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18.07.2010 Stuttgart – Hessigheim

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36 km / 8 Std.

6 Schleusen: Hofen, Aldingen, Poppenweiler, Marbach, Pleidelsheim, Hessigheim

Stuttgart – S-Hofen (Schleuse) – S-Mühlhausen Aldingen (Schleuse) – Zufluss Rems – Neckargröningen Hochberg – Poppenweiler (Schleuse) – Ludwigsburg Marbach (Schleuse) – Zufluss Murr – Autobahn A81 Mundelsheim – Hessigheim

Umtragen sagt man im Rudersport, wenn ein Boot um die Schleusenkammer herum auf die andere Seite gebracht wird. Das kann auf drei Arten erfolgen:

Erstens: Man trägt das Boot tatsächlich mit den Händen auf die andere Seite. Zweitens: Man benutzt dazu einen eigenen Bootswagen. Drittens: Es gibt an der Schleuse eine Bootsschleppe. Das ist eine Anlegestelle mit Wagen für kleinere Boote an den Staustufen.

Die Bootsschleppe ist gleichzeitig die Ausstiegsstelle für Boote, wenn man nicht mitschleusen will. Der Wagen wird oft auch Rollwagen genannt. Seine Räder stehen auf Schienen im Wasser, so dass das Boot auf das Gestell gezogen und befestigt werden kann. Er ist aus Eisen und damit entsprechend schwer und unhandlich. Dann muss dieser Wagen mit einer Kette oder einem dicken Seil gezogen werden. Je nachdem wie schwer das Boot und wie weit der Rollweg ist, braucht der Ruderer dazu ganz schön Kraft. Vor allem, wenn er alleine ist.

In Aldingen benutze ich zum ersten Mal den Rollwagen alleine.

Von einem Ehepaar aus dem Ruderclub werde ich nach der Schleuse Aldingen fotografiert. Das ist für mich der letzte Gruß meines Ruderclubs, und ich freue mich sehr, dass ich jetzt unterwegs bin.

Nach dem Zufluss der Rems bin ich versucht, rechts hinter die kleine Insel zu fahren und beim WSV Schifferclub Neckarrems Rast zu machen. Hier bin ich letztes Jahr am 1. Mai kaum noch aus dem Boot rausgekommen. Wir ruderten da bis zur Poppenweiler Schleuse und dann hierher. Das war für mich das erste Mal, zwanzig Kilometer am Stück zu rudern. Mein Po tat entsetzlich weh und die Beine zitterten, als ich aus dem Boot stieg.

Aber bei dieser Ausfahrt entstand meine Liebe zum Wanderrudern. Mir gefällt dabei die Mischung von Jung und Alt, von Rennruderern und Freizeitruderern, die es möglich macht, unterschiedliche Menschen näher kennen zu lernen.

Kurz danach rauscht die Weiße Flotte mit Vollgas vorbei. Durch die sich bildenden Wellen werde ich fast an Land gespült.

Und schon ist es Mittag. Ich mache an der Poppenweiler Schleuse Pause. Ein mit mir herangefahrenes motorisiertes Schlauchboot benutzt den Rollwagen, solange ich mein Brot esse und kräftig trinke. Es ist sehr warm.

Bei Ludwigsburg sehe ich mich, wie ich als Junge während eines Besuches im Schloss bei den Wasserspielen im Garten weghüpfte, um nicht nass zu werden. Das Residenzschloss Ludwigsburg ist eines der größten Barockschlösser Deutschlands.

In Marbach denke ich an Schillers Geburtshaus, das jetzt als Museum eingerichtet ist. Der Rollwagen hat hier an Stelle des Seiles eine Kette zum Ziehen. Meine Hände schmerzen sehr, als ich das Boot auf die andere Seite der Schleuse ziehe.

Vor der Autobahnbrücke der A81 Stuttgart-Heilbronn, bei Wasser-Km 152,2, werde ich zum ersten Mal mit Spundwänden konfrontiert. Wieder rauscht ein Schiff der Weißen Flotte in einer leichten Kurve ohne abzubremsen vorbei und bringt das Wasser zum Schwappen. Wie in der Badewanne schaukele ich fast zwei Kilometer, bis sich die Oberfläche wieder beruhigt. Du kannst nicht richtig ziehen bei diesem hin und her schwappenden Wasser. Und du kommst auch nicht richtig vorwärts.

Einige Kilometer später, kurz vor der Schleuse Pleidelsheim werde ich plötzlich vom Ufer aus angesprochen: »Hallo!«

Ich drehe mich auf die Seite zum Ufer und sehe da mein Patenkind Judith grinsend mit Mann und wenige Wochen altem Baby im Kinderwagen stehen. Martin mit der laufenden Kamera im Anschlag.

»Da seid ihr!«, rufe ich und freue mich riesig.

Martin ruft: »Tag, Fritz!«

»Was macht ihr hier?«, frage ich, denn sie wollten mir an der Neckarbrücke zuwinken.

»Wir waren erst um Viertel nach eins an der Neckarbrücke.«

»Da war ich schon weg.«

»Das dachten wir uns. Dann sind wir nach Marbach gefahren. Aber da bist du auch schon durch gewesen.«

»War wohl so.«

»Deshalb sind wir weiter nach Ingersheim gefahren.«

»Ich habe in Poppenweiler Mittagspause gemacht.«

»Warst du am Bootsanlegesteg?«

»Nein, vor der Schleuse.«

»Wir warteten nach der Schleuse Poppenweiler«, sagt Judith.

»Und da hätten wir dann wohl bleiben sollen«, sagt Martin. »Wie geht’s dir?«

»Mir geht’s gut.«

»Ist das Wetter optimal?«

»Ist gut. Es lief auch gut. Ich habe jetzt achtundzwanzig Kilometer hinter mir.«

»Cool!«, ruft Judith begeistert.

»Gerade ist ein Schiff vorbeigefahren. Da dachten wir auch an dich und überlegten, ob wir dich wohl noch treffen«, erzählt Martin.

»Der hat vielleicht Wellen gemacht. Zwei Kilometer lang und in der Kurve richtig hoch. Der ist richtig unverschämt gefahren. – Schön, dass ihr doch noch gekommen seid!«

»Na eben«, sagt Martin. »Gut schaust du aus. Konntest du alles verstauen?«

»Ja«, sage ich lachend. »Das Boot hat große Luken zum Beladen.«

»Ist dein Tagesziel noch weit?«

»Nein, Schreyerhof.«

Lachend meint Judith: »Da waren wir heute auch schon. Wir haben alles abgefahren und geschaut, wo du bist.«

»Kennst du den Schreyerhof?«, fragt Martin.

»Nee, war noch nicht da.«

»Da musst du noch eine ganz schöne Strecke den Berg hochmarschieren.«

Judith strahlt mich an: »Du bist echt der Hammer!«

Martin: »Und das Boot steht schön im Gleichgewicht. Passt alles.«

»Stimmt. Das Boot läuft gut und mir geht es gut.«

»Ich hatte keine Hoffnung mehr, dass wir dich sehen. Aber Martin wollte unbedingt hier noch warten«, erzählt Judith.

»Und damit hatte ich doch Recht, wie du siehst. Wie lange brauchst du zum Schreyerhof?«

»Eine Stunde schätze ich.«

»Fritz und seine Schwalbe!«, ruft Martin lachend.

»Ja, meine Schwalbe«, erwidere ich fröhlich.

»Das war dein Starttag. Ziel ist wann und wo anzukommen?«

»Ziel ist in Berlin anzukommen. Wenn’s geht in drei Wochen oder auch vier Wochen. Muss aber nicht sein.«

»Okay. Der Weg ist die Reise. Tschau, tschau!«

Judith ruft: »Gute Fahrt und Gott befohlen!«

Martin filmt weiter, bis ich bei Pleidelsheim an der Bootsschleppe den Wagen hole.

Bei Hessigheim lege ich das Boot zur Nacht im Schleusenbereich an der Bootsschleppe auf Land, packe einen Sack mit Wertsachen und Papieren und einen mit Klamotten und Kulturbeutel. Dann marschiere ich zu Fuß fast zwei Kilometer zum Landgasthaus Schreyerhof in Hessigheim hoch. Im Hotelzimmer schaue ich meine aufgescheuerten Füße bedenklich an. Beim Rausziehen des Rollwagens muss ich jeweils ins Wasser rein und danach mit aller Kraft den Wagen samt Boot erst auf glitschigem Grund im Wasser und dann über Land ziehen. Ebenso muss ich mich auf der anderen Seite mit aller Kraft dagegenstemmen, damit mir der Wagen beim Reinlassen ins Wasser nicht abtaucht. Beides führt dazu, dass die Nähte der Wasserschuhe sich in die aufgeweichte Haut einkerben, bis die Füße bluten.

Wieso eigentlich sind diese Rollwagen heute noch aus Eisen? Ungeheuer schwer, als ob sie Tonnen tragen müssten statt nur ein Boot. Du musst ins Wasser, um das Boot auf dem Wagen zu fixieren bzw. um es wieder vom Wagen runter zu bekommen. Da muss es doch heute technisch andere Möglichkeiten geben. Denkt denn an uns Ruderer keiner? Oder kümmern wir uns selbst nicht genug um solche Dinge?

Ich esse gut und kräftig zu Abend und mache Bilder von der Umgebung. Dann notiere ich, was mir heute wichtig ist, und simse zum ersten Mal, wie ausgemacht, mit Heidi für den Ruderverein und mit meiner Assistentin für die Firma. Ich gebe an, wo ich gerade bin, wie es am Tag lief, wie lange ich unterwegs war und wie viel Kilometer ich gerudert bin. Dann rufe ich Michaela an und erzähle ihr, wie der Tag gelaufen ist.

Danach lege ich mich sehr zufrieden hin und versuche zu schlafen.

Auf nach Berlin!

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