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Die Raubmöwe

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Ihn überkam ein leichtes Hungergefühl, da Er das aber nicht einfach so äußern wollte, blickte Er, ein wenig ungeduldig und scheinbar nach irgendetwas bestimmten suchend, durch die Umgebung, sodass Sie sich beinahe schon genötigt dazu fühlte, ihn zu fragen, was Er denn hätte und ob Sie ihm ihre Hilfe anbieten könnte, was Sie so gerne täte. Es ließ ihr zu keiner Zeit Ruhe, wenn auch nur der kleinste Verdacht einer Unzufriedenheit in ihm aufkommen könnte. Sie wollte jedes eventuelle Übel sofort schon im Entstehen aus dem Weg räumen. Für die großen Probleme und die Rettung der Welt, wenn diese es noch Wert wäre, wäre natürlich Er zuständig, aber alles andere wollte Sie erledigen und obwohl auch Er immer nur ihr bestes für Sie wollte, war Sie fast besessen davon, ihn zu verwöhnen. Nicht zu wissen, was Er in diesem Moment wollen würde, ließ Sie ein bisschen unruhig werden. Sie sollte es aber bald erfahren. Er: „Ich weiß nicht recht, solltest Du ein Backfischbrötchen, warm, knusprig, wohlschmeckend, vielleicht hinter deinem Rücken versteckt und bereit zur Abgabe an mich haben oder jemanden kennen, der nicht allzu fern von uns eben solches, zum Zwecke der Befriedigung meines Appetits auf ein Fischbrötchen haben oder jemanden kennen, der jemanden kennt, der eben diese Absicht hätte, dann könntest Du mir wohl leicht helfen. Sollte das alles aber nicht der Fall sein, dann sollten wir nach einer Gelegenheit zum Erwerb dieser kleinen Delikatesse Ausschau halten oder die erfolgversprechendste Variante wählen und zum Hafen gehen. Da gibt es mit Sicherheit noch viele davon, wenn das gemeine Urlaubervolk es nicht geschafft hat, voller Fresssucht und vielleicht, um mich zu ärgern und zu quälen, aus allerniedersten Beweggründen heraus, alle zu aufzukaufen und in sich hineinzustopfen, bis ihre Bäuche und Hälse so voll sind, dass sie sich abends nicht mehr aus dem, was diese Menschen Anziehsachen zu nennen pflegen, hinauszwängen können.“ Oh Weh, das war natürlich schon keine Kleinigkeit mehr. Hier erschien ihr schnelles Handeln von Nöten. Er schien ja wieder in seinem Dummemitmenschenverachtungsmodus zu sein und Hunger leidens würde sich das noch dramatisch verschlimmern können. Es war an ihr, den Fortlauf dieses Sonnentages auf nicht unerhebliche Weise mitzubestimmen. Gedankenschnell sagte Sie. Sie: „Mein lieber lieber Mann, lass uns rasch hier durch diese kleine Gasse gehen. Das ist der schnellste Weg zum Hafen. Man kann den Backfisch schon fast riechen, so nah sind wir ihm.“ Er: „Aha“, Es musste noch Zeit für eine angemessene Reaktion seinerseits bleiben „durch diese hohle Gasse? Führt denn kein schnellerer Weg zum Hafen? Nun gut, meine Teuerste, Du bist ja in tapferer Begleitung. Welch Übel sollte uns schon auf diesem Weg begegnen, dass ich nicht für uns überwinden könnte. Wohlan, wir ziehen in die Schlacht, aus der Gasse zu den Fischern, vorbei an all dem Gesinde, was uns, unblickig und rücksichtslos, wie es für gewöhnlich ist, im Wege stehen wird, planlos konsumgeil umherirrend, immer mit dem Risiko, einige davon zufällig oder aufgrund ihrer unkontrollierten Bewegungen, die sie für Einkaufsbummel halten, berühren zu müssen. Wir sollten darauf achten, dass wir uns nicht von ihnen auf den Füßen herumtrampeln lassen müssen und der Schmerz der platten Füße nachher stärker ist als der, des jetzt noch verspürten Hungers.“ Sie blickte in sein Gesicht, hob die rechte Braue, schmunzelte und zog an seiner Hand. Er folgte, beschleunigte rasch, um neben und nicht hinter ihr zu laufen. Sehr sehr rücksichtsvoll sprach Sie ihn ruhig beim Gehen an, so wie der Palmwedler hinter Cäsar, der ihn auf Triumpffahrten nach historischen Siegen beim Wedeln daran ermahnte, zu bedenken, dass auch er nur ein Mensch wäre. Sie: „Mein lieber lieber Mann. Es ist wieder soweit. Kannst Du bitte versuchen, Dich für eine klitzekleine Weile ein bisschen so, wie andere Menschen auch zu benehmen? Natürlich nicht, wie der Plebs, aber wenigstens wie ganz normale Menschen? Bitte, tu es für mich. Nachher kannst du gerne Deinen Umhang wieder überwerfen und mich als Superheld durch dunkle Gassen, finstere Wälder und gefährliche Schluchten, vor Räubern, Mördern und sonstigen Gefahren beschützend, nach Hause begleiten. Bitte, tu es mirzuliebe.“ Mit einem Küsschen auf die Stirn, einem Funkeln in den Augen und einem Lächeln im Gesicht, dass so unwiderstehlich gewinnend war, antwortete er, wie ein ganz normaler Mensch. Er: „Geht klar, meine Zaubermaus. Wollen wir uns zu den Backfischbrötchen noch eine Cola holen?“ Glücklich sagte sie. Sie: „Das machen wir. Lass uns eine teilen.“ Er nickte zufrieden und die beiden schlenderten sehr verliebt die wenigen Meter durch die Gasse bis zum Hafen. Natürlich waren da auch andere Menschen, doch es war spät in der Saison und auch spät am Nachmittag. Viele der Touristen hatten sich schon zurückgezogen. Niemand stand vor ihnen beim Fischkutter und so konnten sie ganz entspannt bestellen. Ein kleiner Smalltalk mit dem Verkäufer war immer drin. Für gewöhnlich sprach Er mit allen Menschen, mit denen er Unterhaltung suchte, auf eine Art, die den anderen schwer aus dem Kopf ging. Er hinterließ immer eine Spur der Erinnerung, meist, auch wenn das nach dem bisher erlebten so sonderbar scheint, waren die Leute hinterher erfreut. Ihnen gute Laune zu bringen war das, was er mit wenigen Worten schaffte, eben, weil Er so anders war. Immer gab er das Gefühl, ein ganz besonderes Gespräch zu führen, nicht immer besonders intellektuell aber oft besonders nett, liebevoll, meist aber lustig. Auch dabei unterschied und hob Er sich so deutlich von den anderen ab. Ihm war das bewusst und obgleich er Menschen gerne mied, ließ Er dieses besondere Wirken gelegentlich raus, dieses Füllen eines Raumes mit mehr Licht, mehr Glanz und viel mehr Leben, wenn Er ihn betrat. Es war seine Aura, die ihm so viel Sympathie brachte. Er konnte das mit jeder Emotion, doch war diese, ihm so liebeverbreitende Art zu erscheinen, wohl die, die ihn am meisten von allen anderen Menschen unterschied und eigentlich die einzige, die dann ja für alle umgebenden Mitmenschen auch von Wert war und die prägendste Spur zurückließ. Andere speicherten dieses tolle Gefühl oft über mehrere Tage, behielten ein Lächeln in sich und erfreuten damit wieder andere. Es war tatsächlich eine Gabe, nur ging er, je älter er wurde, umso sparsamer damit um. Es sollte anders sein, aber vielleicht käme das ja noch, wenn Er einst diesen Großvaterstatus erlangen sollte und weihnachtsmanngleich alle Menschen glücklich machen wollte. Davon war Er aber noch sehr weit entfernt und das zu seinem großen Glück, so wie Er fand. Man muss auch auf das schlechte gucken, auf den Verfall von Sprache, Werten und Moral hinweisen und das nicht immer nur nett sondern so, wie man es empfinden sollte, böse, schlimm, dramatisch und ernst. Nach einigen scherzigen Worten, die er mit dem Fischverkäufer wechselte über tieffliegende Möwen, die wohl Regen prophezeiten oder wann denn die nächste Raubmöwenfütterung wäre, gingen die beiden die wenigen Meter hoch zur Promenade, nicht weil Er unbedingt in Gesellschaft essen wollte sondern weil ihm die Gefahr eines Angriffs durch Möwen, die es auf die Backfische abgesehen haben könnten, am geringsten erschien. Während Er noch darüber sprach, damit auch Sie immer ein waches Auge auf ihren Snack halten möge, schoss eine dieser viel erwähnten Raubmöwen dicht an seinem Kopf vorbei und mit gezieltem Biss zog sie ihm den ganzen Fisch aus dem Brötchen, um ihn nur Sekunden später, mit drei anderen Flugkünstlern, völlig unerschrocken auf dem Boden zu teilen. Touristen, die um die beiden herumspazierten oder einfach nur planlos in der Gegend herumstanden, schreckten auf und mit Händen vor den Mündern und weit aufgerissenen Augen, beobachteten sie neugierig die Szenerie, um kurz darauf, sämtliche anderen Umherlaufenden lautstark auf das Geschehene aufmerksam zu machen. Er hingegen verzog keine Miene. In der einen Hand hielt Er das nun recht trockene Brötchen, in der anderen Hand hielt Er ihre Hand. Mit einem kurzen Kopfnicken, wies Er ihr den Weg zu einem Laden und sagte: „Oh, schau da, was für schöne Mützen sie dort verkaufen. Vielleicht sollten wir ein paar von ihnen anprobieren.“ Sie gingen auf den Laden zu. Er biss von seinem trockenen Brötchen ab und Sie betrachtete ihn voller Mitleid. Auch wenn Er so tat, als wäre überhaupt nichts geschehen und der Verlust des Backfisches ihm nichts ausmachen würde, so wusste Sie doch, dass es in ihm ganz anders aussah. Seine Reaktionen waren oft schwer vorauszusehen aber egal, wie Er auch mit unterschiedlichsten Situationen immer wieder auf unterschiedlichste Arten umging, so kannte Sie doch sein Innenleben, zumindest zu einem großen, für Sie relevanten Teil. Es wäre genauso gut vorstellbar gewesen, dass Er erst über die Möwen geschimpft und danach sich pöbelnd den Fressgaffern zugewandt hätte. Doch keine Spur davon. Er schritt teilnahmslos weiter. Sie guckte ihn an und bot ihm ihr Brötchen an. Sie meinte, dass Sie sowieso nicht so sehr hungrig gewesen sei und Er sich doch so sehr darauf gefreut habe. Er zeigte kein Interesse und lehnte abschätzig, begleitet von verneinendem Fingerspiel, ab. Sie blieb hartnäckig und sagte, dass ihr der ganze Fisch eigentlich zu viel sei und fragte, ob Er denn nicht wenigstens die Hälfte haben wollte. Er versuchte auch diesen Vorschlag zu übergehen und machte erneut einen Biss in sein fischloses Brötchen. Sie schlenderten weiter und nach vielen vielen Angeboten ihrerseits, doch bitte von ihrem Backfisch zu essen, ging Er darauf ein. Natürlich war der Fisch nun nicht mehr warm und der Genuss deutlich geringer aber das musste auch so sein, denn Er sollte aus seiner Sicht schon bestraft dafür werden, dass Er, trotz großer Redenschwingerei zu genau diesem Thema, für einen kurzen Moment unachtsam war und dadurch seines Fisches verlustig wurde. Es war ja nicht die Schuld der Möwe, die clever und geschickt agierte sondern seine, weil Er sich auf so leicht vorhersehbare Weise doch hat überraschen lassen und wie ein dummer Junge als klarer Verlierer des Mensch/Möwenduells hervorgegangen war. Im Gedanken war Er schon bei der Revanche, denn was für Menschen gilt, gilt sicher auch für Möwen, man sieht sich immer zweimal im Leben... mindestens. Nachdem nun alles verzehrt war, schlenderten sie durch die Straßen, guckten in verschiedene Schaufenster und genossen ihren kleinen Ausflug. Es fand sich bald schon eine gute Gelegenheit, noch Kuchen zu besorgen, den die beiden für später mitnahmen und auch ein Eis war noch aufzutreiben, dass beide noch im Ort verzehrten. Die beiden waren so unterschiedlich und dennoch gab es unendlich viele Dinge, die beide vereinten, beide mochten und nach denen sich beide sehnten. Sie verfügte über das oft zitierte dicke Fell, das auf jeden Fall nötig war, um ihn zu ertragen, nicht nur seine Macken, sondern auch seine Liebe, die anders war als jede, die sie vorher erfuhr. Auch seine endlos langen Monologe über die kleinen und großen Dinge des Lebens waren eine Herausforderung für jeden Zuhörer und das Ertragen jener nicht leicht zu meistern. Ihr gelang das sehr gut und es kam nur selten dazu, dass Er seinen Redeschwall beenden musste, weil Sie die Müdigkeit überkam. Er wusste, dass Er anstrengend war, aber konnte sich ja nicht für einen anderen ausgeben. So war Er und er blieb authentisch in seiner Art. Am Abend saßen sie auf dem Balkon, aßen den Kuchen und scherzten miteinander. Es gab ja auch wirklich wieder vieles, worüber man lachen konnte. Vor allem die Möwe war ein Thema und in seinem Kopf war sie noch viel präsenter als in ihrem Gespräch. Es nagte an ihm als hätte ihm der Vogel seine Notdurft auf seinen Superheldenumhang verrichtet und wenn schon kein Zacken aus der Krone brach, so war eventuell doch einer leicht verbogen. In seinem Kopf schmiedete Er bereits einen Plan...

Er und Sie

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