Читать книгу Nick Francis 4 - Группа авторов - Страница 7

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Die Klingel schrillte noch, als Willi erst die Haustür und dann seine Arme öffnete, um mich in dieselben zu schließen.

»Nick! Du bist zurück!«, strahlte es aus ihm heraus, nachdem er mich wieder freigegeben hatte.

»War ich denn weg?«, fragte ich spitz.

»Wie?!«, Enttäuschung machte sich auf seinem Gesicht breit, »bist du denn nicht in Die Festung gereist?«

»Doch, doch.«

Das Strahlen kehrte augenblicklich in Willis Antlitz zurück.

»Ich habe mich sogar fast drei Wochen im Karibischen Meer bei Piraten und anderen schlagkräftigen Seemännern rumgetrieben, doch das dürftest du nicht gemerkt haben, da ich für dich gestern noch hier war und dir versprochen hatte, frische Brötchen zum Frühstück mitzubringen.«

Ich hielt Willi die Tüte mit den Rundstücken vor die Nase.

»Ja, äh, also … das stimmt schon alles … Piraten, Karibik … wie aufregend! Komm doch endlich rein.«

Ich folgte dem Hausherrn ins Esszimmer, wo seine Frau Doris den Frühstückstisch herrichtete.

»Guten Morgen, Nick!«

»Den wünsch ich dir auch«, erwiderte ich und platzierte einen Kuss auf ihre rechte Wange.

»Oh! So etwas habe ich ja schon lange nicht mehr von dir bekommen, mein Junge.«

»Mir war danach«, grinste ich.

»Ah, du hast die Brötchen«, sagte sie, als sie die Papiertüte in meiner Hand bemerkte, »sei doch so lieb und leg sie in den Korb, der noch in der Küche auf dem Tisch steht.«

»Geht los!« Ich drehte mich um und begab mich an den Ort des Korbaufenthaltes. Nachdem ich die Backwaren umgebettet hatte, ging ich mit dem gefüllten Brötchenkorb in das Esszimmer zurück, wo meine elterlichen Freunde bereits am Tisch saßen und Doris ihren Mann fragte:

»Was ist los mit dir? So wie heute hast du schon lange nicht mehr gestrahlt, und Nick gibt mir einen Kuss − was ist mit euch beiden?«

»Ach, meine Liebe, das verstehst du nicht.«

Willi war überglücklich, mich heil und gesund wiederzuhaben. Er konnte es kaum abwarten, mit dem Frühstück fertig zu werden und sich mit mir in sein Arbeitszimmer zurückzuziehen, wo ich ihm in Ruhe alles erzählen konnte, was ich in Die Festung erlebt hatte. Zuvor verabschiedete sich Doris von uns, da sie eine Verabredung mit ihren ehemaligen Arbeitskollegen hatte. Ich habe euch ja bereits bei einer anderen Gelegenheit erzählt, dass sie Teilhaberin einer Anwaltskanzlei war, bevor sie sich zur Ruhe gesetzt hat. Doris, das kleine energische Bündel, ich konnte mir richtig gut vorstellen, wie sie Richtern und Zeugen ordentlich eingeheizt hatte, wenn es nicht nach ihrer Nase lief. Ihr Temperament habt ihr beim letzten Mal ja live und in Farbe mitbekommen, als sie ihren Mann Willi, der doppelt so groß und breit ist wie sie, zurechtwies, weil der mal wieder seine Sachen überall im Haus verteilt hatte.

Doch kommen wir zurück zu Willi und mir. Ich musste also ein ausführliches Referat über meine Erlebnisse in Die Festung halten. So erzählte ich von Kapitän Quinn und seiner Mannschaft, von Rollins Eiland und seinem Herrscher, von dem ganzen Piratengewimmel und der stürmischen See. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass Willi kaum Luft holte, so gebannt folgte er meiner Erzählung, und als ich endete, atmete er laut aus und ließ sich in seinen Sessel zurückfallen.

»Puh, das war aufregender als der spannendste Krimi«, stöhnte er. »Ich brauche jetzt erst mal einen Cognac. Möchtest du auch einen?«

»Gerne, aber bleib ruhig sitzen, ich hole ihn«, bot ich Willi an.

»Danke! Du weißt ja, wo er ist.«

Ich stand auf und schlängelte mich an den umliegenden Bücherstapeln vorbei, die genauso wie Schreibtisch und Computer zu der Ausstattung des Arbeitszimmers gehörten, hin zu dem Schränkchen, in dem Willi seine flüssigen Leckereien aufbewahrte. Nebst Flasche und Gläsern zirkelte ich zurück und musste dabei an den Spruch Ordnung ist das halbe Leben denken und daran, dass Willi definitiv für die andere Hälfte des Lebens ist. Aber wem erzähle ich das, ihr kennt Willi mittlerweile ja auch schon recht gut.

»Prost, Nick!«, sagte Willi und hob das gefüllte Cognacglas.

»Zum Wohle, Willi!«, erwiderte ich und musste feststellen, dass nach all dem Rum, den ich in den letzten Wochen bei den Piraten zu mir nehmen musste, so ein Cognac besonders gut schmeckte. Als der erste Schluck unten war, fiel mir das mit dem Schwips ein.

»Ach, Willi, weißt du, was noch komisch ist? Ich hatte an dem Abend, also gestern, als ich die Festungsgeschichte verließ und mit meinen Gefährten den glücklichen Ausgang des Abenteuers feierte, ganz schön einen sitzen.«

»Niiick! Was muss ich da hören?«, schoss ein mahnender Finger in die Luft. »Du kennst doch meinen Leitspruch: Nippen statt kippen!«

»War halb so schlimm«, winkte ich ab, »wir hatten schließlich was zu feiern. Das Verrückte ist, dass der Rausch zu Hause weg und im Gegenzug meine Kniewunde wieder da war. Ich hatte mir bei einem Fahrradsturz kurz vor Beginn des Abenteuers das Knie geschrammt, und es war am Ende meines Aufenthaltes in der Karibik vollständig verheilt.« Ich schob das Hosenbein hoch. »Hier, sieh! Die Wunde ist jetzt wieder wie neu.«

»Interessant … was sagt uns das?«

»Dass mein hiesiger Körper nicht mit in eine Geschichte reist, sondern … ich sage es jetzt mal so … etwas wie Seelenwanderung stattfindet.«

»Du meinst, dein Geist, deine Gedanken, wie auch immer wir es nennen wollen, gehen ohne deinen Körper in das Buch, wo sie sich in einen Körper, der deinem vollkommen gleicht, einnisten?«

»So könnte es sein. Nehmen wir mal an, es wird eine künstliche Person hergestellt, ein Avatar, der meinem Körper in dem Moment, in dem ich mit einer Hand auf dem Buch einschlafe, aufs Haar gleicht. Es wird also auch eine Knieverletzung mit übernommen, die normalerweise nicht zur Grundausstattung des Körpers gehört.«

»Aber um diesen Avatar zu erzeugen, müsste das Buch wissen, wie du aussiehst − hat es vielleicht deine DNA?«

»Keine Ahnung, vielleicht hat es Augen, die wir noch nicht gefunden haben.« Ich grinste.

»Witzig ... Ich meine, du solltest noch einmal mit Herrn Schubert von der PC-Klinik reden und ihn fragen, ob er sich noch etwas intensiver mit dem Buch befassen kann.«

»Das würde er sicherlich gerne machen, aber dazu muss ich ihm auch mehr darüber erzählen. Er war schon beim ersten Mal nicht gerade erfreut über die dürftigen Informationen, die ich ihm gegeben habe.«

»Dann weihst du ihn eben ein!«

»Ich weiß nicht recht, ob das eine gute Idee ist. Sicher, Herr Schubert scheint sehr nett und hilfsbereit zu sein …«

»Du musst ihm ja nicht gleich alles erzählen. Denk dir eine kleine plausible Geschichte aus. Du würdest vermuten, dass das Buch einen zum Träumen bringt und sich nach dem Traum manchmal eine Buchseite geglättet hat – so was in der Art. Denn, ehrlich gesagt, wissen wir nicht hundertprozentig, ob du wirklich in ferne Länder gereist bist. Einen richtigen Beweis haben wir nicht, gerade dann nicht, wenn sich dein Körper bei der Rückkehr in demselben Zustand befindet, in dem er war, bevor du eine Geschichte erlebt hast.«

»Hallo?! Richtiger Beweis? Was ist mit der Stimme, die sich Sam nennt?«

»Hallo?! Es ist wohl ein Leichtes, von einer Stimme zu träumen.«

»Du meinst, von einer Stimme, die mal aus der Luft, mal aus einem Schlafwagenschaffner oder gar aus einem Papagei kommt?«

»Wieso nicht?«

»Du glaubst also, dass es nur Träume sind, und zweifelst an der Avatar-Theorie?

Willi zuckte mit den Schultern und ich überlegte laut:

»Zumindest können wir davon ausgehen, dass es noch weitere Geschichten in dem Buch gab.«

»Du meinst wegen der glatten Seiten, in die vermutlich auch mal Titel von Geschichten eingraviert waren? Aber wer hat die Geschichten gelebt und vor allem, wo ist derjenige jetzt?«

»Sam zufolge war das Buch doch eigentlich für jemand anderen bestimmt, vielleicht für den Verstorbenen aus Die Stadt? Der kam definitiv aus unserer Zeit.«

»Wie wir es auch drehen und wenden, wir kommen so nicht weiter. Wie gesagt, mein Vorschlag ist, dass du dich noch einmal mit Herrn Schubert unterhältst.«

»Du hast vermutlich recht, vielleicht ist meine Total-Recall-Idee, die ich hatte, als ich aus Die Stadt zurück war, doch nicht so verkehrt. Vielleicht werden mir diese Geschichten nur in Form von Gedanken eingepflanzt. Könnte doch sein, wenn man die technischen Innereien des Buches berücksichtigt, die Herr Schubert beim Durchleuchten des Buches entdeckt hat.«

»Hmm … hmm …«, brummte Willi und wir beide betrachteten nachdenklich die Zimmerdecke, bis ich damit aufhörte:

»Okay, aber bevor ich Herrn Schubert aufsuche, möchte ich noch eine Geschichte leben, vielleicht kann ich darin Sam ein bisschen mehr ausquetschen.«

»Wo soll es denn hingehen?«, fragte Willi, der seine Denkeraugen gegen Entdeckeraugen eingetauscht hatte.

»Da ich seit der zweiten Geschichte dabei bin, das Buch der Reihenfolge nach abzuarbeiten, ist es jetzt Zeit für Der Keller

»Und wann willst du den Keller inspizieren?«

»Ich weiß noch nicht, so schnell wie möglich, und dann will ich mal sehen, ob nicht mehr aus Sam rauszuholen ist. In Die Festung hat er mich ziemlich gelinkt. Erst hat er mir mehr Fragen gestellt als ich ihm, und dann war er verschwunden.«

»Und wenn du wieder zurück bist, gehst du zu Herrn Schubert?«

»Ja, und du kannst in der Zwischenzeit das Internet nach der Insel Kordina und den anderen Stichpunkten durchforsten.« Ich kramte in meiner Hosentasche. »Die habe ich hier aufgeschrieben«, verkündete ich und reichte Willi den Zettel. Während er einen Blick darauf warf, bat ich:

»Versuch doch noch einmal herauszubekommen, ob nicht doch noch irgendwo so ein Buch existiert.«

»Das haben wir nun schon so oft getan.«

»Aber vielleicht nicht oft genug. Durchsuche mal die ganzen Foren im Internet, da bist du doch jetzt Experte.«

»Ich versuche es gern. Wenn ich was finde, schicke ich dir ein E-Mail-Dings.«

Das erste E-Mail-Dings kam ein paar Tage nach unserem Gespräch. Darin teilte Willi mir mit, dass er nichts über Kordina gefunden habe und auch nichts über Rollins Eiland. Na tolle Info – und so hilfreich! Über Tortuga fand er natürlich was. Kunststück, die Insel gibt es ja wirklich. Über das Torbuch ohne Titel fand er wieder nichts. Weder in den Foren noch auf irgendwelchen anderen Plattformen. Anscheinend war mein Buch das einzige seiner Art, das es in dieser, unserer Welt gab. So vergingen die nächsten Monate wie im Flug, denn in meiner Buchhandlung gab es noch diverse Bücher zu sortieren und zu katalogisieren. Allerdings wurde ich immer ungeduldiger und dachte immer öfter daran, eine weitere Reise mit Hilfe des Torbuches zu unternehmen.

Achtung, Achtung, eine wichtige Durchsage: Wer jetzt so gar nicht weiß, was für ein Buch das Torbuch ist, von dem hier die ganze Zeit die Rede ist, der kann sich auf der Homepage www.nick-francis.de den Prolog aus meiner ersten Erzählung – Die Burg – zu Gemüte führen, den habe ich da für euch hinterlegt. Darin wird alles Weitere erklärt. Oder ihr besorgt euch gleich die ersten drei Bände von meinen Abenteuern, um, wie viele andere auch, von Anfang an dabei sein zu können. Doch versteht mich nicht falsch, ich will euch auf gar keinen Fall davon abhalten, mir bei dieser Erzählung zu lauschen. Ich verspreche euch, dass ihr dem Verlauf der Geschichte auch ohne näheres Vorwissen über das Torbuch und meine früheren Erlebnisse folgen könnt. Habt also erst einmal viel Spaß mit der Geschichte, die ich in Der Keller erlebt habe. Alles andere könnt ihr später noch in Ruhe nachholen.

***

Eine Woche vor meiner geplanten Reise, als ich meine E-Mails checken und noch einige Sonderwünsche meiner Kunden erfüllen wollte − also, mich auf die Suche nach antiquarischen Büchern oder einer speziellen Ausgabe begab − passierte es wieder. So ein Mist! Da half auch kein Herumhämmern auf der Tastatur. Der olle Kasten hatte sich mal wieder aufgehängt, nichts ging mehr, festgefahren, ein glatter Absturz oder was man sonst noch dazu sagen kann. Ihr habt da bestimmt auch so eure Erfahrungen. Ich versuchte, mich zu beschwichtigen und sagte mir: »Nick, bleib ganz ruhig, nicht noch eine Tastatur zerhackstückeln, die kann gar nichts dafür.«

Was war zu tun? Computer abstöpseln und zur Reparatur bringen oder ihn gleich verschrotten? Er hatte doch schon sieben Jahre auf dem Buckel, in Menschenjahren sind das so an die siebzig. Aber als ich mir den Kabelsalat unter dem Tisch anschaute, entschied ich mich dazu, erst einmal zu Herrn Schubert in die PC-Klinik zu gehen. Vielleicht könnte er eine Ferndiagnose stellen. Man darf doch wohl noch hoffen!

»Hallo Herr Francis, wie nett, Sie zu sehen! Sie haben sich lange nicht blicken lassen.«

»Hallo Herr Schubert! Ja äh … tut mir leid, aber ich hatte so viel um die Ohren, Sie kennen das sicher aus eigener Erfahrung − wenn man einen eigenen Laden hat, ist immer was zu tun.«

»Ich erinnere mich. Sie haben eine Buchhandlung.«

»Richtig!«

»Unsereins hat selten mit Büchern zu tun. Wenn überhaupt, dann sind es falsche und umständliche, zusammengekritzelte, nutzlose Bedienungsanleitungen oder Handbücher. Aber apropos Buch, ich sehe, Sie haben Ihres heute gar nicht dabei.«

»Oh, Sie meinen das große, das wir uns letztes Mal angeschaut haben?«

»Ja, wo ist es? Haben Sie es noch?«

»Natürlich, aber deswegen bin ich heute nicht hier!«

»Schade, ich dachte, Sie wollten mich darüber auf dem Laufenden halten.«

»Das mache ich auch, nur läuft da im Moment nix. Aber in den nächsten Wochen wird sich was ergeben und dann komme ich bestimmt zu Ihnen … mit dem Buch … versprochen.«

»Ich würde mich freuen! Womit kann ich Ihnen denn heute behilflich sein?«

»Mein PC macht unanständige Sachen.«

»Nun, wenn Sie im Internet diese speziellen Seiten aufrufen, dann passiert es, dass man unanständige Bilder zu sehen bekommt.«

»Was? Nein, nein«, winkte ich ab, »solche Seiten besuche ich … ich nie. Nein, mein Computer stürzt ab, hängt sich auf und ich bin dann sozusagen abgehängt vom Informationszug.«

»Ach, diese Art von unanständigen Sachen. Das hört sich an, als habe sich Ihr RAM-Speicher verabschiedet. Eine von vielen Möglichkeiten. Eine sichere Diagnose kann ich nur stellen, wenn Sie den Patienten mitbringen und ich ihn mir einmal ansehen kann.«

»Hm, wie wäre es, wenn Sie mir einen RAM-Speicher mitgeben und ich probiere es aus? Wenn das Problem dann trotzdem noch da ist, komme ich nebst Patienten noch einmal vorbei.«

»Das können wir gerne so machen. Sie müssten mir nur sagen, welchen Speicher Sie benötigen, also welcher Speicher zu Ihrem Mainboard passt.«

»Das weiß ich natürlich nicht, aber vielleicht hilft Ihnen das nutzlose Handbuch von meinem PC doch etwas.« Ich grinste.

»Wenn wir Glück haben«, er lächelte zurück, »dann zeigen Sie mal.«

Ich holte das kleine Heftchen aus der Jackentasche und reichte es dem PC-Doktor. Er schlug es auf und stöhnte.

»Mann, ist der alt! Zum Glück ist das Handbuch nicht in Keilschrift.«

Er lachte und aus Höflichkeit machte ich mit. Ich weiß ja, dass in dieser Branche alles als Dinosauriermodell gilt, was älter als fünf Jahre ist. Aber als Herr Schubert in dem Büchlein weiterblätterte, stieg doch Hoffnung in mir auf.

»Scherz beiseite, ich glaube, den Speicher, den Sie benötigen, habe ich auf Lager. Einen Augenblick.«

Er ging nach hinten und tauchte kurze Zeit später mit einem schokoriegelgroßen Plastikbehälter auf.

»Bitte sehr, macht zwanzig Euro für Sie, Herr Francis. Sonderpreis!«

»Oh, vielen Dank.«

»Wissen Sie, wie man ihn gegen den alten auswechselt?«

»Ja, ich habe schon mal einen getauscht, weil ich einen leistungsfähigeren haben wollte. Genauso wie die Grafikkarte und den CPU-Chip. Ganz fremd ist mir das Innenleben eines Computers also nicht.«

»Dann versuchen Sie Ihr Glück und kommen Sie gleich wieder, wenn der Fehler dadurch nicht behoben ist.

»Das mache ich.«

»Auch wenn er wieder läuft, sollten wir uns demnächst mal über einen neuen PC für Sie unterhalten. Denn für Ihren wird es bald keine neuen Ersatzteile mehr geben und mit der Kompatibilität der Software ist es dann auch Essig. Demnächst werden Sie wahrscheinlich einige Seiten im Internet nicht mehr vollständig beziehungsweise gar nicht mehr angezeigt bekommen. Lassen Sie sich das mal durch den Kopf gehen. Ansonsten würde ich mich freuen, in den nächsten Wochen etwas Neues über Ihr Buch zu hören. Wenn ich ein bisschen mehr von Ihnen darüber erfahre, kann ich bestimmt helfen.«

»Davon bin ich überzeugt, ich melde mich. Bis dann, Herr Schubert!«

»Auf Wiedersehen, Herr Francis!«

***

Es ist zum Verzweifeln mit diesen kleinen Kerlen, die da geschäftig über den Monitor rennen. Entweder sie produzieren und ich habe trotzdem zu wenig Geld, weil keine Käufer für die Waren kommen, oder die Nahrung für die Bevölkerung reicht vorne und hinten nicht, dann sind die Burschen beleidigt und hauen samt ihren Familien ab. Und schon habe ich leer stehende Betriebsstätten, die einen Großteil meines virtuellen Vermögens verschlingen.

Wovon redet Nick da bloß?, fragt ihr euch sicher. Nun, ich habe seit Langem mal wieder eines meiner Computer-Strategiespiele aktiviert. Eigentlich wollte ich nur testen, ob durch das Auswechseln des RAM-Speichers alles wieder problemlos läuft. Ich rief die E-Mails ab und suchte nach den Buchwünschen meiner Kunden. Beides erledigte der Kasten ohne rumzuzicken. Dann wollte ich aufs Ganze gehen und am besten geht das, wenn man den Computer fordert, und das tut so ein Spiel. Es forderte aber nicht nur den Computer, sondern vor allem mich. Vielleicht benötige ich auch mal einen neuen RAM-Speicher.

So kurz vor meinem Aufbruch in eine neue Welt war das eine willkommene Gelegenheit, mal wieder an etwas anderes zu denken als an die bevorstehende Reise. Ich liebe diese Strategiespiele, vor allem den Bau- und Wirtschaftsteil. Wenn allerdings Krieg ausbricht, wird es richtig stressig. Krieg finde ich ziemlich blöd. Da baue ich über Stunden eine florierende Stadt mit einer vernünftigen Infrastruktur auf und dann kommen da ein paar Stinkstiefel und legen alles in Schutt und Asche, weil ich mit der Aufrüstung meines Militärs immer hinterherhinke. Wenn ich es dann doch geschafft habe, die Eindringlinge zu verjagen, darf ich meine Stadt wieder aufbauen und die versenkten Schiffe durch neue ersetzen. Kurbelt natürlich die Wirtschaft an, denn alle haben Arbeit, aber das Kapital ist durch den Krieg geschrumpft. Eben alles wie im richtigen Leben.

Mit solchen Spielen verbringe ich, wenn ich erst einmal angefangen habe, unzählige Stunden. Ihr kennt das vielleicht auch. Diese Quälgeister auf dem Monitor gönnen einem keine Ruhe. Immer wollen sie was Neues, und wenn sie das haben, wollen sie mehr davon. Fleisch, Fisch, Wolle für Kleidung, Kirchen, Schulen, Theater, Badehäuser und so weiter. Ich könnte euch jetzt noch an die hundert Dinge aufzählen, aber das würde zu weit führen, und ich bin mir sicher, dass ihr langsam anfangt, ungeduldig zu werden, und euch denkt: Mensch Nick, nun sieh mal zu, dass du endlich auf den Punkt kommst. Was ist denn jetzt mit Der Keller? Trotzdem muss ich euch noch vertrösten und ein wenig mehr von dem Spiel erzählen − wartet ab, ihr werdet gleich merken, worauf ich hinauswill. Ich finde es total faszinierend, wie exakt die Figuren im Spiel dem Menschen nachempfunden sind, wie genau sie nach ihrem menschlichen Ebenbild programmiert wurden. Auch sie kriegen nie genug und wollen immer mehr.

Ich habe schon ganze Wochenenden durchgespielt, aber das ist einige Zeit her. Doch an diesem Freitagabend hatte mich der Spielevirus mal wieder ziemlich schlimm erwischt. Ich bastelte an einem vor einiger Zeit angefangenen Spiel weiter und hörte erst am Sonntagabend damit auf. Die einzige Unterbrechung meines virtuellen Lebens waren die vier Stunden, die ich am Samstagvormittag im Laden stand.

Am Sonntag musste ich am späten Nachmittag aus dem Haus, denn es war kaum etwas zu essen im Kühlschrank. Da ich so viel damit zu tun hatte, auf meinen virtuellen Farmen Weizen, Oliven, Kakao, Kaffee und so weiter anzubauen, war ich in der realen Welt nicht zum Einkaufen gekommen. Wenn ich nicht verhungern wollte, musste ich also raus aus meiner Hütte.

Alles hatte ich in meiner virtuellen Welt eingerichtet: Die Infrastruktur und die Versorgung zu Lande und zu Wasser. Gegner gab es keine mehr, da die ganze Spielewelt erobert war. Allerdings muss ich gestehen, dass ich mit ein paar Cheats-Hilfen gearbeitet hatte … Also gut, gemogelt. Aber nur ein bisschen. Hier und da mal ein paar Militäreinheiten hingezaubert und ein paar Talerchen zusätzlich aufs Konto gebettet und schon klappte alles.

Da ich beim Verlassen der Wohnung vergessen hatte, auf die Pause-Taste zu drücken, lief das Spiel allein weiter. Während ich einen Döner-Teller bei meinem Dönerdealer Ibo verspeiste, rannte mein Volk auf dem Monitor arbeitswütig umher. Ungefähr eine Stunde war ich weg. Als ich wiederkam, hatte sich mein virtuelles Vermögen vermehrt. Allerdings war die Pest ausgebrochen, doch die fleißigen Ärzte machten sich schleunigst ans Werk und behandelten die virtuellen Kranken. Gespannt sah ich zu, wie alles ohne mein Eingreifen ablief. Das alles hatte ich erschaffen – ich staunte. Zuerst fiel es mir schwer, einfach nur zuzugucken, so gewohnt war ich es, mit der Maus im Spiel rumzuklicken. Doch ein Handeln meinerseits war nicht mehr erforderlich. Eine neue, eigenständige Welt war entstanden.

Warum langweile ich euch mit diesem Kram? Seht ihr vielleicht, was ich sehe? Wobei diejenigen unter euch, die diese Spiele kennen, vielleicht eher auf das kommen, was ich meine. Denn als ich dem laufenden Spiel zusah, kam mir plötzlich ein Gedanke, der mit meinem Leben in dem Torbuch zu tun hatte. Dieser Einfall dürfte für uns alle ziemlich interessant sein, deshalb behalte ich ihn für mich.

***

Nein, natürlich nicht. Selbstverständlich teile ich meine Gedanken wie immer mit euch, aber damit ich sie nicht zweimal erzählen muss, nehme ich euch mit zum Telefon, denn Willi möchte ich auch davon berichten. Wo ist denn jetzt seine Nummer? Natürlich im Telefon gespeichert. So, Achtung, es klingelt.

»Funke!«

»Hallo Willi, wie geht’s? Gerade in ein spannendes Buch vertieft, oder hast du ein wenig Zeit, mit mir zu telefonieren?«

»Klar lese ich, aber mit dir zu telefonieren kann genauso inspirierend sein.«

»Dann mach dich mal auf was gefasst. Ich hab da nämlich so eine Idee zu dem Torbuch …« weiter kam ich nicht, denn Willi fragte ziemlich aufgeregt:

»Was für eine Idee? Hast du das Geheimnis des Torbuches etwa ohne mich gelöst?«

»Nein, es ist nur eine Idee. Wie könnte ich das Geheimnis ohne dich lösen?! Also, hör zu: Ich habe dir doch vor einiger Zeit von meinem Computer-Strategiespiel erzählt.«

»Nicht nur erzählt, du hast mir mal einen ganzen Nachmittag gezeigt, was du so in manchen Nächten treibst, aber deine Begeisterung konnte ich auch nach zwei Stunden nicht einmal ansatzweise teilen. Ganz im Gegenteil, die reinste Zeitverschwendung! Du erinnerst dich?«

»Ja. Danach habe ich auch nicht mehr davon gesprochen. Aber du kannst dich sicher noch in etwa erinnern, wie das Spiel ablief.«

»Natürlich kann ich mich erinnern«, prustete er empört, »ich bin doch kein seniler alter Knacker. Soweit ich weiß, musstest du eine virtuelle Welt aufbauen, die unserer Welt im Mittelalter sehr ähnlich war.

»Ja, und um ganz genau zu sein: unserer Welt im Jahr 1503. Genau das Spiel habe ich wieder zum Leben erweckt. Dabei ist mir etwas aufgefallen.«

»Dass du eine Menge Zeit vergeudet hast?«

»Sehr witzig! Aber nein, ganz im Gegenteil. Also, hör zu, du weißt doch, dass alle Figuren in dem Spiel spezielle Aufgaben haben: Der Förster hackt Holz, der Jäger erlegt Wild im Wald und sorgt so für Fleisch, der Fischer, der Farmer, der Schmied, der Schafhirte und die Angestellten in der Weberei …«

»Ich kann mich sehr gut daran erinnern! Du brauchst mir nicht jeden Berufsstand aufzuzählen. Komm lieber zum Wesentlichen.«

»Ist ja gut. Also was ist, wenn man diesen Kameraden nicht nur ihre Aufgabe einprogrammiert hat, sondern auch … ich meine, so etwas wie ein Ich-Bewusstsein und Gefühle, eben all das, was einen Menschen ausmacht. Ich weiß zwar nicht, wie so was möglich wäre, aber jetzt mal rein theoretisch gesprochen.«

»Und was ist dann?«

»Merkst du denn nicht, worauf ich hinauswill?«

»Du meinst, dass es sich dann um eine Parallelwelt handeln würde, in der die Individuen denken, dass sie leben, und von unserer Existenz nichts wissen? Sie meinen, alles was sie tun, machen sie aus sich selbst heraus, hmm … eine interessante Überlegung, auch wenn es sich nach sehr überschäumender Fantasie anhört, doch zum Glück für dich bin ich ja ein großer Fan von überschäumender Fantasie. Und du denkst also, dass in dem Torbuch solche Welten stecken, und du jedes Mal irgendwie in einer von ihnen landest.«

»Stimmt genau, der Kandidat hat die volle Punktzahl erreicht. Einen Preis gibt es dafür aber nicht.«

Willi schwieg und ich wusste im Moment auch nichts hinzuzufügen. Dann meinte mein Gesprächspartner:

»Also, was du sagst, erinnert mich jetzt auch an etwas. Ich habe schon mal einen Roman gelesen, in dem es um ein Computerprogramm ging, das menschliches Leben simulierte, indem die Leute dachten, dass sie wirklich lebten, dabei waren es nur programmierte Schaltkreise in einem Mikrochip oder so. Ich glaube, das Buch ist aus den Sechzigern und wurde in den Siebzigern verfilmt ... ach Mensch, wie war das doch gleich? Wie kann es sein, dass ich es vergessen habe?«

Ich merkte, dass Willi vollkommen abwesend war, denn nichts wurmt ihn mehr, als sich an ein Buch zu erinnern und nicht mehr genau zu wissen, was darin passierte und wie der Titel lautete. Ich versuchte noch, mit ihm über meine Entdeckung zu sprechen, aber er war nur noch mit dem Buch aus den Sechzigern beschäftigt. Darum verabschiedete ich mich und Willi entgegnete abwesend:

»Tschüss, Nick, und gute Nacht.«

»Nacht, Willi.«

Der Arme, er wird sicher die ganze Nacht nicht zur Ruhe kommen, bis er endlich weiß, um welches Buch es sich handelt. Ich konnte ihm leider nicht helfen, denn bei mir klingelte nichts. Wisst ihr vielleicht, von welchem Roman er sprach?

***

Kaum zu glauben, aber Willi schaffte es doch tatsächlich in der ganzen Woche nicht, darauf zu kommen, welches Buch er meinte. »Ich war so beschäftigt«, entschuldigte er sich. »Doris hat mich auf Trab gehalten und auch sonst kam immer was dazwischen. Zudem habe ich mich von Professor Hinrichsen mal wieder zu einer Vorlesung an der Uni überreden lassen, ich musste mich also vorbereiten. Dann war da noch der monatliche Lesezirkel« − den leitete Willi. Da muss ich mich wohl auch mal wieder blicken lassen. – »Und zu guter Letzt noch der Theaterbesuch.« Seinen ehelichen Pflichten nachgehen, sagte er zu dem Schauspielhaus-Abonnement, das sie schon seit Jahren hatten.

Am Samstagnachmittag wählte ich wieder Willis Nummer. Solange ich noch die Möglichkeit habe zu telefonieren, sollte ich sie nutzen.

»Funke!«

»Hallo Willi, hier Nick.«

»Na, dich wollte ich auch gerade anrufen. Stell dir vor, ich habe heute herausgefunden, welchen Roman ich meinte, und ich glaube sogar, dass wir noch ein Exemplar im Laden haben. Ich würde gerne morgen zu dir kommen und danach suchen. Heute kann ich leider nicht. Karl-Heinz, einer der ehemaligen Kanzleipartner von Doris, feiert seinen Geburtstag, und wir müssen gleich los zu dieser Party, wo alle diese Wichtigtuer rumrennen und mich mit trockener Geschäftsmaterie vollquatschen werden.« Na, das klingt ja nicht gerade begeistert.

»Gerne, komm morgen vorbei, dann kann ich dir auch erzählen, wie es mir in Der Keller ergangen ist.«

»Im Keller? Was meinst du? Ist etwa wieder Wasser eingedrungen? Ich hatte doch alles sanieren lassen!«

Bevor sich mein Vermieter weiter unnötig aufregte, beruhigte ich ihn:

»Hallo?! Ich wollte nachher los in die Geschichte Der Keller, du erinnerst dich? Dieses große, in Leder eingebundene Buch, das uns schon seit einiger Zeit beschäftigt?«

»Ach, das war heute. So schnell willst du wieder los? … Finde ich gut, umso eher erfahren wir vielleicht, was es mit der ganzen Sache auf sich hat.«

»Das hoffe ich auch.«

»Schön, also viel Glück, ich komme morgen so gegen Mittag zu dir, ist dir das recht?«

»Ist es!«

Dann hörte ich im Hintergrund die Stimme von Doris:

»Willi, komm schon, wir wollen los!«

»Tut mir leid Nick, aber ich muss Schluss machen.«

»Dann will ich dich nicht aufhalten, viel Spaß auf der Party und bis morgen dann!«

»Danke, ich werde mir Mühe geben mit dem Spaß, du weißt doch, wie ich solche Veranstaltungen liebe«, erwiderte er mit einem ironischen Unterton, den ich nur allzu gut dekodieren konnte.

***

Es war wie eine Sucht. Ich musste einfach in die nächste Geschichte, die Neugier war zu groß. Besonders nach meiner Idee, die mir durch das Computerspiel gekommen ist. Ich wollte mit Sam sprechen und nahm mir vor, mich dieses Mal nicht so von der Stimme ausquetschen zu lassen. Bei unserer Begegnung würde es stattdessen heißen: Quid pro quo!

Doch bevor ich meine Reise antrat, musste ich mich noch auf ein zusätzliches Experiment vorbereiten. Ich gehöre eigentlich nicht zu denen, die sich bewusst einen antütern, aber für die Wissenschaft tut man ja so einiges, und so machte ich mich nach drei Lütt un Lütt auf den Weg in den Keller – Prost!

Die Getränke nahm ich in der Küche zu mir und torkelte … nein, ich konnte noch normal gehen, ins Schlafzimmer, wo schon alles für das Ritual vorbereitet war. Bettdecken und Kissen hatte ich vom Bett geräumt. Nur das aufgeschlagene Buch lag auf der Matratze. Ich legte mich rücklings in die Mitte und zog das Buch auf meinen Bauch. Die rechte Hand platzierte ich auf den eingravierten Titel Der Keller – das Tor zu einem weiteren Abenteuer.

Also Augen zu, ruhig atmen und Schäfchen zählen. Die Seite fühlte sich wie immer kühl und hart an, und dann passierte es. Schon im Halbschlaf und damit in dem Zustand, in dem ich in die Welt des Buches gelangen konnte, spürte ich, wie die metallähnliche Oberfläche des Buches warm und weich wurde. Meine Hand versank in der Seite wie in Schaumstoff und wurde eins mit ihr, worauf sich das bekannte Gefühl einstellte: Es war, als krabbelten mehrere tausend Ameisen aus dem Buch heraus auf meine rechte Hand. Danach kribbelte mein rechter Arm, so als würden die Ameisen ihre Reise über diesen fortsetzen. Schließlich war es, als breiteten sich die kleinen Tierchen auf meinem ganzen Körper aus. Es kribbelte überall wie bei einem leichten, sanften Stromstoß. Es war angenehm und entspannend, auch wenn der Vergleich mit den Ameisen und dem Strom was anderes vermuten lässt. Ich hatte also das erforderliche Stadium erreicht. Der Zauber erfasste mich und brachte mich in eine neue Geschichte, die dieses Mal den Titel trug: Der Keller.

Nick Francis 4

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