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1 Unordnung und Schöpfung

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Der Versuch, das altägyptische Denken über die Schöpfung zu verstehen – ja, der Versuch überhaupt, die ägyptischen Mythen zu rekonstruieren –, erinnert an die Aufgabe, ein Puzzle zusammenzusetzen, von dem die meisten Stücke fehlen und jemand den Karton weggeworfen hat.

In der Vergangenheit sahen sich die Ägyptologen mit versprengten, vielfältigen und scheinbar widersprüchlichen Überbleibseln von Schöpfungsmythen aus verschiedenen Teilen des Landes konfrontiert. Darum teilten sie diese Mythenschnipsel nach denjenigen Kultzentren ein, von denen sie annahmen, dass sie jeweils die Quelle hervorgebracht (oder vereinheitlicht) hatten – einschlägige Forschungen sprachen von der „Memphitischen Theologie“ (aus der Stadt Memphis) oder der „Heliopolitanischen Theologie“ (aus Heliopolis). Manchmal wurde die Ansicht vertreten, dass diese Kultzentren mit ihren unterschiedlichen Interpretationen in „Wettbewerb“ standen, womit man unterstellte, dass Ägyptens Priester über ihre Kollegen in anderen Städten pikiert waren, weil einer davon dem Gott Amun in seiner Gestalt als „der Große Schnatterer“ den Vorrang gegenüber der göttlichen Kuh einräumte, die den Re hervorbrachte.

Vielleicht war das so. Aber wie die Dinge auch liegen mögen, in Wirklichkeit zeigen die verschiedenen Schöpfungsberichte bemerkenswert viel Verbindendes, denn sie weisen dieselben Kernthemen auf und verlaufen in immer ähnlichen Strukturen. Anscheinend legten sich die regionalen Kultzentren allgemeingültige mythologische Grundlagen jeweils passend zurecht, indem sie die Rollen einzelner Akteure, Schöpfungsphasen oder -aspekte hervorhoben und ihre eigenen Ortsgottheiten an die Stelle derer setzten, die anderweitig vorkamen. Auf diese Weise legten Ägyptens diverse Priesterschaften eher Alternativ- als konkurrierende Versionen vor, was das Risiko eines Gerangels zwischen den Glaubensrichtungen senkte.


Der Gott Nun hebt die Sonnenbarke in den Himmel


Die Achtheit von Hermopolis flankiert die Sonnenbarke, vier auf jeder Seite.

Obwohl es also keinen allgemeinen Schöpfungsmythos gab, existierte doch immerhin ein übergeordnetes Konzept – eine gemeinsame Basis – dafür, wie es tatsächlich zur Schöpfung gekommen war: Tief in Nun (dem unendlichen dunklen Ozean) erwachte ein Gott oder kam auf den Gedanken, zu erschaffen. Durch seine Macht teilten sich er oder seine Erscheinungsformen in die vielen Aspekte der geschaffenen Welt auf, wodurch sie die ersten Götter schufen und außerdem den ersten Erdhügel, der aus den Fluten auftauchte. Später ging die Sonne – in manchen Berichten das unabhängige Auge des Schöpfergottes, in anderen soeben aus einem Ei geschlüpft – zum ersten Mal auf und brachte Licht dorthin, wo einst Dunkelheit geherrscht hatte.

Während des Neuen Reiches, ungefähr um 1200 v. Chr., gab es in Theben einen Versuch, Ägyptens Haupttraditionen zu vereinheitlichen, mit dem Gott Amun als alleinigem Schöpfer. Deshalb ist diese Epoche der perfekte Ausgangspunkt, um die ägyptischen Schöpfungsmythen detaillierter zu beschreiben, denn die Texte aus jener Zeit gewähren den besten Einblick in das ägyptische Konzept von der Entstehung der Welt und beziehen obendrein die Lieblingstraditionen der wichtigsten Kultstätten des Landes ein – vorwiegend die aus Hermopolis, wo man sich auf die acht Götter (die Achtheit) im Universum vor der Schöpfung konzentrierte, die Fassung aus dem Tempel des Gottes Ptah in Memphis, nach der das gesprochene Wort alle Dinge ins Sein rief, und die von Heliopolis, wonach sich der Gott (Re-)Atum aus einem einzelnen Ei oder Samen in die gegenständliche Welt entwickelte. So werden wir in diesem Kapitel die Erschaffung der Welt kennenlernen – gestützt auf die Arbeiten des Ägyptologen James P. Allen und mit dem Großen Amunhymnus der Ramessidenzeit als Leitfaden, einem einmaligen Text, der als die theologische Summe der Amun-Priesterschaft gelten kann.

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