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Zwölf

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Was Max’ Kollegen zu berichten hatten, war genauso unerfreulich. Am Tatort nur Spuren, die von jedem stammen konnten. Einfach nichts Besonderes, Fassbares, Eindeutiges, nichts von dem sie hätten sagen können, das gehört nicht hier her, könnte vom Täter stammen.

Tief frustriert war Max am späten Nachmittag auf der Suche nach Zerstreuung, dachte an seine Pillen, sagte sich jedoch, ein halbblinder Kommissar ist eine Unmöglichkeit, wenn er auch noch drogenabhängig ist, taugt er nur noch für zweitklassige Fernsehkrimis, wo die unglaubwürdige Macke zum Qualitätsmerkmal stilisiert wird.

Sei also vernünftig und verstecke deine Gedanken an Moni irgendwo ganz hinten im Kopf, irgendwo unauffindbar in einem abgelegenen Hirnwinkel.

Für Gisbert in seiner Kneipe war es noch zu früh und zu Hause würde er grübeln und brüten, also machte er sich auf die Suche nach dem neuen Antiquariat, von dem ihm Frauke Fraukensteg erzählt hatte.

Das Antiquariat von Bernhard Schwarz lag in einem Eckgebäude am Marktplatz im Schatten des Domes, wenn die Sonne jemals im Norden stünde. Kein Wunder, dass Buchgeschäfte eine Vorliebe für Straßenecken hatten, denn Bernhards Geschäft lief großartig. Ganz gegen die Absicht seines Besitzers. Das Schaufenster war von unscheinbarer Größe; kleine Spiegel brachten Leben in die Auslage, die aussah, als habe der sprichwörtliche Elefant sich im Laden geirrt. Auf einem Buchhaufen lag ein fetter schwarzer Lederband. Auf dem Buchrücken glühten goldene Buchstaben: „Max Berger, Gesammelte Gedichte“. Max rieb sich die verlogenen Augen und las: „Max Heger, Gesummte Geschichten“. Nach dem zweiten herzhaften Reiben hatte sich der Titel noch immer nicht verändert: „Gesummte Geschichten“. An den Rand eines kunterbunten Suhrkampberges schmiegte sich ein zartes Rilkebändchen und auf einem kippeligen Stapel thronten Rühmkorfs Gedichte.

Bücher, Bücher! Einstweilen waren sie gebannt, die blöden Gedanken ans Wüten der Mörder hier und der Massenmörder da unten bei seiner Schwester. Ein forscher Druck auf die Klinke und Max stand still und starr auf der Schwelle. Ein schriller Schrei erscholl aus der Tiefe des Raumes, ein Todesschrei. Ein Kunde stürmte auf ihn zu schubste ihn beiseite, ohne Entschuldigungsformel, ein rabiater Rohling, der aus dem Buchladen hastete wie auf der Flucht.

Der Laden hielt, was das Fenster versprochen hatte: Kunterbuntheit. Kindliches Drunter und Drüber.

Jenseits einiger Bücherhügel stand ein Schreibtisch, über dem ein strähniger Mopp in blauem Rauch schwebte. Der Mopp wurde lebendig, erhob sich kurz, bekam Augen und sackte gleich wieder in seine haarige Position zurück. Zu ruck zuck kam das Zurücksacken für das kalkige Gesicht, so dass es für ein Momentchen noch im Qualm hängen blieb, sich dann aber auflöste und dicht über dem Buch wieder materialisierte.

Länger als eine Sekunde würde Bernhard Schwarz auch nicht aufblicken, wenn sein Laden in Flammen stünde. Wozu hatte er einen Buchladen? Um zu lesen. Nicht um Feuerwehrmann zu spielen. „Männi“, hätte er gerufen, „Männi, mach das Feuer aus, irritiert mich beim Lesen.“

Wenn im Fenster sieben Bücherkisten ausgekippt worden waren, dachte Max, dann hatten hier sieben Lastwagen ihre Bücherfuhren von der Ladefläche rutschen lassen. Hier konnte seine Freude am Finden und Entdecken sich austoben.

Bücher über Bücher, was sonst? Max stand schließlich in einem Eckbuchladen. Anders als bei ihm zu Hause, wo die Bücher geordnet in Regalen standen, häuften sich die Werke nicht nur auf Tischen, sondern ganz dem Prinzip Zufall verpflichtet, wuchsen Bücherhaufen aus dem Boden, versperrten Durchgänge zwischen Tischen, auf denen weitere Stapel immerfort nach dem Pisa-Prinzip umkippten.

Der Mopp las und rauchte, rauchte und las, wenn er nicht seinen beiden anderen Lieblingsbeschäftigungen nachging: Trinken und Menschen beschimpfen, von denen er so viel hielt wie Schopenhauer, nein, eigentlich hundertmal weniger. Wann immer Bernhard eine Gelegenheit fand und er war findig darin, zeigte er ihnen seine Geringschätzung. Bernhards Einteilung war simpel: Es gab entsetzliche Menschen und abschaffungswürdige und in eine der beiden Kategorien fielen alle seine Kunden, a priori.

Max griff in schneller Folge zu und fand auf dem ersten Tisch Kochbücher, Krimis, Potter, Grass, „Das Prinzip Hoffnung“ und „Sex and the City“. Was er nicht finden konnte, war ein Ordnungsprinzip. Er klappte eine Schwarte auf und las: „Ein junger Mann“, sagte König, als er mit Margot um die Ecke bog, „verlor einen diamantbesetzten Manschettenknopf auf dem blauen Ozean und zwanzig Jahre später, am gleichen Tag, offenbar ein Freitag, da speiste er einen großen Fisch, aber es fand sich kein Manschettenknopf darin. Das liebe ich an Zufällen.“ Max kannte den Roman von Vivian Darkbloom und war glücklich, zufällig diese Stelle aufgeschlagen zu haben. Max legte das Buch zurück. Der Stapel polterte auf die Dielen.

Der Mopp blätterte eine Seite um und tippte Zigarettenasche auf den Boden und sagt, ohne aufzusehen: „Wieder aufbauen!“

Keine augenfällige Ordnung auf einem zweiten, keine auf einem dritten Tisch. Max jubelte, hier herrschte das Prinzip „Überraschung“. Er stolzierte zum umgepolterten Stapel zurück und hob das schuldige Buch vom Boden, schlug die Stelle mit dem Manschettenknopf wieder auf, ging zum Schreibtisch, nahm einen Zettel und schrieb die kleine Geschichte auf. Dann nahm er eine Heftzwecke und zweckte den Zettel an ein Regal.

„Lassen Sie das! Nicht einmal Männi darf das. Nehmen Sie ihn ab, bringen Sie ihn her.“

Schwarz las den Zettel, nickte, hielt ihn Max hin und wuschelte mit geübten Fingern durch seine dunklen Moppsträhnen.

„Hängen Sie ihn wieder auf. Los, machen Sie schon, Sie halten mich auf.“ Er lag schon wieder über seinem Buch.

Tief im Laden, am Kopfende des L-förmigen Raumes, schräg hinter dem lesenden Mopp, stand eine Tür auf, aus der vermutlich der Todesschrei der Schelle gekommen war. Max spähte hinein und erschrak beim Anblick.

„Keinen Schritt weiter, oder ich werfe“.

Max blickte sich um, Bernhard Schwarz hielt ein Brikett von einem Buch zum Wurf bereit, während er weiterhin über seinem Schmöker hing.

Im abknickenden L-Teil des Ladens waren die Regale säuberlich rubriziert. Erstaunlich! Zettel waren mit Heftzwecken an den Regalbrettern befestigt. Max trat an das Regal mit der Rubrik „Gedichte“ und las einen Zettel. „Ich mißtraue allen Systematikern und gehe ihnen aus dem Weg. Der Wille zum System ist ein Mangel an Rechtschaffenheit“.

Was es im Regal nicht gab, waren Gedichte. Nicht ganz. Eine in Leder gebundene Ausgabe von Settembrinis „Blasse Brisen der Heiterkeit“ schmeichelte der Hand.

Mit seinem Fund trat Max vor den Schreibtisch des unter seinen Haaren Verborgenen.

„Was wollen Sie?“ Verdutzt schaute Max in das blasse Gesicht, umrahmt von struppiger Widerspenstigkeit. „Was wollen Sie hier, haben Sie nichts zu tun? Ein arbeitsloser Rumhänger?“ „Da drüben bei den Gedichten, da gibt es keine Gedichte“, sagte Max. „Clever, nicht wahr?“, sagte Bernhard, „hier wird nichts verraten.“ „Aber Sie haben doch eine Lyrikabteilung?“, fragte Max. Bernhard blickte auf und fragte: „Sind Sie eine Schwuchtel oder was?“ „Wie bitte?“ „Hören kann er auch nicht! Männi, hier ist eine schwerhörige Schwuchtel, zeig ihm die Lyrikabteilung!“ „Moment mal“, sagte Max, „warum zeigen Sie mir die Lyrik nicht selbst?“ „Kunden, Kunden machen mich krank, todkrank.“ Er drehte sich zur Tür und rief: „Männiiii, meine Medizin, schon wieder ein Kunde, Männiiii!“ „Gehört der Laden Ihnen?“ „Rufen Sie die Auskunft an!“ „Warum haben Sie einen Buchladen, wenn Sie keine Kunden wollen?“ „Man kann Sie mit den Büchern bewerfen!“ Und schon purzelte ein Buch durch die Luft, das Max auffing: „Ein großer Wurf!“ „Ja! Ja! Behalten Sie es. Da haben Sie Ihr Buch, jetzt gehen Sie schon, verschwinden Sie!“ „Wollen Sie nichts dafür?“ „Hier nehmen Sie auch das, und das und das!“ Max kam mit dem Fangen und Stapeln der Bücher kaum nach und verließ den Laden mit einem Dutzend Büchern, Lyrik war auch darunter. Als er in der Nacht wach wurde, wusste er lange nicht, ob der wilde Bücherstrubbel nur eine Erfindung seines herumalbernden Hirns war, doch freute er sich schon auf den nächsten Besuch bei Bernhard Schwarz.

Curry, Senf und Ketchup

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