordlichts« zu schreiben. Es war eine erste zusammenfassende Beschreibung der eigentümlichen Lichterscheinungen in der Polarregion (»aurora borealis«). Sein weiterer Weg führte ihn nach Venedig und Padua, dann für sieben Monate nach Bologna, wo er Messungen zur Bestimmung der Ekliptik der Erde durchführte. In der Sommerresidenz des Papstes in Rom, dem Quirinalspalast, machte er Messungen über die Intensität des Mondlichts. So verbreiterte er systematisch sein Wissen auf den verschiedensten Gebieten der Geographie und Astronomie.

Die Einheit Celsius

Nach dem Gesetz über die Einheiten im Meßwesen (siehe DIN 1301) ist die SI-Basis-Einheit der »Thermodynamischen Temperatur« das Kelvin (K). Als »besonderer Name« für die SI-Temperatureinheit (genauer als Differenz zwischen zwei thermodynamischen Temperaturgraden) ist auch die Angabe in »Grad Celsius« (°C) zugelassen.


In Paris, der letzten Station seiner Reise, wollte sich Celsius mit den neuesten Sternbeobachtungen vertraut machen. Doch die französischen Gelehrten hatten keine Zeit für ihn, es herrschte große Aufregung. Bei einer Gedächtnisveranstaltung für den verstorbenen englischen Physiker Isaac Newton (1643–1727) hatte sich eine heiße Diskussion an dessen Hypothese entzündet, die Erde habe keine ideale Kugelgestalt. Infolge der Zentrifugalkräfte müsse die Erdkugel am Äquator ausgebuchtet sein, also ein »abgeplattetes Rotationsellipsoid« darstellen. Warum diese These auf so großen Widerstand stieß, wird verständlich vor dem Hintergrund, daß kurz zuvor französische Wissenschaftler bekanntgegeben hatten, die Erde habe die Form einer Melone, mit Ausbuchtungen an den Polen. Da das Verhältnis zwischen den (zu dieser Zeit überlegenen) englischen Universitäten und den aufstrebenden französischen Gelehrtenschulen nicht gerade das beste war, prallten die Meinungen hart aufeinander. In Paris wollte man nicht wahrhaben, daß die Engländer in Isaac Newton den alles überragenden Physiker besaßen.


Expedition zum Polarkreis

Wer wollte Newtons Theorie der »äquatorialen Ausbuchtung« beweisen, wer widerlegen? Wenn die Erde an den Polen abgeplattet ist, müßte der »waagrechte« Erddurchmesser auf Höhe des Äquators etwas größer sein als der »senkrechte« von einem Pol zum anderen. Die einzige Möglichkeit, Klarheit zu schaffen, bestand darin, den Abstand zwischen zwei Breitenkreisen genau zu vermessen, einmal in der Nähe des Äquators und zum Vergleich einen anderen Meridianabschnitt möglichst weit im Norden. Die französische Akademie der Wissenschaften rüstete zwei wissenschaftliche Expeditionen aus. Die eine sollte nach Peru reisen, die andere in ein Land nördlich des Polarkreises. Celsius schlug vor, diese Expedition nach Lappland zu entsenden. Er erklärte sich bereit, an dem Unternehmen selbst teilzunehmen, was gerne akzeptiert wurde, da er sich inzwischen einen guten Ruf als Astronom erworben hatte und außerdem die Landessprache beherrschte.

Nach einjähriger Vorbereitungszeit wurde im Mai 1736 das kühne Vorhaben gestartet. Von Dünkirchen aus stach das Segelschiff »Prudent« in See, mit dem Ziel Tornio am Bottnischen Meerbusen. Unter Führung des französischen Physikers Pierre de Maupertuis (1698–1759) – er wurde später wissenschaftlicher Berater Friedrichs des Großen – hatten sich an Bord führende Mathematiker, Geographen und Vermessungsspezialisten versammelt, unter ihnen auch der Astronom Anders Celsius.

Unzuverlässige Thermometer

Die exakte Vermessung des etwa 100 km langen Meridianbogens nördlich der Hafenstadt Tornio stellte die Expeditionsteilnehmer vor unerwartet große Schwierigkeiten. Das unwegsame, fast unbewohnte Gelände, die Überwindung hoher, schneebedeckter Berge und reißender Flüsse, die bittere Kälte im Winter und die Schnakenplage im Sommer, die lokalen Kompaßstörungen und vor allem die schlechten Lichtverhältnisse während der Polarnacht brachten Anders Celsius und seine Begleiter mehr als einmal an den Rand der Verzweiflung. Es dauerte mehr als ein Jahr, bis die Expedition zu ihrem Schiff nach Tornio zurückkehren konnte. Ein wichtiges Kapitel der Erdvermessung war abgeschlossen und der Beweis erbracht: Newton hatte recht, die Erde ist keine Kugel, sondern an den Polen abgeplattet. Die Fachwelt feierte die Lapplandexpedition als großen Erfolg der Wissenschaft.

Nur Celsius selbst war unzufrieden. Die unter seiner Leitung durchgeführten Pendelversuche, die über die Gravitationskräfte und damit über die Entfernung zum Erdmittelpunkt Aufschluß geben sollten, hatten keine eindeutigen Ergebnisse erbracht. Er wußte auch warum: Die von der Expedition mitgeführten Thermometer des französischen Physikers Réaumur waren nicht nur sehr schwer und unhandlich, sondern auch völlig unzuverlässig, vor allem bei winterlichen Temperaturen. Ein Expeditionsmitglied schrieb dazu:

»Unsere Thermometer taugen ganz und gar nichts. Sie sind von Weingeiste, haben keinen beständigen Punct, die Gradirung davon anzufangen, und stimmen nicht miteinander überein, welches ich selbst genugsam an zween dergleichen gesehen, die sich in Upsal befinden.«

Genaue Temperaturmessungen wären jedoch nötig gewesen, um die Pendeluhr richtig zu justieren. Celsius nahm sich vor, diesen Mangel abzustellen.

Wohin mit dem Nullpunkt?

An die Universität Uppsala zurückgekehrt, beschäftigte sich Celsius zunächst mit der Aufgabe, das im Bau befindliche Observatorium mit den modernsten Instrumenten auszurüsten. Daneben widmete er sich der Konstruktion eines zuverlässigen Thermometers. Exakte Temperaturmessungen wurden nicht nur im wissenschaftlichen Bereich benötigt, sondern auch im Handwerk, z. B. bei den Bierbrauern, Seifensiedern, Branntweinbrennern und den Färbern. Celsius hoffte, daß ein allgemein verwendbares Meßinstrument guten Absatz finden und ihm einen schönen Nebenverdienst garantieren würde. Neben der Wahl der richtigen Glassorte – mit möglichst geringem Ausdehnungskoeffizienten – war das Problem zu lösen, welche Thermometerflüssigkeit am besten geeignet war. Celsius entschied sich – wie schon verschiedene seiner Vorgänger, z. B. Fahrenheit – für Quecksilber, das allerdings sehr rein sein mußte. Am wichtigsten für ihn war jedoch die Frage der Gradeinteilung. Welche Bezugspunkte für die Skala sollte er wählen, wo war der »beste« Nullpunkt?


Eichung eines Thermometers nach der Celsius-Skala. Kupferstich (1764)

1742 stellte Celsius die Konstruktion eines deutlich verbesserten Quecksilberthermometers vor. Das Instrument war mit einer parallel angebrachten Dezimalskala ausgestattet. Celsius kennzeichnete den Siedepunkt des Wassers mit der Zahl 0, den Gefrierpunkt des Wassers mit 100. In einem Schreiben an die Schwedische Akademie über die »Beobachtung von zween beständigen Graden auf einem Thermometer« heißt es: »Ich für mein Theil finde keine bequemere und sichere Art, die Grade auf einem Thermometer abzutheilen, als einige Puncte von der Höhe des Quecksilbers zu bestimmen. Wenn das Wasser kocht und zu frieren anfängt, und darnach die übrigen Grade zu verzeichnen …«

Damit war die dezimale Celsius-Skala geboren, die heute in den meisten Ländern der Erde (mit Ausnahme der USA und Englands) verwendet wird. Auch zur Eichung des Thermometers machte Celsius genaue Angaben:

»Der Punct des gefrierenden Wasser läßt sich am genauesten bestimmen, wenn man das Thermometer im klebrichten Schnee eine halbe Stunde stehen läßt …«

Der Wärmemesser des Anders Celsius fand als »Schwedisches Thermometer« bald Eingang bei den meisten europäischen Universitäten. Die Abkürzung »°C« bedeutete damals »Centigrad«, erst später wurde daraus die heutige Bezeichnung »Grad Celsius«. Der berühmte Naturforscher Carl von Linné (1707–1778), dem wir die Systematik und Nomenklatur der Pflanzennamen verdanken, machte später den Vorschlag, die Skala umzudrehen: Es wäre doch besser, mit der Zahl 0 den am unteren Ende der Skala liegenden Eispunkt zu markieren, mit der Zahl 100 den Siedepunkt des Wassers. Darauf einigten sich die Fachleute, das heute gebräuchliche Thermometer war erfunden.

Anders Celsius war in Schweden ein hochgeachteter Gelehrter, der weitsichtig und energisch seine Pläne verfolgte. Seine Studenten gingen für ihn durchs Feuer. Für seine Verdienste bei der Lapplandexpedition erhielt er vom französischen König eine lebenslängliche Pension von 1000 Livres. Sehr lange konnte er sich dieser Wertschätzung jedoch nicht erfreuen. Von der Lapplandexpedition hatte er einen hartnäckigen Husten mitgebracht, der sich nicht bessern wollte. Als sich sein Gesundheitszustand immer mehr verschlechterte, stellten die Ärzte fest: Celsius litt an der (damals unheilbaren) Volkskrankheit Schwindsucht (Lungentuberkulose).

Anders Celsius starb am 25. April 1744 – unverheiratet – im Alter von 42 Jahren. Seine Verdienste auf dem Gebiet der Astronomie werden heute kaum noch erwähnt, seine Arbeiten über das Magnetfeld der Erde und dessen Auswirkungen auf das Nordlicht sind durch neuere Forschungen überholt. Dennoch, der Name Celsius ist unvergessen. Auf der Rückseite aller Fieberthermometer ist jenes »C« eingraviert, das jedermann mühelos als Abkürzung für den Namen Celsius erkennt.

Der hartnäckig geführte und bis heute noch nicht beendete Streit, welche Temperaturskala gelten sollte, die nach Celsius, jene des französischen Gelehrten Graf de Réaumur (1683–1757) oder die von dem deutschen Instrumentenmacher Daniel Gabriel Fahrenheit (1686–1736) propagierte Skala, hat auch Eingang in die Lyrik gefunden:

Die Abtrünnigen

– »Ich bin der Graf von Réaumur

und haß’ euch wie die Schande!

Dient nur dem Celsio für und für,

Ihr Apostatenbande!«1

Im Winkel König Fahrenheit

hat still sein Mus gegessen.

– »Ach Gott, sie war doch schön, die Zeit,

da man nach mir gemessen!«

Christian Morgenstern, Galgenlieder

1Apostaten sind Abtrünnige einer Partei oder Religion


René-Antoine Réaumur (1683–1757), französischer Physiker. Porträt, Stahlstich

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