Читать книгу Die Hofnarren der Republik - Fritz Rabensteiner - Страница 3

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Ein Herz für Kinder

Ich setze voraus, dass die Flüchtlingskatastrophe auf der griechischen Insel Lesbos allgemein bekannt ist. Falls nicht, nachstehend ein Bericht des Nachrichtenportals ZackZack. Berichte über Kinder, die im Schlamm leben müssen und von Ratten gebissen werden, haben eine große Solidaritätswelle in Österreich ausgelöst. Sowohl prominente Personen aus Medien, Politik und Kultur als auch einfache Bürger, so etwa beim Lichtermeer für Moria, drückten bereits ihr Mitgefühl aus und fordern die Regierung zum Handeln auf. Jetzt hat sich mit dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Erzbischof Franz Lackner, auch die Kirche zu Wort gemeldet. Man gebe zu, dass das Thema von der Kirche „bald einmal abgehakt wurde“. Angesichts der dramatischen Bilder aus dem Moria-Ersatzlager Kara Tepe, könne man nun aber nicht weiter zuschauen: „Eine humane Katastrophe bahnt sich dort kurz vor Weihnachten an“, so Lackner. Noch schärfere Worte fand zuvor Volkshilfe-Präsident Sacher, der die Regierung zum Handeln aufforderte. Die Umstände auf den Inseln bezeichnete er als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. An Bundeskanzler Kurz appellierte er, „seine Haltung zu ändern, Menschlichkeit zu zeigen und den verzweifelten Menschen in Griechenland zu helfen.“ Die Zustände in den Lagern seien „unerträglich“. „Welche hässlichen Bilder über die menschenunwürdigen Zustände in den Lagern müssen uns denn noch erreichen, wie viele Meldungen von vergewaltigten Dreijährigen braucht es denn noch, bis die österreichische Bundesregierung endlich handelt?“, fragte er in einer Aussendung. Zuletzt waren aber auch innerhalb der eigenen Partei Stimmen laut geworden, dass man die Kinder aus Lesbos nicht im Dreck verkommen lassen dürfe. So bildete sich derzeit vor allem in Tiroler ÖVP-Kreisen erheblicher Widerstand gegen die Linie der Bundespartei. Die VP-Landesrätin Beate Palfrader etwa erinnerte an die „christlich soziale Verpflichtung“, hier jetzt sofort zu helfen. Unterstützung erfuhr sie dabei von mehreren ÖVP-Bürgermeistern, auch die Tiroler Grünen forderten einen „Akt der Menschlichkeit“. Österreich beteiligte sich wie 14 weitere EU-Staaten aber weiterhin nicht an der Aktion. Während auch immer mehr Grüne auf Bundesebene für eine Aufnahme Geflüchteter plädierten, lehnte das die ÖVP weiter strikt ab. Man wolle weiter auf Hilfe vor Ort setzen.

Kogler: „Wir miassn ein paar Kinder aus Griechenland holen. Dringend.“

Schallenberg: „Ich hab auch Kinder. Es ist wirklich ein Elend, das bricht mir das Herz. Wenn ich diese Bilder sehe, könnte ich weinen. Es ist eine Schande, einfach nur furchtbar.“

Kogler: „Eben. Es ist ein Gebot der Menschlichkeit. Wir miassn was tun. Jetzt.“

Kurz: „Wir tun ja was.“

Kogler: „Was denn?“

Schallenberg: „Wir organisieren eine Kindertagesbetreuung in Kara Tepe. Schließlich sind wir eine christlich-soziale Bewegung. Da schau, unsere Parteistatuten. NÄCHSTENLIEBE. Großgeschrieben. Viele Länder finden unser karitatives Engagement mittlerweile übertrieben.“

Kogler: „Die Kinder brauchen kane Matchbox-Autos, sondern a menschenwürdige Unterkunft. Heizung, fließendes Wasser, oba net von den Wänden, Toiletten, Hygiene und medizinische Versorgung.“

Kurz: „Dass du immer so übertreiben musst. Der Nehammer hat persönlich Zelte nach Griechenland gebracht. 1a Qualität. Da gibt es schöne Fotos davon.“

Kogler: „Die Fotos kannst dir einrexen. Und die Griechen tun nix. Die Milliarden von der EU san irgendwo versickert. Sehts ihr net, wie elendiglich die dort hausen? Die Zelte san a schlechter Witz. Im Winter geht des schon gor net. Des kann ma do net zulassen. Seids doch a bissl menschlich. 50 Kinder.“

Schallenberg: „Es sind schreckliche Bilder, aber nein.“

Kogler: „25?“

Kurz: „Nein.“

Kogler: „Warum net?“

Kurz: „Pull-Faktor. Das muss ich dir doch nicht extra erklären. Wenn wir Flüchtlinge aufnehmen, dann kommen sofort neue nach. Und die flüchten doch nicht vor einem Krieg. Das sind durchwegs Wirtschaftsflüchtlinge. Es ist nicht unsere Schuld, dass in Afghanistan kein Mindestlohn bezahlt wird.“

Schallenberg: „Der Orbán sagt das auch. Der lässt euch übrigens schön grüßen.“

Kogler: „Des is doch a Holler. 10 Kinder?“

Kurz: „Nein. Oder hast du dafür eine parlamentarische Mehrheit?“

Kogler: „Na, aber die Bevölkerung warat sicher dafür.“

Schallenberg: „Ganz bestimmt nicht.“

Kogler: „Sagt wer?“

Kurz: „Ich weiß, was das Volk will. Und es sagt nein.“

Kogler: „Ich bitte dich, ein Kind. Ein einziges Kind. Als menschliche Geste. Als Zeichen des guten Willens.“

Kurz: „Auch kein halbes Kind. Wir kennen doch die Mentalität dieser Leute. Erst zünden sie ihr Lager an und dann jammern sie. Nichts ist gut genug. Und mit der Reinlichkeit ist es bei denen bekanntlich auch nicht weit her. Die haben sich in Afghanistan sicher nicht jeden Tag gewaschen und jetzt verlangen sie westlichen Komfort. Das ist schließlich kein Urlaubsresort. In Kara Tepe gibt es übrigens eine Toilette. Für 140 Personen. Das ist großzügig bemessen. Und wo verrichten die Leute ihre Notdurft? Wo? Direkt hinterm Zelt.“

Kogler: „Und die Kinder…“

Schallenberg: „Die scheißen auch hinters Zelt. Wie der Herr, so’s Gescherr.


Hilfe vor Ort


Weil die türkis-grüne Bundesregierung im Herbst 2020 keine Kinder aus den Lagern auf den griechischen Inseln holen wollte, kündigte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) in den Tagen vor Weihnachten an, die Vorort-Hilfe zu erhöhen. Auf ausdrücklichen Wunsch von Bundeskanzler Sebastian Kurz, sollte in Kara Tepe II in Zusammenarbeit mit SOS-Kinderdorf eine Tagesbetreuungsstätte für 500 Kinder errichtet werden – die Kosten würde die Bundesregierung tragen. Laut „Standard“ deshalb, weil der Kanzler „gute PR“ brauche. Das Ganze habe rasch zu geschehen, hieß es damals. Vor Weihnachten 2020. Am Weihnachtstag dann die Nachricht Schallenbergs: die griechische Regierung habe grünes Licht gegeben. Der Betreuungsstätte stehe nichts im Wege. Schallenberg gab sich sichtlich erfreut: “Wirksame Hilfe vor Ort ist ein ganz zentrales Anliegen dieser Bundesregierung”. Allerdings: Das türkis-grüne Weihnachtsgeschenk blieb bislang aus, drei Monate später war von dem „zentralen Anliegen dieser Bundesregierung“ nichts im Lager angekommen. Eine österreichische Betreuungsstätte suchte man vergebens. Bilder aus dem Lager, die der “Zeit im Bild” zugespielt wurden, zeigten ein verheerendes Bild. Journalisten und NGOs war das Filmen von der Lagerleitung untersagt worden. Der Grund dafür war auch der SOS Kinderdorf-Geschäftsführerin Elisabeth Hauser nicht klar, gegenüber der “ZIB” sagte sie, es gebe bislang keine Begründung. In den Lagern ist der Zustand weiter katastrophal. 2.000 Kinder leben derzeit in Kara Tepe II. Einen Container, wie ihn die Bundesregierung als Betreuungsstätte wollte, sei laut Hauser unvorstellbar. Denn der Container würde aufgrund der feuchten und menschenunwürdigen Zustände schlichtweg versinken. Zwar habe man zwischenzeitlich 30 Kindern in ein anderes Lager gebracht – dort habe es zumindest Essen, Schule und ein funktionierendes WC gegeben. Damit war aber bald Schluss, denn aufgrund der Covid-Situation durfte niemand mehr das Lager verlassen. 7.000 Menschen leben insgesamt in Kara Tepe II. Hausers Vorschlag deswegen: Man könne stattdessen jederzeit 50 Kinder in Österreich unterbringen. Nach einiger Zeit auch bis zu 100, bekräftigte sie ein schon früher geäußertes Angebot in Richtung Bundesregierung, was die ÖVP aber bisher ablehnte. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) erteilte dem Angebot auch diesmal wenig überraschend eine Absage. “Wir haben eine klare Linie, dass wir vor Ort helfen”, so Schallenberg am Rande des EU-Außenministerrates in Brüssel. Damit würden auch “sehr viel mehr Menschen erreicht” werden. Gleichzeitig räumte er ein, dass die Situation auf Lesbos “unerträglich” sei und “in Wirklichkeit überhaupt keine Lager dieser Art auf europäischem Boden existieren sollten”. Dass das Projekt noch lange nicht seinen Soll-Status erreicht hat, sei vor allem der Pandemie geschuldet. “Auch wir sind unzufrieden mit der Situation vor Ort”, so Schallenberg. Mit SOS-Kinderdorf arbeite man aber “sehr gut” zusammen. NEOS-Asylsprecherin Stephanie Krisper sah den Außenminister in der Pflicht: “Es braucht eine nachhaltige Lösung für diese menschenunwürdigen Zustände auf europäischem Boden. Als ersten Schritt muss sich Außenminister Schallenberg unbedingt für eine Erneuerung des EU-Türkei-Deals einsetzen. Denn nur so können wir die Situation weg von Chaos in Richtung Kontrolle bringen, in der auch das Recht auf Asyl und die Menschenrechte gewahrt werden.” Auch die Inszenierung der Bundesregierung auf Kosten der Menschen in den Lagern störte die NEOS-Abgeordnete: “Gleichzeitig muss die Bundesregierung aber auch endlich aufhören auf Kosten vulnerabler Kinder Eigenwerbung zu betreiben und anfangen, wirklich zu helfen - durch die Aufnahme von Kindern und Familien aus größter Not von den Insellagern und das Einmahnen humaner Zustände.“


Der einsame Wolf


Menschenrechte, Umweltstandards und gute Führung sollten eigentlich eine Selbstverständlichkeit in Lieferketten sein. Das EU-Parlament stimmte mit großer Mehrheit dafür. Dagegen: Sechs der sieben ÖVP-Abgeordneten. Einziger Befürworter von der ÖVP war wieder einmal Othmar Karas. Zackzack berichtete dazu: Lieferkettengesetz – oftmals wissen europäische Unternehmen nicht, ob ihre Produkte in anderen Ländern unter menschrechtseinhaltenden Bedingungen hergestellt werden. Wenn sie beispielsweise ein T-Shirt in Österreich eines großen Unter-nehmens kaufen, kann es sein, dass das Unternehmen gar nicht weiß – oder es nicht zugibt -, ob für dieses Kinderarbeit eingesetzt wurde, die Menschenrechte bei der Produktion eingehalten wurden, oder Umweltstandards befolgt wurden. Die Unter-nehmen können bis jetzt nicht wirklich in die Pflicht genommen werden. Das sollte sich mit dem Lieferkettengesetz ändern. Das EU-Parlament forderte dazu auf europäischer Ebene ein Einfuhrverbot für Produkte, die etwa mit Zwangsarbeit oder Kinderarbeit in Verbindung stehen. In Deutschland hatte man sich auf ein solches bereits geeinigt, in Frankreich existiert es bereits seit 2017. Das EU-Parlament wollte nun nachziehen und forderte in einem angenommenen Bericht ein entsprechendes Gesetz umzusetzen. Besonders treffen sollte dies die großen Unternehmen, Börsennotierte und “kleine und mittlere Unternehmen mit hohem Risiko”. Der Bericht wurde mit breiter Mehrheit angenommen, die EU-Kommission musste sich nun mit einem Gesetzesvorschlag befassen. Bei der Abstimmung im Europaparlament war das Abstimmungsverhalten der 19 österreichischen EU-Abgeordneten auffallend. Von den 19 Abgeordneten stimmten nur sechs dagegen: Alle von der ÖVP. Einziger ÖVPler der für die Einhaltung der Menschenrechte, gegen Kinderarbeit und für bessere Umweltstandards stimmte war wieder einmal der Vizepräsident des EU-Parlaments Othmar Karas. Die „Bürger*innen-Initiative für ein Liefergesetz“ war zwar erfreut über das Abstimmungsergebnis, kritisierte in einer Aussendung aber die ÖVP: “Es ist aber ein Armutszeugnis für die Delegation der Volkspartei, dass sie sich hier nicht gegen Kinderarbeit und moderne Sklaverei ausspricht. Umso wichtiger ist es, dass die österreichische Bundesregierung klarmacht, dass sie sich bedingungslos zu Menschenrechten & Umweltstandards bekennt, selbst wenn es den Profit multinationaler Konzerne etwas begrenzt.” Die gegen das Lieferkettengesetz stimmende ÖVP-Abgeordnete Angelika Winzig verteidigte das „Nein“ und nahm Unternehmen in Schutz: “Nicht zuletzt ist es die Aufgabe von Staaten, für die Kontrolle und die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltvorgaben zu sorgen. Hier hat auch die Europäische Union eine besondere Rolle und sollte bei Partnerländern stärker für die Einhaltung der Regeln werben. Die europäischen und vor allem österreichischen Unternehmen verhalten sich vielfach ohnehin bereits vorbildlich.“ Es war bei weitem nicht das erste Mal, dass Karas entgegen der türkisen Abgeordneten stimmte. Kürzlich stimmten die ÖVP-Abgeordneten Bernhuber, Mandl, Sagartz, Schmiedtbauer, Thaler und Winzig für einen Verbleib der rechtsnationalen Viktor Orban-Partei Fidesz in der Fraktion der Europäischen Volkspartei. Karas stimmte für einen Ausschluss. Orban kam dem angenommen Ausschluss aber zuvor und trat aus der Fraktion aus. Er liebäugelte nun mit den deutlich rechteren Fraktionen des EU-Parlaments, auch eine eigene europäische Partei als „Bindeglied“ zwischen der ultrarechten ID-Fraktion und der Volkspartei stand im Raum. Die ehemalige EU-Abgeordnete und nunmehrige Verfassungsministerin Karoline Edtstadler stellte sich nach dem Austritt Orbans demonstrativ auf die Seit des “Diktators” (Zitat: Jean-Claude Juncker): „Ich bin ein Freund der integrativen Politik“, so Edtstadler. „Ich halte einen Ausschluss nicht für den zielführendsten Weg.“

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