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Gesichtsyoga

Noch am gleichen Abend stelle ich Murat meine neue Geschäftsidee vor und zeige ihm meine Notizen in der Chinakladde. Er ist sofort hellauf begeistert, meint jedoch, wir müssten diesmal etwas solider an die Sache herangehen. Großzügig lade ich ihn zu der Unternehmermesse ein, unter der Bedingung, dass er meinen Deckel bei Renzo bezahlt und alles auf Vordermann bringt. Immerhin hat er ja auch seine Kehrwoche nicht eingehalten. Er zieht eine Augenbraue hoch, schielt mich an wie Angela Merkel bei der Damenwahl, stimmt dann aber zu. Ein schlauer Kopf, mein Murat.

Am Samstag schließen wir das Geschäft schon mittags. An der Tankstelle kaufe ich ein Duftbäumchen und eine Dose Haake-Beck, setze mich ins Auto und suche im Radio die Vorberichterstattung der Fußball-Bundesliga. Murat tankt halbvoll und schaut nach dem Öl. Mit einer Packung Knistertabak und zwei Büchsen Efes kommt er aus der Kassensauna zurück. Wir stoßen euphorisch auf unseren neuen Coup an und dieseln in Richtung Autobahn los.

Es ist stickig und die Fensterkurbeln sind an beiden Türen defekt. Murat schwitzt hinterm Steuer, als sei Biblis A kurz vor der Endabschaltung doch noch geschmolzen. Ich drehe den Ventilator ein Stückchen weiter zu mir.

Abseits der Schnellstraße geht es nur meterweise vorwärts, frustrierte Pappbecher säumen die Straße. Endlich biegen wir auf das Messegelände ab, als wie aus dem Nichts ein Männchen in Warnweste und Sicherheitsschuhen vor unseren schnaubenden Kühlergrill springt und wild mit den Armen wedelt. Murat haut seine Mokassins hart auf die Bremse, so dass der Wagen tief einknickt. Ich knalle mit dem Kopf an die rotierende Windmaschine, die mir eine schmerzhafte Zackennarbe in die Stirn schneidet. Grollend stoße ich einen unverzeihlichen Fluch aus. Grüne Lichtblitze sirren umher, prallen aber wirkungslos an der massiven Stahlkarosserie des Rapids ab. Der selbstständige Parkplatzeinweiser tritt bleich an die Seitenscheibe und klopft.

»Einmal waschen und volltanken!«, rufe ich ihm durch das geschlossene Fenster zu und kühle mein Frontalhirn mit einer Dose Bier.

Doch er will fünf Euro für eine kurzzeitige Abstellgenehmigung kassieren. Ich klopfe mein Testsieger-Shirt ab, zeige ihm meine leeren Handflächen und schaue zu Murat. Der pflückt einen klammen Schein aus seiner Hosentasche, öffnet die Tür einen Spalt weit und reicht ihn hinaus. Ein frischer Windstoß schwappt herein.

»Die Parkgebühr können Sie von der Steuer absetzen!«, bläht sich der Wegelagerer noch wichtig auf.

Ehe ich ihn in eine Mischmaschine verzaubern oder mir eine Quittung dafür ausstellen lassen kann, gibt Murat Gas und rauscht den Weg an den langen Blechhallen vorbei. Direkt vor dem Haupteingang quetscht er sich auf einen Frauenparkplatz zwischen zwei verbeulte Twingos. Wir zwängen uns durch die Kofferraumtür und stolzieren nach draußen. Die Sonne lacht uns zu, wir umarmen uns und gehen unter bewundernden Blicken auf dem roten Teppich zum Portal.

Mit einem Mal huscht Ayse an uns vorüber und verschwindet ebenso Hals über Kopf wieder im Getümmel. Mir stockt der Atem, zittrig nestele ich nach dem Einlassticket, reiche Murat seines und sprinte hinterher. Erst jetzt bemerke ich, dass ich den falschen Weg erwischt habe und im Fluss der zeitgleichen Eventausstellung Einfach Frau sein schwimme. Panisch versuche ich noch umzudrehen, doch ich werde vom immer dichter werdenden Strom mitgerissen und skrupellos in den Plüschtempel der pastellfarbenen Begehrlichkeiten geschoben. Überfüllte Themen- und Verkaufsstände über Schmuck, Parfüm, Dessous, Wellness, Fitness, Haartrends, Dekorieren, Urlaub und Trennungsberatung säumen meinen verzweifelten Weg.

In der Brandung erkenne ich Renzo, der abseits an einem Bierstand auf einen winzigen Fernseher starrt, auf dem das Livespiel um den Spitzenplatz soeben angepfiffen wird. Was macht der denn hier?

Ehe er mir diese Frage beantworten kann, spuckt mich die letzte Welle direkt an den Stand der Weight Watchers. Ein Pulk blondierter Perückenschafe und Beratungsopfer tauscht Ernährungstipps aus, studiert Flyer und Punktetabellen. Dazu bietet eine spindeldürre Diätassistentin, die einer Brausestange Konkurrenz machen könnte, gedünstete Rohkostschnitzel auf ungeschältem Wildreismantel, grüne Tees und stille Wasser an.

Eine Marktbude weiter hält die Vorsitzende des Anorexieverbandes Rund war die Frau einen Multimediavortrag zum Thema Ich esse meine Suppe nicht und projiziert ein verzerrtes, dünnes Kerlchen auf Wand und Decke.

»Ayse ist eh verschwunden«, denke ich mir und zaubere mit den Händen ein tolles Schattenbild eines Murmeltieres, bis ich erbost mit Süßstoffwürfeln beworfen werde. Ich flüchte mich hinter einen Vorhang, als ein schriller Schrei das Gebet zerreißt und von den kalten Metallwänden jäh zurückgeworfen wird. Geschockt drehe ich mich um und blicke in Ulla Popkens nackte Augen. Noch bevor ich ihr zu ihrer guten Figur gratulieren kann, schlägt sie mir ihr handgeflochtenes Weidentäschchen um die Ohren und jagt mich trampelnd aus dem Zelt. Dutzende Pröbchen, bedruckte Einkaufswagenchips, Traubenzucker, Rabattgutscheine, Feuerzeuge und Kugelschreiber purzeln kunterbunt umher. Es sieht aus wie in Wacken am dritten Tag des Open Air-Festivals.

Erst am Ha-Ra-Stand kann ich den übergewichtigen Modeirrtum endlich abschütteln, indem ich mich durch ein Nest damenbärtiger doppelter X-Chromosomenträger in die vorderste Reihe drängele.

Eine ganze Halbzeit später schleiche ich mit einem revolutionären neuen Putzsystem mehr und einem gefühlten Monatsverdienst weniger von dannen und schleppe mich zur Wellnesslounge. Erschöpft mache ich es mir in einem Massagesessel bequem.

Das schwarze Leder verschmilzt mit meinem durchgeschwitzten Shirt zu einem elastischen Neopren. Geschickt streife ich mir mit der Hacke die Schuhe ab, werfe meine letzten fünf Euro in den Automatenschlitz und schaue auf mein Handy. Ich will schnell die Zwischenergebnisse abrufen, als mich vier eiserne Pranken von hinten packen. Zwei stiernackige PEZ-Gesichter mit offenen Mündern und schiefen Nasen nicken stumm zur Ausgangstür. Rasch umkreist mich eine Traube geifernder Weiber, klatscht in die Hände und skandiert synchron: »Aus-zieh'n! Aus-zieh'n!«

Ich denke an meine Popeye-Unterwäsche und lasse mich ohne Widerstand hinausbegleiten.

Draußen hängt die Sonne bereits tief am Horizont und ein verführerischer Bratwurstduft liegt in der schon kühlen Abendluft. Bargeldlos, barfuß und blinzelnd folge ich ihm über den Parkplatz. Schon in der Ferne sehe ich Murat mit Ayse lachend auf der Ladekante unseres Autos sitzen. Das Radio plärrt und die beiden trällern verliebt Tarkans einzigen Hit. Ich schleiche mich an, verstecke mich hinter einem Twingo und warte gespannt auf die Fußballübertragung. Endlich schaltet der Sender ins Stadion, es läuft die Nachspielzeit. Die Partie steht auf der Kippe und die letzten Angriffsbemühungen rollen an. Schrille Reporterstimmen aus dem Off versuchen, die laufende Moderation zu überschreien. Die Bayern bekommen wie immer einen unberechtigten Elfmeter geschenkt. Fluchend kicke ich einen Kiesel weg.

Unvermutet kommt die Drahtbürste aus der Umkleidekabine Hand in Hand mit einer Gewichtsguckerin auf meine Deckung zu. Gerade noch rechtzeitig kann ich mich mit einem kühnen Sprung zur Seite retten und unter den Renault kriechen. Doch zum Glück bemerken mich die beiden Tuppertanten nicht. Kichernd verstauen sie ihre prall gefüllten Seegraskörbe, steigen ein und brausen davon.

Als der Torjubel der sprachdefizitären Südstaatentruppe mit Migrationshintergrund dumpf durch das Bodenblech dringt, stoße ich mir den Kopf und stöhne auf. Aufgeschreckt guckt Murat wie ein Strauß zwischen seinen Beinen hindurch und entdeckt mich.

Ertappt schäle ich mich aus meinem Versteck.

»Alles klar«, sage ich und wische mir die öligen Hände an der neuen Jeans ab. »Der Zylinder ist repariert! Wir können weiter! Pass aber diesmal besser auf!«

Murat schaut mich an wie ein Playmobil-Sultan und ein winziges Lächeln huscht über Ayses Gesicht.

Nächste Woche ist wieder Messe, das Thema heißt Mann sein!

Da gehe ich sicher hin, Gina Wild gibt Autogramme!

Was wäre, wenn Diät dick machen würde?

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