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Martin Haberkorn, 4. Februar 1944, vor Grönland

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Als Haberkorn nach dem Auslaufen das Einsatzziel bekannt gegeben hatte war die Stimmung der Männer im Boot auf einen Tiefpunkt gesunken. Das Boot sollte zwischen der Labradorsee südlich von Grönland und dem Nordatlantik Suchstreifen schlagen und möglichst von der amerikanischen Westküste ausgehende Geleitzüge aufspüren. Dass dieses Gebiet einer starken Luftraumüberwachung unterlag musste man niemandem an Bord sagen.

Mitte Oktober im vergangenen Jahr hatten sie diese Stärke des Gegners direkt erleben müssen. Mit der Übergabe von Ersatzteilen, Treibstoff und Proviant durch eine „Milchkuh“ in der Nähe der Azoren sollten die Einsatzdauer und der Einsatzradius des Bootes nochmals erweitert werden. Dieser Befehl des BdU hatte die Männer an Bord wie ein Schlag in die Magengrube getroffen, denn das Boot war schon wegen eines Motorschadens auf Heimatkurs gewesen. Mit den dann verfügbaren Ersatzteilen konnte der Backborddiesel mit Bordmitteln repariert werden. Haberkorn hatte die Besatzung wieder zur Disziplin aufrufen können, aber auch der Einsatz der Männer hatte nichts daran ändern können, dass sie bei den folgenden Angriffsversuchen fortlaufend abgedrängt worden. Die Bedrohung aus der Luft hatte ein Maß angenommen, die einen Unterwasserangriff am Tag zu einer selbstmörderischen Angelegenheit werden ließ, da die Silhouette wenige Meter unter der Wasseroberfläche gut zu erkennen war. Auch die Überwassereinheiten hatten enorm an Schlagkraft gewonnen und vor allem verschiedene Jagdtaktiken, je nach Situation, entwickelt. Einmal aufgespürt war es für die Boote immer schwieriger geworden die Verfolger abzuschütteln, und die Verlustzahlen schnellten wieder in die Höhe. Dazu kam auch, dass immer mehr Eskortschiffe seit dem Frühsommer 1943 mit Hedgehog-Wasserbombenwerfern ausgerüstet worden waren. Diese Werfer hatten sich sehr schnell als äußerst effektive Waffe bewiesen, denn es kam nur bei einem Direkttreffer auf das Boot zur Explosion der Sprengkörper, was vor allem die Ortungsmöglichkeiten deutlich verbesserte. Haberkorn hatte bei seinen Angriffen feststellen müssen, dass die Boote schon weit entfernt von den Geleitzügen von Flugzeugen oder Schiffen geortet werden konnten. 10.000 bis 20.000 Meter waren mittlerweile Standard geworden, und diese Strecke bis zur lockenden Beute der Handelsschiffe ungefährdet zurückzulegen verlangte von den Männern an Bord der U-Boote einen großen Batzen Glück, höchste Risikobereitschaft und Können. Aber eigentlich waren sie nahezu chancenlos. An der Oberfläche reichte ihre Geschwindigkeit nicht aus, sich den schnellen Zerstörern, Fregatten oder Sloops zu entziehen. Dann wurden sie gerammt, mit den Bordwaffen beschossen oder mit flach eingestellten Wasserbomben bekämpft. Unter Wasser kamen die Boote nur begrenzte Zeit und mit einer erbärmlich geringen Geschwindigkeit voran. Waren sie entdeckt worden begann das übliche Spiel, mit wechselnden Tiefen, Kursen und Geschwindigkeiten zu operieren. Angeschlagene und zum Auftauchen gezwungene Boote sahen sich an der Oberfläche dann oft von Überwasserschiffen eingekreist, die alle Mittel anwendeten, um den verhassten Feind zu versenken. Dass den von den absackenden Booten ins Wasser gesprungenen Männern bei Wasserbombenexplosionen die Lungen zerrissen wurden war eben so: es war Krieg.

Haberkorn hatte sich beim Rückmarsch nach mehreren erfolglosen Anläufen noch einmal das KTB angesehen. Er hatte vermerkt:

„16.10.1943,

11 Uhr 25:

Horchpeilung in 335 Grad, Entfernung 27.000 Meter. Geleitzug, Kolbenmaschinen. Sparsamer Sehrohreinsatz beim Zulaufen auf Geräusche mit halber Fahrt. Seegang 3, Sehrohr schneidet immer wieder einmal unter. Durch Luftzielsehrohr in 25 Grad Seeaufklärer erkannt, vermutlich PBY Catalina. Alarmtauchen auf 60 Meter, da Maschine auf 10 Grad eindreht. 30 Minuten Unterwassermarsch mit kleiner Fahrt auf Horchpeilung zu. Geräusche jetzt in 15 Grad, 18.000 Meter Entfernung. Auf Sehrohrtiefe gegangen, Luftraumbeobachtung. Kursänderung auf 50 Grad zum Vorsetzen im Unterwassermarsch. Wegen Tageslicht und guter Sicht auf 40 Meter Tiefe marschiert. Hochpeilung, Turbinengeräusche in 330 und 25 Grad, vermutlich schon Nahsicherung. Bleibe auf 40 Meter. Kurs Geleit mitgekoppelt, zackt und geht dann wieder auf Generalkurs 25 Grad. Geschwindigkeit zirka 6 Knoten. Abstand zum Geleit zirka 14.000 Meter. Setze mich mit großer Fahrt weiter vor. Turbinengeräusche kommen um

12 Uhr 13 näher. Wandern dann nach 270 Grad aus. Weiter Unterwassermarsch. Um

12 Uhr 46 zackt Geleit nach 45 Grad, so dass ich plötzlich spitz dazu stehe. Entfernung verringert sich schnell. Sehrohrtiefe trotz Luftgefahr. Erkenne bei Rundblick drei Kolonnen in rechtsweisend jetzt 55 Grad. Entfernung jetzt 8.000 Meter. Zerstörer läuft an Steuerbordseite mit hoher Fahrt entlang und geht zur Spitze. Unerwartet dreht er kurz davor auf 190 Grad. Weggetaucht auf 80 Meter. Um

13 Uhr 09 fallen vier Wasserbomben. Liegen an Backbord zu tief, so dass nur leichte Erschütterungen zu spüren sind. Drehe nach Steuerbord ab und gehe auf 140 Meter. Asdic-Ortung. Schleichfahrt. Turbinengeräusche kommen aus 340 Grad wieder näher, dann Anlauf. Auf 25 Grad gegangen, Bolde ausgestoßen. Vier recht nahe liegende Wasserbomben. Glasbruch. Leichte Leckage Abgasdieselklappe. Zweites Schraubengeräusch gehorcht, diesmal aus 65 Grad. Vermute, dass Zerstörer an Backbord ortete und Zerstörer an Steuerbord per Funk leitet. Gehe auf 180 Meter, und um

13 Uhr 17 fallen vier Wasserbomben, die sehr nah explodieren. Ruderanlage blockiert kurz, auf Handbetrieb umgekuppelt. Hinterer Tiefenmesser ausgefallen. Leichte Gasentwicklung, zwei Zellen gerissen. Drehe von Geleit ab um mich Verfolgung zu entziehen. Gehe auf 90 Meter, zwei Bolde ausgestoßen und tauche dann auf 175 Meter. Schleichfahrt. Asdic pingt wieder, Anlauf aus 210 Grad. Um

13 Uhr 26 fällt Wasserbombenteppich an Backbordseite, der Boot mit 25 Grad kurz krängen lässt. Weiterer Glasbruch. Hinteres Tiefenruder klemmt, Handsteuerung. Nach 20 Minuten, um

13 Uhr 45 läuft Zerstörer wieder an, diesmal aus 15 Grad. Komme durch Kurswechsel und beide AK unter dem Teppich noch gerade weg und laufe weiter ab. Um

13 Uhr 58 sind Turbinengeräusche nicht mehr in der Nähe zu horchen, laufe weiter ab um Schäden zu beseitigen. Horchpeilung um

14 Uhr 15, Geleit ungefähr in Entfernung 21.000 Meter auf Generalkurs. Bin weit abgedrängt worden aber kann wegen Tageslicht nicht auftauchen. Kleine Fahrt in 50 Meter Tiefe. Repariere. Gehe auf Parallelkurs zum Geleit aber erhöhe Entfernung auf 25.000 Meter. Bis

17 Uhr 45 passiert nichts. Halte Fühlung. Batteriekapazität 43 Prozent, CO2 Gehalt 0,7%, O2 Gehalt 26%. Wachfreie auf Kojen, Kalipatronen. Sauerstoffergänzung über Gasflaschen. Entschließe mich zum Laden und Lufterneuerung um

22 Uhr 20 nach Horchpeilung aufzutauchen. Gehe mit großer Fahrt Diesel wieder auf Parallelkurs zum Geleit, da wird um

22 Uhr 47 Motorengeräusch in 275 Grad gehört. Alarmtauchen. Bei 40 Meter Tiefe fallen um

22 Uhr 49 zwei Bomben, aber Einschlag weit achteraus. Bleibe bis

23 Uhr 15 getaucht, dann wieder hoch. Nacht ist sehr hell, Seegang 3. Staffele wieder ran und versuche mich vorzusetzen, aber um

0 Uhr 18 werden wir von Fregatte vermutlich mit Radar in 8.000 Metern Entfernung geortet und unter Wasser gedrückt. Wabo-Verfolgung über 3 Stunden, 47 Wabos, erhebliche Schäden, aber Boot ist tauchklar, dann läuft Gegner ab. Rieche beim Auftauchen um

4 Uhr 10 Öl. In heller Nacht schimmert Ölspur und ist deutlich zu erkennen. Backbordbunker undicht. Entschließe mich zum Rückmarsch, da verräterische Ölspur auch noch

5 Uhr 20 gut zu sehen ist. Laufe über Wasser mit Höchstfahrt vom Kurs des Geleits ab.“

Der Rückmarsch war trotz des undichten Treibölbunkers relativ unproblematisch gewesen und das Boot sofort ins Dock gebracht worden. Dort hatte sich herausgestellt, dass einige Druckkörperspanten ausgetauscht werden mussten. Haberkorn hatte damit gerechnet, denn bei einer der langen Wasserbombenverfolgungen hatte er das Boot erst bei 225 Metern Tiefe abfangen können. Die Sicherheitsreserven des Bootes nahmen bei seinen Entscheidungen bereits einen festen Platz ein, denn nur die Nutzung der dritten Dimension konnte ihnen noch etwas Spielraum geben. Die Prognose des Flottilleningenieurs hatte dann wenig überraschend gelautet, dass das Boot ungefähr 6 Wochen in der Werft blieben müsste. Die Besatzung hatte diese Nachricht mit Freude aufgenommen, es würde Urlaub geben. Martin Haberkorn hatte die Zeit bei Marie und ihren Eltern verbracht aber konnte nicht richtig abschalten, denn auf der nächsten Unternehmung würde es auch nicht leichter werden. Am 4. Dezember 1943 war das Boot erneut ausgelaufen, musste aber wieder in den Stützpunkt zurückkehren, da es beim Tieftauchversuch etliche Undichtigkeiten gegeben hatte. Ohne dass er es beweisen konnte war er aber der Überzeugung gewesen, dass es sich um Sabotage durch die französischen Werftarbeiter handeln würde.

Nach einer recht langen Wartezeit stand er jetzt mit dem Boot im Nordatlantik und wusste genau, dass in diesem Gebiet die meisten der deutschen Verluste eingetreten waren.

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 17

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