Читать книгу Der Junge mit dem Feueramulett - Frank Pfeifer - Страница 5

Der Auftrag

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Es war an diesem Tag so unerträglich heiß, dass die Schmeißfliegen ohnmächtig auf die Pflastersteine von Conchar klatschten und dort in wenigen Augenblicken mit einem leisen Zischen zu Staub zerfielen. Noch viele Jahre später würde sich Kard an dieses unwirkliche Geräusch erinnern können. Die Hitze in diesem Sommer glich dem Würgegriff einer Schlange, die nun kurz davor war, ihr Opfer vollends zu erdrosseln. Er hatte sich ein schattiges Plätzchen an der Stadtmauer gesucht und schaute den wenigen Kindern zu, die von ihren Eltern zum Wasserholen hinunter zum Mühlenbach geschickt worden waren. Als zwei schwarz uniformierte Wachen vorbeimarschierten, hielt Kard die Luft an und drückte sich fester an die kalte Mauer. Nur nicht auffallen! Die Uniformierten waren willkürlich, besser man lenkte ihre Aufmerksamkeit nicht auf sich. Sie waren dafür bekannt, immer etwas zu finden, um einen in die Kerker zu zerren. Kard betete zu Branu und bat den Gott, dass er unsichtbar bleiben möge.

Puh, Glück gehabt! Die Wachen hatten ihn nicht entdeckt. Leise ließ er den Atem, den er unwillkürlich angehalten hatte, entweichen. Eines der Kinder, das mit einem gefüllten Wassereimer vom Bach kam, konnte das leider nicht von sich behaupten. Ein Uniformierter stellte dem Jungen, einem zerlumpter Knirps von höchstens zehn Jahren, ein Bein. Was für ein Fiesling! Dann amüsierte die Wache sich köstlich darüber, dass das Kind gestolpert war und seine wertvolle Fracht verschüttet hatte.

»Na, du willst doch nicht etwa Branu opfern, oder?«

Ein Röcheln entschlüpfte Kards Kehle und er hielt sich schnell die Hände vor den Mund. Opfergaben an den Schöpfergott konnten einem in Conchar direkt in die Folterkammern der Schwarzen Burg bringen. Der findet sich wohl ziemlich witzig. Aber wenn er selbst dem Obersten Schergen Laoch gegenübersteht, ist er bestimmt klein wie eine Maus. Kard wünschte, dass der Soldat von einem Fluch heimgesucht werden würde, um ihm seine aufgeblasene Eitelkeit aus dem Leib zu prügeln.

»Nein, verehrte Wache, Goiba über alles.«

Der Uniformierte nickte zufrieden. So hatten sie das am liebsten. Wenn man sich schön klein vor ihnen machte. Kard knirschte mit den Zähnen. Er war wütend. Aber er würde dem Kleinen dort unten nicht zu Hilfe eilen. Er war bestimmt nicht so verrückt, sich mit den Wachen anzulegen. Nein! Er hatte lieber seine Ruhe. Obwohl ihm der Junge leid tat. Doch mit seinen sechzehn Jahren war Kard ja selbst noch fast ein Kind. Er konnte nichts ausrichten. Und der Platz im Schatten war doch ganz angenehm. Jahre später würde er lachen, wenn er daran zurückdachte, wie er versuchte hatte, sich unsichtbar zu machen. Eins zu werden mit dem Schatten. Aber in Dunkeln gibt es kein Licht. Die Dunkelheit frisst einen auf oder man verirrt sich. Es sei denn, man findet ein Feuer, damit man einen Weg suchen kann. Einen Weg hinaus aus der Dunkelheit.

Sein Meister und Ziehvater Wallas hatte Kard bei dieser Hitze freigegeben. In der Schmiede, in der Kard lebte und ausgebildet wurde, war es nicht zum Aushalten gewesen. Conchar, die Hauptstadt des Reiches Haragor, war in diesen Sommertagen eine einzige Bratpfanne. Selbst Toraks wie Wallas, diese gewaltigen Mischwesen aus Riesen und Menschen, wagten es an diesem Tag nicht, einen Fuß auf die glühenden Pflastersteine setzten. Die Wesen Conchars waren überzeugt davon, dass diese ungemeine Hitze ein Fluch Branus sein musste. Wollte der Schöpfer etwa Ernten verbrennen und alles Leben in diesem Land auslöschen? Auch Kard fragte sich, was Branu ihnen damit sagen wollte. Aber bei den Göttern ist es wie bei den Govas! Die Priesterinnen Goibas, die das Regiment im Waisenhaus geführt hatten, in dem Kard aufgewachsen war, konnten an einem beliebigen Morgen mit einem netten Lächeln in den Unterrichtsraum kommen und sehr freundlich wirken. Aber im nächsten Augenblick waren sie aus unerfindlichen Gründen schlecht gelaunt und schrieen alle an. Absolut unberechenbare Wesen. Wie die Götter! Trotzdem drehte sich in Haragor alles um deren Gunst. Nur wer ihr Wohlwollen hatte, war auf der sicheren Seite.

Als an diesem Tag der große Schatten kam, um die Erde zu verdunkeln, erschien es zuerst wie ein Segen, der den Lebewesen die lang ersehnte Kühle brachte. Man wagte sich wieder ins Freie, konnte durchatmen, den Kopf gegen den Himmel strecken. Auch Kard hatte das Dunkle, dass die Hitze verdrängte, zunächst begrüßt. Doch was dann am Himmel zu sehen war, erstickte die aufkeimende Freude. Langsam schob sich der Mond vor die Sonne, bis die Sonnenstrahlen nur noch wie Schlieren aus Blut um seinen Rand waberten. Ganz Conchar stöhnte auf. Eine Sonnenfinsternis! Ein Omen für schlechte Zeiten! Wenn die Götter sich stritten, und was konnte dieses Zeichen sonst bedeuten, würden irgendwann die Menschen darunter leiden. So war es damals im Waisenhaus auch immer gewesen. Wenn die Govas miteinander stritten, bekamen das irgendwann die Kinder zu spüren. Die Waisen waren der Wut der Priesterinnen schutzlos ausgeliefert gewesen. Wenn möglich hatte man sich dann irgendwo versteckt, sich unsichtbar gemacht. Kard hatte ein ungutes Gefühl beim Anblick der verdunkelten Sonne. Irgendwas sagte ihm, dass dies sein ganz persönliches Omen war.

*

Allerdings erstarrte nicht ganz Conchar in Todesangst. In den Folterkellern der Schwarzen Burg lachte Tsarr, die oberste Gova des Reiches aus vollem Hals. Tsarr war die Oberste Gova von Goiba, Schwester von Branu, Göttin von Nacht und Kälte. Ständig stritt Goiba sich mit ihrem Bruder Branu um die Macht. Sonne und Mond! Goiba war eine Göttin, deren Gunst man recht zuverlässig durch Menschenopfer erlangen konnte. Schließlich war sie die Göttin des Todes. Und Tsarr schwang ohne zu zögern das Opfermesser, wenn es zur Ehre ihrer Göttin war. Sie war niemand, den man zum Feind haben wollte.

Die Priesterin trug die schwarze Robe ihrer Zunft, einen wallenden Umhang, in dem sie selbst schwarz wie die dunkelste Nacht erschien. Auf dem Stoff klebten ein paar getrocknete Blutspritzer vom letzten Opferritual. Dazu das blasse Gesicht mit den stechend blauen Augen, das von schwarzen Locken eingerahmt war. Dadurch wirkte ihr schmales Antlitz bedrohlich und bösartig. Eine schwarze Dämonin in Menschengestalt.

Für die Sonnenfinsternis hatte die Gova eine eindeutige Erklärung. Ihre Göttin, Goiba, Herrin der Nacht, hatte gesiegt. Branu der Schöpfer musste sich geschlagen geben. Tsarr war überzeugt, mit dem Blut der zehn Jungfrauen, die mit durchgeschnittenen Kehlen kopfüber über der großen Opferschale hingen, wesentlich zur Sonnenfinsternis beigetragen zu haben. Die Gefahr, die sie für Flanakan, dem bisher unangefochtenen Herrscher über Haragor, in den Sternen gesehen hatte, war vorerst gebannt. Goiba hatte das Opfer angenommen und sich erneut gegen ihren Bruder Branu gestellt. Für Tsarr bedeute die Sonnenfinsternis, dass Flanakan nun noch viele Jahre herrschen würde. Und sie selbst würde weiterhin die oberste Gova des Reiches sein und niemand und nichts würde diese Macht gefährden können!

*

In der Hauptstadt des Reiches, in der Flanakan und Tsarr das Sagen hatten, gab es keine Priester der göttlichen Brüder mehr, die Govans. Branu, Charu und Charabnu mussten auf Priester und Tempel in der Hauptstadt verzichten. Tsarr hatte hier für Ordnung gesorgt. Wer sich hier seelischen Beistand holen wollte, musste außerhalb von Conchar Rat suchen. Selbst die beiden Schwestern der Göttin, Credna, Göttin der Liebe und Luchta, Göttin von Geld und Reichtum, hatten einen schweren Stand neben ihrer eifersüchtigen Schwester in Conchar. Tsarr war ganz besessen von der Idee, dass die Wesen Haragors allein ihrer Göttin folgen sollten.

Der Govan aus einem der vielen bäuerlichen Vororte von Conchar sah den Jungen, der vor ihm nervös hin und her sprang, neugierig an. Er fragte sich, ob der Junge ihn auch diesmal wieder mit einer Spitzhacke bezahlen würde. Bezahlen war das falsche Wort. Eine Spende. Der Junge spendete Branu, da der Gott ihn durchs Leben führte. Ein wirklich gläubiger Junge! Gerade in der Hauptstadt wäre es viel bequemer gewesen, ein Anhänger Goibas zu sein. Tempel gab es dort ja genug. Aber dieses seltsame Schicksal hatte Kard zu Branu geführt. Und als angehender Schmied blieb ihm mehr oder weniger nichts anderes übrig, als sich dem Schutzpatron seiner Zunft anzuvertrauen. Denn Branu war der Gott der Schmiede. Und da es in Conchar schon seit einer Weile keine Tempel des Schöpfers mehr gab, war der Junge gezwungen, den weiten Weg in das Dorf außerhalb der Stadt auf sich zu nehmen.

Mit gekreuzten Beinen saßen sie nun im kleinen Gebetsraum unter dem Sonnensymbol, einer grossen, goldfarbenen Metallscheibe. Der alte Mann mit fusseligem grauen Bart in seinem ehemals weißen, aber durch dauerndes Tragen und wenigem Waschen inzwischen ergrauten und speckigen Umhang. Und der Junge mit den ersten Stoppeln am Kinn, den schwarzen Locken und dem Dreck unter den Fingernägeln. Wie immer, so stellte der Govan fest, suchte Kard den Rat des weisen Mannes, der, was schließlich seine Aufgabe war, die geheimsten Botschaften Branus entschlüsseln konnte.

»Wenn mir also mein Meister ein Geheimnis anvertraut hat, dann darf ich ja niemanden davon erzählen, denn sonst wäre es ja kein Geheimnis, oder?«

Kard sah den Govan durchdringend an, in seinem Blick las der kluge Mann die innere Zerrissenheit des Jungen. »Mein Sohn, dein Meister Wallas ist ein weiser Torak und ein treuer Anhänger Branus. Schon oft war er hier und hat mir so manche Spitzhacke mitgebracht.« Der Govan zwinkerte Kard vertrauensvoll zu. »Wenn er dir ein Geheimnis anvertraut, dann ist das eine große Ehre. Und wie du schon sagst, dieses Geheimnis solltest du ganz für dich behalten.«

»Aber andererseits kann ich doch Branu alles anvertrauen. Er ist mein Gott, mein Beschützer, mein Schwert im Kampf gegen die Versuchung.«

»So ist es, mein Sohn. Vor Branu kannst du keine Geheimnisse haben. Er sieht alles, weiß alles, ist überall. Im stillen Gebet kannst du ihm alles sagen, was dich bewegt.«

»Also im Prinzip ist vor Branu ein Geheimnis gar kein Geheimnis, da er ja sowieso schon alles weiß?«

Der Govan seufzte innerlich. Dass Kard auch immer mit diesen spitzfindigen Problemen kam. Konnte er nicht einfach fragen, ob es rechtens ist, den Nachbarjungen, der ihn als schwächlichen Menschling beschimpft hatte, mit Tok-Gülle zu überschütten, so dass der Torak-Junge danach unter die Dusche musste, was die Toraks nun wirklich nicht gerne mochten? So einfache Fragen nach Gut und Böse? Dafür waren die Govans doch da. Ist das im Sinne von Branu oder wird mich dafür sein gerechter Zorn treffen? Aber dieses Hinterfragen der Grundlagen? Anstrengend! »Äh, ja, mein Sohn, Branu liest in uns wie in einem offenen Buch.«

»Und wenn ich jetzt dir, und du bist doch mehr oder weniger Branus Vertreter, oder? Wenn ich also jetzt dir ein Geheimnis anvertraue, dann ist es ja eigentlich so, als ob ich es Branu selbst erzählen würde? Also erzähle ich dann ja gar kein Geheimnis, sondern sage dir, was du eigentlich sowieso schon weißt, oder?« Kard wippte unruhig auf seinem Gesäß herum, schaute ab und zu hoch zur Sonnenscheibe und ab und zu in das bärtige, leicht verzweifelte Gesicht des Govans.

»Nun ja, lieber Kard, aber wieso willst du mir denn ein Geheimnis verraten, was ich vielleicht ja doch schon weiß? In Vertretung des Allwissenden sozusagen. Dann ist es ja gar kein Geheimnis mehr!« Stolz über seine eigene Klugheit blickte der alte Mann den Jungen nun sanft an. Der Govan war es gewohnt, dass die Leute mit der ersten Antwort zufrieden waren. Schließlich kamen sie ja gerade deswegen zu ihm. Damit der Govan seine Weisheit verkündete und der Mensch oder auch Torak nicht selbst nachdenken musste. Oder gar irgendetwas selbst entscheiden musste. Wenn der Gott oder die Göttin ihren Segen gab, wird das schon richtig sein.

»Dann weißt du es also schon?« Kard sah den Priester hoffnungsvoll an.

»Nun, Branu weiß es sicherlich, was es auch immer sein sollte.« Mit zusammengesunkenen Schultern sah der Priester auf seine Knie. Die Löcher in seinem Gewand wurden auch immer größer. Die Spitzhacke konnte er bei den Bauern auf dem Markt gut eintauschen, vielleicht gegen eine Rolle Stoff? Und ein Paar neue Schuhe waren auch mal wieder fällig! »Was immer Wallas dir anvertraut hat, Branu weiß es schon.«

»Und dass es verboten ist, das weißt du dann auch schon?«

Langsam hatte der Priester nun doch keine Lust mehr. Dieses lange Sitzen spürte er im Rücken. Und durstig wurde er auch allmählich. »Also Branu weiß es. Und ich kann mich nicht an viele Verbote erinnern, die er uns auferlegt hat. Und ich kann mir bei Wallas nicht vorstellen, dass er zum Beispiel… jemanden umgebracht hat.« Der Priester sah Kard triumphierend an. Wallas, ein Mörder? So etwas Lächerliches. Dafür kannte er den Torak schon viel zu lange.

»Nein, nein. Nicht so was. Aber etwas, was die Schergen gar nicht gerne sehen würden. Etwas, was Flanakan wirklich nicht gefallen würde.« Kard sah ihn mit großen Augen an. Was bitte hatte dieser unschuldig dreinblickende Junge da gerade gesagt? Ein Verbrechen gegen Flanakan? Irgendetwas kratzte dem Govan plötzlich im Hals, als ob eine imaginäre Hand ihm langsam aber bestimmt die Luft abdrücken würde. Der Priester verschluckte sich und rang nach Atem. Den Namen des Herrschers hatte er hier, im Abglanz der heiligen Sonnenscheibe, schon lange nicht mehr gehört. Flanakan war weit weg. Die Hauptstadt war weit weg. Wenigstens für die Bauern hier in der Umgebung. Nur zum Markttag nahmen sie die weite Reise auf sich. Sonst blieben sie bei ihren Höfen, bei ihrem Winx-Gras und ihren Tok-Rindern. Flanakan, der Herrscher? Den Steuereintreibern übergab man den Zehnten, den Wachen ging man aus dem Weg und sonst sollte der gute Mann einem gestohlen bleiben. Und seine Folterkammern wollte man natürlich auch nicht von Innen sehen. »Äh, ein Verbrechen? Etwas, was der, äh… Flana-äh-kan… nicht gerne sehen würde? Kard, mein Junge, weißt du, was du da sagst? Und Wallas weiß etwas davon? Das kann ich mir nicht vorstellen.«

»Ist aber so!« Trotzig sah Kard ihn an.

»Aber was soll das schon sein? Wallas ist ein Schmied, ein Torak, von welchem Verbrechen sollte er schon wissen?«

»Er weiß es nicht nur, er will es begehen. Mit mir.« Jetzt schien Kard wirklich verzweifelt und der Priester verstand ihn gut. Kard war der letzte Mensch, das letzte Wesen, das zu einem Verbrechen fähig gewesen wäre. Sogar noch weniger als sein alter Torak-Meister. Kard war nicht nur ein Anhänger Branus und achtete stets darauf, immer im Sinne des Schöpfers zu handeln, Kard war die Rechtschaffenheit in Person. So eine Kindheit im Waisenhaus, unter der Fuchtel von strengen und nicht gerade zimperlichen Govas, hinterlässt dann eben doch seine Spuren. Alles richtig zu machen war dort sicherlich eine Überlebensstrategie gewesen. Und jetzt sollte dieser Junge an der Seite eines gutmütigen Torak zum Verbrecher werden? Dem alten Govan schien das doch alles sehr unglaubwürdig. »Mein Sohn, ich bin mir sicher, dass Wallas dich in kein Verbrechen hineinziehen möchte! Wir reden hier von Wallas! Dem Schmied Wallas! Was bitte soll das für ein Verbrechen sein?«

»Mein Gesellenstück! Ich soll ein Schwert schmieden!« Kard war ganz blass geworden, als er dies ausgesprochen hatte.

»Ein Schwert?« Auch der Govan schluckte. So etwas sahen die Schergen tatsächlich nicht so gerne.

»Ja, Wallas sagt, meine Lehrzeit sei jetzt zu Ende und das Gesellenstück sei nun einmal ein Schwert. Aber ich habe mich umgehört. Ich kenne keinen Schmied, der jemals ein Schwert geschmiedet hat! Nicht, seit Flanakan herrscht. Also schon ewig lange.«

»Aber warum lässt er dich nicht eine schöne Spitzhacke machen? Oder einen Gartenzaun?«

»Wallas meint, ich sei besonders. Was mich wirklich freut, dass er das sagt. Aber ich würde auch lieber eine Schaufel, einen Hammer, von mir aus noch eine Zange oder eine Spitzhacke machen. Aber da ich der einzige Mensch weit und breit bin, der in den Schmieden der Toraks ausgebildet wird, soll es wohl dieses verdammte Schwert werden.«

Es stimmte, dass Kard etwas Besonderes war. Die Toraks, fast doppelt so groß wie normale Menschen und erstaunliche Muskelberge, waren mit einer unendlichen Gelassenheit gesegnet. Sie konnten Temperaturen aushalten, bei denen Menschen austrockneten wie Dörrpflaumen. So hatten sie ein Monopol als Grobschmiede, in deren Werkstätten große Essen standen, die eine derartige Hitze absonderten, dass Menschen einfach ohnmächtig wurden. Oder sich zumindest alle Finger verbrannten. Nur Kard nicht, weiß Branu, wieso? Der Govan hatte sich schon immer gefragt, wieso dieser Waisenjunge nicht einfach Korbflechter oder Schuhmacher geworden war, irgendein Gewerbe, das den normalen menschlichen Anlagen entsprach. »Aber Wallas ist ein ehrenwerter Bürger. Vertraue deinem alten Meister, er ist ein weiser Mann!«

»Aber Wallas selbst sagt, dass ich es niemanden erzählen soll. Es ist nicht nur einfach ein Schwert, weißt du?«

Der Junge war jetzt in Schnappatmung übergegangen, verzweifelt knotete er seine Finger. Bäcker, das wäre doch ein guter Beruf für diesen Jungen gewesen. Aber nein, das Schicksal hatte ihn in die Schmiede eines Toraks geführt. Der Diener des allwissenden Branu sah Kard nun fragend an.

»Es soll ein Minas-Schwert werden«, flüsterte Kard kaum hörbar und mit weit aufgerissenen Augen.

Es dauerte eine Weile, bis der Sinn dieser Worte in das Bewusstsein des alten Priesters gedrungen war. Der Govan sah nach oben, die gesegnete Scheibe schien unter den zuckenden Strahlen der Sonne hin- und herzuspringen. Ein Minas-Schwert? Das war einfach alles zu viel. Dieser Junge mit seinen penetranten Fragen. Die Erwähnung von Flanakan. Ein Schwert. Die Schergen. Und jetzt auch noch Minas, das heilige Erz von Branu. Dem Govan wurde Schwarz vor Augen. Dann sank er ohnmächtig in sich zusammen.

*

Trotz der sengenden Hitze, die auch noch am Tag nach der Sonnenfinsternis bleiern über Conchar lag, hatten sich die Bauern aus der Umgebung auf dem Marktplatz versammelt. Dazu kamen die fahrenden Händler, die aus allen Ecken Haragors in die Hauptstadt kamen und die sich nun am Fuß der Schwarzen Burg, Residenz von Flanakan, gesammelt hatten. Im Schatten dieser Festung, die hoch über den Köpfen der Bürger thronte, war es an diesen Tagen halbwegs erträglich. Solange man nicht nach oben schaute. Und sich vorstellte, was wohl hinter den Mauern gerade geschah. Wer gerade einem strengen Verhör unterzogen wurde. Mit Streckbank und Daumenschrauben und diesen ganzen Gerätschaften, deren Zweck selbst der Foltermeister manchmal vergessen hatte.

Aus den Drachenbergen weit im Norden Haragors waren an diesen Tagen die Holzhändler und Kürschner angereist. Ihre robusten Wagen, mit denen sie tagelang, wenn nicht sogar wochenlang unterwegs gewesen waren, um endlich hier in Conchar ihre Waren anpreisen zu können, waren schmucklos aber funktional. Sie dienten den Händlern nicht nur zum Transport, sondern auch als Schlafstätte und Wehrburg. Denn in den weiten Wäldern der Drachenberge trieben sich überall Faols herum, die wilden und ungezähmten Vorfahren aller Hunde. Nur dass sie doppelt so groß, doppelt so schlau und doppelt so wild wie die größten Hütehunde waren. Sie jagten in Rudeln und wenn sie einmal eine Spur aufgenommen hatten, gab es kein Entkommen. Außerdem gab es in den Wäldern auch die grausamen Wahter, die einem meist nicht nur die Münzen, sondern gleich das ganze Leben nahmen. Obwohl diese Wahter einem Mann nur bis zum Bauchnabel reichten. Kaum zu glauben, dass diese pelzigen Wesen so brutal waren. Einige der grobschlächtigen, bärtigen Männer aus dem Norden erzählten sogar, dass sich immer noch Oguls, riesige magische Wesen aus den Tiefen der Berge, in den Wäldern herumtrieben. Vielleicht waren sie aus dem Labyrinth der Höhlen an die Oberfläche getrieben worden, wenn unterirdische Lavaströme alles überflutet hatten. Oft zwinkerten diese begabten Geschichtenerzähler allerdings bei ihren Ausführungen dermaßen heftig mit den Augen, dass man nicht mehr wusste, wie ernst sie das alles meinten. Genauso hätten sie erzählen können, sie hätten weit hinten am Horizont, weit hinter der Rauchsäule von Branubrabat, dem Heiligen Vulkan, die Schatten von Drachen gesichtet. Was natürlich unmöglich war. Ein guter Erzähler konnte allerdings immer hoffen, von seinen neugierigen Zuhörern das ein oder andere Schoff spendiert zu bekommen, damit die Zunge nicht austrocknete und weiterhin von dieser fernen Welt berichtete. Da so mancher dieser Händler stolz die Narben präsentieren konnte, die er sich beim Kampf gegen die ausgehungerten Rudel der Faols oder gar beim Schwertkampf mit blutdürstigen Wegelagerern geholt hatte, war an ihren Worten im Grunde nicht zu zweifeln. Und falls sie ihre Taten und Erlebnisse ein wenig ausschmückten, war dies ihren erlebnishungrigen Zuhörern nur recht.

Auch einige Ichtos, die Halbkiemenatmer aus dem Inselreich im östlichen Meer, hatten es gewagt, bei dieser Hitze zum Markttag zu kommen. In ihren riesigen Holzbottichen tummelten sich lebende Fische. In großen Laufrädern trotteten Hunde geduldig und trieben damit die Blasebälge an, die Luft in die Bottiche blies, damit die Fische nicht erstickten. Riesige bunte Sonnensegel überspannten ihre Stände, weit sichtbar über den ganzen Marktplatz. Und wer sie bisher immer noch nicht wahrgenommen hatte, wurde spätestens bei den schrillen Schreien der Ichtos auf sie aufmerksam. Die Halbkiemenatmer wollten schließlich ihre Ware schnell loswerden, bevor sie trotz aller Vorsichtsmaßnahmen das Zeitliche segnete.

Sogar ein einsamer Fasach aus der im Süden gelegenen Großen Wüste saß geduldig neben seinem gewaltigen Murr und bot auf einer Decke getrocknete Früchte und Echsenleder an. Letzteres war insbesondere bei den Schmieden beliebt, denn das Echsenleder aus der Großen Wüste war extrem hitzebeständig und gut geeignet für die Blasebälge, die in den Schmieden die Essen anheizten. Fasziniert betrachtete Kard die riesigen Murrs mit ihrer dicken grauen Haut und ihren kurzen Beinen. Diese Tiere schienen ein anderes Zeitgefühl zu haben. Jedenfalls bewegen sie sich immer sehr langsam.

Doch die meisten Händler kamen aus den weiten Ebenen rund um Conchar und boten alles an, was sich aus Winxgras herstellen ließ. Von geflochtenen Körben bis zu Brot und Schoff. Oder es waren die Bauern von den Tok-Rind-Höfen, die Fell, Fleisch und Käse anboten. Da sie meist abends in ihre nahegelegenen Dörfer und Gehöfte zurückritten, waren sie mit leichten, einachsigen Gespannen angereist. Ihre Tok-Rinder, die ihnen als Zugtiere dienten, lagen wiederkäuend im spärlichen Schatten der Wagen.

An normalen Tagen huschten die Einwohner Conchars wie aufgeregte Hühner zwischen den Ständen umher. Aber bei dieser Hitze schlurften nur einige müde Gestalten herum. Man hörte auch nicht wie sonst die Händler, die in allen Stimmlagen ihre Ware anboten, um sich dabei in einem Wettstreit von Lautstärke und Tonlage die Aufmerksamkeit ihrer Kunden zu sichern. Sogar die Schrille Makrele, niemand konnte penetranter und ohrenbetäubender die Vorzüge frischer Fische anpreisen, hielt ihre Kiemen geschlossen. Nur ein leichtes Sirren war zu hören, es stammte von verzweifelten Insekten, die wie Trauben in den Schattenzipfeln der Marktstände in winzigen Spiralen fortwährend um sich selbst kreisten. Und ein trockener, heißer Wind sang sein langsames, auf- und abschwellendes Lied.

Kard, der tags zuvor seine verzweifelte Beichte bei dem überforderten Priester abgelegt hatte, schlich mit gesenkten Kopf durch diese hypnotisierende Stille. Das Gespräch mit dem Govan, hatte ihn nicht wirklich beruhigt. Dieses verdammte Minas-Schwert! Kard wünschte sich nichts mehr, als Schmied zu werden! Aufgenommen zu werden in die Zunft der Schmiede. Er beglückwünschte sich jeden Tag, dass ihn Wallas als Lehrling angenommen hatte. Das war besser gewesen, als in die Grasballmannschaft des Waisenhauses berufen zu werden. Zum ersten Mal im Leben hatte etwas für ihn Sinn ergeben. Das Feuer! Das Metall! Wie er es formte, wie letztendlich zum Beispiel eine Spitzhacke daraus entstand. Kard hatte das Gefühl, etwas gefunden zu haben, was zu ihm passte wie maßgeschneiderte Schuhe. Und dass ein Torak einen Menschenjungen als Lehrling angenommen hatte, war für Kard eine unbeschreibliche Ehre gewesen. Besser noch als eine Einladung der Mathe-Gova zum landesweiten Haragor-Wettkampf der Mathegenies. Kard wollte die Gesellenprüfung ablegen, egal was es kostete. Aber musste es wirklich unbedingt dieses Minas-Schwert sein?

An Kards Gürtel hingen die Schaufelblätter und in der Hand hielt er die Spitzhacken, die er hier anbieten sollte. Er ärgerte sich über Wallas, seinen Meister, der ihn hergeschickt hatte. Bei diesen Temperaturen kauft doch sowieso niemand etwas. Die Luft war so heiß, dass man beim Einatmen unwillkürlich innehielt, da jeder Atemzug schmerzte.

Kard mochte Wallas, mehr noch, er war dem Torak unendlich dankbar, dass er ihn damals aus dem Waisenhaus mitgenommen und ihn in die Lehre genommen hatte. Aber dieser störrische alte Torak konnte Fünfe nicht einfach gerade sein lassen. Sicherlich war es immer gut, wenn die Argits im Geldbeuteln klimperten. Aber lohnte sich der Aufwand, den ganzen Tag auf dem Markt herumzulungern, wenn abzusehen war, dass man doch nichts verkaufen würde?

Auch die Priesterinnen im Waisenhaus waren streng gewesen. Aber dort hatte man sich im Zweifelsfall immer mit der Behauptung herausreden können, dass man betete. Nichts war den Priesterinnen lieber als ein gottesfürchtiges Kind. Credna, die Göttin der Liebe, würde es schon richten. Denn liebte sie nicht alles Leben, ob Mensch, Torak oder gar Wahter? Und man konnte zu Goiba, Göttin von Tod, Kälte und Eis, beten, dass sie die Menschen im Winter mit ihrem Todesatem verschonte. Ein kleines Opfer, am besten etwas, was noch kurz zappelte, bevor man sein Blut der Göttin darbot, war ein sicherer Weg, die Gunst Goibas zu erlangen. Beten und opfern waren eine gute Sache! Die Götter würden einen schon erhören, das war schließlich ihre Aufgabe! Leider hielt sein Meister Wallas nicht viel von solchen Opferritualen. Immerhin für Branu gab es einen geheimen Schrein hinter dem Haus. Und ab und zu zündete der Torak sogar ein paar Räucherstäbchen an. Aber beten hatte Kard ihn noch nie gesehen. In die Knie gehen, den Kopf beugen, den Segen der Götter erbitten. Für Kard war dies eine Selbstverständlichkeit. So hatte er es im Waisenhaus gelernt. Und so sollte es doch sein, so war es einfach richtig!

Kard trottete an den Ständen der Bauern vorbei, hob ab und zu seine Schmiedeerzeugnisse in die Luft und warf einen fragenden Blick in die Runde. Doch um ihn herum sah er die Wesen Haragors nur im matten Delirium. Aber dort hinten, war das nicht der Wagen der Gova aus den Drachenbergen? Mit ihr war Kard damals nach Conchar gekommen, als Wallas ihn aus dem Waisenhaus hierher in die Hauptstadt geholt hatte. Das ist jetzt wirklich schon eine ganze Weile her. Und die Alte sah von weitem immer noch genauso aus wie damals. Jetzt hatte sie Kard entdeckt und winkte ihn einladend zu sich. Kard trottete zu seiner alten Bekannten.

»Kard, mein Junge, es scheint so, als ob ich den langen Weg von den Drachenbergen nur gemacht habe, um dich hier zu treffen«, begrüßte ihn die Gova und schenkte Kard das süßeste aller süßen Händlerlächeln und entblößte dabei erstaunlich viele, erstaunlich weiße Zähne.

»Oh, liebe Alte, es scheint mir, als ob nicht Zufall und Geschäft mich diesen Weg nehmen ließ, sondern dass Goiba selbst meine Schritte zu dir lenkte.« Kard schenkte ihr das unschuldigste Lächeln eines sechzehnjährigen Menschenjungen, das jemals sein Antlitz geziert hatte.

»He, he, gut gesprochen, kleiner Waisenjunge. Ich sehe, die große Stadt hat ihre Spuren in dem schüchternen Ding hinterlassen, das einst mit mir hierher kam.« Die Gova schmunzelte und Anerkennung blitzte in ihren Augen auf.

»Was bringst du diesmal mit? Deine üblichen Arzneien? Salben und Tinkturen, mit denen Blinde sehend und Lahme zu wackeren Wanderburschen werden? Oder von den drei göttlichen Schwestern Goiba, Credna und Luchta höchstpersönlich gesegnete Amulette, die dem spendablen Käufer Geduld, Liebe und Reichtum garantieren?«

»Sicher! Ich bringe den Sterblichen die Kräfte, die die Unsterblichen der Natur mitgaben und helfe Ihnen auf dem Weg der Wünsche einige Schritte in die richtige Richtung zu gehen. Aber diesmal, lieber Kard, habe ich, glaube ich, etwas dabei, das wirklich nur für dich bestimmt ist.« Die Alte glitt mit den Fingern suchend durch eine Sammlung von Amuletten, die an der Spitze eines Tok-Rind-Horns baumelten.

»Lass mich raten.« Auch wenn Kard ein gottesfürchtiger Mensch war, waren ihm Amulette immer als sinnloser Tand erschienen, die mehr der Geldbörse der Händler dienten als dem wahren Glauben. »Ein Amulett von Goiba, mit der Kraft des ewigen Eises, gegen Brandblasen und Verbrennungen, was mir in der Schmiede sicherlich sehr nützlich sein könnte? Oder, vielleicht, etwas für die Liebe, du weißt, ich bin schon sechzehn Jahre alt, glaube ich zumindest.«

Kard hatte keine Ahnung, was das mit der Liebe auf sich hatte. Aber in letzter Zeit verhielten sich die Erwachsenen um ihn herum immer seltsam, wenn es um Männer und Frauen und die Liebe ging. Dann fingen die Männer an zu grinsen, schlugen Kard kameradschaftlich auf den Rücken und zwinkerten ihm vielsagend zu. Kard hatte keinen Schimmer, was sie ihm damit sagen wollten.

Die Alte schien endlich gefunden zu haben, was sie gesucht hatte. »Hier, schau! Nimm es.«

Die Gova streckte ihm ihre knorrige Hand entgegen, in dem ein schwarzer, glänzender Stein zu liegen schien. Aber Kard wusste sofort, was es war. Er nahm das Amulett und legte es sich um den Hals. »Ein Drachenzahn«, flüsterte er ehrfurchtsvoll. Ein Drachenzahn war etwas anderes als die üblichen Amulette. Das war nicht irgendein Stein, auf den die Gova gespuckt hatte, um ihn mit göttlicher Magie aufzuladen.

»He, he, schlauer Junge. Und ein echter dazu! Obwohl ja viele behaupten, es gäbe keine echten Drachenzähne, da es ja auch nie Drachen gegeben habe. Aber du und ich wissen es besser, oder Kard? Ein echter Drachenzahn! Für Kard, dem Waisenkind aus den Drachenbergen. Das passt doch, oder? He. he.« Die Alte schaute zufrieden auf Kard, der mit offenem Mund und völlig erstarrt dastand.

Das Amulett hatte eine seltsame Wirkung auf Kard. Im allerersten Augenblick, als der Zahn sein Brustbein berührte, schien sich ein Graben aus Raum und Zeit aufzutun. Vulkane, Magma, Feuer brachen daraus hervor, aber nur Bruchteile von Sekunden später brach alles in sich zusammen und hinterließ eine schwarze Stille, die nun beruhigend in seinem Inneren pulsierte.

»Der ist doch bestimmt nicht echt«, stammelte Kard automatisch. »Es gibt ja gar keine Drachen.«

»Nein, nein, es gibt keine Drachen und das ist natürlich nur der Zahn eins Schwarzen Hais. Und wenn du ihn behalten willst, und ich nehme an, dass du keine Münzen bei dir hast, könntest du mir dafür zwei, oder sagen wir doch lieber drei, deiner Schaufelblätter geben. Die kann ich, wenn ich wieder in den Norden fahre, leicht an den Mann bringen. Also, einverstanden?«

Die Gova lächelte breit, die Falten in ihren Augenwinkeln tanzten, und Kard löste, ohne ein Wort zu sagen, die Schaufelblätter von seinem Gürtel. Wallas wird mich umbringen. Drei Schaufelblätter für ein Amulett. Aber er würde es schon irgendwie abarbeiten können. Oder hatte die Alte ihn gerade verhext?

*

In der Schmiede von Wallas war die Schlacke in den Essen ausgekühlt. Selbst für einen hartgesottenen Torak und erst recht für Kard, seinem Lehrling und Ziehsohn, war es tagsüber zu heiß, um auch noch den brodelnden Temperaturen der Kohlen ausgeliefert zu sein. Wie in allen Torakschmieden herrschte auch in der von Wallas üblicherweise eine derartige Höllenhitze, dass es kein normaler Mensch dort aushielt. Aber Kard war kein normaler Mensch. Er steckte die Hitze gut weg. Da den Toraks im allgemeinen Hitze wenig ausmachte, behaupteten manche Menschen, dass sie nicht nur Geschöpfe Branus, der auch Gott des Feuers war, seien, sondern dass das gelbe Blut in ihren Adern wie die Lava des Heiligen Vulkans Branubrabat sei. Das war natürlich Unsinn, aber es konnte nicht schaden, wenn die Menschen ein wenig Respekt vor ihnen, den tumben Toraks, hatten.

Wallas seufzte. Einst ist sein Volk frei gewesen und ist ungehindert über die Steppen Haragors gewandert. Mit ihren Tok-Rind-Herden sind sie durch die Weite gezogen und sind dem Lauf der Jahreszeiten gefolgt. Sie sind es gewohnt gewesen, auch in der größten Hitze ihre Tiere zu den verborgenen Quellen zu führen. Oder während des Winters den peitschenden Atem Charus, dem Zerstörer und Gott des Windes, ausgeliefert zu sein. Die Toraks sind geduldig gewesen. Langsam. Wachsam. Einige von ihnen sind damals sogar gute Jäger gewesen, sie haben die Faols zur Strecke gebracht, die sich im Frühjahr die Kälber holen wollten. Und in den Vulkanhöhlen der Drachenberge hatten die Toraks das Schmieden gelernt.

Damals haben die Menschen ihre Dörfer bewohnt und nur die fruchtbaren Täler besiedelt. Im Winter haben sie vor ihren warmen Öfen gesessen und zu Goiba gebetet, dass sie sie mit ihrer tödlichen Kälte verschonen solle. Die Toraks haben ihnen das Fleisch und Fell ihrer Tok-Rinder geliefert, aber auch die groben Werkzeuge wie Pflugscharen und Spitzhacken. Die Menschen sind Kleinbauern und geschickte Handwerker gewesen. Sie haben Obst und Rüben, aber auch Schmuck und Pfeilspitzen mit den Toraks getauscht. Doch irgendwann sind es immer mehr Menschen geworden. Ihre fruchtbaren Täler wurden zu eng. Sie begannen die kargen Böden der Ebene mit Winxgras zu bestellen, das nur einen mageren Ertrag brachte, aber das einzige Getreide war, das man hier anbauen konnte. Zugegebenermaßen verstanden die Menschen es, ein hervorragendes Schoff aus dem Winxgras zu brauen. Aber je mehr Winxgras sich über die Ebenen erstreckte, desto enger war es für die Tok-Rind-Herden der Toraks geworden. Heutzutage konnten die Toraks ihr nomadisches Leben nur noch an den äußersten Rändern der Ebene fortführen, von den Ausläufern der Drachenberge im Norden bis zu den Grenzen der Großen Wüste im Süden. Und viele Toraks waren inzwischen in die Dienste der Menschen getreten. Oft für die körperlich schweren Arbeiten auf dem Feld oder auch auf den Höfen, in denen die Menschen nun ihre eigenen Tok-Rinder eingepfercht hatten.

Von Anfang an haben sich die Menschen den Toraks überlegen gefühlt. Die Toraks, die es gewohnt waren, sich den Launen der Natur zu beugen, haben es mit sich geschehen lassen. Aber auch wenn die Menschen mit ihren kleinen, flinken Händen vielleicht die besseren Handwerker waren, hieß das noch lange nicht, dass sie auch schlauer waren. Die besseren Schmiede waren die kräftigen und hitzeresistenten Toraks schon immer gewesen. Aber das Gleichgewicht zwischen den ehemaligen Nomaden und den Talbewohnern hatte sich im Lauf der Generationen zugunsten der Menschen verschoben. Aus Hochmut wurde Verachtung, aus Demut Angst. Für Wallas und einige andere war diese Situation inzwischen unerträglich geworden.

Als Kard vom Markt zurückkehrte, wirkte er fröhlich, aber gleichzeitig verwirrt. Madad, sein bester Freund, ein Cu, wedelte mit dem Schwanz und tanzte dabei auf allen Vieren.

»Yo, Kard, du siehst aus, als ob du mit dem Kopf gegen die Wand gelaufen bist. Hast du einen Hitzschlag oder was ist los?«

Kard schien die Worte Madads zu hören, aber sie gingen durch ihn hindurch, ohne dass er sie wirklich registrierte. Madad schaute seinen Freund auffordernd an, aber Kard schien nicht in der Stimmung, mit dem Cu zu spielen. Und offensichtlich versuchte er auch Wallas aus dem Weg zu gehen. Hätte er noch die Schulbank gedrückt, hätte Wallas vermutet, dass er gerade eine schlechte Note kassiert hatte. Oder dass er wegen irgendeinem Unsinn zur Obersten Gova geladen worden war. Kard tänzelte zwischen den Ambossen und Werkbänken umher, als ob er nachsehen wolle, ob seit seinem Aufbruch heute Morgen noch alle Werkzeuge und Metallteile vorhanden waren. Er hatte nach einer kurzen Begrüßung jeden Blickkontakt mit Wallas vermieden.

»Wie war es auf dem Markt?« Der Torak saß auf einem Schemel in der Ecke, den Blick auf eine Messerschneide gerichtet, die er gerade polierte.

»Oh, nicht viel los. Die Hitze. Die Leute bleiben lieber zu Hause. Waren auch nur wenige Händler da.« Kard blickte zwar in Richtung von Wallas, hatte aber mehr mit der Wand hinter dessen Rücken gesprochen.

»Und?«

»Und, was?«

»Konntest du trotzdem ein paar unserer Sachen verkaufen?« Wallas hatte aufgehört, das Messer zu polieren und schien nun das Ergebnis seiner Arbeit zu prüfen.

»Äh, nun ja…« Kard kratzte seine flaumigen Bartstoppeln unter seinem rechten Ohr. »Weißt du, die Alte aus den Drachenbergen war auch da. Du weißt schon, die, die damals dabei war, als du mich aus dem Waisenhaus mitgenommen hast.«

»Die Gova, ich weiß schon, wen du meinst.« Wallas hatte inzwischen seinen mächtigen Schädel gehoben und schaute Kard neugierig an.

Kard zog eine Grimasse, hielt die Luft an, wackelte mit dem Kopf und versuchte dem Blick von Wallas auszuweichen. »Na, ja, ich glaube, sie hat mich verhext. Sie hatte dieses Amulett, weißt du. Sie hat behauptet, es wäre ein echter Drachenzahn. Aber das kann ja gar nicht sein, es gab ja nie Drachen, oder? Wie auch immer. Plötzlich hatte ich dieses Ding hier um den Hals und sie hatte drei unserer Schaufelblätter. Ich werde sie dir irgendwie bezahlen. Ich wollte es nicht, aber irgendwie ist es geschehen. Tut mir leid.«

Wallas sagte erstmal nichts und schaute Kard ernst aber nicht ärgerlich an. »Ein Drachenzahn, sagst du?«

»Ja, so ein Stein, der aussieht wie ein Zahn und sie hat behauptet, es wäre ein Drachenzahn. Jetzt komme ich mir schon irgendwie dämlich vor.«

»Dann geh doch zurück, sag ihr einen schönen Gruß von Wallas, dem Schmied, gib das Amulett zurück und hol dir die Schaufelblätter wieder.«

»Äh, nein…« Kard hatte den Blick wieder gesenkt. Sein Oberkörper wirkte angespannt. Er tänzelte auf den Fußballen. »Weißt du, Wallas, das Komische ist, jetzt möchte ich das Amulett schon behalten, ob Drachenzahn oder nicht, aber, wie soll ich sagen, ich habe schon das Gefühl, das es zu mir passt. Vielleicht ist es ja auch ihre Hexerei, keine Ahnung. Aber sicherlich, da glaube ich ihr schon, kommt es aus den Drachenbergen, du weißt schon, da komme ich ja auch irgendwie her, nur das ich nicht genau weiß, wer meinen Eltern waren, irgendwie…«

»Darf ich es mal sehen?« Wallas musterte den Jungen forschend.

»Ja, klar, hier schau.« Kard nahm das Amulett von seinem Hals und ließ es in die mächtige Handfläche des Toraks gleiten.

»Ein Drachenzahn soll das also sein? Sieht für mich fast aus wie Minas-Erz mit diesem bläulichen Schimmer.« Dann warf Wallas das Amulett mit einem gezielten Wurf direkt in eine der Essen, in denen unter der erkalteten Oberfläche immer noch die Kohlen glühten. Kard gab ein dumpfes Knurren von sich, sprang mit einem riesigen Schritt hinterher und hätte beinahe mit bloßen Händen danach gegriffen. Gerade rechtzeitig erinnerte er sich offensichtlich, dass es ratsam war, hier doch eine Zange zu benutzen. Geschwind packte er das Amulett, das Lederband war längst verbrannt, und hievte es aus der Glut. Dann stand plötzlich Wallas hinter ihm und beide betrachteten den schwarzen Zahn, den Kard völlig unverändert aus der Schlacke gezogen hatte.

»Überlege dir irgendwas, wie du die Schaufelblätter ersetzen kannst«, brummte Wallas und verschwand dann ohne weitere Worte nach draußen. Die meisten Metalle veränderten wenigstens die Farbe, wenn sie einige Sekunden der Hitze glühender Kohlen ausgesetzt waren. Wenn etwas diese Hitze ohne irgendwelche Anzeichen überstand, war dies meist ein untrügliches Zeichen dafür, dass Zauberei im Spiel war. Wallas sollte es wissen, er war nicht ganz unerfahren in den Fragen der Magie.

Inzwischen wurde es langsam Abend und die Sonnenscheibe würde bald hinter dem Horizont verschwunden sein. Wallas verabschiedete seinen Gott und wartete geduldig darauf, dass Goiba die Herrschaft über die Welt übernahm.

Drachen, dachte Wallas, während er draußen vor der Schmiede in den sich verdunkelnden Himmel schaute. Die waren schon vor vielen Jahrzehnten aus diesem verfluchten Land verschwunden. Inzwischen erzählten nur noch die alten Sagen von diesen Tagen. Früher, vor der Großen Schlacht, in der Alten Stadt am Fuß der Drachenberge, hatten einst die Drachenkönige regiert, ein schwarzer Drachen auf rotem Grund war ihr Banner gewesen. Bis Flanakan kam. Mit den Oguls. Magische Giganten aus den Tiefen der Berge, die er sich mithilfe der mächtigen Tsarr dienstbar gemacht hatte. Er konnte sich noch gut daran erinnern, er, Wallas, einst Wafenschmied unter dem letzten Drachenkönig. Jetzt herrschte Flanakan mit eiserner Hand über Haragor, unbarmherzig, grausam, machtbesessen. Und die Toraks waren für ihn Lebewesen zweiter Klasse. Eine Wache zögerte nicht lange, wenn ein Torak wagte, Widerworte zu geben. Ein toter Torak war eine Aufgabe für die Abdecker, mehr nicht. Es wurde Zeit, den Wachen ihre Grenzen aufzuzeigen.

*

Kard hatte sich nach dem anstrengenden Markttag auf seine Pritsche im Keller der Schmiede gelegt und war eingeschlafen. Als er jetzt wach wurde, spürte er, dass die Sonne gerade unterging. Dass er den Lauf der Sonne wahrnehmen konnte, auch wenn er sie nicht mit den Augen sah, war nicht neu. Neu war aber dieses dunkle kalte Pochen auf seinem Brustbein, das seine Sinne zu schärfen, sein Bewusstsein klarer zu machen schien. Er reckte sich, schüttelte seine schwarzen Locken und hievte seine schmalen aber kräftigen Beine über den Rand der Pritsche. Obwohl es im Keller der Schmiede stockfinster war, konnte er vor seinem inneren Auge die Sonne sehen, wie sie weit im Westen von den Wolken verschluckt wurde.

Wallas hatte ihm angekündigt, dass sie in dieser Nacht sein Gesellenstück anfertigen würden. Trotz aller Bedenken empfand Kard dies letztendlich als große Ehre. Er wusste, dass er inzwischen alle Geheimnisse und Tricks des Schmiedehandwerks beherrschte. Aber nie hatte er einen Gedanken daran verschwendet, dass Wallas, der Schmied, einer der renommiertesten Handwerker seine Zunft, ihn eines Tages zum Gesellen berufen würde. Schon allein die Tatsache, dass er in der Werkstatt eines Toraks eine Ausbildung machte, hatte ihn mit unbändigen Stolz erfüllt. Ein Mensch in der Schmiede eines Toraks, so etwas hat es noch nie gegeben. Aber das Feuer war schon immer sein Element gewesen. Wenn die schwarzen Köhler gekommen waren, um die rußigen Brocken in den Keller des Waisenhauses zu schaufeln, in dem er aufgewachsen war, war er stets von einer seltsamen Unruhe befallen worden. Und wenn dann mit den neuen Kohlen das erste Feuer des Winters angefacht worden war, hatte er keine Angst gehabt. Das Feuer war sein Freund, beschützte ihn. Und verletzte ihn nicht. Nie hatte er sich Brandwunden geholte, wenn er half, die riesigen Öfen anzuheizen, die in der kalten Jahreszeit das Waisenhaus auf halbwegs erträgliche Temperaturen erwärmten. Die anderen Kinder dagegen zeigten den Govas ihre Wunden, die sie sich holten, wenn sie ihren Dienst an den Öfen verrichteten. Oder sie brachen erschöpft zusammen, weil die unerträglichen Temperaturen im Heizungskeller ihnen alles Wasser aus dem Körper gesogen hatte. Bei Kard war es das Gegenteil. Die Hitze stärkte ihn, machte ihn mutig. Und eines Tages war dann Wallas aufgetaucht, auf der Suche nach einem Lehrling. Schon etwas seltsam, dass der Torak den weiten Weg von Conchar bis in dieses abgelegene Waisenhaus zurückgelegt hatte, um einen Menschen zu finden, der bei einem Torak-Schmied in die Lehre gehen wollte. Genauso gut hätte man auf der Suche nach Gold irgendeinen Pflasterstein in Conchar hochheben können. Oder hatte die alte Gova, mit der der Torak im Waisenhaus aufgetaucht war, ihre magischen Finger mit im Spiel gehabt? Aber Kard war es egal gewesen. Weg vom Waisenhaus, weg aus diesem einsamen Wald und auf nach Conchar in eine Welt, die vom Feuer regiert wurde. Kard musste nicht einen Moment überlegen, als die Oberste Gova des Waisenhauses ihn fragte, ob er mit diesem riesigen, fremden Torak mitgehen wolle.

Bevor er an diesem Abend nach oben in die Schmiede ging, nahm Kard den Schöpflöffel aus dem hölzernen Wasserbottich und nahm einen großen Schluck. An den Essen verdampfte das Wasser zu schnell, deswegen wurde es hier unten im Keller gelagert. Es schmeckte schal, der letzte Regen war vor Wochen gefallen. Aber der Sommer war jetzt auf seinem Höhepunkt, in wenigen Wochen würden die Herbststürme über Conchar fegen und dunkle Wolken mitbringen. Bis dahin mussten sie auf frisches Wasser warten. Und das brackige, schlammige Flussbrühe trinken.

Wallas wartete bereits auf ihn. Er schien erschöpft, die Augen des Toraks lagen etwas tiefer in den Höhlen als sonst. Kein Wunder bei dieser Hitze tagsüber, die selbst einem Torak langsam zu viel werden konnte. Obwohl Kard die Augen in den über vier Zentnern Muskelmasse und in weit über drei Cas, also drei Beinlängen Höhe, sowieso kaum ausmachen konnte. Manchmal wäre eines dieser geschliffenen Gläser, die die Wache benutzten, um die Ebenen hinter den Stadtmauern auszukundschaften, ganz hilfreich, dachte Kard. Dann könnte er sich sein Minenspiel mal genauer ansehen und wüsste vielleicht, was in diesem dicken Kopf vor sich ging. Aber Wallas lächelte. Das ist doch schon mal ein gutes Zeichen! Denn das kam bei diesem mürrischen Torak nicht oft vor.

»Nachdem Flanakan vor vielen Jahrzehnten die Große Schlacht gewonnen hatte, verbot er allen das Führen von Waffen, wie du weißt«, begann Wallas.

Kard nickte. Ah, eine feierliche Rede! Das gehörte wohl dazu, wenn man in den Gesellenstand erhoben werden sollte.

»Aber schon immer war das Gesellenstück des Schmiedes ein eigenes Schwert! Und das lassen wir uns von niemandem verbieten, auch nicht von einem Flanakan.«

»Aber vielleicht ist ein Gesellenstück ja gar keine richtige Waffe!« Kard sah Wallas hoffnungsvoll an. »Vielleicht gibt es ja eine Ausnahmegenehmigung? Man könnte mal im Großen Archiv nachschauen.«

Kard wäre gerne auf der sicheren Seite gewesen.

Wallas blieb ganz ruhig. »Ein Schwert ist ein Schwert ist ein Schwert ist ein Schwert.«

»Wir könnten den Obersten Verwalter fragen…«

Der Junge wusste selbst, dass dies kein gangbarer Weg war. Auch wenn sich hartnäckig das Gerücht hielt, dass im Archiv von Conchar alle Verträge, Aufzeichnungen und Steuerzahlungen aufbewahrt wurden, selbst aus der Zeit vor der Großen Schlacht. Leider nur, um in den inszenierten Gerichtsverhandlungen dem staatlichen Ankläger die passenden Beweisstücke zu liefern. Der Oberste Verwalter würde einen Teufel tun und irgendein Schriftstück hervorholen, wenn es nicht zum Vorteil von Flanakan wäre.

Der alte Schmied schüttelte nur schweigend den Kopf und sah Kard ernst ins Gesicht. »Einst waren die Toraks gute Krieger, Kard, das wusstest du wahrscheinlich nicht, oder?«

Kard schüttelte erstaunt den Kopf. Die Toraks - Krieger? Die Toraks erledigten in Haragor meist schwere körperliche Arbeit. Sie schufteten im Steinbruch, als Lastenträger, manche wie Zugtiere auf dem Feld, einige wenige als Schmiede, ein paar als Köche. Und einige arbeiteten bei den Schergen, denn sie konnten recht imposant auftreten, wenn sie grimmig wurden. Aber Krieger?

»Und wie es das Schicksal so will«, Wallas sah Kard mit ernster Miene an, »haben wir hier sogar ein paar Erzbrocken Minas.« Wallas hob ein Tuch hoch und die erstaunten Augen von Kard sahen das blau schimmernde Erz. Er schluckte. Das ist also Minas-Erz!

»Kard, du weißt nun alles über das Schmiedehandwerk. Du kannst Spitzhacken und Gartenzäune, Messer und Pflugscharen, Hufeisen und Türscharniere anfertigen. Selbst das Gießen der großen Schlüssel unserer Stadttore hast du gelernt. Du bist der beste menschliche Schmied, den ich je gesehen habe. Ich kann dir nur noch eines beibringen. Das Schmieden von Minas-Stahl. Dies soll dein Gesellenstück werden. Für ein kleines Menschenschwert wird es gerade reichen. Du musst vorsichtig sein, sparsam, du wirst jedes Gramm brauchen.«

Kard bekam weiche Knie. Ein eigenes Minas-Schwert? Was werden die Schergen dazu sagen, wenn es herauskommt? Er sah Wallas sprachlos und ängstlich an.

»Dein Gesellenstück, Kard, ist nicht einfach nur ein Schwert, das weißt du, oder?«

Kard nickte. Er fühlte sich klein und unbedeutend und hätte gerne gehabt, dass die Götter ihm irgendein eindeutiges Zeichen senden würden.

»Kard, es ist deine Entscheidung. Ein Schwert muss es sein, so sind unsere Zunftregeln. Wir sind stolz darauf, dass wir diese Kunst beherrschen. Gerade in diesen Zeiten.«

Kard atmete tief ein. »Aber würde ein normales Schwert nicht vollkommen ausreichen? Muss es gleich ein Minas-Schwert sein?«

Wallas wiegte den Kopf. »Du hast recht, das Gesellenstück muss nicht aus Minas bestehen. Ein normales Schwert würde ausreichen. Aber die Kunst, aus Minas-Erz ein Schwert zu schmieden, aus dem heiligen Erz von Branu, dem Schöpfer, ist der Gipfel unseres Könnens.«

Kard schluckte erneut. Er wusste, dass dies eine große Ehre war. Und er freute sich über das Vertrauen, dass Wallas ihm entgegenbrachte. Aber ist das erlaubt? Ist das rechtens? Er wollte nicht im Kerker der Schwarzen Burg landen. »Aber genau das ist es auch, was verboten ist, oder Wallas?«

Wallas lachte laut. »Jetzt sieh dir dieses Menschlein an. Zittern deine Knie?«

Beschämt sah Kard hoch. Aber Wallas schien nicht enttäuscht oder böse, er schien eher neugierig zu sein. Wie würde das Menschlein sich wohl jetzt verhalten, schienen seine Augen zu fragen. Aber Kard hatte sich schon entschieden. Auch wenn es ihm gerade speiübel war, gab ihm das Amulett auf seinem Brustbein Kraft. Er fühlte die Kraft der Flammen. Ein Minas-Schwert passte zu ihm wie das Feuer selbst. Das spürte er. Seine Zähne klapperten, als er sprach: »Wallas, danke, ich weiß nicht was ich sagen soll. Es ist eine große Ehre. Ich bin bereit.«

»Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann«, donnerte Wallas und seine gewaltige Pranke klatschte derart auf Kards Rücken, dass er erstmal ein gutes Stück in die Knie ging. »Dann lass uns gleich anfangen, heiz die große Esse an, es wird eine lange Nacht!«

Kards schwarze Locken klebten unter dem Tuch, das seinen Kopf bedeckte. Er schwitzte wie noch nie in seinem Leben. Der Schweiß lief unter der Lederschürze seinen schmalen, sehnigen Körper hinunter und sammelte sich in den schweren Stiefeln. Im Kiefernholzfeuer lagen besondere Mineralien, die für eine außergewöhnliche Hitze sorgten. Nie hatte Kard derartige Temperaturen kennengelernt.

Wallas zeigte dem angehenden Gesellen nun die größten Geheimnisse der Schmiedekunst. Obwohl Kard immer sorgfältig bei der Arbeit gewesen war, verrichtete er sie diesmal mit einer neuen Ernsthaftigkeit, einer konzentrierten Innerlichkeit, als ob sein Geist direkt in den Schmiedeprozess eingreifen würde.

Stundenlang hatten sie das Erz immer und immer wieder den Feuern ausgesetzt, der Minas-Stahl hatte inzwischen die erforderliche Reinheit, gegen Mitternacht hatte er unter den wachsamen Augen von Wallas den eisernen Kern eingefügt. Endlich, kurz vor Sonnenaufgang, hatte Kard die Klinge in die endgültige Form gefaltet. Wallas half ihm, auch die Parierstange anzufertigen und den Griff mit Echsenleder zu umwickeln. Kard setzte alles zusammen, vorsichtig verlieh er der Klinge am Wetzstein den letzten Schliff. Als die Sonne aufging, zündete Wallas Räucherstäbchen im Schrein Branus an. Es war ein feierlicher Moment.

Dann standen sie gemeinsam vor der Schmiede, Kard hielt sein neues Schwert hoch in die Luft und Branu, der Schöpfer, strich mit den Stahlen der Sonne über die Klinge und gab ihr seinen Segen.

Das Minas-Schwert war fertig. Kard betrachtete stolz sein Gesellenstück. Und auch Wallas war wohl ganz zufrieden. Er nickte zustimmend und schlug Kard auf die Schulter.

»Ein gutes Schwert, Kard. Probier es aus.«

Wallas zeigte ihm die Grundregeln des Schwertkampfs. Ausfallschritt, Parade, Ausweichen. Gegen eine normale Wache würde Kard, wenn er ein wenig trainierte, so vielleicht ein paar Minuten bestehen können. Bis er weglaufen konnte. Denn Kard hatte ganz sicher nicht vor, dieses Schwert jemals wirklich zu benutzen. Es war das Gesellenstück eines Schmiedes. Mehr nicht. Obwohl Kard den Verdacht bekam, dass Wallas ihn zu einem Kämpfer ausbilden wollte. Was für ein Unsinn. Das kann ja nicht sein. Wahrscheinlich gehörte es einfach zum Zunftbrauch, mit seinem Gesellenstück auch ein wenig umgehen zu können, bevor es als Dekor über dem Kamin landete.

»Fettes Teil, für ein Menschenschwert«, bellte Madad, der sich inzwischen zu ihnen gesellt hatte. »Da sollen die Banditen mal kommen. Ich beiße ihnen in den Hintern und du haust ihnen eins über die Rübe.«

»Wenn ich einen Banditen sehe, lieber Madad, dann gebe ich den Pferden die Sporen und reite schneller als der Wind. Mit dieser Technik konnte ich bisher alle Pflugscharen an ihre Besitzer ausliefern.«

»Diesmal wird es aber keine Pflugschar, Kard«, unterbrach Wallas das freundschaftliche Geplänkel. »Das Minas-Schwert ist noch nicht ganz fertig.«

Verdutzt sah Kard seinen Meister an. Was sollte noch fehlen? Eine Verzierung am Knauf? Eine Änderung an der Parierstange? Die Klinge war doch perfekt!

»Ein Minas-Schwert wird erst ein Minas-Schwert, wenn es durch Branu, dem Schöpfer, gesegnet wird. Ein normales Schwert kann man von einem Govan segnen lassen, der die Magie Branus in das Metall fließen lässt. Aber ein Minas-Schwert erhält seine Magie durch den heiligen Urin eines Onchus, dem Wächter der heiligen Stätte, dem Boten der Götter. Dein Gesellenstück ist beendet, Kard. Du bist jetzt ein Schmied. Was jetzt vor dir liegt, wenn du bereit bist, diesen Weg zu gehen, ist deine Meisterprüfung. Und dein Meisterstück ist nicht etwa ein anderes Schwert oder irgend ein anderes Kunstwerk unserer Schmiedekunst. Es ist der Bund mit den Göttern.«

Bund mit den Göttern? Heiliger Urin? Was soll das alles sein? Um was geht es hier eigentlich?

Kard sah Wallas fragend an. Der entgegnete seinen Blick und Kard entdeckte in den gelben Pupillen, die er jetzt deutlich sah wie niemals zuvor, eine versteckte Unruhe, die er nicht zu deuten wusste.

»Geweihte Minas-Schwerter waren die Waffen der Drachenkönige, Kard. Ein geweihtes Minas-Schwert ist nicht einfach nur das Meisterstück eines Schmiedes. Es ist viel mehr. Und, ich sage es dir gleich, denn ich weiß, dass es dir nicht schmecken wird. Es wird den Wachen nicht gefallen, ganz und gar nicht. Es wird dem Herrscher selbst nicht gefallen. Ein geweihtes Minas-Schwert ist eine gewaltige magische Waffe. An der sich allerdings Branu, der Schöpfer, erfreuen wird.«

Es wird dem Herrscher nicht gefallen? Ist Wallas von allen Göttern verlassen? Auf keinen Fall wollte Kard ins Visier von Flanakan kommen. Die Wachen des Herrschers hatten kein Erbarmen. Aber noch schlimmer waren die Schergen, die Geheimpolizei, die in jedem Winkel des Reiches ihre Spitzel hatte. Also, er würde dieses Schwert jetzt in die Ecke stellen und ein wenig durch die Straßen von Conchar laufen, um wieder einen kühlen Kopf zu bekommen.

Aber das Schwert klebte an seiner Hand. Er betrachtete das bläulich schimmernde Metall und fühlte, wie er eins mit der Waffe wurde. Das Schwert gehörte zu ihm wie das Feuer, das wusste er jetzt. Und er wusste, dass diese Waffe noch nicht fertig war. Es fehlte etwas. Eine Leere, die gefüllt werden wollte. Und letztendlich ist es auch ein Dienst an Branu, oder? Das hat Wallas gesagt! Branu oder Flanakan, Gott oder Herrscher, wem sollte er dienen?

»Dieses Schwert soll mein Schicksal sein, Wallas.« Die Worte kamen ganz alleine aus seinem Mund. Am liebsten hätte Kard sie wieder eingefangen und zurück in den Hals gesteckt. War er denn verrückt geworden?

Der Torak aber schien erleichtert, er atmete tief ein.

»Aber was hat es mit diesem Onchu auf sich?« Wieder schien sich ein Teil seiner Persönlichkeit verselbständigt zu haben. Natürlich war das alles sehr spannend und Kard interessierte es wirklich, wieso man ein Minas-Schwert in Onchu-Urin tauchen sollte. Aber sollte ich nicht lieber in den Himmel schauen und den Wolkentieren lustige Namen geben? Das Schwert könnte man schön an die Wand hängen und morgen würde er wieder ein paar Spitzhacken anfertigen.

Kard kannte die Legenden über die Onchus. Die Götter, die einst das Land erschaffen hatten, die die Elemente ins Leben gerufen und Leben und Tod für alle Lebewesen unter der Sonne verteilt hatten, hatten als Wächter ihrer heiligen Stätten die Onchus zurückgelassen. Magischen Hunde, größer als ein Torak. So sagten die Legenden. Aber mal im Ernst, das sind doch Märchen, oder?

»Klingt komisch, das mit dem Onchu, ich weiß.« Wallas grinste den Jungen an.

»Yo, cool, ein Onchu. Mama hat von ihnen erzählt. Wir sind irgendwie verwandt. Die können auch sprechen. Sogar mit den Göttern, ziemlich abgefahren.« Madad wirkte ein wenig aufgeregt.

»Aber das sind doch nur Legenden, Wallas. Onchus gibt es nicht, das sind Sagengestalten.«

»Da irrst du dich, Kard. Die Onchus existieren. So wie die Götter. Und ich kann dir sagen, wo du einen dieser göttlichen Wesen finden wirst. Madad wird dich begleiten.«

Begleiten? Wohin? Von was redet Wallas da gerade?

»Genau, wir sind nämlich Nachfahren der Onchus. Irgendein Uropa war wohl mal einer von denen. Sagt Mama. Außerdem sind wir die besten Pfadfinder, Spürhunde, Fährtenleser von ganz Haragor. Sagt Mama«, kläffte Madad stolz.

»Kommt mit, ich zeichne euch eine Karte in die Asche. Die müsst ihr euch merken. Und morgen geht es los Richtung Norden. Ihr müsst tief hinein in den Drachenwald.«

Kard stöhnte. Losgehen? Was hat das alles zu bedeuten? Schon morgen? Onchus, Drachenwald, Schergen? Nein, das war nicht seine Welt. Er wollte lieber ein netter kleiner Schmied sein und ein paar Werkzeuge für die Bauern fertigen. Auch mal ein Messer und wenn es sein musste ein Schwert. Aber das alles hier in Conchar. In der Schmiede. Beim Feuer. Nicht irgendwo da draußen. Weit weg von allem, was er kannte und wo er sich sicher fühlte. Es würgte ihn, die Knie zitterten, alles in ihm schrie Nein. Aber ein anderer Teil von ihm verhinderte, dass er laut losheulte und folgte diesem seltsamen Torak zur Asche und staunte, als in dem grauen Mehl eine Karte entstand, mit der er eine Heilige Stätte Branus, dem Schöpfergott, finden sollte. Weit weg, dort draußen im Drachenwald.

Der Junge mit dem Feueramulett

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