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1 Dolle Minnas

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Selbstverständlich steht die Kirche, wie zur Zeit meiner Einschulung Anfang der sechziger Jahre, mitten im Dorf, die alte Schule hundert Meter davon entfernt und dazwischen das Gemeindehaus. Schlüsselfiguren des damaligen öffentlichen Lebens residierten im damals imposantesten Backsteinbau des Orts, mit Zentral Entree und, was mich ganz besonders beeindruckte, sogar elektrischem Türöffner. Der Respekt einflößende Summton verströmte eine Mischung aus Fernüberwachung und Hochtechnologie. Allein die Seltenheit der Annäherung an dieses herausragende Gebäude unterstrich jedes Mal einen wichtigen Grund, auf den Klingeltasten seinen Daumenabdruck zu hinterlassen. Links drückte man, wenn man sich beim Dorfpolizisten Mansel für einen ertappten Erdbeerklau auf offenem Feld rechtfertigen musste und zur standrechtlichen Verurteilung ohne Tribunal herbeizitiert worden war. Rechts stand: „Fräulein Louise Jansen und Frau Hannelore Körfer“. Die beiden Lehrerinnen hatten offensichtlich einen unterschiedlichen zivilen Status, wie die Klingelschildaufschrift unterstrich. Aus heutiger Sicht würde ich unterstellen, dass die erstere, meine Grundschullehrerin, noch im jungfräulichen Besitz des Namens ihrer Eltern aus Harzelt ihre Ehelosigkeit dokumentierte und die Zweite eher schon einmal an den Freuden der Namensübernahme eines geehelichten Herrn Körbers genascht hatte. Aus besonderem Grund bekam man Audienz gewährt und durfte sein Anliegen zwischen gereichten Keksen und Obst knapp darlegen. Im Wohnzimmer herrschte eine mädchenhafte Ordnung, die von einem frisches Duftgemisch aus geschälten Orangen, heißem Lindenblütentee und fast verflogenem 4711 Kölnisch Wasser überlagert wurde. Wenn die eingesammelten Kakaogeldzahlungen, Buchbestellungen oder Ausflugsgelder abgerechnet, von Fräulein Jansen überprüft und abgeheftet waren, sprach man noch kurz über die Großeltern in der Gaterstraße und Tante Seefke, die sie häufig zur intellektuellen Erquickung aufsuchte, bis man mit ihrem flinken Blick über die wartenden Korrekturhefte von ihrer liebevollen, kratzigen Stimme verabschiedet wurde. Frau Körfer geleitete mich dann zum Portal, das hinter mir automatisch in das stabile Wilka Schloss fiel und das Geheimnis des Privatlebens dieser beiden, aus dem Rahmen der christlich katholischen Familiendoktrin herausfallenden Frauen, durch einen festen Rums unergründlich hinter mir verschloss.

Die „Dolle Minnas“ in Amsterdam kamen erst gut zehn Jahre später in die Medien. Alice Schwarzer hatte auch noch niemand gelesen, weil sie ihre Bücher erst noch verfassen sollte, aber dennoch halte ich es für wahrscheinlich, dass sich ein Band von Simone de Beauvoir, „Das andere Geschlecht“ oder „Memoiren einer Tochter aus gutem Hause“, in den Bücherregalen der zweiten Birgdener Frauen WG eingenistet hatten. Die erste, mir bekannte Frauenwohngemeinschaft, lebten meine beiden Großtanten, Seefke und Trautche, die in ihren dunklen Rentnerstuben so manchen Faden ihrer sozialpolitischen Errungenschaften während ihrer aktiven Zeit in der Verwaltung der Seidenweberei Schniewind nochmals verspannen. Die beiden WGs kommunizierten, wie bereits oben angedeutet, regelmäßig und intensiv miteinander. Man könnte auch von einem „ think tank“ oder einer Kongregation von „spin doctors“ der Gaterstraße sprechen.



Memoiren eines Pennälers

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