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5. Gefangenes Herz

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»Sie kommt wieder zu sich.«

Eine Männerstimme drang durch das nebelhafte Nichts zu mir. Ich wollte meine Lider aufschlagen, aber sie waren so schwer. Ein unerwarteter Schmerz schoss durch meinen Hinterkopf und ich stöhnte gepeinigt auf.

Erneut sprach der Mann. »Geh bitte zu Sophie und sag ihr, ich brauche ein Glas Wasser.«

Nach einem Moment entfernten sich Schritte und mir gelang es, die Augen zu öffnen.

Ich fand Lennhart Karlsons bärtiges Gesicht vor meiner Nase. Seine Brauen hatten sich zusammengezogenen, während sein Blick grimmig über mich hinwegschweifte. Irgendwie glaubte ich, Sorge in ihm zu erkennen. Die satte Farbe seiner Augen erinnerte mich an geschmolzene, dunkle Schokolade.

»Wie geht es Ihnen? Alles okay?«

»Ich denke schon. Mein Kopf tut nur ein bisschen weh«, sagte ich und wollte vorsichtig die Stelle abtasten, die schmerzte.

Doch Lennhart brummte. »Lassen Sie mich nachschauen!«

Sanft hob er meinen Kopf an und rückte dabei noch näher an mich heran, sodass mein Gesicht fast seine Schultern berührte. Ein Duft stieg mir in die Nase. Er war ganz angenehm. Unbewusst atmete ich tiefer ein. Es war ein pfeffriges Aroma, das zugleich etwas Zitronenartiges an sich hatte. Sehr sinnlich. Oh Gott, wie kam ich denn darauf? Lennhart Karlson und sinnlich?!

Schweigend hielt ich still und spürte, wie seine Finger behutsam unter meine Haare fuhren und sanft über meine Kopfhaut glitten. Bis ein stechender Schmerz mich zusammenzucken ließ.

»Aah, verdammt«, zischte ich.

»Tut mir leid«, nuschelte er. »Fester ging es nicht. Aber immerhin sehe ich kein Blut. Scheint nur eine Beule zu werden.« Er ließ meinen Kopf wieder auf das Kissen zurücksinken. »Sie hatten Glück, dass Joan Ihren Sturz abgefangen hat. Wäre sie nicht gewesen, hätten Sie Schlimmeres davongetragen.«

»Ja«, murmelte ich und wich Lennharts durchdringenden Augen aus.

Endlich richtete er sich auf und gab mir damit Raum zum Atmen.

»Wenn die Schmerzen bleiben, sollten Sie einen Arzt aufsuchen. Mit einer Gehirnerschütterung ist nicht zu spaßen.«

Noch immer seinen Blick meidend, nickte ich, hielt vor Schmerz jedoch kurz die Luft an.

»Weshalb sind Sie zusammengebrochen?«, fragte Lennhart. »Haben Sie es etwa mit Ihrer Diät übertrieben, um besser in ihren schmalen Haute-Couture-Rock hineinzupassen?« Seine Stimme triefte vor Hohn.

Wütend schaute ich ihn an und musste feststellen, dass er sich königlich amüsierte. Der verfilzte Kerl genoss es, mich zu verärgern.

»Nein!«, empörte ich mich. »Ich halte keine Diät. Ich habe heute Morgen ...« Betreten verstummte ich, denn mir wurde klar, dass ich seit dem Brötchen zum Frühstück tatsächlich nichts mehr gegessen hatte. Während Joan bei einem Zwischenstopp in einer Bäckerei eine Brezel vertilgt hatte, war ich mit einer Tasse Kaffee zufrieden gewesen. War mein Zusammenbruch wirklich auf eine Unterzuckerung zurückzuführen? Ich hatte doch schon oft eine Mahlzeit übersprungen, warum sollte ich deswegen auf einmal umkippen? Vielleicht war dieser kleine Ohnmachtsanfall nur eine Folge der Aufregungen der letzten Tage gewesen. Allerdings erklärte es nicht, weshalb ich den Eindruck hatte, zu ersticken.

Indessen ich grübelte, grinste Lennhart selbstgefällig. »Ja, das dachte ich mir.«

Der mir mittlerweile bekannte Ausdruck von Geringschätzung auf seinen Zügen, verriet mir allzu deutlich, dass er seine Meinung über mich nicht so schnell ändern würde. Warum störte mich das? Einen feuchten Dreck sollte ich mich darum scheren, was dieser Typ von mir dachte!

Zu meiner Rettung erschien Joan und brachte das Glas Wasser, um welches Lennhart sie gebeten hatte.

Er stand auf und tauschte mit ihr den Platz. Derweil rappelte ich mich auf, bis ich mich gegen das Kopfende des Bettes lehnen konnte, in dem man mich abgelegt hatte. Ich schaute mich um. Offensichtlich hatte Lennhart mich ins Schlafzimmer meiner Eltern getragen, das sich direkt gegenüber vom Bad befand, denn es war eindeutig ihr altes Ehebett.

Die Maserung des Palisanderholzes, in seinem rötlichen und dunklen Braun, umgab mich von jeder Seite. Ob Bett, Kommoden oder die Türen des begehbaren Schrankes, das polierte Holz war allgegenwärtig. Golden hoben sich eingeprägte Schnörkel von dem noblen Untergrund ab. Wie Schlangen ringelten sie sich mir aus jedem Winkel entgegen.

Ein seltsam dumpfes Gefühl erfasste mich bei ihrem Anblick und ich griff nach dem Wasser, das Joan mir reichte.

Ihre Miene spiegelte die Sorge wider. »Geht es dir gut? Du bist ganz bleich.«

»Ja, danke«, erwiderte ich und schenkte ihr mühevoll ein Grinsen. In kleinen Schlucken leerte ich das Wasser und reichte ihr das Glas zurück.

Lennhart hatte sich noch nicht entfernt. Mit verschränkten Armen beobachtete er mich von der Türschwelle aus.

»Sie sollten bald etwas essen. Sonst fallen Sie womöglich gleich nochmal aus ihren ... Stöckelschühchen. Ich habe nämlich Besseres zu tun, als Sie den lieben langen Tag vom Boden aufzulesen.«

Ich schnappte empört nach Luft. Aber Lennharts Blasiertheit kannte keine Grenzen. Grinsend fügte er an: »Zumindest für heute.«

»Wissen Sie, es fällt einem ganz schön schwer, sich bei Ihnen zu bedanken, wenn Sie sich wie ein ...« Mit aufeinandergepressten Lippen suchte ich nach dem passenden Begriff und geriet dabei ins Stocken. Ich wollte mir nicht die Blöße geben, ihn mit unflätigen Kraftausdrücken zu beleidigen. Selbst, wenn ich mir fast die Zunge abbeißen musste, um das zu verhindern. »... Flegel benehmen!«

»So so, Flegel?«, machte er sich lustig. Doch dann schlug seine Stimmung auf einmal um. Todernst fuhr er fort: »Ich wette, Ihnen lag schon etwas ganz anderes auf der Zunge.«

Der Blick seiner braunen Augen fing meine ein, gewährte mir kein Entkommen. Instinktiv ahnte ich, was er damit beabsichtigte. Er wollte mir noch etwas Anderes sagen. Etwas Anzügliches. Ehe ich meinen Instinkt in Frage stellen konnte, meinte er: »Ja, ich sollte mich nicht von Ihrem Äußeren täuschen lassen. Sophie hat recht, es ist bloß Fassade. Und ich weiß nicht, was ich mehr verachte: Das, was Sie vorgeben zu sein, oder das, was Sie wirklich sind. Ich finde beides zum Kotzen.«

Alles Blut wich mir aus dem Gesicht und schien in meinem Magen zusammenzuströmen. Obwohl er es nicht ausgesprochen hatte, verstand ich seine Andeutungen sehr gut. Ungeachtet meines teuren Kostüms hielt er mich für ein billiges Flittchen. Denn nichts anderes hatten ihm die Worte meiner Mutter, soeben in der Stube und bestimmt auch schon früher, impliziert.

Zornig schwang ich meine Beine über den Bettrand, damit ich ihm den Rücken zukehren konnte. Ich zwang mich, ruhig zu bleiben. Aber es gelang mir nicht völlig, das Zittern aus meiner Stimme zu verbannen.

»Danke, Herr Karlson. Danke für alles, besonders für Ihren freundlichen Empfang«, antwortete ich sarkastisch und beschäftigte mich fortan damit, in meine Schuhe zu schlüpfen.

Irgendjemand hatte sie mir ausgezogen und ordentlich vor dem Bett abgestellt. Verstohlen schaute ich über die Schulter. War er das womöglich gewesen?

Ich sah nur noch, wie Lennhart sich vom Türrahmen abstieß und davonging.

»Echt, der ist so ein Arsch«, sagte Joan. »Erst dachte ich, er ist ganz okay. Als ich um Hilfe rief, kam er nämlich sofort angerannt. Ohne lange zu fackeln, hat er dich vom Boden aufgesammelt und hierhergetragen. Er wirkte beinahe schon besorgt, während er dir die Schuhe ausgezogen und die Haare aus dem Gesicht gestrichen hat.« Angeekelt rümpfte sie ihr Näschen. »Das war irgendwie voll kitschig ... und unheimlich.«

Ein nervöses Kribbeln lief durch meine Beine, als ich mir vorstellte, wie Lennhart meine Fesseln berührt haben könnte. Ich war eindeutig verrückt! Selbst, wenn Paul und ich schon lange keine Intimitäten mehr geteilt hatten, war das keine Ausrede dafür, irgendetwas an diesem Mann reizend zu finden. Er war ein ungepflegter, unverschämter Waldschrat.

Joan schüttelte verwirrt den Kopf. »Warum hackt er so auf dir rum? Ich verstehe das nicht. Wir haben ihm doch nichts getan.«

Resigniert schloss ich für einen Moment die Lider. Mir wurde klar, weshalb Lennhart mir gegenüber so eingestellt war. »Nein, ihm nicht. Aber er denkt, dass ich deiner Großmutter etwas angetan habe. Oder vielmehr nichts getan habe, was eine Tochter tun sollte.«

In einer verärgerten Geste hob Joan die Hände. »Wie kann er ihr einfach glauben? Er sollte erstmal mit den Leuten reden, bevor er sich ein Urteil über sie bildet.«

Um Joan nicht noch mehr gegen ihre Großmutter aufzustacheln, versuchte ich, sie zu beruhigen. »Schatz, du urteilst selbst gerade vorschnell. Denn wir wissen nicht mit Bestimmtheit, ob sie etwas zu ihm gesagt hat. Vielleicht hat er seine Schlussfolgerungen aus dem gezogen, was er jahrelang gesehen hat: Eine Tochter, die sich nicht das kleinste Bisschen um ihre kranke Mutter kümmert.«

Traurigkeit überfiel mich, denn der Dorn der Erkenntnis bohrte sich in meine Brust. Lennhart Karlson hatte allen Grund mich so zu behandeln, er war mein persönlich umher wandelndes, schlechtes Gewissen.

»Mama!«, rief Joan vorwurfsvoll. »Das nimmst du dir doch selbst nicht ab. So, wie die sich gerade eben da unten aufgeführt hat, hat sie ihm, weiß der Geier, was erzählt. Und wahrscheinlich nicht nur ihm.«

Ich schüttelte sacht den Kopf. »Wenn dem so wäre, könnten wir auch nichts daran ändern. Solange wir hier sind, sollen sich die Leute ihre eigene Meinung über uns bilden.« Trotz packte mich plötzlich und ich begehrte auf. »Und wenn die beschissen ausfällt, ist es mir ehrlich gesagt egal. Wir haben andere Probleme als das.« Ich erhob mich und ordnete meine Kleider. Mit dem Vorsatz, es allen, insbesondere meiner Mutter, zu beweisen, dass ich auf eigenen Füßen stehen konnte, reckte ich das Kinn. »Morgen bringe ich meine Designer-Klamotten in einen Secondhandladen und werde mich anschließend auf die Suche nach einem Job machen.«

Wir verließen das Schlafzimmer und ich warf nochmals einen Blick in das Bad. Es sah genauso aus wie früher. Die gleichen Fliesen, das gleiche Waschbecken, die gleiche Badewanne. Ich schluckte, denn seit ich denken konnte, hegte ich eine gewisse Abneigung gegen Wasser. Duschen war für mich eine Notwendigkeit, der ich mit wenig Begeisterung nachging. Ein Vollbad zu nehmen war für mich jedoch eine Qual. Schwimmen zu gehen in einem See oder Schwimmbad ein Ding der Unmöglichkeit. Geschickt war ich diesem Zeitvertreib in meinem gesamten Leben aus dem Weg gegangen. Gab es da einen Zusammenhang? Doch ich konnte mich nicht erinnern, dass mir jemals etwas in dieser Wanne zugestoßen wäre. Kein Unfall, kein Sturz, kein Blut!

Ein Bild blitzte in meiner Erinnerung auf, so schnell, dass ich es nicht zu fassen bekam. Verstört wandte ich mich ab und folgte Joan eilig die Treppe hinunter. Ich war erleichtert, als meine Mutter erklärte, dass Lennhart Karlson das Haus verlassen habe.

Zimt und Sandelholz

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