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1 Der Anfang vom Ende der Ewigkeit.

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Ein politisch inkorrektes Vorwort des Herausgebers:

... Eigentlich sollten wir warten. Warten, einfach warten. Auf den nächsten Urknall, wenn sich unser Universum wieder zusammenzieht auf den kleinsten Punkt, alle Masse ein Nichts wird und dann wieder auseinanderfliegt und dann wieder sich zusammenzieht und dann wieder ... oder es dehnt sich weiter und weiter und weiter aus, bis es unendlich verdünnt wie homöopathische Lösungen einen neuen Impuls aus dem Jenseits hinter einer übergelagerten Membran anzieht, streng osmotisch ohne Plan und von dort die Zündung eines neuen Urknalls startet. Dauert noch ewig bis dahin.

Passiert wohl nur ungefähr alle 20 Milliarden Jahre. Haben Wissenschaftler genau berechnet. Kann man bei Professor Lesch im Fernsehen lernen. Vorher aber geht unserer Sonne das Licht aus in vier Milliarden Jahren, bis dahin sollte die Menschheit in diesem oder einem anderen Universum einen anderen Lebensplatz gefunden haben für die nächsten 15 Milliarden mal 365 Tage. Hoppla, das ist aber schön etwas früher, trotzdem, jede Menge Zeit. Aber, wer glaubt schon daran, dass wir es bis dahin überhaupt schaffen? Ich jedenfalls nicht. Sicherer droht uns wohl die Selbstauslöschung in ziemlich absehbarer Zeit, wenn die unerträglichen Folgen der Zerstörung und Umwandlung von „Planet Blau“ zu „Planet Grau“ die globalen Selbstmörder auf die Auslöser drücken lassen. Oder ganz modern per Sprachbefehl: „Alexa, bitte, Apokalypse Now!“

Die Geschichte menschlichen Lebens auf der Erde ist nicht mehr als eine bunt schillernde Schliere auf einer Seifenblase, die eine Millisekunde davor ist, zu zerplatzen. Die Menschen haben versäumt, sich einen Sinn zu suchen jenseits von Macht und Bedeutung. Und Reichtum. Geboren aus der Gier nach mehr und immer mehr. Und dem dadurch erzeugten Neid. Und der daraus resultierenden Wut. Mit brutaler Gewalt und Rücksichtslosigkeit werden diese egoistischen Interessen einzelner im Einklang mit den Systemen und Gesellschaften, in denen diese Individuen leben, durchgesetzt. Nach mir die Sintflut, jeder ist sich selbst der Nächste.

Wir können ja nichts dafür. Ein Programmierfehler von Mutter Natur. Fressen oder gefressen werden. Halt, ohne diesen „Fehler“ hätte sich der Mensch wohl nicht so erfolgreich von den Regeln der Evolution befreien können. Wir sind und bleiben halt rücksichtslose Egoisten. Religionen konnten und wollten daran nichts ändern. Sie wurden ja erfunden, um Macht über Menschen auszuüben, um Profit und immer mehr Profit zu erwirtschaften. Die angeblich so menschenfreundlichen Programmteile im Islam, Juden und Christentum unter dem Motto Nächstenliebe waren nur dazu da, von der wahren Herrschaftsfunktion der Lehre abzulenken. Gottesfurcht als Vehikel für den Erhalt von Machtsystemen. Die Sehnsucht der Menschen nach einer Antwort auf die Frage ihrer Existenz missbraucht, um sie zu knechten. Manipulierte Gefolgsleute, die Ideologien folgen, die die Welt zerstören.

Politische Rattenfänger haben das schon immer gut durchschaut und mit beängstigendem Erfolg kopiert. Die faschistischen, sozialistischen und kommunistischen Ersatzreligionen versprachen Erlösung und Heil. Das Resultat war wieder Versklavung und millionenfacher Mord. Das Ende der Staatsreligionen im Westen nach der Aufklärung, der Monarchien nach den Revolutionen, der furchtbaren Staatsutopien im Osten, führten geradewegs in die Sackgasse des puren materialistischen Kapitalismus. Der äußerst fruchtbar und furchtbar gerade auch im ehemaligen sogenannten Kommunismus gedeiht, ob Gelb oder Rot. Befreit von jedem Sinn, aber dafür ausgestattet mit dem höchsten Zweck, mehr zu haben, und immer noch mehr, noch größer, noch schneller, noch teurer, aller Endlichkeit der Ressourcen zum Trotz taumelt das Raumschiff Erde mit seiner irregewordenen Besatzung in den Abgrund. Dem allgewaltigen Gott des Wachstums huldigend. Das Floß der Medusa treibt verloren im All. Die letzten Vorräte sind aufgebraucht. Kein Wasser zum Trinken, keine Nahrung zum Essen, keine Luft zum Atmen.

Gott ist tot? Von wegen. Nein, es gibt einen Gott! Es ist der Gott der Gier, der die Menschen antreibt. Die Gier nach Reichtum, Ruhm, Macht, Erfolg, Schönheit ... Gier frisst Hirn und was dabei herauskommt, sehen wir überall, hier in diesem Dorf, dieser Stadt, diesem Land, überall in dieser Welt. Und die Religion dieser Gier nennt sich „freier Markt“ oder ein bisschen netter „soziale Marktwirtschaft“ heißt aber ohne Masken und Make Up „Kapitalismus“. The Rat Race ...

Die Sucht, immer mehr zu haben als Selbstzweck ohne jeglichen Wert und ohne jede Vision. Wenn man sich trösten will: Die Gier erschafft und löscht auch alles aus, könnte man zynisch denken. Das geht nicht mehr lange gut. Es ist ja in der großen Geschichte des Lebens noch nie gutgegangen. Wenn aber das Prinzip des Lebens die Gier ist, dann ist der Sinn des Lebens der Tod. Denn sonst könnte es kein Leben geben. Endlose Gier ist bei endlichen Ressourcen unmöglich. Und natürlich auch offiziell als egoistisch und asozial verrufen, genau von denen, die Wasser predigen und Wein trinken. Aber so ist die Natur: Fressen und gefressen werden, „survival of the fittest“, alles für die Cleverles, die Investmentbanker, Immobilienmakler, Versicherungsvertreter, Drecksäcke, Arschlöcher ... Nach uns die Sintflut? Leider nein, sieht ganz so aus, als ob wir alle in der Sintflut untergehen. Die Flut unserer Sünden gegen die Natur, die steigenden Meere, Stürme, Regenmassen und Dürre ihre erbarmungslose Antwort. Wenn der Mieter die Heizung weiter und weiter hochdreht, muss er sich über die Höhe der Nebenkostenabrechnung nicht wundern.

Die Kamera fährt nach oben in den Himmel, die Erde wird kleiner und kleiner, das Sonnensystem, die Milchstraße, ein Kiesweg im All. Darin ein kleiner Wirbel in der Form eines Ammoniten ... Genau jetzt, in diesem Moment prallt weit draußen eine kleine Kugel auf eine etwas größere und gibt ihr einen leichten Schubs. Diese ändert ihre Bahn nur minimal und nimmt gelassen Kurs auf die blaue Murmel auf dem Kiesweg. In siebzehn Jahren, drei Tagen, fünf Stunden, vier Minuten und zwanzig Sekunden schlägt sie mit der dreißigfachen Wucht des Dinosaurierkillers hier auf dem uralten Kalkriff der Schwäbischen Alb ein. Das Klimaproblem hatte sich erledigt. Wahrscheinlich hoffen alle Leugner der längst begonnenen Klimakatastrophe genau das, denn dann kann - und muss - man ja eh nichts machen.

Es läuft leider anders, viel banaler, und zunächst auch nicht ganz so spektakulär wie bei den Filmen von Roland Emmerich. Ein Bild aus den Albträumen, die mich manchmal auch tagsüber heimsuchen, taucht zum wiederholten Male aus den Untiefen meiner Synapsen auf: Ich betrachte die Erde von meiner imaginären Mondsternwarte aus. Ich sehe die schöne blaue Perle im unendlichen schwarzen Meer des Universums treibend. Das Floß der Medusa. Ein Experiment, Petrischale in einem Labor: Auf der Oberfläche einer mit Wasser benetzten Steinkugel wuchert simpler Schimmelschleim. Der Pilz wächst auf dem fruchtbaren Nährboden munter und gedeiht zunächst prächtig, tötet sich dann aber, in dem er seinen Wirt tötet. Ein gefräßiger Schimmelpilz namens Menschheit saugt alles Verwertbare aus seinem Raumschiff Erde heraus und vergiftet seinen Lebensraum mit seinen eigenen Ausscheidungen.

Und genau so handelt der Mensch, seit es ihn gibt. Er hat sich die Erde in kürzester Zeit gierig unterworfen. Er beutet sie und alles Leben darauf aus, sät den Tod in alle Elemente und muss darum mit ihr untergehen. Heiße Stürme brausen über den Planeten. Die grünen Lungen sind unheilbar von Krebs befallen. Das Eis der Pole schmilzt schneller und schneller. Die leergefischten, dafür mit Plastikmüll gefüllten stinkenden Meere steigen und überfluten die Küsten. Die Wüsten der Kontinente wachsen und fressen das letzte Ackerland. Hunger und Durst lösen mehr und mehr Kriege aus um die letzten nicht vergifteten Wasserstellen, die letzten fruchtbaren Böden. Heilige oder Unheilige. Das ist nicht mehr die Frage, endlich nicht mehr, denn niemand wird das mehr bewerten können.

Freuen wir uns: Es sind dies wirklich die letzten Kriege der Menschheit, danach herrscht endlich Frieden. Atompilze blühen über den Metropolen auf. Das Leben in der hauchdünnen Membran zwischen dem Höllenfeuer des Erdinnern und der Eiseskälte des Alls ist schnell hinweggefegt. Geplatzt wie eine schillernde Seifenblase nach Sekunden Universumszeit. Und dann, wenn die schützende Atmosphäre endgültig weg ist, schlagen die Trümmerreste des Urknalls aus den Tiefen des Alls ungehindert auf der Erde ein. Alles wird zermalmt und die Erde wird wüst und leer und voller Krater sein wie der Mond. Das Erbe allen Lebens wird vernichtet, die letzten Spuren einer ebenso genialen wie wahnsinnigen Kreatur verbrennen zu Asche, zerbröseln zu Sand, zu Staub und verwehen ...

Die Menschheit ist nun tatsächlich an dem Punkt, wo alles kippt. Am Anfang vom Ende der Ewigkeit. Welcher Weg könnte den Wahnsinn beenden? Wie könnte der Mensch sich umprogrammieren, die eingebaute Selbstzerstörung außer Betrieb nehmen? Was könnte uns helfen? Etwa Philosophie, die alte, weitgehend vergessene Liebe zur Weisheit und die Suche danach? Meditationen über das Jetzt und Hier, das Werden und Vergehen, das Sein und das Nichts und die Erkenntnis, dass der Sinn des Lebens die Suche nach ihm ist und also für jeden in nichts anderem besteht, als für sich einen Sinn zu suchen, der außerhalb materieller Dinge liegt. Die Besinnung auf die wirklichen Werte des Lebens und die Schönheit des Seins trotz dessen Endlichkeit, das wäre vielleicht ein Ansatz. Im altruistischen Zen-Buddhismus wären vielleicht Ansätze und Wege dahin zu finden, wer weiß ... Endlich zu erkennen, dass wir wunderbarerweise nicht mehr, aber auch nicht weniger als kurzzeitig belebter Sternenstaub sind, tanzende Moleküle auf der Reise in die Unendlichkeit, eine besondere Art Eintagsfliege mit dem Bewusstsein ihrer Vergänglichkeit. Unglücklich, verzweifelt und trotzdem voller Freude, weil wir gerade deswegen unsere Existenz genießen und das Glück genau und gerade dann finden, wenn auch die anderen im Frieden mit sich und uns sind. Schöne Utopie ...

Ich habe bei den Streiks und Demos der Schülerinnen und Schüler von Fridays For Future wieder die Hoffnung bekommen, dass wir es doch noch schaffen können, wenn wir es wollen und endlich anpacken. Jetzt! Die folgenden Beiträge stammen von ganz unterschiedlichen Menschen, ganz jungen und älteren, Kinder, Eltern und Großeltern aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen, die eines eint: der Wille, unsere Welt, unser kleines blaues Raumschiff Erde zu retten. SOS – Save Our Ship! NOW!!!

Stuttgart, im Juli 2019, Gerhard D. Wulf (mit Auszügen aus seinem satirischen Roman „Der Anfang vom Ende der Ewigkeit.“ von 2018)

SOS - Save Our Ship! eine Anthologie zur Klimakatastrophe

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