Читать книгу Reitschuster und das Phantom - Frank Röllig - Страница 5

Zweites Kapitel

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„Wir werten alles am Montag aus. Ich wünsche euch ein schönes Restwochenende.“ Jeder packte mit an und nach wenigen Minuten konnte die Tankstelle, respektive der Tatort wieder freigegeben werden. Schaller informierte den Eigentümer über den Sachverhalt. Er teilte ihm mit, dass er die Schlüssel im Kommissariat in Krumbach abholen könne.

Das Wochenende verging ohne weitere Zwischenfälle.

Reitschuster und Jasmin sprachen über Gott und die Welt, wie es frisch Verliebte zu tun pflegen. Ab und zu berührten sich ihre Hände wie zufällig. Hier und da ein kurzer Blick in die Augen, ein Lächeln, mehr nicht. Beide spürten, dass sich hier etwas ganz Einzigartiges entwickeln könnte. Sie blieben auf Abstand, wollten nichts überstürzen oder gar zerstören. So wie es war, war es himmlisch!

Reitschuster spürte es tief in seinem Innern. Er war in diesem Moment glücklich, mit sich und der Welt zufrieden. Zur nächtlichen Zeit schlug Reitschuster vor, ins Haus zu gehen. Jasmin stimmte zu. Er schürte den Kamin an. Bald verteilte sich eine wohlige Wärme im ganzen Raum. Später kuschelte sie sich an ihn. Sie unterhielten sich bis spät in die Nacht. Dann küssten sie sich zärtlich. Reitschuster schaute ihr in die smaragdgrünen Augen. Dann streichelte er sie zärtlich und zog sie langsam aus. Sie liebten sich die restliche Nacht, bis sie erschöpft, aber glücklich auf dem Sofa einschliefen.

Am folgenden Sonntag hatte Reitschuster ein üppiges Frühstück angerichtet. Er weckte Jasmin mit romantischer Musik: „That’s amore“ von Dean Martin. Sie schlug die Augen auf. Reitschuster beugte sich über sie und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie schaute ihn an, umarmte ihn zärtlich und gab ihm einen langen Kuss. Nach dem Frühstück liebten sie sich erneut, als wenn es kein Morgen gäbe.

„Bis später mein Schatz“, hauchte er ihr ins Ohr. Dafür erhielt er ein zufriedenes Schnaufen. An diesem Montag fuhr Reitschuster – wie gewohnt – ohne Frühstück ins Präsidium nach Krumbach.

Kann man es jemandem ansehen, dass er frisch verliebt ist? Er hatte keine Ahnung und es war ihm auch egal. Alles war ihm egal: Am liebsten wäre er direkt zu Staatsanwalt Dr. Hieber gelaufen – er vertrat interimsweise Polizeirat Miele, der sich nach einem schweren Sturz vom Fahrrad noch auf Reha befand – und hätte ihn um Urlaub gebeten. Ja, für Reitschuster begann der Frühling dieses Jahr schon im Spätherbst. Pünktlich um

8:00 Uhr betrat er seine Abteilung. Dort wurde er wie immer zuerst von seiner Assistentin Wimmer begrüßt.

„Guten Morgen, Herr Reitschuster. Hatten Sie ein schönes Wochenende?“ Diesmal war er es, der rot anlief. Mit einem Kloß im Hals erwiderte er den wohlgemeinten Gruß: „Hallo Frau Wimmer. Das wünsche ich Ihnen auch. Gibt es schon Kaffee?“

„Freilich, Herr Reitschuster. Wenn Sie möchten, gibt’s auch a Brez’n mit Butter“, strahlte sie ihren Chef an.

„Eine gute Idee, Frau Wimmer. Bis gleich!“ Reitschuster ging in sein Büro. Heute hätte er Bäume ausreißen können. Gegen 8:10 Uhr trat Schaller ein.

„Guten Morgen Frau Wimmer, freue mich, Sie zu sehen. Kaffee mit Zucker und einen Spritzer Milch, bitte!“ Dabei zwinkerte er ihr zu. Sie kannte mittlerweile seine Kaffeegelüste und entgegnete: „Ins Büro vom Chef?“

„Ja bitte, wir werden uns eh etwas einfallen lassen müssen. Denn schließlich gehöre ich nun zum festen Stamm. Erst recht nach dem Herbstsonnenfall.“

Ganz schön selbstbewusst, dieser Jungspund, dachte Frau Wimmer. „Bringe ich Ihnen gleich. Auch eine Butterbrez’n?“

„Nein danke! Die Linie, Sie wissen schon. Weißmehl macht dick.“ Dabei deutete er auf seinen Bauch. Schaller war leger gekleidet, hielt die Günzburger Zeitung unter dem Arm, als er Reitschusters Büro betrat. Jetzt glaubte er, seinen Augen nicht zu trauen. Wo waren da die Tugenden? Angemessene Kleidung, gebührendes Verhalten? Erst recht jetzt, da Schaller sich selbst Mühe gab, ein seriöses Erscheinungsbild zu bieten.

Was er da sah, war ein Vorgesetzter mit Dreitagebart, ohne Krawatte, die Beine lässig über den Schreibtisch gekreuzt. „Hallo Bär! Hattest du ein schönes Wochenende?“, fragte Schaller mit einem breiten Grinsen.

„Nun, sagen wir mal, dass es sehr schön war. Du weißt, ein Kavalier schweigt und genießt“, lachte Reitschuster strahlend. Er sah sein Postfach durch und kontrollierte seinen E-Mail-Eingang. Angestrengt las er alles, dann blickte er zu Schaller hinüber. Dieser quälte sich gerade mit dem Kreuzworträtsel der Günzburger Zeitung. „Alle Achtung!“, meinte Reitschuster, nachdem er Schallers Bericht gelesen hatte. „Das scheint ja dein erster Alleingang zu werden. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Fall. Damals ging es um Viehdiebstahl. Aber einen bewaffneten Raubüberfall … das dauerte dann schon noch ein paar Jahre“, ulkte er.

„Mach dich nur lustig über mich! Schließlich habe ich dir das gesamte Wochenende freigehalten. Das war doch okay oder?“

„Aber klar, das war auch sehr ehrenwert! Ich sehe, dass meine zugegeben manchmal harte Schule Früchte trägt. Aus dir ist ein ganz passabler Kriminalist geworden.“

Schaller war wieder versöhnt und so berichtete er seinem Chef die letzten Neuigkeiten über seinen Fall. Nachdem er seinen Vortrag beendet hatte, meinte Reitschuster: „Das ist eine echt harte Nuss, die wir da zu knacken haben. Hatte diese Tankstelle eine Videoüberwachung?“

„Ja schon, die Aufnahmen starten jedoch normalerweise erst ab Einbruch der Dunkelheit. Sie werden dennoch ausgewertet.“

„Soll ich dir ehrlich etwas sagen?“ Reitschuster sah, dass Schaller ganz Ohr war. „Es mag zwar etwas widersinnig klingen, aber wir haben gar nichts. Bis jetzt sind wir auf eine Wiederholungstat angewiesen.“

„Ja meinst du wirklich?“

Es sollten drei Tage vergehen. Da erhielt Frau Wimmer einen Anruf eines sehr aufgeregten Mannes. „Kripo Krumbach, Sie sprechen mit Frau Wimmer, Grüß Gott!“

„Bitte helfen Sie mir, ich bin überfallen worden. Ich habe einen Zigarrenladen in Günzburg.“

„Alles verstanden, lassen Sie alles so wie es ist. Sind Sie außer Gefahr?“

„Ja, mir geht es soweit ganz gut, glaube ich.“

„Geben Sie mir bitte Ihren Namen, Anschrift und Telefonnummer durch“, sagte Frau Wimmer aufgeregt.

„Mein Name ist Birkner, mein Laden ist am Marktplatz 12. Bitte beeilen Sie sich!“

„Wir tun unser Möglichstes. Begeben Sie sich nicht in Gefahr. Verlassen Sie Ihr Geschäft und suchen Sie die Öffentlichkeit. Meine Kollegen sind in wenigen Minuten bei Ihnen.“

Sie legte auf und alarmierte sofort Reitschuster und Schaller, die gerade im Maximilian, einem Café Bistro im Herzen Günzburgs, eine Pause einlegten.

Es klingelte bei beiden gleichzeitig. Bei Schaller war es Frau Wimmer, bei Reitschuster war es Jasmin. Er grinste Schaller an, der angestrengt dreinschaute. „He Bär, ich möchte dich ja nicht stören, aber es gibt Anzeichen, dass der bewaffnete Räuber erneut zugeschlagen hat.“ Sofort beendete Reitschuster sein Telefonat. „Du wirst es kaum glauben, aber das Verbrechen fand keine 400 Meter von hier statt. Genau am anderen Ende des Marktplatzes gegenüber der Sparkasse“, sprudelte Schaller aufgeregt heraus.

„Dann aber los, Schaller, das wäre doch sehr peinlich, wenn wir als Letzte dort ankämen“, schrie Reitschuster. Er warf der Bedienung einen Zwanziger auf den Tresen. „Stimmt so!“ Diese schaute ihm verwundert hinterher. „Die Adresse hast du?“ Schaller nickte. Beide liefen, was die Lungen hergaben.

30 Meter vor dem Geschäft bremsten sie ab und zogen ihre Waffe, jedoch so unauffällig, dass man nur im Laden sehen konnte, was da vor sich ging. Zunächst schauten sie nach dem Eigentümer. Als er sich zu erkennen gab, sagte Reitschuster: „Herr Birkner, bleiben Sie draußen und suchen Sie meine Kollegen der Schutzpolizei!“

Im Geschäftsraum, der zur Straße lag, war niemand. Jetzt gab Reitschuster Schaller ein Zeichen. Sie deckten sich gegenseitig und durchsuchten Raum für Raum, zuerst im Laden, dann in der angrenzenden Wohnung. Als sich beide sicher waren, dass dort niemand war, steckten sie ihre Waffen zurück in die Holster. Schaller schaute sich um. Alles schien an seinem Platz zu sein. Sie verließen den Laden und gingen zu Birkner, der bereits von den Rettungssanitätern versorgt wurde. Der Notarzt kam zu ihnen. „Wie geht es dem älteren Herrn?“, fragte Reitschuster. „Das wollte ich Ihnen gerade sagen. Der Mann stand kurz vor einem Herzinfarkt. Wir haben ihn stabilisiert und bringen ihn jetzt ins Kreiskrankenhaus Günzburg. Würden Sie bitte seiner Frau Bescheid geben, Herr Kommissar?“

„Ja wir werden Frau Birkner informieren.“ Reitschuster ging wieder zu Schaller. „Hast du mit der Zentrale Kontakt? Ich vermisse Stone und sein SpuSi-Team. Wo steckt der nur wieder?“

Reitschuster konnte ja nicht ahnen, wie recht er mit seiner Äußerung hatte.

Pfeiffer lenkte das Auto der Spurensicherung. In Höhe der Ortschaft Ettenbeuren mussten sie einem Trecker ausweichen, der mit seiner Gabel weit in die Gegenfahrbahn ragte. Durch dieses Ausweichmanöver verlor Pfeiffer die Kontrolle über das Fahrzeug, sie rutschten in einen Acker und steckten fest. Passiert war niemandem etwas, aber sie kamen nicht mehr vom Fleck. „Ja du Sonntagsfahrer, du elendiger.“ Stone machte sich Luft. Es war allerdings nicht klar, wen er denn nun meinte. „Jetzt schau dir den Dreck an!“ Stone war ausgestiegen und versank bis über die Knöchel im Morast. Glücklicherweise hatte er sich vorher die Schuhe ausgezogen. „Jetzt kommt der auch noch zu uns.“ Ein sichtlich aufgeregter Landwirt eilte zu ihnen.

„Ja um Himmels willen. Is eana was passiert?“ Der Bauer hatte einen blutroten Kopf. In seinem tiefschwäbischen Dialekt versuchte er, sich zu entschuldigen. „I hatt die Gabel net nach oba gfahrn. Duat mir leid, entschuldigens vielmals.“ Stone betrachtete den Landwirt in seiner Tracht: Gummistiefel grün, Cordhose dunkelbraun, Janker und Hut. Sagte jedoch nichts. Erst mal nicht!

„He Pfeiffer, bleib im Wagen. Es reicht, wenn einer von uns eine Moorpackung nimmt.“ Dann drehte sich Stone wieder zum Landwirt. „Ihre Entschuldigung in Ehren, aber Sie behindern in diesem Moment die Arbeit der Polizei.“ Er zeigte ihm seinen Dienstausweis. Stone genoss es, den Bauern seine Macht spüren zu lassen. „Jetzt stehen Sie hier nicht so rum wie ein Ölgötze und holen Sie endlich Ihren Traktor, um uns hier herauszuhelfen. Dann werden wir weitersehen!“ In Windeseile holte der Landwirt seinen Trecker, befestigte eine Eisenkette an der Achse und hängte das Auto an. Pfeiffer nahm den Gang heraus und im Nu stand der Wagen wieder am Straßenrand. Nach einer kurzen Besichtigung des Schadens ließ sich Stone die Daten des Landwirts geben. Dann verabschiedete er sich mit einem: „Sie hören von uns.“ Das SpuSi-Team machte sich wieder auf den Weg. Ein verblüffter Landwirt blieb zurück.

„Hallo Bär“, Stone telefonierte. „Hast du uns schon auf die Fahndungsliste gesetzt?“, schmunzelte Stone.

„Nein noch nicht, aber in Sorge war ich dennoch! Ist etwas passiert?“

„Ja, in der Tat. Wir mussten einem Landwirt auf seinem Trecker ausweichen. Ging leider ein wenig in die Hose, na du wirst uns gleich sehen.“

„Habt ihr die Adresse?“

„Ja, haben wir. Schaller hat sie uns bereits mitgeteilt.“ Stone beendete das Gespräch und klickte das Handy wieder in die Freisprecheinrichtung.

Eine Viertelstunde später traf die SpuSi ein.

„Schön, dass ihr es endlich geschafft habt! Euer Einsatzfahrzeug sieht mal echt krass aus. Damit könntet ihr glatt vom Traktorpulling gekommen sein“, lachte Reitschuster schallend und Wallenstein stimmte gleich mit ein.

„Also, was wir bisher wissen, ist, dass der Geschäftsinhaber, Herr Birkner, wahrscheinlich vom selben Mann überfallen wurde wie die Tankstellenmitarbeiterin am Samstag. Befragen konnten wir den Inhaber noch nicht, da er einen Kreislaufzusammenbruch erlitten hat.“

„Das ist nicht viel. Dann schau’n wir mal, ob wir etwas Brauchbares herausfinden werden.“ Er räumte mit seinem Team das Einsatzfahrzeug aus und begann mit der Arbeit.

„Dann verabschieden wir uns. Solltest du …“ Stone unterbrach ihn: „Dann lassen wir von uns hören“, vollendete Stone den Satz. „Ja genau“, grinste Reitschuster.

Schaller wartete einige Meter entfernt: „Ich habe gerade Frau Birkner angerufen und ihr schonend beigebracht, was passiert ist. Sie war gefasst, sagte, dass sie gleich ein paar Sachen für ihren Mann einpackt und zum KKH nach Günzburg fährt.“ Reitschuster nickte: „Gut gemacht!“

In der Zwischenzeit trafen auch Obermayr und Kreuzleitner ein. Nachdem sie alles weiträumig mit Trassierband abgesperrt und die Schaulustigen vertrieben hatten, begrüßten sie ihre Kollegen. „Guten Morgen, Bär, guten Morgen, Schaller! Schon wieder so ein perfider Überfall?“

„Grüß euch“, sagten Reitschuster und Schaller wie aus einem Munde. „Es hat den Anschein, dass sich die Taten ähneln. Befragt die Leute der angrenzenden Geschäfte, ob jemand etwas gesehen hat, halt das Übliche.“ Reitschuster hoffte inständig, dass es diesmal Zeugen gab.

Was für ein Dilemma! Schon der zweite Überfall innerhalb weniger Tage. Was da wohl Staatsanwalt Dr. Hieber davon halten wird? Bloß gut, dass sie als Erste am Tatort waren. Das wäre noch so eine Pleite geworden.

„Komm, Schaller! Wir fahren zum Polizeipräsidium“, sagte Reitschuster ein wenig entmutigt. Sie verabschiedeten sich von der restlichen Mannschaft und fuhren zur Inspektion. Dort wurden sie bereits von Dr. Hieber erwartet.

„Sagen Sie, Herr Reitschuster“, er tänzelte auf und nieder, setzte seine Brille ab und schleuderte sie kunstvoll zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her, „was ist denn das für eine dumme Sache? Da werden Geschäfte am helllichten Tag ausgeraubt, die Menschen darin massiv mit Waffen bedroht. Ich möchte, dass das aufhört. Nicht wahr Herr Reitschuster, Sie kümmern sich darum?“, keifte er den Kriminalhauptkommissar an. Dann setzte er die Brille wieder auf, drehte sich um und war wieder in seinem Büro verschwunden.

„Was soll ich jetzt davon halten?“

Sie schauten sich ratlos an. „Ein wenig Zuspruch wäre auch gut gewesen. Das war einfach nur Dampfablassen“, meinte Reitschuster zu Schaller.

Sie gingen ins Vorzimmer der Abteilung, wo sie Frau Wimmer wie immer freundlich empfing. Es duftete herrlich nach frisch aufgebrühtem Kaffee und ein weiterer Geruch lag in der Luft. „Schauen Sie nur, Herr Reitschuster. Die Maler sind endlich fertig geworden mit dem neuen Besprechungszimmer. Schön, nicht wahr?“ Reitschuster und Schaller staunten nicht schlecht, als sie das neue Zimmer sahen. Alle Dinge, die sich Reitschuster überlegt hatte, waren vom zuständigen Controller des Präsidiums genehmigt worden. So sollte die Arbeit demnächst schneller und effizienter vonstatten gehen.

„Jetzt bräuchten wir nur etwas Greifbares in diesem verflixten Fall. Dann könnte man mit diesem neuen Besprechungszimmer auch etwas anfangen … Der Täter schlägt zu, keine Zeugen, keine Spuren, nichts. Wir müssen an die Öffentlichkeit. Die Flucht nach vorne. Die Ladenbesitzer müssen gewarnt werden. Vier-Augen-Prinzip, Video Überwachung und und und“, sagte Reitschuster zu Schaller ernst.

„Musst du das nicht von Dr. Hieber genehmigen lassen? Wie wäre es denn mit der totalen Überwachung, einer Bestreifung sämtlicher Geschäfte?“, fragte Schaller.

„Wie stellst du dir das vor? Willst du die gesamte Bereitschaftspolizei Augsburgs und Münchens ausrücken lassen? Glaub mir, das würden wir niemals genehmigt bekommen. Außerdem könnte das eine Massenhysterie auslösen. Ich rede gleich mit dem Staatsanwalt, sobald er sich wieder ein wenig beruhigt hat.“

Reitschuster trank seinen Kaffee aus, dann griff er zum Hörer. „Herr Dr. Hieber, ich hätte Sie gerne gesprochen. Ja gut, dann komme ich zu Ihnen. Auf Wiederhören.“ Er legte auf, zog sein Sakko an und ging ins Büro seines Chefs.

„Herr Dr. Hieber, ich kann Ihren Unmut durchaus verstehen. Mir geht es genauso. Wir dürfen nicht warten, bis der Täter das nächste Mal zuschlägt. Was würden Sie davon halten, wenn wir an die Öffentlichkeit gingen?“ Staatsanwalt Dr. Hieber runzelte die Stirn, setzte seine Brille ab und begann, an einem Ende der Bügel zu kauen.

„Sie haben recht, wir sollten den Täter aufscheuchen, verunsichern. Ich kümmere mich um einen Termin für die Pressekonferenz. Eine gute Idee, darauf hätte ich auch selber kommen können.“ Hieber war plötzlich voller Eifer.

„Dann sag ich danke, Herr Staatsanwalt.“

„Schon gut, schon gut. Auf Wiedersehen, Herr Reitschuster, und nehmen Sie das von vorhin nicht persönlich.“

Erleichtert verließ Reitschuster das Büro und ging zu seiner Abteilung zurück. Jetzt konnte er endlich das neue Konferenzzimmer näher in Augenschein nehmen.

„Die Zeiten des Flip-Boards sind nun endgültig vorbei“, sagte er zu den anderen.

Er staunte nicht schlecht über das neue Interieur. Alles war in gedeckten Farbtönen gehalten. Das Prunkstück war jedoch der riesige Flat-Screen-Bildschirm mit einer Bilddiagonalen von 60 Zoll. Da würde selbst Stone staunen, der bekanntlich ein Technikfreak war. Reitschuster glaubte zwar nicht daran, dass sie hier jemals ein Fußballspiel ansehen würden, aber man konnte ja nie wissen. Vielleicht mal ein Spiel vom

FC Augsburg, falls der um die Meisterschaft spielen würde.

Alle Mitarbeiter hatten nun die Möglichkeit, ihre Fakten zu sammeln und ins interne Netz zu stellen. Freilich sollte jeder noch eine Einweisung bekommen, aber ausprobieren konnte man das System schon mal. Reitschuster stellte den Bildschirm an. Nun zappte er sich mit der Fernbedienung durch die einzelnen Menüs.

„Das geht ja schon richtig fix bei dir.“ Schaller schaute ebenfalls vorbei. Reitschuster fühlte sich ertappt, da er ein Meister der Improvisation war, konnte er auch hier glänzen.

„Hättest du wohl nicht für möglich gehalten? Und Schaller, was gibt es Neues in diesem rätselhaften Fall?“ Schaller ließ das neue Interieur auf sich wirken.

„Wir haben die Geschäfte der Umgebung abgeklappert, es war leider nichts Brauchbares dabei. Es bleibt bei den Aussagen der Opfer: 180–185 Zentimeter groß, braune Augen, kein Akzent und sehr dunkle Stimme.“

Er ließ sich auf einen der neuen Sessel sinken. „Die sind ja richtig bequem.“

„Ja schon“, sagte Reitschuster ein wenig genervt, weil nichts voranging. „Wenn wir jetzt nicht bald was zustande bringen, wird uns das Landeskriminalamt sehr bald im Nacken sitzen. Die werden uns dann den Fall wegnehmen. Dann machen die sich hier breit, auf den schönen Sesseln: Sonderkommission ‚Phantom‘ oder so ähnlich.“ Reitschuster klang angefressen. „Wir haben nichts, aber auch gar nichts Verwertbares!“

Er griff sich das Telefon, wählte die Nummer des kriminaltechnischen Dienstes. „Hallo Pfeiffer! Hat die Auswertung der Videos etwas ergeben? Ja, okay, wir schauen sie an.“ Reitschuster legte auf. Dann schaltete er das neue Equipment an. Die beiden Ermittler vertieften sich in die neue Technik. „Hier kannst du einen Button drücken und mit anderen während der Arbeit Kontakt aufnehmen, wenn sie es wollen, können sie deinen Ruf akzeptieren. Ihr könnt euch sogar sehen und miteinander sprechen.“ Reitschuster hörte gebannt zu.

„Das bedeutet, wir können mit anderen Präsidien eine Bildkonferenz abhalten?“ Schaller nickte. Reitschuster fuhr fort. „Das würde eine sehr hohe Ersparnis für unseren Etat bedeuten. Das heißt mehr Geld für unsere Belange.“

„Pfeiffer sendet uns die Aufnahmen auf den großen Bildschirm.“

Da sich nach gefühlten zehn Minuten immer noch nichts tat und sie auf einen schwarzen Schirm starren, holte Reitschuster genervt die Fernbedienung, drückte auf den Tasten herum.

Nach kurzem Suchen in den Menüs sahen die beiden plötzlich ein Bild. „Schau, Bär! Das ist die Tankstelle in Offingen. Der Typ wusste ganz genau, in welcher Ecke die Kamera angebracht war. Er ist nie ganz zu sehen.“ Schaller zeigte auf den Bildschirm.

„Jetzt legt er mit der Pumpgun an.“ Man sah, wie der Lauf der Waffe nach oben gezogen wurde. Wie das Gewehr fertiggeladen wurde.

„Da wäre mir auch die Muffe eins zu tausend gegangen, das kannst du mir glauben.“

„Hast du die SpuSi nach älteren Aufnahmen der Tankstelle gefragt? Schaller wackelte mit seinem Kopf. „Dann wird es Zeit, verdammt! Du solltest dein Versäumnis schnellstens nachholen! Vielleicht ist der Verdächtige mal dort gewesen. Hat sich auffällig umgesehen, weil er die Kameras ausspioniert hat“, meinte Reitschuster nachdenklich. Pfeiffer soll auch gleich beim Zigarrengeschäft nach älteren Aufnahmen nachfragen. Bei der Gelegenheit kannst du dich auch gleich nach Herrn Birkners Befinden erkundigen. Den müssen wir noch befragen.“ Frau Wimmer betrat in diesem Moment das Konferenzzimmer: „Grüß Gott, die Herrn. Möchten Sie Kaffee und etwas Gebäck? Da lässt es sich doch gleich viel besser nachdenken. Finden Sie nicht?“

Schaller stand auf. „Für mich nicht. Ich muss noch in die Abteilung Fingerspuren, Blutspritzer und Haaranalyse.“ Reitschuster grinste verschmitzt: „Für mich gerne, Frau Wimmer.“ Sie verließ das Zimmer, um den Kaffee und das Gebäck zu holen.

„He Schaller, warte mal. Die Infos kannst du später einholen.“ Dann sagte er verschwörerisch: „Wann hat Frau Wimmer nochmal Geburtstag?“ Schaller schaute kurz auf sein Smartphone, sagte dann erstaunt: „Heute! Sie ist am 04.11.1980 geboren. Manchmal überraschst du einen schon, mit deinem Gedächtnis für Zahlen“, sagte Schaller nicht ohne Anerkennung. Reitschuster zog sein iPhone aus der Hosentasche. Sogleich bestellte er Blumen.

Reitschuster und das Phantom

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