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Strafstoß

Ich sitze in der offenen Beifahrertür und rauche, meine nackten Füße spielen nervös mit dem Gras am Wegesrand. Jede Minute fällt mein Blick auf die Uhr, das Sonntagsspiel wird bald angepfiffen, doch Murat ist immer noch nicht wieder da. Schon vor Menschengedenken habe ich ihn losgeschickt, irgendwo ein paar Liter Sprit zu besorgen, damit ich rechtzeitig zurück bin. Was macht der bloß?! Der kann was erleben!

Ungeduldig drücke ich die Kippe zu den anderen Knickwinkeln in den großen Porzellanascher, den ich auf das Armaturenbrett gestellt habe, drehe am Autoradio und hänge meinen Schal aus der Tür. Uli Zwetz berichtet bereits live. Mit fahrigen Fingern fische ich mir die letzte Zigarette aus der Packung, zünde sie an, nehme hastig einen Schluck aus dem Regal und brülle die Mannschaftsaufstellung mit. Spucketropfen klatschen von innen an die Windschutzscheibe.

Unversehens schaudert es mich und ich muss an die gute alte Zeit denken. Murat und ich kickten oft mit seinem abgewetzten Tango Rosario auf der Straße, wir waren beinharte Strafraumhechte. Im offenen Küchenfenster über uns knarrte ein Saba-Radio und brüllte in unregelmäßigen Abständen »Tor, Tor, Tor!«

Die größte und unvergessene Legende aber geschah an einem verregneten Märzsamstag. Die arroganten Bazis gingen dahoam mit 4:0 unter, ich stand mit Pickeln und Arbeitshandschuhen im Gartentor und habe vor Freude geweint. Vom Pfandgeld aus Opas Keller kaufte ich mir heimlich die nächste Eintrittskarte und quetschte mich fortan zu jedem Heimspiel auf die enge Holztribüne. Das Stadion hieß liebevoll Alm, es war eine Bretterbude und eine Festung zugleich und keine schnöde Glas-Arena. Der Ball war handgenäht und aus echtem Rindsleder. Die Trikots bestanden aus kratzfester Baumwolle.

Wie ein Großer habe ich gejubelt und geschimpft, gestaunt und geflucht. Am Ende sind wir trotzdem abgestiegen. Doch mich hatte eine Leidenschaft gepackt, die mich nie mehr losgelassen hat.

Und ausgerechnet heute gegen die Unaussprechlichen aus Telgte-West sitze ich im Auto nur dumm rum und drehe Däumchen. Eigentlich sollte ich auf den vertrauten Betonstufen stehen und meine Mannschaft anfeuern, solange sie auf Gras spielt. Die Saison ist zwar gelaufen, aber mein Herzblut ist immer noch blau. Voller Spannung sauge ich jedes Wort auf, das aus den Boxen klingt. Die Atmosphäre schwappt zu mir herüber, inbrünstig schmettere ich die Hymne mit und hüpfe, bis die Stoßdämpfer knallen. Die Winkekatze überm Tacho flippt völlig aus. Ich gönne mir einen weiteren Schluck der schottischen Malzbrause.

Der Schiri pfeift gerade einen Elfmeter, als ich Murat im Rückspiegel endlich zurückkriechen sehe. Ratzfatz suche ich den Deutschlandfunk mit irgendeinem klassischen Kammerkonzert und ratsche mit den Fingernägeln gelangweilt über das Lüftungsgitter. Murat sagt keinen Ton, hängt einen verbeulten Blechtrichter in den Tankstutzen und gießt aus einem schwarzen Gülleeimer selbst gepresstes Rapsöl nach.

»Hast du Zigaretten mitgebracht?«, frage ich giftig.

»Nein«, knurrt er, schießt die leere Plaste zornig aufs Feld und setzt sich hinters Steuer. »Was hörst du denn da eigentlich für einen Rotz? Läuft heute nicht Fußball?«

»Warum sagst du das nicht gleich?«, kreische ich fuchsteufelswild und stöbere nach einem anderen Sender. »Alles muss ich selber machen!« Ich zeige ihm bedauernd die Flasche: »Außer fahren!«

Was wäre, wenn Alkohol nüchtern machte?

Quergefönt

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