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Kapitel 4: Baaks erinnerte sich an seine Schulzeit

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Ist Schule nicht dieser Ort, der doch eigentlich für Kinder geschaffen wurde, um ihnen Mut zu machen, um sie beim Aufblühen zu stärken, um sie von der Angst zu befreien, anstatt diese zu befördern, um ihnen liebevolle Anerkennung zu schenken, anstatt sie zu erschrecken. Was wurde ihm täglich an kalter Ansammlung von meist nutzlosem Wissen in den Kopf geschaufelt. Wie ungeschickt hatten seine Lehrer ihn auf eine Zukunft vorbereitet, die so nie kam! Peter Baaks hatte damals viele Fragen gestellt und gehofft, die Erwachsenen könnten sie ihm beantworten. Aber das war ein Trugschluss gewesen. Seine Lehrer hatten nur den Adlerblick auf das Unwesentliche, und je genauer er sich die Erwachsenen ansah, umso mehr wurde ihm klar, dass keiner von ihnen zum Vorbild oder gar zum Helden taugte. Diese Erwachsenen waren in Wirklichkeit völlig verunsicherte Menschen, und sie gaben den Kindern vor allem eines weiter: diese verfluchte Unsicherheit. Später in seinem Leben kam Baaks sich häufig vor wie ein Gast, der auf eine Abendgesellschaft kam, zu der er gar nicht geladen war. Diese verfluchte falsche Scham. Ohne ein Gramm Selbstvertrauen kann nichts aus einem jungen Leben entstehen! Nur ein Lehrer voller Lebenslust hätte genügt, um Baaks Neugierde zu beflügeln, um ihn zu entzünden, ihn zu erretten, die Schule, das Lernen lieben zu lernen, nur ein klein wenig Interesse an seiner kleinen Person, um ihn aus dem Schlamm dieses bestimmten Gefühls — er sei ein Nichts, eine Nullnummer der Schöpfung, ein Loch in der Natur — herauszuziehen. Und diese Zeit, in der Baaks sich als Fremder in sich selbst fühlte, dauerte einfach zu lange. Er wusste damals nicht so richtig, was er mit seinem Leben tun sollte. Er sehnte sich nach nichts anderem, als nach einer Gebrauchsanweisung für sein Leben. Aber wer hatte die schon? Und wer konnte einem sagen, was ein richtiges Leben war und wie es funktionierte. Immer wieder unternahm Baaks den hoffnungslosen Versuch, sich selbst zu verstehen. Sein Selbst zu verstehen! Niemand hatte einen gefragt, ob man überhaupt geboren werden wollte, niemand, ob man mit den Eltern, die man zugewiesen bekommen hatte, einverstanden war. Mit niemandem konnte man über Chancen, gesunde Gene, Anlagen und Talente, die einem geliefert worden waren, verhandeln. Verdammt blöde, wenn man später bemerkt, dass sie einen den anderen gegenüber auch noch benachteiligen. Man kämpft und kümmert sich um einen Platz in der Welt, rennt jedem möglichen Erfolg hinterher und hofft auf Anerkennung und versucht die Erwartungen zu bedienen. Bei diesem Hamsterlauf kann man schnell verkümmern und er fühlte sich verloren wie ein Zigeunerkind am Rande eines kalten Universums.

Nein, er kannte sich nicht besonders gut aus bei sich selbst, er hatte nur verschwommene Ahnungen, wer er eigentlich war, und noch keine, wer er sein wollte. Als junger Mann war Baaks häufig aggressiv, wütend, unzufrieden, er teilte übel aus, er war gefangen in schlechter Laune, er hatte sich nicht gut dabei getan, er hatte wenig Zuneigung zu sich selbst, und seine Ängste waren gewuchert wie Unkraut.

Peter Baaks zündete sich eine Zigarette an und noch immer war sein Blick hinaus auf den Gang des Zuges gerichtet, wo er den kleinen Jungen hatte stehen sehen.

Sollte er in seiner damaligen Not Erfinder werden? Um sich zum Beispiel ein eigenes Ich zu erfinden? Für ihn als Kind wirkte die Welt damals so gewaltig, so groß, perfekt, so be-drohlich. Alle Gedanken waren gedacht, die Natur der Dinge erforscht. Die Weltbilder der Philosophie, der Religionen, der Wissenschaften, die auch noch gegenseitig in Kriegen lagen, alles war bereits da! Was sollte er nur tun in dieser Welt, in die er ungefragt geworfen worden war?

Wie sollte er ihr begegnen? Die anderen würden schnell spüren, wenn man sich in Richtung Verzweiflung begeben würde, denn keiner will es mit einem verzweifelten Menschen zu tun haben. Ein starkes Ich muss her, dazu verdammt viel Glück, verdammt viel Zufall und eine gute Gesundheit. Was aber Baaks vorzuweisen hatte, war nichts als eine schwache Ausstattung. Welcher Ausweg würde sich ihm bieten?

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