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Die Herkunft

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Paulus ist, was ihn selbst betrifft, die leibhaftige Widerlegung des Hölderlin-Wortes: „das meiste nämlich vermag die Geburt“7. Denn die für ihn relevante Lebensgeschichte begann mit dem Erlebnis seiner „Wiedergeburt“ in Gestalt der Damaskusvision. Falls es die Absicht der Apostelgeschichte war, ein vollständiges Paulusporträt zu entwerfen, verfehlte sie dieses Ziel, abgesehen von der Verweigerung des Apostelrangs für Paulus und dem Verschweigen seines Briefwerks, aber schon dadurch, dass sie mit der, wenngleich dreimal erzählten, Damaskusvision einsetzt, nachdem sie Paulus schon beim Bericht von dem Martyrium des Stephanus eine Statistenrolle (Lüdemann) zugewiesen und ihn damit dramaturgisch geschickt in ihre Darstellung eingeführt hatte8. Denn die Vorgeschichte ist für Paulus selbst durchaus nicht bedeutungslos. Deshalb kann sie nicht übergangen werden, so schwierig sich ihre Rekonstruktion gestaltet. Paulus selbst erinnert die Adressaten des Galaterbriefs an diese Vorgeschichte mit dem Geständnis:

Ihr habt doch von meiner früheren Lebensführung im Judentum gehört, wie ich die Kirche Gottes maßlos verfolgt und sie zu zerstören gesucht habe, wie ich im Judentum viele Altersgenossen meines Stammes übertraf und mich mehr als jeder andere für die väterlichen Überlieferungen eingesetzt habe (Gal 1, 13ff.).

Schärfer noch im Ton ist seine Selbstdarstellung im Brief an seine Lieblingsgemeinde von Philippi:

Wenn einer meint, sein Vertrauen auf das Fleisch setzen zu können – ich könnte es noch viel mehr! Am achten Tag beschnitten, stamme ich aus dem Volk Israel, aus dem Stamme Benjamin, ein Hebräer von Hebräern, der Gesetzestreue nach ein Pharisäer, ein fanatischer Verfolger der Gemeinde, der Gesetzesgerechtigkeit nach untadelig (Phil 3, 4ff.).

Den schärfsten Ton schlägt Paulus jedoch im Auftakt zu seinem Leidenskatalog, der „Narrenrede“, an:

Worauf einer besteht – jetzt rede ich als Narr –, darauf bestehe ich auch. Hebräer sind sie? Ich bin es auch! Israeliten sind sie? Ich bin es auch! Aus Abrahams Samen sind sie? Ich bin es auch! Diener Christi sind sie? Jetzt rede ich vollends als Narr: Ich bin es noch viel mehr! (2Kor 11, 22f.).

Dabei fällt im ersten und zweiten Fall dieser Äußerungen auf, dass sich Paulus durch die gegnerische Provokation ebenso zur Rückschau wie zur Auskunft über sein Damaskuserlebnis bewegen lässt, während er im dritten Fall von seiner Entrückung bis zum „dritten Himmel“ berichtet, die sich als eine Art „Replikat“ jenes Erlebnisses verstehen lässt. Wenn sich auch schwer entscheiden lässt, was für ihn dabei den Vorrang hat, beweist diese Verkoppelung doch, dass das Eine, die Bezeugung dieser Lebenswende, für ihn fast spontan die Erinnerung an seine Vergangenheit weckt. Wie stellt sich diese nach dem gegenwärtigen Forschungsstand dar?

Nach den von Joachim Gnilka und Erich Lohse erarbeiteten Befunden stammte Paulus, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft auch Saul(us) hieß, aus kleinbürgerlichem Milieu der in der Landschaft Cilicien gelegenen Stadt Tarsus, wo er im Blick auf die ihm zugedachte Stellung eines Rabbi durch seinen Vater oder durch dessen Vermittlung das für einen Rabbi obligatorische Handwerk, in seinem Fall das eines Zeltmachers, erlernte9. Die Apostelgeschichte ergänzt seine eigenen Angaben durch die nach dem Schema Geburt, Erziehung, Ausbildung gegliederte Mitteilung:

Ich bin ein Jude, geboren in Tarsus in Kilikien, aufgezogen in dieser Stadt, unterwiesen zu Füßen Gamaliels nach der Strenge der väterlichen Gesetze, und ich war ein Eiferer für Gott (Apg 22, 3).

Da mit „dieser Stadt“ Jerusalem gemeint ist, stößt sich diese Äußerung mit der Aussage des Apostels, dass er den Gemeinden von Judäa „von Angesicht unbekannt“ gewesen sei (Gal 1, 22), sodass sich die Behauptung der Apostelgeschichte auf die einer Ausbildung im Sinn der rabbinischen Gesetzesauslegung reduziert, wie sie sich dann auch in zahlreichen von schriftgelehrter Schulung zeugenden Argumentationsweisen seiner Schriften spiegelt10. Die wiederholte Anwendung der Allegorese, wie der auf den dreschenden Ochsen (1Kor 9, 9f.), auf die beiden Frauen Abrahams (Gal 4, 21–31) oder des wasserspendenden Felsens (1Kor 10, 4) lassen außerdem eine Kenntnis der philonischen Schrifterklärung erkennen, die überdies auf eine Vertrautheit mit griechischer Bildung schließen lässt.

Schwer ist dagegen das von der Apostelgeschichte Paulus in den Mund gelegte Schülerverhältnis zu dem von ihr selbst als tolerant geschilderten Gamaliel (Apg 5, 34–42) mit dem voll „Wut und Mordlust“ gegen die Christengemeinde rasenden Paulus zu vereinbaren (9, 1), es sei denn dass der Eindruck des Lehrers durch andere Motive überdeckt wurde.

So entsteht das Bild einer mehr noch im jüdischen als im griechischen Sinn hoch gebildeten Persönlichkeit, in der sich, kontrastiv dazu, ein mächtiges Aggressionspotential aufstaut. Ohne dass gesagt würde wie, richtet es sich mit voller Wucht gegen die Christengemeinde. Das Verschweigen der Anlässe und insbesondere der Motivation ist indessen überaus beredt. Denn es wirft unwillkürlich die Frage auf, ob in alledem nicht etwas überspielt wurde, was zur Aufklärung des Aggressionsmotivs verhelfen könnte und bisher zum Schaden eines wirklichen Verständnisses unberücksichtigt blieb: die durch das paulinische Theorem vom „inneren Menschen“ aufgeworfene Frage nach der „inneren Vorgeschichte“ des sich zum glühenden Vorkämpfer Jesu wandelnden Verfolgers.

Paulus

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