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Der erfolglose Dschihad in Ägypten (1992–1997) und Bosnien (1992–1995)

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1992, als der algerische Dschihad begann, wurden Ägypten und Bosnien ebenfalls in diese Form des Bürgerkriegs gestürzt. Dabei waren die Ausgangssituationen unterschiedlich: Ägypten ist seit der Anfangszeit des Islam ein muslimisches Land, in dem eine christliche – koptische – Gemeinschaft fortbesteht. Diese wurde zum Ziel der sich in den letzten 50 Jahren stets verstärkenden dschihadistischen Gewalt und der salafistischen Verdammung. Kairo besitzt mit der islamischen al-Azhar-Universität eine prestigeträchtige Institution, auch wenn deren Aura durch die vom Staat ausgeübte Kontrolle gelitten hat. Sie wird durch Millionen Öldollar von der arabischen Halbinsel subventioniert, was die Universität von der salafistischen Ideologie teilweise abhängig macht und zahlreiche ihrer Studierenden und Lehrenden beeinflusst. Bosnien hingegen wurde erst in jüngerer Vergangenheit islamisiert, infolge des Einmarschs des Osmanischen Reichs auf den Balkan im 17. Jahrhundert. Bis zum Bürgerkrieg, der ab 1991 das Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens zerriss, dürfte es in der muslimischen Welt nur wenig bekannt gewesen sein, dass in diesen Territorien, die von einer neuen Welle der Gewalt »balkanisiert« wurden, Glaubensbrüder lebten – Slawen sowie Europäer. Doch die von den serbischen Gegnern der Bosniaken wie ein Stigma konstruierte und den Bosniaken plötzlich übergestülpte politische »Zugehörigkeit zur islamischen Glaubensgemeinschaft« inmitten einer doch recht laizistischen Bevölkerung wurde von den internationalen Akteuren der Islamisierung ins Positive gewendet, ausdrücklich betont und in den iranisch-saudischen Konflikt hineingezogen.

Sowohl der Dschihad am Nil wie auch der auf dem Balkan blieben erfolglos – doch sie hatten schlussendlich beide wichtige Auswirkungen: Der ägyptische Islamismus etablierte sich, trotz der militärischen Niederlage 1997, als wichtigste Kraft der Opposition gegen das Mubarak-Regime und konnte nach dem Aufstand zwischen 2010 und 2012 die ersten Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden – bevor er von Repressionen zerrieben wurde. Der bosnische Islamismus wiederum verlor seine zentrale Symbolik mit dem Ende des Konflikts im Dezember 1995, trug aber entscheidend zur dschihadistischen Vorstellung bei, dass Europa eine Region sei, in der man die Schlacht bis zur Eroberung noch würde führen müssen. Der letzte Anschlag in Frankreich in den 1990er-Jahren nach dem Tod von Khaled Kelkal, im Ballungszentrum Lille-Roubaix, wurde von Konvertiten verübt, die aus Bosnien zurückgekehrt waren.

Als Kabul im April 1992 unter der Führung von Kommandant Massoud in die Hände der Mudschaheddin fiel, war die Mehrheit der ägyptischen Dschihadisten wieder nach Hause zurückgekehrt und hatte sich einer der beiden großen Bewegungen angeschlossen, die nach der Ermordung Sadats entstanden waren – und in der zweiten Hälfte der Dynastie unter Mubarak noch gewachsen waren. Die erste war die Organisation al-Dschihad, die den Mord an Sadat begangen hatte. Sie nahm Institutionen und Anhänger des Regimes ins Visier und scheute sich vor jeder »Exkommunikation« (takfir) der Gesellschaft. Die zweite Gruppe, die al-Dschamaa al-islamiyya (Islamische Vereinigung), wurde vom blinden Scheich Umar Abd ar-Rahman geleitet, der in den Vereinigten Staaten für das erste Attentat auf das World Trade Center 1993 verurteilt werden und dort 2017 im Gefängnis sterben sollte. Sie strebte das Gegenteil an und nahm die Bevölkerung als Geisel für ihre Pläne. Sie hoffte, dass sie mit ihren unzähligen Angriffen auf die Zivilbevölkerung eine überproportionale und aus allen Richtungen kommende Vergeltung hervorrufen könne, woraufhin das Volk dem Staat seine Unterstützung entziehen würde. Diese Strategie ähnelte der der algerischen GIA – und fand in Ägypten mit Vorliebe ihre Opfer unter den Kopten, ausländischen Touristen und den »verwestlichten« Intellektuellen. Der Auftakt für den fünf Jahre dauernden Dschihad war der Mord am laizistischen Publizisten Faradsch Fauda am 8. Juni 1992. Während des Gerichtsverfahrens gegen dessen Mörder ein Jahr später erklärte der den Muslimbrüdern nahestehende Scheich Mohammed al-Ghazali, dass der gebürtige Muslim Fauda die Säkularisierung anstelle der Anwendung der Scharia vorangetrieben habe, was aus ihm einen Abtrünnigen mache und seine Ermordung erlaube. Man dürfe die Mörder daher nicht für das Befolgen des islamischen Rechts bestrafen, schließlich habe der Staat nichts getan, um Faudas Treiben Einhalt zu gebieten. In derselben Geisteshaltung erklärte man den Universitätsprofessor Nasr Abu Zaid zum »Apostaten«: Ihm, der sich selbst als Gläubigen bezeichnete, warf man die Veröffentlichung eines Buches mit dem Titel Kritik des religiösen Diskurses vor und zwang ihn zur Scheidung von seiner Frau (die nie darum gebeten hatte). Vorwand dafür war, dass ein Rückfälliger nicht mit einer Muslimin verheiratet bleiben könne: Das Paar musste in die Niederlande fliehen, um seine Ehe weiterführen zu können. Und im Oktober 1994 wurde der Literaturnobelpreisträger Nagib Mahfuz von einem Aktivisten der al-Dschamaa al-islamiyya wegen seiner »liederlichen« Romane niedergestochen.

Diese zerstörerische Stimmung belegte die verschwommene Grenze zwischen Dschihadisten und sogenannten »moderaten« Islamisten, um nicht zu sagen den hohen Beamten. Sie offenbarte eine Kontinuität zwischen einigen Mitgliedern der frommen Mittelschicht und der armen, städtischen Jugend in ihrer radikalen Opposition gegen das Mubarak-Regime. Anders als in Algerien gab es in Ägypten aber keinen Platz für eine verbindende Partei wie die FIS, die in Abwesenheit jeglicher anderer, seriöser Konkurrenz den islamischen Raum hätte ausfüllen können. Am Ufer des Nils blieb die Institution der Azhar, trotz ihrer Schwächung und ihrer teilweisen Durchlässigkeit für den Salafismus, bestehen, und das Netz der Sufi-Brüderschaften bewahrte einen Zusammenhalt, der fest genug war, um keiner militanten muslimischen Organisation die Hegemonie zu überlassen. Das erklärt zum Teil, weshalb die Bilanz der ägyptischen Gewalttaten um ein Hundertfaches geringer ausfällt als in Algerien – es gab rund 1000 Tote – und warum der Staat den Dschihadisten nur kleine Teile des Territoriums, und auch nur zeitweise, überlassen musste.

Die Dschihadisten konnten Bastionen in Oberägypten errichten, in den Gouvernements, in denen bis zu 20 Prozent der Bevölkerung koptische Christen sind und der propagierte Hass gegen Christen eine soziale Dimension bekam, als die massive Arbeitslosigkeit, die mit dem Absturz des Ölpreises und der geringen Emigration in Richtung arabischer Halbinsel einherging (in Saudi-Arabien waren infolge des Zusammenbruchs des ägyptischen Bildungssystems ägyptische Abschlusszeugnisse weniger gefragt), der islamistischen Ideologie des radikalen Bruchs neue Anhänger verschaffte. Angriffe auf Apotheker, Juweliere und »arrogante« koptische Kaufleute nahmen zu, ebenso wie die Brandstiftung an Kirchen, und wurden im Namen der bei den Ungläubigen erzielten Beute von aufgeputschten Predigern gerechtfertigt. Der Kairoer Vorort Embaba, in dem vor allem aus dem ländlichen Oberägypten zugezogene Menschen wohnten, wurde derart von den Dschihadisten kontrolliert, dass der Scheich der dortigen Hauptmoschee in einem Interview mit der Presseagentur Reuters die Proklamation der »Islamischen Republik Embaba« bekannt geben und behaupten konnte, auf seinem Gebiet werde die Scharia vollständig umgesetzt. Der vom algerischen Vorbild gewarnte Mubarak entsandte 1992 14.000 Polizisten und Soldaten, um das Gebiet zu besetzen und die Dissidenten auszumerzen. Damit sollte die Vereinigung verschiedener gesellschaftlicher Bestandteile der islamistischen Bewegung verhindert werden. Zumal am 12. Oktober ein Erdbeben in Kairo rund 1000 Tote und zehn Mal so viele Verwundete gefordert hatte, und die karitativen Verbände der Islamisten – wie im Jahr zuvor im algerischen Tipasa – beeindruckende Hilfeleistungen für die Opfer auf die Beine gestellt hatten (u.a. Zelte, die ursprünglich für die muslimischen Bosniaken gedacht waren), während der Staat durch Inkompetenz auffiel.

Durch das algerische Beispiel aufgeschreckt, suchte das Regime den Kompromiss mit der Muslimbruderschaft, um seine Gegner zu spalten. Doch konnte nicht einmal der Einsatz von Repressionen verhindern, dass die Muslimbrüder bei allen Berufsverbänden, von den Medizinern und Ingenieuren bis zu den Anwälten, die Wahlen gewannen. Dies belegt den Einfluss der Muslimbruderschaft bei den Universitätsabsolventen und in der Mittelschicht. Von 1993 an wurde die Auseinandersetzung härter – Mubarak selbst entging beim afrikanischen Gipfeltreffen im äthiopischen Addis Abeba im Juni 1995 nur knapp einem Mordversuch ägyptischer Dschihadisten –, denn zunehmend geriet auch der Tourismus ins Visier, eine der Lebensadern der ägyptischen Wirtschaft. Im März 1996 wurden 18 Griechen in Kairo von der al-Dschamaa al-islamiyya hingerichtet, die sie für Israelis gehalten hatten. Die Islamisten erhofften sich vom Zusammenbruch des wichtigsten Devisenbringers den Sturz des Regimes. Erstes Opfer wurden jedoch all jene Millionen armer Ägypter, die direkt oder indirekt von diesem Sektor abhingen, weshalb die Dschihadisten in Oberägypten – wo sich ein Großteil der Sehenswürdigkeiten zwischen Assuan und Luxor befindet – rasch ihre Unterstützung im Volk verloren. Am 17. November 1997 ermordete die al-Dschamaa al-islamiyya 60 Touristen im Tempel der Hatschepsut in Luxor. Dieses Massaker läutete, ähnlich wie das Blutbad am Rande Algiers zwei Monate zuvor, für das die GIA verantwortlich gemacht wurde und von dem sie sich nicht mehr erholte, das Ende des ägyptischen Dschihad der 1990er-Jahre ein – denn es brachte einige islamistische Gruppen dazu, sich freiwillig von solchen Taten zu distanzieren. Auch wenn die Niederlage zeitweise zu ihrem Rückzug aus der Politik führte, so löste die militärische Niederlage der Aktivisten weder die sozialen Ursachen noch den starken Einfluss einer Mentalität, die durch die Öldollars von der arabischen Halbinsel gefördert wurde. Stattdessen erzwang sie eine bedeutende strategische Anpassung, die die örtlichen Konflikte vernachlässigte, um sich dem globalen Terrorismus zuzuwenden.

Der Ursprung des Dschihad in Bosnien liegt im serbischen Angriff auf Sarajevo nach der Unabhängigkeitserklärung Bosnien-Herzegowinas im März 1992. Er fügt sich damit ein in den größeren Rahmen des »Balkankriegs«, der aufgrund des Auseinanderbrechens Jugoslawiens entlang der wieder auftretenden ethnischen und religiösen Bruchlinien Ende des 20. Jahrhunderts entflammte. Der bosnische Dschihad war allerdings, anders als in Algerien und Ägypten, nicht das Ergebnis eines historischen und inneren Islamisierungsprozesses, der die Gesellschaft tief durchdrungen hätte, sondern wurde, in Reaktion auf die Verfolgung und »ethnische Säuberung«, unter der unter anderem auch Muslime zu leiden hatten, von außen hereingetragen. So verlängerte er den internationalen Dschihad, der in Afghanistan entstanden und im April 1992 mit dem endgültige Fall Kabuls geendet war.

In gewissen intellektuellen Kreisen Bosniens war als Reaktion auf die Abschaffung des Kalifats 1924 in Istanbul eine panislamistische Bewegung entstanden – nach einem ähnlichen Modell wie bei den ägyptischen Muslimbrüdern 1928. Sie nannte sich El-Hidaje (vom arabischen hidaya: »die Rechtleitung zum Islam«) und wurde 1936 gegründet. Einige ihrer Anhänger schlossen sich der SS-Division »Handschar« (»Krummsäbel«) an, die der Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, einem Freund des »Dritten Reichs«, unter bosnischen Muslimen rekrutierte. 1941, mitten während des Zweiten Weltkriegs, entstand die Jugendorganisation Mladi Muslimani (die Jungmuslime). Nach der Befreiung löste die Tito-Regierung die El-Hidaje auf, verbot 1949 die Mladi Muslimani, verurteilte vier ihrer Führer zum Tode und verhaftete weitere Mitglieder. Die Parallele zu den ägyptischen Muslimbrüdern setzte sich fort, als einer der 1949 Inhaftierten, Alija Izetbegović, im Todesjahr Nassers 1970 ein Manifest mit dem Titel Islamische Deklaration veröffentlichte. Darin griff er einige der Themen auf, die Sayyid Qutb fünf Jahre zuvor in Ägypten in seinem Buch Zeichen auf dem Weg angesprochen hatte. Da Nasser und Tito im Bund der blockfreien Staaten miteinander verbunden waren, lud man muslimische Bosniaken zu Aufenthalten nach Kairo ein, wo einige von ihnen Arabisch lernten und sich diskret mit den verborgenen Netzwerken der ägyptischen Muslimbruderschaft vertraut machten.

Nach der iranischen Revolution und dem Tod des langjährigen jugoslawischen Staatschefs wurde Izetbegović 1983 ein weiteres Mal verhaftet und in einem Verfahren mit 13 Angeklagten wegen »islamischen Fundamentalismus« verurteilt. 1990, als sich Jugoslawien endgültig auflöste, gründete er die Partei der demokratischen Aktion (SDA), deren ursprünglichen Namen Muslimische Partei Jugoslawiens die Behörden nicht zugelassen hatten. Kurz darauf wurde er zum Präsidenten Bosnien-Herzegowinas gewählt – und zwar nicht wegen eines islamistischen Programms, sondern als Politiker muslimischen Glaubens, für den seine Glaubensbrüder im Kontext der sich verstärkenden Abgrenzung gegen andere Religionsgemeinschaften gestimmt hatten. Sie waren zum Großteil zwar vergleichsweise laizistisch eingestellt, fanden sich jedoch von serbischen und kroatischen Milizen eingekreist. Während sich die unter Tito entwickelten Sicherheiten auflösten, profitierte Izetbegović von der Aura des vom Regime Verfolgten und repräsentierte die Identität der bedrohten muslimischen Bosniaken. Seine Partei schloss sich jedoch mit keiner sozialen Bewegung islamistischer Prägung zusammen, anders als die FIS. Auch wenn die SDA, ähnlich wie die algerische Islamische Heilsfront, Unterstützung eher in den Kleinstädten und auf dem Land fand und die säkularisierten Eliten in Sarajevo sie nicht wählten, so zielte sie niemals darauf ab, die Scharia einzuführen. Angesichts der serbischen Übergriffe und des aus den »ethnischen Säuberungen« erwachsenen Drucks, aber auch da ihr Vorsitzender Freundschaften mit Islamisten im Nahen und Mittleren Osten eingegangen war, nahm sie gezwungenermaßen deren militärische und finanzielle Unterstützung an. Diese verbündeten Islamisten bemühten sich, den letzten Balkankrieg des 20. Jahrhunderts in einen Dschihad zu verwandeln – über dessen Kontrolle sich Sunniten und Schiiten stritten.

Der Iran, neben der ehemaligen Sowjetunion eines der Ziele des von Sunniten geführten Dschihad in Afghanistan, erkannte im bosnischen Dschihad und dessen Internationalisierung unter Teherans Führung sofort die Möglichkeit, die Schlüsselstellung zurückzugewinnen, aus der ihn seine Rivalen verdrängt hatten. Zudem war die Islamische Revolution von 1979 mit ihrem »modernen« Charakter bei den Funktionären der SDA auf weit positiveres Echo gestoßen als der wahhabitische Archaismus – wie Izetbegovićs Prozess 1983 gezeigt hatte. So wurden ab 1992 über Kroatien iranische Waffen ins Land gebracht, einige Hundert Pasdarans (»Revolutionsgarden«) in Bosnien eingesetzt – wie 1982 auch im Libanon – und in den wichtigsten bosnischen oder ethnisch gemischten Städten iranische Kulturzentren eröffnet, etwa in Mostar. Teheran zeigte in der Organisation der Islamischen Konferenz unablässigen Tatendrang und rüttelte damit an der saudischen Führungsrolle, da man Riad Halbherzigkeit bei der Unterstützung der verfolgten bosnischen Muslime vorwarf. Saudi-Arabien zögerte, sich auf europäischem Boden zu engagieren. Zumal in den sunnitischen Hauptstädten die Ausdehnung eines neuen weltweiten Dschihad inzwischen deutlich kritischer gesehen wurde als zur Zeit des Afghanistan-Kriegs: Zehn Jahre zuvor hatte man sich erhofft, die einheimischen Extremisten dadurch loswerden zu können, dass man sie nach Afghanistan schickte. Nun waren die »arabischen Afghanen« aber abgehärtet wieder nach Hause zurückgekehrt und bildeten die Speerspitze der neuen Gewaltspirale gegen den Staat, sowohl in Algerien als auch in Ägypten. Die Unterstützung für Bosnien wurde daher streng begrenzt auf humanitäre Hilfe, da man jede Ansteckung vermeiden wollte. Es gab auch weder einen Aufruf zum weltweiten Dschihad unter der Ägide der saudischen Großen Ulemas noch bedeutende finanzielle Unterstützung, sogar weniger als von der CIA. Man schätzt, dass 150 Millionen US-Dollar aus Saudi-Arabien nach Bosnien flossen – im Vergleich zu den mindestens vier Milliarden, die ein Jahrzehnt zuvor nach Afghanistan gezahlt wurden.

Allerdings zogen rund 2000 trainierte salafistische Dschihadisten nach Bosnien, die zum größten Teil von der arabischen Halbinsel und aus Ägypten stammten. Sie wurden in die Al-Mudschahidun-Brigade der bosnischen Armee integriert und lieferten sich erbitterte Kämpfe mit serbischen Milizen. Die Propagandabilder, die beide Seiten lieferten, versuchten sich an Grausamkeit zu überbieten (die Videos des IS sollten sie 20 Jahre später noch übertrumpfen), etwa wenn die Kämpfer vor der Kamera mit den abgetrennten Köpfen ihrer Gegner prahlten. Die Dschihadisten stellten sich als Retter ihrer bosnischen Glaubensbrüder dar, die von den »Kreuzrittern« ausgelöscht werden sollten – doch der Funke sprang nicht auf den Balkan über. Der aggressive Bekehrungseifer der Salafisten, die sich auf erobertem Territorium wähnten, auf dem sie eine von Mystizismus und Synkretismus durchzogene Religiosität des Balkans »wiederherstellen« wollten, zeigte vor Ort nur wenig Wirkung – zumal das Dayton-Abkommen, das auf Initiative der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union am 14. Dezember 1995 unterschrieben wurde und den Frieden wiederherstellte, den Abzug der »ausländischen Freiwilligen« zu einer seiner Bedingungen gemacht hatte. Trotz dieses weltweiten Misserfolgs bekam der bosnischen Dschihad eine beispiellose Vorbildfunktion: Ähnlich wie die Ausweitung des algerischen Bürgerkriegs auf französischen Boden zeigte er, dass Europa zu einem Schlachtfeld im bewaffneten terroristischen Kampf um die Islamisierung werden konnte. Am 29. März 1996 wurden aus Bosnien zurückgekehrte Dschihadisten, die ein Attentat planten, in ihrem Versteck in Roubaix aufgetrieben: Eine Explosion zerstörte ihre konspirative Unterkunft und riss mehrere Aktivisten in den Tod; ein weiterer wurde auf der Flucht von der belgischen Polizei erschossen. 20 Jahre später hielt ihr inhaftierter Anführer noch Kontakt zur neuen Dschihadisten-Generation in Nordfrankreich – etwa zur selben Zeit, als die französisch-belgische Achse ins Zentrum der Gewalt rückte, vor allem mit dem Blutbad im Bataclan und dem Stade de France am 13. November 2015.

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