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Fred Beyer, 4. Februar 1944, bei Warschau

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Die Strapazen der letzten Wochen und Monate hatten nicht nur die Männer an den Rand der Erschöpfung gebracht, sondern auch der Panzer war an seine Verschleißgrenze gekommen. Aufgrund der schnell wechselnden Lagen an der Ostfront war es vielfach nicht möglich gewesen die Panzer im sonst üblichen Eisenbahntransport zu verlegen, sondern sie mussten sich etliche Kilometer im Landmarsch bewegen. Durch die bekannten Schwächen der Fahrzeuge war zu erwarten gewesen, dass besonders am Motor und am Antriebssystem hoher Verschleiß und Schäden zu erwarten waren. Geschuldet war dies all der kurzen Entwicklungs- und Erprobungszeit. Den Maybach HL 230 hielt Fred Beyer für ein Wunderwerk der Technik. Es war den Ingenieuren gelungen, einen äußerst kompakten Motor zu entwerfen, der eine enorme Leistung von 700 PS erzeugte. Das Aggregat wog dabei nur 1.200 Kilogramm, war 1,3 Meter lang, 1,0 Meter breit und 1,2 Meter hoch. 12 Kolben wuchteten in 12 Zylindern mit einem Gesamtvolumen von 23 Litern auf und nieder. Durch die spezielle Auslegung der Pleuelstangen wurde der Abstand der Zylinder stark verringert, aber sorgte anfangs auch für viele Lagerschäden. Dazu kam die ausgesprochen schlechte Qualität des Motoreneinheitsöls. Beyer hatte die Bedienungsanleitung des Motors in den teils langen Einsatzpausen ausgiebig studiert und war von dem Zusammenspiel der vielen Komponenten und Aggregate beeindruckt. Manche Dinge hatte er sich von Friedrich erklären lassen, weil er sie nicht verstanden hatte. Sicher war das im Konzert der vielen Bauteile nur ein kleines Instrument, aber er zog den Hut vor den Konstrukteuren, wie sehr sie nachgedacht hatten. Das beste Beispiel für ihn war die Gestaltung der Auslassventile, diese waren hohlgebohrt und mit Natriumsalz gefüllt.

Friedrich hatte ihm gesagt:

„Die Funktionsweise eines 4-Takt-Benzinmotors kennst du ja. Ansaugen, Verdichten, Zünden, Ausstoßen. Durch die Verbrennungsenergie wird der Kolben nach unten gedrückt, bewegt die Kurbelwelle und geht dann wieder nach oben. Einlass und Ausstoß werden durch Ventile geregelt. Nun ist es so, dass die aus den Luftfiltern in die Zylinder einströmende Luft relativ kalt ist. Ganz anders sieht es dagegen bei den Auslassventilen aus. Was denkst du, wie heiß wird es an dieser Stelle?“

„Keine Ahnung. 400 Grad?“

„Bis 700 Grad. Schließlich ist das eingespritzte Luft-Benzingemisch ja explodiert und hat sich ausgebreitet. Jetzt hat man natürlich das Problem, dass die große Wärme irgendwie abgegeben werden muss, sonst überhitzt ja alles. Und du musst dir das Ventil als Bauteil vorstellen, welches einen Schaft hat und einen Ventilteller, der sich dann auf den Ventilsitz presst und den dann verschließt oder öffnet. Und jetzt kommt der Clou mit dem Natrium. Natrium hat einen Siedepunkt von zirka 880 Grad. Das heißt, die Verbrennungshitze kann es nicht verdampfen, aber es wird dadurch zu einem guten Wärmeleiter, transportiert also Wärme zum Ventilsitz ab. Das Natrium wird bei ungefähr 100 Grad flüssig und schwappt nun in der Hohlbohrung durch die Bewegung des Ventils hin und her und ermöglicht das eben.“

„Mensch Friedrich“ staunte Beyer „das war ja wie ne Vorlesung an der Uni. Ich bin platt.“

„Tja Fred, der Mensch fängt nicht erst beim Abiturienten an.“

„Das hab ich doch gar nicht gemeint. Ich war nur von den Socken, dass du das so genau erklären kannst.“

„Ich bin Maschinenschlosser. Was denkst du, welche Probleme ich in der Lehre hatte. Es hat mich richtig angekotzt tagelang irgendwelche Teile zu feilen. Nicht ganz grade: zack in die Schrottkiste. Um n paar Millimeter vermessen: Schrottkiste. Die Halle kehren. Für die Alten dem Mittagstisch vorbereiten. Immer dreckige Hände. Stinkende Arbeitsklamotten. Ich hab das nie machen wollen aber mein Vater hat mich dazu gezwungen. Na ja, jedenfalls hab ich mir dann gesagt dass ich das Beste draus machen muss und hab mich reingekniet, denn ich wollte ja nicht ewig der Putzlappen für die anderen sein. Das Handwerkliche hatte ich bald immer besser drauf und die Maschinenbedienung hat richtig Spaß gemacht. Irgendwann hatte ich auch begriffen dass es nicht ausreicht nur ein sauberes Werkstück zu produzieren. Das würde ich dann mein ganzes Leben lang tun und das mit immer den gleichen Handgriffen. Also hab ich meinen Meister bekniet, dass der mich doch auch mal in der Montage mitarbeiten lässt. Dort kannst du nicht nur irgendwelche Teile zusammenbasteln und dann wird die Maschine schon funktionieren. In der Zeit musste ich erst mal lernen Montagepläne zu lesen. Das war eine Schinderei, ich mit meinen 6 Klassen Schule. Aber ich wollte ja nicht als Trottel dastehen und hab mir große Mühe gegeben. Die anderen Leute haben mir geholfen. Mir ging es ja nicht so sehr darum was ordentlich zusammenzusetzen, sondern ich wollte auch verstehen wie die Teile miteinander zusammenarbeiten. Nach und nach habe ich dann mitgekriegt welche Welle und welches Zahnrad welches andere Teil antreibt, wie alles miteinander verbunden ist und was für Funktionen die einzelnen Aggregate haben. Von da an bin ich mit Freude zur Arbeit gegangen und dann ich auch relativ schnell Vorarbeiter an einer Montagelinie geworden. Wir haben dort Getriebe für LKW gefertigt. Du kannst mich ruhig für verrückt erklären, aber weißt du was das für ein Gefühl ist, wenn du in einem Gehäuseunterteil glänzende Wellen und Zahnräder und Hydraulikleitungen siehst und du hast das alles allein so montiert, dass es funktionieren wird. Dann kommt der Gehäusedeckel drauf und kaum einer kann sich vorstellen welche Menge an Arbeit darin steckt. Es ist einfach ein gutes Gefühl, so was zu leisten.“

Fred Beyer schwieg verlegen. Natürlich hatte er sich als frisch gebackener Abiturient vielen anderen überlegen gefühlt, dabei konnte er zu dieser Zeit eigentlich nichts weiter vorweisen, als ganz gut gelernt zu haben. Er hatte sich auch wesentlich mehr auf den Boxsport konzentriert und im Gymnasium vieles schleifen lassen. Da er aber schon die Stimmung im Land gespürt hatte, die auf eine Konfrontation mit den Nachbarländern hinauslief, war ihm sein Zeugnis relativ egal gewesen weil er davon ausgegangen war, dass er wohl bald eingezogen werden würde. Wenig überraschend war es 1939 dazu gekommen und dann war die erste Zeit bei der Wehrmacht von einem harten Drill geprägt gewesen. Den hatte er aufgrund seiner guten Kondition recht mühelos weggesteckt. In der Ausbildung zum Panzerfahrer war ihm das Bewegen so eines Fahrzeugs beigebracht worden, und natürlich auch technische Dinge. Da er nie richtig irgendetwas Praktisches getan hatte konnte er zwar die Aufgaben der Bauteile und Aggregate verstehen, aber er wäre nie in der Lage gewesen, so ein kompliziertes Gebilde wie einen Motor zu reparieren. Einen Vergaser einzuregulieren bekam er noch hin, aber viel mehr eben nicht. Er war bald Kommandant geworden und die Schnellbesohlung in der Panzertaktik war nicht wirklich tiefgreifend gewesen. Das was er dafür brauchte um im Gefecht zu überleben hatte er sich von anderen abgekuckt und selbst aus der Erfahrung gelernt. Wenn er heute zurückblickte war er als Panzerkommandant bislang sehr erfolgreich gewesen und zum Offizier aufgestiegen. Aber was tat er weiter schon, als eine Situation zu bewerten und seine Schlüsse zu ziehen. Die vier Männer seiner Besatzung waren zu solchen Spezialisten geworden, dass sie sich ohne viele Worte verstanden und oft auch eigenständig handelten. Beyer wusste, dass sie ihn als Vorgesetzten akzeptierten und er sah es keineswegs als ein Übergehen seiner Person an, wenn zum Beispiel Lahmann seine Ziele operativ selbst auswählte. Beyer hatte natürlich vorher die Richtung angegeben, und da die russischen Panzer in fast allen Fällen im Rudel auftauchten, verließ er sich auf die Einschätzung seines Richtschützen. Wenn er seinen Lebensweg seit dem Abitur ganz nüchtern betrachtete kam er zu dem Schluss, dass er zwar vieles für den Panzerkampf dazugelernt hatte, aber eigentlich nichts für das ganz normale Leben. Vielmehr musste er konstatieren, dass er gefühlsärmer geworden war und auch seine ehemals guten bürgerlichen Verhaltensweisen immer mehr einer großen Gleichgültigkeit gewichen waren. Das äußerte sich in vielen Dingen. Die Nachlässigkeit bei der Körperpflege, der Verfall einer normalen Ansprache und das Verstecken von Ängsten hinter zotigen Bemerkungen oder Flüchen, die Emotionslosigkeit beim Töten.


Diese Entwicklung war nicht das Ergebnis einer vom ihm selbst getroffenen Entscheidung, sondern er war vor keine andere Wahl gestellt worden, als der Einberufung zu folgen. Mit einer gewissen Abenteuerlust hatte er den Dienst angetreten und die ersten Gefechte riefen in ihm das Gefühl hervor, jetzt ein richtiger Mann geworden zu sein. Das wurde alles noch durch die siegreichen Feldzüge in Polen und Frankreich befördert. Er war selbst verwundet worden und hatte Kameraden sterben sehen. Anfangs war ihm das sehr nah gegangen und hatte ihn noch lange beschäftigt. Aber je länger er im Krieg war und umso mehr er erlebte, desto stärker stumpfte er ab. Er hatte einen mehr technischen ausgerichteten Blick auf die Dinge entwickelt, der nicht mehr sehr emotional geprägt war. So etwas wie Wärme oder Fürsorge konnte er nur noch für die Männer seiner Besatzung aufbringen. Seine Familie war weit weg, und seine Brüder hatten ihn früher immer getriezt, so dass sie ihm jetzt wie Fremde vorkamen für die er keinerlei Interesse mehr verspürte.


Der „Panther“ stand etwas nördlich von Warschau in einer großen Montagehalle und einige Arbeiter machten sich an dem Fahrzeug zu schaffen. Die notwendigen Arbeiten hatten fast den Charakter einer Generalinstandsetzung. Der Panzer sollte einen komplett neuen Motor erhalten, drei Drehstäbe und die Stoßdämpfer mussten getauscht werden und beide Seitenvorgelege waren zu ersetzen. Für die Zeit der Arbeiten am Fahrzeug waren Beyer und seine Männer in einer ehemaligen Kaserne der polnischen Armee untergebracht. Ihr Tagesablauf bestand aus Herumgammeln und Langeweile.

Aber wenn der Panzer wieder einsatzbereit wäre würde es schnell damit vorbei sein. Auf der gesamten Länge der Ostfront waren die Sowjets angetreten und bei einem Blick auf die Karte hatte Beyer gesehen, dass Warschau gar nicht mehr so weit davon entfernt war.


Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 17

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