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Selbst- und Fremdbilder religiöser Eliten

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Ausgangsbasis für den internationalen Vergleich sollte die Frage nach dem Selbstbild und der Fremdwahrnehmung religiöser Eliten sein, wobei zwischen normativen Vorgaben und Beschreibungen des Ist-Zustandes zu unterscheiden ist. Heuristisch wertvoll können neben genuin historischen und theologischen auch sozial- und kulturwissenschaftliche Begrifflichkeiten sein. So ist zu prüfen, wieweit Ergebnisse der Elitenforschung15 auch auf die Inhaber religiöser Ämter übertragen werden können. Anzustreben ist letztlich eine „europäische Religionsgeschichte als Geschichte religiöser Verflechtung“,16 die über den Vergleich hinausreicht, indem sie die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Religionen und weiteren gesellschaftlichen Feldern an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten zu erfassen versucht.

In der katholischen Kirche gibt es zwei Stände, die streng voneinander geschieden sind: die Kleriker und die Laien. Nach spätmittelalterlichem Verständnis brauchte der Priester die Weihe, „um gewisse Benefizien erhalten zu können. Sie war viel weniger Amt und Würde als Mittel zu diesem Zweck.“17 Der Klerus war wiederum zweigeteilt in Welt- und Ordensgeistliche, die nicht selten miteinander vor Ort konkurrierten. Während die höheren Stellen (Bischofssitze, Dom- und Stiftskapitel) meist dem Adel vorbehalten waren, umfasste der clerus secundarius ein breit abgestuftes Spektrum vom geistlichen Proletarier, der sich mit einer Altarstiftung kaum über Wasser halten konnte, über den wohlbestallten Pfarrherrn auf einer reichen Pfründe bis zum angesehenen Stiftsherrn und Universitätsprofessor.18 Die Gläubigen erwarteten aber von ihren Priestern durchaus, eine vita apostolica zu führen, Reinheitsgebote zu achten und sich selbst zu heiligen – vor allem auch, um die Fähigkeit zur Sakramentenspendung sicherzustellen. Priester wurden als Mittler zwischen Gott und den Menschen betrachtet.19

Im „Herbst des Mittelalters“20 geriet der Klerus nicht selten ins Kreuzfeuer der Kritik: Er war schlecht ausgebildet – meistens mussten zwei Jahre als „Pfarr-Azubi“ reichen – und daher kaum in der Lage und zumeist auch nicht interessiert, den neuen Erwartungen des aufkommenden Bürgertums an Seelsorge und Verkündigung gerecht zu werden. Folgt man Hubert Jedin, so lässt sich für das Spätmittelalter „kein spezifisches Priesterideal“ feststellen, was an der „Ausbildung des Benefizialwesens“ lag: „Die Tätigkeit des Priesters wurde durch das benefizium bestimmt, das er innehatte, nicht durch ein allen gemeinsamen munus sacerdotale, ja sogar die Erfüllung der mit dem Benefizium verbundenen Amtspflichten war ablösbar und konnte einem Stellvertreter übertragen werden.“ Eine „notwendige Verbindung zwischen Priestertum und pastoraler Verpflichtung“ existierte somit nicht.21

Maßgeblich für den katholischen Klerus wurde die Krise, in die er im Übergang zur Neuzeit durch die Angriffe der Reformatoren geriet. Die Kontroverstheologie, das Konzil von Trient und das Kirchenrecht waren gezwungen, darauf mit einem neuen Priesterbild zu reagieren.22

Die reformatorische Kritik richtete sich nicht nur gegen die schlechte Ausbildung und die Vernachlässigung der seelsorgerlichen Aufgaben durch den spätmittelalterlichen Klerus, sie setzte viel grundsätzlicher an. So bestritt Luther die Existenz eines eigenen geistlichen, vom weltlichen getrennten Standes und lehnte das Sakrament der Weihe ab, das die Mitgliedschaft in diesem Ordo konstituierte: „Dan was ausz der tauff krochen ist, das mag sich rumen, das es schon priester, Bischoff und Bapst geweyhet sei.“23 So propagierte Luther das allgemeine Priestertum aller Getauften. Priester waren für ihn nur „ministri ex nobis electi, qui nostro nomine omnia faciunt, et sacerdotium aliud nihil est quam ministerium“, wie er bereits 1520 in seiner Schrift „De captivitate Babylonica“ formulierte: gewählte Amtsträger, die im Auftrag der Gläubigen handelten.24 Wenige Jahre später entzog der Reformator mit theologischen Argumenten dem besonderen Weihepriestertum seine bislang wichtigste Existenzberechtigung. In der Schrift „De abroganda missa privata“ sah er es als durch den Satan selbst gestiftet an: Sein eigentlicher Daseinsgrund, die Darbringung des Messopfers, entfalle, weil die Messe kein Opfer, sondern die Erneuerung des Abendmahles sei.25

Die katholische Kontroverstheologie und das Konzil von Trient sahen sich deshalb herausgefordert, die Existenz des priesterlichen Ordo zu verteidigen und ein neues, an der Seelsorge orientiertes Priesterbild zu entwerfen. Der status clericalis wurde bewusst auf die höheren Weihen eingeschränkt, die Weihe als bloßes Mittel zur Erlangung eines Benefiziums verworfen. Der gute Hirte, der nicht nur als Kirchenfunktionär administrative Aufgaben zu erfüllen hat, sondern „der von Gott die Verantwortung für die ihm anvertrauten Seelen und für das Heilige trägt“,26 wurde zum neuen Idealbild erhoben. Die Pfarrer wurden zur Residenz verpflichtet, sie mussten ihr Amt persönlich wahrnehmen und konnten sich nicht mehr durch Vikare vertreten lassen. Sie waren zu einem vorbildlichen Leben angehalten und wurden strikt einem Bischof unterstellt: „Daher sollen die Kleriker … ihr ganzes Leben so einrichten, dass sie in Kleidung, Benehmen, Rede und in allem nur Würde, Sittsamkeit und Gottesfurcht zur Schau tragen. Auch kleine Sünden, die an ihnen groß seien, sollen sie meiden, damit ihr Tun allen Achtung einflösse“, wurde etwa in der XXII. Sessio des Konzils von Trient am 17. September 1562 im Dekret über das Messopfer beschlossen.27 Die Thesen Luthers wurden zurückgewiesen und die Sakramentalität der Priesterweihe betont: „Wenn jemand sagt, der Ordo oder die heilige Ordination sei im wirklichen und eigentlichen Sinne kein Sakrament, das von Christus dem Herrn eingesetzt wurde, oder der Ordo sei irgendeine menschliche Erfindung, ausgedacht von in kirchlichen Dingen unerfahrenen Männern, oder er sei nur ein Ritus zur Erwählung der Diener des Wortes Gottes und der Sakramente, gelte das Anathem.“28

Die Rezeption des tridentinischen Priesterideals erwies sich zunächst als schwierig, vor allem, weil sich die Ausbildungssituation der angehenden Kleriker nur langsam verbesserte. Das nachtridentinische Kirchenrecht akzentuierte den character indelebilis, der durch die Weihe einem Priester zukommt, noch stärker und hob hervor, dass sich die Kleriker kraft dessen „als ein bevorzugter Stand von den Laien unterscheiden“. Daher sei es nur natürlich, dass Kirche und weltliche Obrigkeit den Klerus „durch mancherlei Privilegien geehrt“ habe, wie etwa durch das Privilegium canonis – „daß eine jede an einem Cleriker oder Mönche verübte thätliche Beleidigung ipso jure die Excommunication nach sich zieht, von welcher der Injurant die Absolution nicht anders, als dadurch erhalten kann, daß er sich persönlich beim Papste darum bittend einstellt“ –, das Privilegium fori und die persönliche Immunität von allen öffentlichen Lasten oder dem Kriegsdienst, ferner die Steuerfreiheit.29

Nicht nur in Kirchenrecht und Kontroverstheologie, sondern auch in Katechese und Verkündigung wurde nach dem Konzil von Trient das neue Priesterbild zumeist von den Priestern selbst vermittelt. So heißt es etwa im 1566 erstmals herausgegebenen und bis heute immer wieder neu aufgelegten „Catechismus Romanus“: „Zuerst muß daher den Gläubigen dargelegt werden, wie groß der Adel und die Erhabenheit dieses Standes sei, wenn wir nämlich seine höchste Stufe, das ist das Priestertum betrachten. Denn da die … Priester gleichsam Gottes Dolmetscher und Botschafter sind, welche in seinem Namen die Menschen das göttliche Gesetz und die Lebensvorschriften lehren und die Person Gottes selbst auf Erden vertreten: so ist offenbar ihr Amt ein solches, daß man sich kein höheres ausdenken kann, daher sie mit Recht nicht nur Engel sondern auch Götter genannt werden, weil sie des unsterblichen Gottes Kraft und Hoheit bei uns vertreten.“30

Das hohe Priesterideal, das Kirchenrecht, Theologie und Katechismen propagierten, ging mit einem entsprechenden Selbstverständnis der Priester einher, wie Renate Dürr in einer Studie, die Predigten des 17. und 18. Jahrhunderts auswertet, nachgewiesen hat. Immer wieder wurde die Äußerung Franz von Assisis zitiert, er würde „wenn ihm ein Heiliger aus dem Paradies und ein Priester begegnen sollte, zuvor den Priester und dann erst den Heiligen ehren“.31 Und noch häufiger Bernhardin von Siena, der dem Priester eine höhere Würde als der Jungfrau Maria zusprach. „Denn während Maria acht Worte gebraucht habe, um Christus in ihr zu einem Menschen zu wandeln, brauche der Priester nur die fünf Worte: Hoc est enim corpus meum. … Und schließlich habe Maria die Wandlung nur einmal vollzogen, der Priester aber könne, sooft er wolle, und wenn er die Wandlung hundert Mal am Tag vollzöge, Christus vom Himmel herunterholen.“32 Gerne zitierten die Priester auch Clemens Romanus mit der Feststellung, „Was ist ein Priester? ein irrdischer Gott“33. Als „Glückseligkeit“ des Priesters wird dargestellt, wenn er Christus „als einen Gefangenen“ in Händen hält, und über dem Altar den Leib Christi wandelt und opfert: „Oh Heiligkeit der Hände! der mich erschaffen / hat mir gegeben zu erschaffen sich / und der mich erschaffen ohne mich / wird erschaffen durch mich.“34

Im 19. Jahrhundert, nach den Herausforderungen durch Aufklärung und Revolution, erfuhr dieses hohe Prestige des Klerikers eine erneute Steigerung.35 Immer stärker sah man in ihm den in persona Christi Handelnden. „Weil er – und nicht nur der Papst – Stellvertreter Christi qua Amt ist, hat ein Priester Amtscharisma.“36 Er korrespondierte, wie es Olaf Blaschke formuliert, mit den heiligen Mächten über Raum und Zeit hinweg: „Im Priester realisierten und objektivierten sich die göttlichen Kräfte, mit denen er besonders im Ritual eine Identität herstellte, die den Laien verschlossen blieb.“37

Ferner wurde immer stärker das „Paradigma des Dualismus“38 propagiert, die Einteilung der Welt in Gut und Böse, die auch die Laien und den Klerus betraf: „Es gab eine scharfe Trennung zwischen den vermeintlich weltzugewandten ‚Fleischlichen‘ und den weltabgewandten ‚Geistlichen‘.“39 Ein Laienpriestertum könne – so das Wetzer-Weltesche Kirchenlexikon von 1884 – „im Ernste von Niemandem behauptet werden“, denn „dogmatisch betrachtet ist die priesterliche Würde die denkbar höchste, eine durchaus eigenartige und wunderbare. Der Priester müsste bei abstracter Betrachtung seiner Würde nothwendig stolz werden.“ Die Laien sind ihm aufgrund seiner priesterlichen Würde „zum Gehorsam verpflichtet“.40

Dieses übersteigerte Priesterideal ist, mit Blick auf Deutschland, zumindest für die Epoche zwischen Säkularisation und Postmoderne festzustellen, die nicht selten als „Zweites konfessionelles Zeitalter“41 charakterisiert wird. Hatte es Entsprechungen in anderen Religionsgemeinschaften, Religionen und Zeiten? Zu untersuchen wäre auch, inwieweit an religiöse Eliten Erwartungen herangetragen wurden, die politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Interessen entsprachen, und wie diese sich auf das Selbstbild der religiösen Funktionsträger auswirkten. Denn die Funktionsträger hatten ein breites Spektrum an Aufgaben zu erfüllen, die sich nur zum Teil den kirchlichen Grundvollzügen Zeugnis, Liturgie und Diakonie zuordnen ließen und auch aus völlig anderen Bereichen stammten. Sie konnten sich beispielsweise primär als Seelsorger sehen, aber auch als Standespersonen in staatlichem oder kirchlichem Auftrag. Entscheidend für das Bild religiöser Eliten ist schließlich dessen Verkörperung, die symbolische Darstellung und Inszenierung von Ämtern, Funktionen und Charisma.42 Hier könnte sich auch der Habitus-Begriff als heuristisch wertvoll erweisen.

Grundlegend für die Erforschung dieser Fragen ist die Verbesserung der Zugänglichkeit der Quellen über sprachliche Barrieren hinweg. Aus „Ego-Dokumenten“ des Klerus wie Autobiografien und Briefe, aber auch aus Pfarrchroniken, Predigt- und Katechesebüchern ließe sich die Frage beantworten, woraus die religiösen Eliten eigentlich ihre Identität gewannen und wie ihre sozialen Bezugsgruppen aussahen. Mit Blick auf den katholischen Klerus wäre es beispielsweise interessant zu wissen, welche Bedeutung der Priesterweihe und dem damit übertragenen Charakter indelebilis oder der täglichen Zelebration der Messe zukam. Zu berücksichtigen sind aber auch ganz andere Identitätskategorien wie Familie, Geschlecht, Generation und soziale Schicht.

Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten

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