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Was soll einmal werden?

Ein Nachmittag in adventlicher Stimmung. Kerzen, Zimtsterne und Kakao. Die Kinder fertigen ihre Wunschzettel an, wir Erwachsenen reden über alte Bräuche, blöde und schöne. Wie nebenbei frage ich eins meiner Patenkinder, das gerade einen pinkfarbenen Schal, Mütze und Handschuhe gemalt hat: »Was willst du denn eigentlich mal werden?« Und die Kleine antwortet: »Groß!« Da sie es mit einem kleinen Lispeln ausspricht, klingt es besonders bezaubernd. Ich lache sie an und frage weiter: »Und dann? Wenn du groß bist, was dann?« Sieben Erwachsene sind auf einmal gespannt, neugierig und sehen sie erwartungsvoll an. Und die Kleine, sie ist gerade fünf Jahre alt geworden, sagt mit einem selbstbewussten Ton der Selbstverständlichkeit und keineswegs so, als kündige sie ein Geheimnis an: »Eisprinzessin!« Dann winkt sie und geht weg zu den anderen Kindern.

Wir, sieben Erwachsene, wissen nicht, was eine Eisprinzessin ist. Das Wort klingt, als käme es aus einem Märchen. Oder gehört es in den Sommer? Zu Vanille, Erdbeer und Schokolade? Oder doch auf den zugefrorenen See und zum Schlittschuhlaufen?

Da sagt einer von uns: »Ich, ich wollte ja immer Erfinder werden.« Heute ist er Anwalt. Und er findet, dass er schon lange keine Entdeckung mehr gemacht hat, viel zu lange schon nicht mehr. Und das allerdings war jetzt eine Entdeckung, und er nimmt sich vor, dringend mal wieder etwas zu erforschen oder zu suchen.

Seine Frau sagte, sie habe, wie viele andere Mädchen auch, Stewardess werden wollen. Sie sei dann aber zunächst einmal von der Schule geflogen. Sie grinst ihren Mann an. Und sie sei Mutter geworden. Aber später sei sie viel gereist. Sie schaut sehnsüchtig aus dem Fenster. Sie sieht so aus, als würde sie sich freuen, wenn ihr gleich jemand einen Tomatensaft anbieten würde.

Der Vater der zukünftigen Eisprinzessin meint, er habe Fußballprofi oder Rennfahrer, aber Hauptsache reich werden wollen. Das ist ihm auch gelungen. Weil er eine von Hause aus wohlhabende Frau geheiratet hat.

Genau die wiederum gesteht uns mit einem Schulterzucken: »Ich war ja immer so supergut in Latein.« Aber Latein habe so alt geklungen, nach Vergangenheit. Zukunft aber sei BWL gewesen, und so sei sie eben Managerin geworden. »Vielleicht hole ich meinen Cicero mal wieder raus«, meint sie. »Oder ich lese die Weihnachtsgeschichte mal auf Latein. Gloria in altissimis Deo, et in terra pax hominibus bonae voluntatis’« zitiert sie versonnen. Und fügt gnädigerweise hinzu: »Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.«

Und einer überrascht uns, weil er leise sagt, so als wage er kaum, es zuzugeben, er habe Tänzer werden wollen. Pina Bausch, Ballett. Der neben ihm stupst ihn in die Seite und meint feixend: »Du ein sterbender Schwan?« Aber er merkt, dass der andere es ernst meint und schweigt.

Wir sind alle nachdenklich geworden. Was ist, wenn der Kindertraum eines Tages ausgeträumt ist? Wenn wir versäumt haben, zu verwirklichen, was wir eigentlich wollten? Heute ist der Traum-Tänzer ein erfolgreicher Designer. Ist er denn nicht glücklich? Niemand wagt, es in diesem Moment zu fragen.

Und der von uns, dem immer schon alles einfach so zugefallen ist, meint: »Ich bin da, wo ich immer hin wollte.« Er sagt es so nüchtern, dass wir alle spontan und wie verabredet beschließen, ihn heute einmal nicht zu beneiden.

Eine wollte eigentlich immer nur singen oder Flöte spielen. Aber Künstlerin sei nun mal nach Ansicht ihrer Eltern kein Beruf, und so habe sie etwas Anständiges gelernt. Da sie nicht berufstätig ist, fragt niemand nach, was sie damit wohl meint.

Wir Erwachsenen gucken in Richtung der Kinder, die immer noch schreiben, malen, verzieren und ihre Wünsche so ernst nehmen. Ich beobachte die Kleine, die groß werden will. Kann man denn wohl Eisprinzessiologie studieren? Und wenn ja, wird sie es tun? Würde ich mein Patenkind dazu ermutigen? Da merke ich, dass die Blicke auf mir ruhen. Ich bin die Letzte in der Runde, die noch nichts gesagt hat. Und ich sage vorsichtig, fragend: »Geschichtenerzählerin vielleicht?« Denn als kleines Mädchen hatte ich meine Puppen und den Teddy aufmerksam in eine Reihe gesetzt, um ihnen Geschichten zu erzählen. Die konnten sich nicht wehren, und ich konnte stundenlang meiner Fantasie freien Lauf lassen. In meiner Erinnerung haben sie mir immer gerne zugehört. Ich bin überzeugt, einige haben sogar hin und wieder zustimmend genickt.

Und weil die Stimmung in diesem Moment ein bisschen so ist wie damals und wir an diesem Adventssamstag alle irgendwie zurückversetzt wurden in unsere Kinderzimmer, zu Fußballschuhen, Bilderbüchern, Träumen und Spielen, ist mir nach erzählen. Und ich beginne:

»Ich kannte mal einen, der hatte erst eine ganze Weile lang, es kommt einem ausgesprochen ewig vor, eine Welt geschaffen. Sterne, das Meer, Kastanienbäume, Rosen, Tannen, Granatäpfel, den Zimt und den Zucker, Schneeleoparden und Menschen. Und dann eines Tages fasste er einen Entschluss, oder fasste sich ein Herz, wie man sagt, als würde er einem Kinder-Jugendwunsch nachspüren, und offenbarte, dass er Zimmermann werden wolle.« Ich gucke in die Runde, Entdecker, Stewardess, wohlhabend, Gloria, Tänzer, zufrieden, Künstlerin und frage: »Ihr kennt den doch, oder?« Und sie nicken alle.

Wir reden noch lange: Wurde er groß? Nicht nach unseren Maßstäben. Aber weltberühmt. Erfolgreich? Nicht wirklich. Aber wir bereiten uns zurzeit alle auf seinen Geburtstag vor. Er wurde Zimmermann. Baute Türen für neue Räume. Fenster zum Himmel. Runde Tische, um in Gemeinschaft Brot zu teilen. Er starb viel zu jung, unvergessen. Er zeigte sogar, dass die Liebe stärker ist als der Tod, fast unglaublich. An einem Samstagnachmittag verdanken wir ihm adventliche Stimmung, jetzt wirklich. Sie geht über Kerzen und Kekse hinaus. Jesus ist ein Kind. Wie die Kinder, die ihre Wunschzettel so ernst nehmen und ihre Erwartungen an das Leben, erinnert er uns an unsere Träume. Dass er ein Handwerk als Beruf erlernt hat, scheint uns nicht so bedeutend. Weil er vor allem ein Mensch war. Wenn Gott, der Liebe ist, Mensch wurde, kann der Mensch werden, wozu er geschaffen ist: ein Liebender. Das ist uns auf einmal das Wichtigste. Das sollten wir dann auch können. Auf einmal ist alles möglich.


Die Überlegungen gingen weiter. Am nächsten Morgen, am Sonntag, erzählten wir uns, wie die Träume uns nicht losgelassen hatten. Und Jesus selbst uns keine Ruhe ließ mit seinem Wunsch vom Menschwerden und Lieben. Einige beschlossen, Wunschzettel zu schreiben. Mindestens für sich selbst. Andere sagten, sie hätten gebetet. Und wir alle freuten uns sehr auf Weihnachten.

CHRISTINA BRUDERECK

Weihnachtswundernacht 1

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