Читать книгу Die Neue Welt - Florian Hoffmann - Страница 15

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Es ist Herbst, die Bäume haben schon fast alle ihre Blätter verloren. Ich blicke vom 40. Stock eines Wolkenkratzers hinunter auf die winzigen Menschen und Autos, die sich geschäftig ihre Wege durchs Londoner Business- und Bankenzentrum bahnen. Im großen Workshop-Raum hinter mir unterhalten sich Menschen angeregt vor einem Whiteboard. Eva, Leaderin bei einem der größten Konsumgüterhersteller der Welt, hat mich nach London gebeten, um zusammen mit ihren Kolleg:innen aus Personal, Strategie, Vertrieb und Design ein Konzept zu der Frage zu entwickeln: Wie können in Zukunft 300 000 Menschen zusammenarbeiten, wenn 80 Prozent von ihnen nicht mehr in festen Abteilungen sitzen, sondern frei umherschwirren in einem losen Talente-Pool?

Das soll in ein paar Jahren der Fall sein. Ich bin nicht alleine dieser Einladung gefolgt, sondern habe spannende Wissenschaftler:innen und Entrepreneur:innen aus unserem Netzwerk mit dabei. Darunter auch Mark* aus Hamburg, der 22 Stunden mit dem Zug nach London gereist ist, um die Umwelt nicht zu sehr zu belasten. Mark erzählt von seinem Arbeitgeber, der ziemlich besonders ist: Premium Cola, inzwischen umbenannt in Premium-Kollektiv. Alle wichtigen Entscheidungen – vom Sortiment angefangen über die Höhe der Produktion bis hin zum Logo – werden dort von einer Gemeinschaft getroffen, zu der nicht nur Mitarbeitende gehören, sondern auch Kund:innen, Spediteur:innen, Händler:innen und Gastronom:innen. Ein großes Netzwerk von Entscheider:innen. Mehr als 250 stimmberechtigte Personen sitzen mit an Bord des Unternehmens. Doch was sich nach komplizierter Entscheidungsfindung anhört, folgt einem ziemlich ausgereiften Prozess. Das Befremden zwischen den Manager:innen – effiziente Konzernstrukturen und klare Hierarchien gewohnt – und Mark ist förmlich zu spüren. Die Diskussion nimmt sofort Fahrt auf. Knisternde Stimmung im Raum. Klischees rollen heran.

Denn es gibt sie: die Headquarter der Unternehmen in Bangkok, Mailand, Paris, München oder Montreal mit Hauptgebäude und zentralem Campus. Eingangshallen und Büroeinrichtungen sind so unterschiedlich wie die jeweilige Organisationskultur dahinter. Und doch sind die Abläufe selbst für Besucher:innen ähnlich strukturiert. Man meldet sich an der Rezeption an, bekommt einen Ausweis mit Foto und Clip. Je nach Wichtigkeit wartet man im Foyer, wird abgeholt oder direkt weitergeschickt. Mal bleibt man im Hauptgebäude, mal gelangt man über lange Gänge und diverse Abkürzungen in einen der Nebentrakts, mal fährt man mit einem der Aufzüge in die Höhe. Und erkennt: Je zentraler beziehungsweise je höher das Büro gelegen, desto wichtiger die Person, die da auf einen wartet, und desto weniger Mitarbeitende laufen einem über den Weg. Wieder meldet man sich an, diesmal bei der Büroleitung. Wartet. Und wird je nach Wichtigkeit früher oder später zu einem Meeting-Raum geleitet, in dem Wasser, Softdrinks und Kaffee bereitstehen. Bei den Tech-Giganten des Silicon Valleys gerne auf einer schicken Getränkebar, bei den neuen Konzernen Schenzhens gerne auf alten, überdimensionalen, runden Holztischen aus Teak. Je freundlicher man empfangen wird, desto eher lernt man auch die abgeschirmten Bereiche kennen. Das Restaurant, das nur Führungskräften und deren Gästen vorbehalten ist. Die zentralen Parkplätze mit direktem Zugang zu den oberen Etagen. Die Etage mit den historischen Produkten und neuesten Innovationen. All das (Aufbau, Ablauf, Kultur, Privilegien) hat lange Zeit die Kultur von Konzernen bestimmt.

Zukunft findet nur gemeinsam statt. Deswegen braucht es Zugang zu und Austausch innerhalb einer weltweiten Community.

Santtu Hulkkonen

Doch in einer Arbeitswelt, in der zwei Drittel der Angestellten nicht mehr ins Büro zurückkommen wollen, steht es mehr und mehr zur Debatte. Insofern muss Arbeit neu gedacht werden. Wie organisieren? Wie verteilen? Wie strukturieren? Wie das Erleben einer Organisation, ja einer ganzen Unternehmenskultur in eine Welt übertragen, in der Software das wichtigste Bindeglied ist?

Zurück in unseren Meeting-Raum im Herzen Londons. Auch wenn es zuerst nicht danach aussieht, am Ende des Tages ist sich die gemischte Gruppe ziemlich einig. Wenn Mitarbeitende von Projekt zu Projekt wechseln und sich relativ frei in der Organisation bewegen, müssen zwei Dinge möglich sein. Erstens, die Firma muss in der Lage sein, Personen nach Fähigkeiten, aber auch Einstellung und Persönlichkeit in die richtigen Teams zu platzieren. Zweitens müssen Mitarbeitende sich immer wieder neu die Frage stellen dürfen, was sie begeistert und in welchen Themenfeldern sie sich mit neuen Fähigkeiten weiterentwickeln wollen – denn nur wenn sie darauf eine Antwort haben und ihr Tun entsprechend ausrichten können, werden sie einen wirklichen Beitrag leisten.

Das ist auch Santtu Hulkkonens Überzeugung. Bei unserem letzten Videocall saß er vor einer Hütte am See, im Hintergrund dichter Wald im finnischen Halblicht. Santtu kommt aus dem Nachhaltigkeitsbereich und hat sich früh die Frage gestellt, ob man die ökologischen und sozialen Probleme unserer Welt nicht schneller lösen könnte, wenn man immer genau die Expert:innen mit der jeweils besten Expertise zusammenbringt. Über Umwege ist er so zum Technologieunternehmer geworden. Heute hilft sein Unternehmen Solved bei der Vernetzung; mit der von ihm mitentwickelten Software lassen sich weltumspannende Communitys aufbauen – aus Menschen, die sich noch nie gesehen und zum großen Teil auch noch nie voneinander gehört haben und dennoch miteinander arbeiten wollen. Für ein gemeinsames Ziel, eine gemeinsame Sache.

Überall warten Menschen darauf, mit dir zusammen etwas zu bewegen.

Finde sie. Ein Klick genügt.

Santtu lacht. Mit einer Tasse Tee in der Hand bestätigt er, dass sich das alles einfacher anhört, als es ist. Wie findet man die richtigen Expert:innen, die über die ganze Welt verstreut und nicht so einfach zu finden sind? Wer weiß überhaupt, nach wem man sucht und wie das »richtige« Team zusammengesetzt sein muss, um die jeweilige Aufgabe bewältigen zu können? Wie baut man ein fluides Netzwerk aus Menschen auf, die möglichst auf Abruf Lösungen entwickeln sollen, immer in verschiedensten Konstellationen? Wie bringt man Menschen so zusammen, dass ein wirkliches Team entstehen kann, mit voller Konzentration und Leidenschaft und doch zeitlich begrenzt? Wie reagiert man bei unguten Dynamiken innerhalb eines Teams, wie stark sollte eine Software eingreifen können?

Wer diese Fragen beantworten kann, hält einen wichtigen Schlüssel zur Zukunft der Arbeit in Händen. Ganz gleich, ob eine Organisation Freelancer:innen aus aller Welt zusammenbringen möchte oder ein global tätiges Unternehmen seine festen Mitarbeitenden, die ebenfalls weit verstreut sitzen können. Ganz gleich, ob man extern oder intern nach der idealen Teambesetzung sucht. Google, Slack, Microsoft, IBM und Hunderte kleinerer Tech-Unternehmen arbeiten an kreativen Lösungen, um diese Zukunft zu gestalten.

In der Neuen Welt ist Software von zentraler Bedeutung, um Gleichgesinnte zu finden und (miteinander) arbeiten zu können – laut des Jobportals Monster nehmen vier von zehn Kandidat:innen der Generation Z heute schon kein Angebot mehr an, wenn sie nicht auch remote arbeiten können. Spannend ist aber auch Punkt zwei, auf den sich die Gruppe in London verständigen konnte: Wie helfen wir Menschen, sich stetig weiterzuentwickeln. Neues dazuzulernen, um in neuen Gruppenkonstellationen einen Beitrag leisten zu können?

Vielleicht denkst du jetzt, dass Arbeiten in der Abgeschiedenheit finnischer Wälder nur für wenige Teile der Gesellschaft eine Option ist. Oder die Steuerung von Menschen durch künstliche Intelligenz und Software eher nach Dystopie klingt. Gute Einwände, die man nicht außer Acht lassen sollte. Deshalb reise ich weiter nach Stockholm und treffe eine Frau, die genauer weiß, wie schnell sich Arbeit verändert, und zwar über alle Professionen hinweg. Von den stillen Wäldern geht es zurück in die Stadt.

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