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Die Epoche der Diktaturen – Eine Epoche der Gewalt

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Mit der nationalsozialistischen Machteroberung 1933, die auch eine Machtübertragung war, bestimmten die Diktaturen endgültig das Bild der Epoche. Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1939 und erst recht nach den Eroberungsfeldzügen Hitlers und der deutschen Wehrmacht, die dem Nationalsozialismus die Herrschaft über fast den ganzen europäischen Kontinent vorübergehend verschafften, sah es so aus, als gehöre der modernen Diktatur die Zukunft. Durch Ausdehnung der Staatsintervention und durch die autoritäre Verformung der politischen Ordnungen schienen die charismatischen, personenorientierten Führerherrschaften der europäischen Diktatoren die politische Krise der 20er und frühen 30er Jahre überwunden und eine zukunftsfähige autoritäre Wohlstands- und Entwicklungsdiktatur errichtet zu haben. Noch einmal schien die Vorherrschaft Europas gesichert, freilich unter den menschen- und rechtsverachtenden Bedingungen von Gleichschaltung, Verfolgung und Diktatur. Wie wenig die wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Ressourcen und Potentiale des nationalsozialistischen Deutschlands und seiner zu einer ernsthaften politischen Neuordnung unfähigen und allein auf Eroberung und Raub ausgerichteten Besatzungs- und Gewaltherrschaft über Europa geeignet waren, eine dauerhafte Herrschaftsordnung zu begründen, sollte sich hinter der glänzenden Fassade der Massenzustimmung und der Blitzkriege sehr bald zeigen.

Ursachen der raschen Machtentfaltung

Zunächst einmal blickten Europa und Teile der außereuropäischen Welt für ein paar Jahre nach Berlin und fragten nach den Ursachen für die rasche Machtentfaltung, die nichts anderes war als eine von Unrechtsmaßnahmen und Skrupellosigkeit begleitete kurzfristige Kraftentfaltung, die auch im Inneren der nationalsozialistischen Herrschaft zu keiner dauerhaften und konstruktiven Ordnungspolitik fähig war. Zur Erklärung des überraschenden Aufstiegs der faschistischen Bewegungen und ihrer neuartigen Herrschaftsform, die nicht in herkömmliche Politikmuster hineinzupassen schien, griffen die Zeitgenossen auf historische Analogien und auf den Vergleich mit anderen Diktaturen, vor allem der bolschewistischen Diktatur Josef Stalins und der faschistischen Diktatur Mussolinis zurück, dem gleichsam das faschistische Erstgeburtsrecht zukam, obwohl er lange darauf beharrte, dass sein Faschismus kein Exportartikel sei. Der Diktaturenvergleich wird darum Leitlinie der folgenden Darstellung sein.

Gattungsbegriff Faschismus

Zwischen der faschistischen Bewegung (PNF) Benito Mussolinis und der nationalsozialistischen (NSDAP) unter der Führung Adolf Hitlers bestanden von Anfang an deutliche Gemeinsamkeiten und teilweise auch Entlehnungen spezifischer Organisations- und Aktionsformen des italienischen Vorbildes durch die frühe NSDAP. Politische Ideologie, Organisations- und Kommunikationsformen, Begründungen und Techniken der Führerherrschaft und auch Bedingungen sowie Formen der Machtübertragung und Machteroberung in Italien und in Deutschland berechtigen dazu, beide politische Bewegungen und ihre Herrschaftsformen, zusammen mit anderen faschistischen Bewegungen im Europa der Zwischenkriegszeit, die nicht zur Macht gekommen sind, als verwandte Phänomene unter dem Gattungsbegriff Faschismus, einem Schlüsselbegriff des 20. Jahrhunderts, zu fassen, ohne dabei die bestehenden nationalen Unterschiede zu verwischen. Auch wenn der Faschismus primär ein europäisches Phänomen war, bedeutet das nicht, dass ähnliche Ideologien, Bewegungen und Regime nicht auch außerhalb Europas, vor allem in Lateinamerika, existierten und mit dem italienischen beziehungsweise deutschen Vorbild verglichen werden können.

Das Regime Mussolinis

Bis 1933 kam der Partei und dem Regime Mussolinis innerhalb der autoritären Regime und ihrer Bewunderer eindeutig die politische Vorbildrolle zu. Der Prototyp eines charismatischen politischen Führers, dem man außerordentliche Fähigkeiten der Rettung und Ordnungsstiftung, aber auch der Massenmobilisierung zuschrieb, war Mussolini – ein ehemaliger sozialistischer Parteiführer und Redakteur der sozialistischen Parteizeitung, der sich über die Frage der Intervention Italiens in den Ersten Weltkrieg und den Streit über die Politik im Krieg mit seiner Partei zerstritten hatte. Er betätigte sich nach Kriegsende in der Atmosphäre äußerster nationalistischer Erregung als Gründer einer extrem nationalistischen, antisozialistischen und antiparlamentarischen Protestbewegung, die sich als eine soziale Bewegung, freilich mit diktatorischen Zielen und Politikformen beschreiben lässt. Seine faschistische Bewegung, die er nach einer Fusion mit den Nationalisten in Nationale Faschistische Partei (PNF) umbenannte, war ein heterogener, personenorientierter Machtverband, in dem Mussolini seinen Anspruch als Führer (Duce) nur durch einen permanenten Ausgleich zwischen den rivalisierenden Flügeln und einem schrittweisen Ausbau seines Führermythos behaupten konnte. Das Nebeneinander einer politischen Partei und paramilitärischer faschistischer Kampfbünde (Squadren) bestimmte die Eigenart des Faschismus in Italien wie in Deutschland, wo es ebenfalls zur Ausbildung der Parteiorganisation (NSDAP) und des Kampfbundes der SA kam. Beide Massenorganisationen waren Exponenten eines Politikstils, der sich durch Aktivismus sowie Voluntarismus auszeichnete und sich durch Demonstration politischer Gewalt auf der Straße oder durch die Mobilisierung der Anhänger durch Wahlkampf und Parteiarbeit artikulierte. Beide, italienischer Faschismus und deutscher Nationalsozialismus, waren Kinder des Krieges. Es gelang vor allem den faschistischen Squadren und ihren selbstbewussten Führern durch die Unterstützung von Armee, Behörden und alten Eliten in einer Atmosphäre von nationalistischer Agitation und sozialen Ängsten in kürzester Zeit in dem von sozialen Kämpfen zerrissenen Norden Italiens neben der staatlichen Administration eine auf Gewalt basierende Doppelherrschaft zu errichten. Vorbild für den neuen Politikstil der faschistischen Bewegung war das kurze Abenteuer des italienischen Dichter-Kommandanten Gabriele D’Annunzio mit Freischartruppen, welche die im Friedensvertag den Jugoslawen zugesprochene Stadt Fiume (Rijeka) gewaltsam und widerrechtlich besetzten und dort eine mehrmonatige, auf Massenmobilisierung und militärischen Drohgebärden beruhende charismatische Herrschaft errichteten, deren Korporativprogramm und politische Symbolik dann von Mussolini kopiert wurde. Seine faschistische Bewegung war ganz ähnlich eine antiliberale, radikalnationalistische und antimarxistische Führerbewegung, deren Programm eines nationalen Sozialismus zur überkommenen Gesellschafts- und Werteordnung in einem ambivalenten Verhältnis stand: Sie war reaktionär und revolutionär zugleich und spiegelte damit die Widersprüche einer zerrissenen Gesellschaft. Was die bunt zusammengewürfelte Bewegung und praktisch – mit einem Schwerpunkt in den Mittelschichten – aus allen Gesellschaftsschichten ihre Anhänger und Mitglieder rekrutierende Bewegung auszeichnete, waren nicht ihre soziale Herkunft, sondern ihre Uniformierung, ihre militärischen und spezifischen politischen Kommunikationsformen, ihre Jugendlichkeit und vor allem die Orientierung an einem antidemokratischen Führerprinzip. D’Annunzio und Mussolini, aber auch Hitler erfüllten mit ihrer Stilisierung zum Führer Erwartungen in einer Gesellschaft, die vom Krieg geprägt und in der tiefen Nachkriegskrise sowie auf der Grundlage einer teilweisen Ablehnung parlamentarisch-demokratischer Politikformen nach dem starken Mann und Retter suchte, die aber die Lösung der politischen Probleme nicht von Parlamentsdebatten, sondern von Terror und Zwang, von Aktivismus und Gewalt erwartete.


Benito Mussolini und Adolf Hitler mit Galeazzo Ciano und Hermann Göring am Münchener Hauptbahnhof anlässlich der Viermächtekonferenz im September 1938.

Durchsetzung Mussolinis

Zu der ambivalenten politischen Selbstdarstellung gehörte auch eine ambivalente politische Strategie. Trotz aller Unbedingtheit und Radikalität, die die faschistischen Bewegungen repräsentierten, haben sie sehr bald begriffen, dass ihr Weg zum politischen Erfolg nur über die Unterstützung durch etablierte Machtgruppen führte. Bereits Mussolinis Machteroberung gründete sich auf eine Doppelstrategie von revolutionärer Gewalt sowie scheinbarer politischer Legalität und Koalitionspolitik, die von Hitler und der NSDAP imitiert wurde, auch wenn der politische Akt, den der frühe Hitler an Mussolini bewunderte, der „Marsch auf Rom“ war – mithin ein Gewaltakt, der sich allerdings bei genauerem Hinsehen als eine Form der symbolischen Gewaltandrohung herausstellte. Als Führer einer kleinen Parlamentsgruppe stellte sich Mussolini, gestützt auf seine Kampfbünde, als Ordnungsstifter dar und wurde aus einer Minderheitenposition in einer parlamentarisch verfahrenen Situation zum Chef einer Koalitionsregierung – umrahmt von bürgerlich-konservativen Parteien – ernannt, die nach der bewährten Taktik des Trasformismo die unruhige Protestbewegung Mussolinis durch die Einbindung in eine Koalition zähmen und korrumpieren wollten. Mussolini gelang es jedoch, gestützt auf die offene Gewaltpraxis und mit dem eher symbolischen Akt des „Marsches auf Rom“ (27.10.1922), sich der parlamentarischen Einbindung schrittweise zu entziehen und seit dem 30. Oktober als Chef einer Koalitionsregierung und Führer der faschistischen Bewegung in einem taktischen Doppelspiel den Ordnungsstifter zu spielen, während seine Squadren gleichzeitig das Land weiterhin terrorisierten und politische Gegner, vor allem von der Linken, unter Druck setzten beziehungsweise ermordeten. Auch den Mord an dem sozialistischen Parteiführer Giacomo Matteotti (10.6.1924), für den die Verantwortung in Mussolinis Umgebung führte, und die sich daraus entwickelnde Koalitionskrise konnte Mussolini durch die Beschwörung der Gefahr der sozialen Revolution und des Chaos mit Unterstützung der gesellschaftlichen Machtgruppen zu seinen Zwecken nutzen und 1925 mit der Errichtung einer offenen Diktatur beginnen, die sich weiterhin auf Gewalt und Konsens stützte. Freilich musste sich Mussolini in der Praxis seine Macht mit anderen Mächten aus Armee, Bürokratie und Großwirtschaft teilen, und auch das Königtum blieb als Orientierungspunkt der alten Eliten erhalten, auch wenn sich der schwache König immer mehr zum Helfer des faschistischen Regimes machte. Mussolinis Herrschaft, die sich über einen langen Zeitraum von mehr als fünf Jahren zu einer semi-totalitären Diktatur entfaltete, erreichte nie den Grad der „Durchherrschung“ der Gesellschaft, wie das später dem NS-Regime gelang. Obwohl die PNF prozentual mehr Parteimitglieder aktivierte als die NSDAP, war der Einfluss der faschistischen Partei auf die italienische Politik geringer als der der NSDAP auf die deutsche Politik. Das wird schon daran deutlich, dass die faschistischen Milizen dem Staat und seiner Armee untergeordnet waren und nicht dem Parteiapparat. Die Massenmobilisierung an Mitgliedern in Italien konzentrierte sich vor allem auf die Personalpolitik. Alle Posten in der Verwaltung wurden von der Partei vergeben, sie wählte auch das Personal für die Führungspositionen aus. Aber sie blieb dem Staat als politische Institution untergeordnet. Es gibt darum Zweifel, ob das Regime Mussolinis die Merkmale einer totalitären Herrschaft vollständig erfüllt, auch wenn es alles unternahm, um die totale Kontrolle über alle Institutionen und Politikbereiche zu erlangen – und sich selbst als totalen Staat zu definieren. Sicher ist, dass das Regime Benito Mussolinis nicht jenen Charakter einer Weltanschauungs- und Parteiherrschaft erreichte wie die Führerherrschaft Adolf Hitlers und folglich auch nicht das Ausmaß an Zerstörungskraft wie das „amoklaufende“ (Hans Mommsen) NS-Regime, für das es keine institutionellen Barrieren und Gegengewichte mehr gab, welche die Zerstörung der Politikfähigkeit und den tiefen Fall in die Barbarei hätten bremsen können.

Machtergreifung Hitlers

Hatte Mussolini mehr als fünf Jahre benötigt, um in einem von Widerstand und Systemkrisen begleiteten Prozess seine Einparteienherrschaft – verbunden mit einer korporativen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung – durchzusetzen, so benötigten Hitler und die NSDAP für denselben Prozess ungefähr fünf Monate. Ähnlich wie Mussolini stützte sich auch Hitler nach seiner Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 auf ein Machtbündnis der NSDAP mit der deutschnationalen DNVP, die im Kabinett Hitler insgesamt acht Minister stellte, während von der NSDAP neben Hitler nur Wilhelm Frick und Hermann Göring Ministerämter erhalten hatten und damit nach außen angesichts dieser scheinbaren Minderheitenposition das Zähmungskonzept der Deutschnationalen scheinbar aufgegangen war. Das neugeschaffene Propagandaministerium wurde Joseph Goebbels erst nach der Reichstagswahl vom 5. März übertragen, was nicht nur die Zahl der Minister der NSDAP erhöhte, sondern auch den Charakter der Politik verändern sollte. Im Unterschied zur Regierung Mussolinis stützte sich Hitler jedoch auf eine starke faschistische Massenpartei, die sowohl an der Wahlurne seit 1932 die stärkste Partei geworden war, als auch sofort nach der Ernennung ihres Führers zum Reichskanzler – ähnlich wie die PNF in Italien – eine Dynamik und Gewaltentfaltung gegen Vertreter der politischen Linken und gegen andere Repräsentanten und Einrichtungen der demokratischen Republik sowie – im Unterschied wiederum zu Italien – auch und von Anfang an vor allem gegen die jüdische Bevölkerung zeigte, die man als revolutionären Vorgang bezeichnen kann. Zu den ersten Maßnahmen der Regierung Hitler hatte, mit der Unterstützung und der Zustimmung bürgerlich-nationaler Gruppen, das Verbot kommunistischer Druckschriften und nach dem Reichstagsbrand (27.2.1933) ein Versammlungsverbot für die KPD gehört. Neben staatlichen Maßnahmen wirkten schon längst wilde Verhaftungsaktionen von SA- und NSDAP-Aktivisten, die ihre einstigen Gegner in wilde „Schutzhaftlager“ brachten und misshandelten. Bald kamen Verfolgungsaktionen gegen jüdische Anwälte, Ärzte und Unternehmer wie Ladenbesitzer hinzu, bis die NSDAP einen zentralen Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 organisierte und mit dem anschließenden „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ nicht nur eine politische Säuberungswelle in allen Amtsstuben bis in die Universitäten eröffnete, sondern auch Juden allein aus ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnisch-religiösen Minderheit den Zugang zum öffentlichen Dienst verwehrte und erste Säuberungskampagnen einleitete. Das war das erste Gesetz der Moderne, in dem der Antisemitismus zur staatlichen Zwangs- und Ausgrenzungsmaßnahme wurde, und es war, wie sich bald zeigen sollte, nur der erste Schritt in einer Kette von Ausgrenzung, Entrechtung und Verfolgung. Zusammen mit dieser revolutionären Dynamik von unten und der radikalen Ausnutzung des Notverordnungsparagraphen der Verfassung gelang des den Nationalsozialisten, innerhalb von zwei Monaten nach dem Reichstagsbrand den Ausnahmezustand in Permanenz durchzusetzen und alle Grundrechte der Verfassung auszuhebeln.

Politik der Gleichschaltung

Diese eigentümliche Verbindung von scheinbarer Legalität und politischer Gewalt, von Tradition und Revolution erlaubte es, nach der neuerlichen Bestätigung der Koalitionsregierung durch die Wahlen vom 5. MΠrz 1933, die in einer Atmosphäre der Drohung und Gewalt stattgefunden hatten, den zweiten Schritt der Machtergreifung zu beginnen, nämlich die Gleichschaltung der Länder und Gemeinden sowie der Parteien und Verbände, die bereits im Juli 1933 abgeschlossen war. Zwar waren die Herrschaftsstrategien und Machteroberungstechniken, die der NSDAP einen unerwartet raschen Erfolg brachten, durchaus mit denen Mussolinis vergleichbar, nicht aber das atemberaubende Tempo und die Eindringtiefe der Gleichschaltung, die auch die Gesellschaft erreichte und in einem Prozess von Zwang und Zustimmung zu einer freilich asymmetrischen „Durchherrschung“ der Gesellschaft führten, in der die als bedrohlich für die NS-Herrschaft erachtete Arbeiterschaft ihrer eigenen Organisationen gewaltsam beraubt und in ihrer sozialen Autonomie sofort gleichgeschaltet, dann aber auch durch soziale Verheißungen umworben und ruhiggestellt wurde. Gerade die zeitliche Koinzidenz von einer propagandistischen Werbung um die Arbeiterschaft durch die Einführung des 1. Mai als eines Feiertags der „nationalen Arbeit“ und der am Tag darauf, am 2. Mai, stattfindenden gewaltsamen Besetzung und Zerschlagung der Gewerkschaften und ihrer Einrichtungen zeigt die für die nationalsozialistische Machtergreifung charakteristische Doppelstrategie von Verführung und Gewalt und demonstriert das Tempo dieses Vorgangs, das Opfer wie Zeitgenossen verwirrte und mit der Beschleunigung der Politik auch eine Veränderung des politischen Stils ankündigte, der die Nationalsozialisten zu Repräsentanten der Moderne machte.

NSDAP, SA und Reichswehr

Die dritte Etappe der NS-Machtergreifung war von der ungelösten Frage nach dem Verhältnis der mittlerweile zur Monopolpartei aufgestiegenen NSDAP und dem von nun von NSDAP-Funktionären beherrschten Staat sowie vor allem von dem Spannungsverhältnis zwischen den quasi-revolutionären Machtansprüchen der zur Massenbewegung angewachsenen Parteiarmee der NSDAP, der SA, und der Reichswehr bestimmt, die ihren Anspruch auf ihr Waffenmonopol und ihre Forderung nach einer „zweiten Revolution“ zur Sicherung ihrer sozialen Stellung behaupten wollte, während Hitler die Reichswehr umgekehrt brauchte, wenn er seine Expansions- und Eroberungsziele umsetzten wollte. Auch in diesem Falle wie in vorangehenden Entscheidungssituationen der NS-Herrschaft gilt, dass es keinen ausgefeilten Plan der Machteroberung gab, sondern – gepaart mit einem ideologisch definierten Machtwillen – ein geschicktes Ausnutzen einer Konfliktsituation und ein radikalisierendes Weitertreiben von etappenweise durchgesetzten Machtpositionen und einmal getroffenen Entscheidungen. Dass der Konflikt Hitlers und Görings mit der SA-Führung um die Frage des Waffenmonopols der Reichswehr und der Stellung der SA eskalierte und sich mit der Erwartung des baldigen Todes des greisen Reichspräsidenten verband, was schließlich eine neuerliche Etappe im Prozess der NS-Machtergreifung einleiten sollte, war weder vorhersehbar noch geplant. Grundsätzlich standen dahinter Spannungen zwischen der Reichswehr als Repräsentantin der alten Eliten, mit denen man eben noch ein Bündnis eingegangen war, und dem totalen Machtanspruch der NSDAP beziehungsweise der SA. Gelöst wurden diese innerparteilichen Rivalitäten zwischen NSDAP und SA und den von ihnen repräsentierten unterschiedlichen Politiken und Militärkonzepten durch einen staatlich organisierten, von Hitler selbst befehligten Mord, der im Stil von Bandenkämpfen und nicht nach rechtsstaatlichen, rationalen Kriterien ausgetragen wurde. Mit von der Partie war die Reichswehrführung, die ihren moralischen Kredit verspielte, als sie die Säuberung der SA-Führung logistisch und politisch unterstützte und mit der noch kleinen SS um Heinrich Himmler die „Revoluzzer“ um Ernst Röhm im Interesse der Machterhaltung und der vorläufigen Bündniskonstellation zwischen alten Eliten und Hitler opferte. Wieder kam, ähnlich wie in Italien 1924/1925, der Zufall zusammen mit einer eklatanten Fehleinschätzung und Selbstanpassung der alten Führungsgruppen Hitler zu Hilfe, als der seit Wochen absehbare Tod des Reichspräsidenten die Chance bot, kurze Zeit nach der inneren Machtsicherung durch Willkür und Gewalt, von der auch die Wehrmacht vordergründig profitierte, nun auch das Amt des Reichskanzlers mit dem des Reichspräsidenten vereinigen zu können. Mit dem persönlichen Eid der Reichswehr auf Hitler am Tag danach – einer Anpassung, die von der Reichswehrführung aus einer taktischen Fehlkalkulation initiiert worden war – hatte Hitler eine Machtstellung erobert, die jedwede institutionell fundierte Opposition ausschloss. Eine solche Machtposition hatte Mussolini nie erreichen können, der immer gezwungen war, mit den eigenständigen Machtfaktoren König, Kirche und Armee zu paktieren, während Hitler sich über diese hinwegsetzen und bis zum Ende auf deren Loyalität setzen konnte. Nur auf dieser Machtbasis, die Hitler bereits 1934 errungen und 1938 hatte ausbauen können, war die spätere ideologisch motivierte Radikalisierung und Vernichtungspraxis möglich, denn es gab seit 1938 und seit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, vor allem nach dem erstaunlichen Erfolg Hitlers im Frankreichfeldzug 1940, keine normativen und institutionellen Barrieren mehr, die den zerstörerischen Charakter der Weltanschauungspolitik Hitlers und seiner Führungszirkel bremsen konnten. Auch die Wehrmachtsführung war von Hitlers militärischen Erfolgen verblendet und nannte ihn bewundernd den „größten Feldherrn aller Zeiten“, was die Bereitschaft, sich sehenden Auges in den Eroberungs- und weltanschauungspolitischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion zu stürzen, nur noch erhöht hat.

Der SS-Apparat

Die NSDAP als Führer- und politische Kampf- und Glaubensbewegung war in diesem Prozess der Machtentfaltung und Machtmobilisierung immer weiter in Teilbereiche zerfallen und hatte ihre ursprüngliche Aufgabe der politischen Mobilisierung und Machteroberungen erfüllt beziehungsweise damit auch Einfluss verloren. Das galt freilich für bestimmte Elite- und Sondereinrichtungen innerhalb der NSDAP, die damit ihren eigentümlichen Charakter als zusammengewürfelter personenorientierter Machtverbund deutlich machte, umso mehr. Vor allem die SS, die einmal der SA unterstanden hatte, war längst aus dem Dunstkreis der plebejischen Massenbewegung der SA ausgebrochen und hatte sich als Eliteeinrichtung, als „Orden für das gute Blut“, formiert und schließlich Politikfunktionen und mit der Waffen-SS militärische Formen erobert. Spätestens im Frühjahr 1938 waren mit der Entlassung des deutschnationalen Außenministers Konstantin Freiherr von Neurath und der Generäle Werner von Blomberg und Werner von Fritsch als Reichskriegsminister und als Oberbefehlshaber des Heeres beziehungsweise der Übernahme des Oberbefehls über die Wehrmacht durch Hitler auch die letzten konservativen Machtpositionen im Regierungssystem beseitigt und die Unterminierung des Normenstaates durch nicht-staatliche Parteiämter und führerunmittelbare Kommissare und Beauftragte so weit vorangeschritten, dass es keine Kabinettsitzungen der Reichsregierung und keine geregelten politischen Entscheidungsverfahren mehr gab. Vor allem wuchs der SS-Apparat spürbar an und begann, sich die staatliche Politik, vor allem im Bereich von Polizei und Sicherheit, unterzuordnen. Die Polizei wurde entstaatlicht, und Heinrich Himmler als „Chef der deutschen Polizei und Reichsführer SS“ hatte sein Büro nicht im Reichsinnenministerium, sondern in seiner eigenen Herrschaftszentrale in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße. Die SS verstand sich ausschließlich als Instrument des „Führerwillens“ und gründete darauf ihre rasante Expansion während des Krieges. Umgekehrt hatte Hitler damit einen treu ergebenen Apparat. Allein der Führerwille zählte, und Hitler hatte, unterstützt von einer breiten Massenzustimmung, eine absolute Machtposition erreicht, wie sie kein anderer im 20. Jahrhundert erreichen sollte. Während Benito Mussolini 1943 durch Mehrheitsentscheidung im „Faschistischen Großrat“ abgesetzt werden konnte, gab es eine vergleichbare Einrichtung im Staat Hitlers nicht. Was der Opposition blieb, waren Widerstand und Tyrannenmord.

Das NS-Regime

Die Gründe für diesen beispiellosen Radikalisierungs- und (Selbst-)Zerstörungsprozess sind vielfältig. Sie haben sicherlich auch mit der rassistisch-sozialdarwinistischen Ideologie zu tun, die im Krieg und in einer ungebremsten Dynamik die obersten politischen Leitlinien sah, was mit dem Macht- und Veränderungswillen der Nationalsozialisten korrespondierte. Die Stabilisierung und Effizienz des NS-Regimes lag aber auch in der selbstanpasserischen Bereitschaft weiter Teile der Gesellschaft, von den alten Führungsgruppen über Teile des Bürgertums bis in die Mittel- und Unterschichten hinein, dem „Führer“„entgegen zu arbeiten“ (Ian Kershaw). Schließlich war die ungebremste Dynamik und Zerstörungskraft des NS-Herrschaftssystems auch in dessen amorphem Charakter und sozialdarwinistischem Politikverständnis selbst begründet: in dem Misstrauen gegen bürokratisch-rationale Herrschaft und Verwaltungsformen, umgekehrt in der Präferenz für personale, unmittelbare Gefolgschaftsstrukturen und dadurch in einem Wildwuchs immer wieder entstehender und anwachsender Sondervollmachten und rivalisierender Ämter, die sich in einem permanenten Wettlauf um Erfolg und Radikalität und damit auch um Macht befanden. Dadurch zerfiel eine rationale und auf gegenseitiger Kontrolle basierende Ämterstruktur. Oberster Bezugspunkt blieb allein der „Führer“ und die jeweilige persönliche Machtstellung eines Unterführers beziehungsweise seiner Nähe zu Hitler, dessen charismatisch begründete Macht sich auf den durch Massenmobilisierung und Zustimmungsbereitschaft großer Gesellschaftsteile immer wieder erneuernden Führermythos und seine persönliche Herrschaft innerhalb und außerhalb der nationalsozialistischen Bewegung stützte. Die Nähe zu Hitler drückte sich allein schon räumlich aus: Nicht in der Regierungszentrale in Berlin, wo Hitler sich eine megalomane Neue Reichskanzlei hatte errichten lassen, sondern in beliebigen Führerresidenzen und seit 1939/1940 in Führerhauptquartieren fielen die wichtigen politischen Entscheidungen. Wer darauf Einfluss nehmen wollte, musste räumlich und physisch präsent sein und errichtete sich deswegen auf dem Obersalzberg oder in der Wolfsschanze eigene Kommandostäbe und Quartiere.

Der „schöne Schein“

Es waren die unübersehbaren Erfolge bei der Sicherung von Arbeit und Brot, aber auch der durch eine Risikopolitik wiedereroberten Großmachtstellung, die diesen Mythos des nationalen Retters immer wieder erneuerten und Hitlers Machtstellung plebiszitär absicherten. In relativ kurzer Zeit hatte das NS-Regime, unter Verwendung der Arbeitsbeschaffungspläne der Vorgängerregierungen und dank der durch die Aufrüstungspolitik angekurbelten Konjunktur, in einzelnen Regionen und Branchen die Wirtschaft in Schwung gebracht und die Arbeitslosigkeit schrittweise abbauen können, ganz im Unterschied zu den europäischen Nachbarn, die bis zum Kriegsbeginn durch die Massenarbeitslosigkeit ihre politisch-soziale Stabilität erheblich gefährdet sahen. Die durch die Verbindung von tatsächlichen Erfolgen und ihrer propagandistischen Aufwertung erzielte optimistische Grundstimmung und Zukunftshoffnung, die gerade die modernen Diktaturen zu erwecken suchten, ließen die Versorgungskrisen sowie die Unzulänglichkeiten des Aufschwunges und die Disparitäten zwischen bescheidener Lohnentwicklung und übermäßigen Gewinnen von Besitzenden und Unternehmern allzu leicht übersehen. Das passte zwar nicht zu der nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsrhetorik, doch konnte diese die anhaltenden und sich sogar noch zuspitzenden materiellen Disparitäten zwischen den sozialen Schichten und Klassen durch sozial- und freizeitpolitische Lockangebote vom Winterhilfswerk bis zur Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ und durch Gemeinschaftsrituale ebenso überdecken wie die gleichzeitige Praxis der Ausgrenzung und Verfolgung missliebiger und dissidenter Gruppen, vom illegalen Widerstand über die Zeugen Jehovas bis vor allem zu den deutschen Juden. Der Eindruck eines zwar autoritären, aber soziale Sicherheit und soziale Aufstiegsmöglichkeiten gewährenden Wohlfahrtsstaates und der durch ihn gesicherten Teilhabe an der zivilisatorischen Moderne von der Freizeit- und Sportförderung bis zu glanzvollen Inszenierungen von Film- und Theaterkunst sicherte die Mobilisierungsdynamik im Alltag ab und erweckte den Eindruck, die deutsche Gesellschaft sei Teil der Moderne und nicht der Unrechts- und Verfolgungsstaat, der er hinter dieser Fassade war. Vor allem reichte dieser „schöne Schein“ (Peter Reichel), wie er von vielen autoritären Systemen der Zeit gepflegt wurde, um die Kritik an Bonzentum und Korruption vieler NS-Funktionäre und Amtsträger abprallen zu lassen und den „Führer“ von dieser Kritik auszunehmen. Tauchte hinter der glänzenden Fassade die hässliche Wirklichkeit der Verfolgung und Kriegsdrohung beziehungsweise -wirklichkeit auf, dann beruhigte man sich mit der Formel „Wenn das der Führer wüsste“. Selbst als der charismatische Glanz der Führerherrschaft nach der Wende des Kriegs immer mehr verblasste, blieb Hitlers Nimbus als Ordnungsstifter und letzte Bezugsperson fast noch ungeschmälert erhalten, wie die Reaktion der Bevölkerung auf die Nachricht vom gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 zeigt: „Gott sei Dank, der Führer lebt.“

Hitler und seine Helfer

Die ungebrochene Kraft des „Führer-Nimbus“ ist auf die verbreitete Erwartung eines Retters und Erlösers und die erfolgreiche Befriedigung dieser Erwartung durch die Selbstinszenierung Hitlers und seines Regimes zurückzuführen, ähnlich wie auch Mussolini seinen Mythos als „Duce“ kultivieren konnte. Die Beständigkeit von Hitlers Nimbus war natürlich durch die außen- und nationalpolitischen Erfolge des „Dritten Reiches“ begründet, die sich vor dem Hintergrund der Niederlage von 1918 und der als „Schmach“ empfundenen außen-, reparations- und wirtschaftspolitischen Restriktionen und Belastungen des Versailler Vertrags umso glänzender ausnahmen und dabei leicht übersehen ließen, wie vieles an diesen Erfolgen bei der völkerrechtswidrigen Revision des Versailler Vertrages sich der Schwäche der Siegerstaaten und des internationalen Systems sowie der risikobehafteten abenteuerlichen Außenpolitik Hitlers verdankte. Doch musste man Hitler, der auf einen entsprechenden Einwand seines Adlatus Hermann Göring 1939 am Vorabend des Zweiten Weltkrieges bekannte, er habe mit seiner Politik immer Vabanque gespielt, zugestehen, dass er einen untrüglichen Instinkt für die Schwäche des Gegners besaß und damit richtig lag, solange die westlichen Alliierten Frankreich und England auf Grund ihrer unterschiedlichen innenpolitischen Schwächen bereit waren, diese Regelverstöße hinzunehmen – immer in der Annahme, dass auch Hitlers Außenpolitik sich an einem vernünftigen Zweck-Mittel-Kalkül orientiere, was sich spätestens 1939 als Illusion erweisen sollte. Auch die politischen, wirtschafts- und militärpolitischen „Helfer“ Hitlers, die sich trotz ihrer Führergläubigkeit immerhin noch ein ansatzweise realistisches Bewusstsein von der außen- und rüstungspolitischen labilen Situation des „Dritten Reiches“ bewahrt hatten, haben sich dieser Politik nicht in den Weg stellen wollen und können, da sie bis 1939/1940 immer wieder erkennen mussten, dass es trotz ihrer sachlichen Einwände noch einmal gutgegangen war und dass der „Führer“ wieder recht behalten hatte. Außerdem vertrat Hitler bis 1939/1940 außenpolitische und machtpolitische Ziele, die die konservativen Eliten und vor allem die Reichswehr, aber auch andere Gruppen der Gesellschaft selbst verfochten und die scheinbar in der Kontinuität deutscher Großmachtpolitik lagen. Darum gab es auch in der Formulierung der Außenpolitik wenig Dissens, und Hitler konnte sich auf diesem Feld, das er zu seiner Sache machte, auf die Kooperation mit dem Auswärtigem Amt und der Wehrmacht stützen. Nur im politischen Stil gab es Differenzen zwischen klassischer Diplomatie sowie einer plebiszitären und aggressiven nationalsozialistischen Außenpolitik, die sich überdies auf einen Kranz von rivalisierenden Parteiapparaten stützen konnte, die eine Art Privataußenpolitik betrieben und als Instrument des politischen Druckes eingesetzt werden konnten. Immerhin hatte die Risikopolitik, die Hitler bis 1938 bei Mitwirkung seiner außenpolitischen Helfer (und dann noch einmal nach dem Sieg über Frankreich 1940) durchführte, erstaunliche Erfolge gebracht. Mit der vertragswidrigen Aufrüstung der Wehrmacht (1935), dem Einmarsch in die entmilitarisierte Zone des Rheinlandes (1936) und dem ebenso rechtswidrigen „Anschluss“ von Österreich (1938) sowie dem zunächst noch durch die Münchner Konferenz legitimierten Einmarsch in die Sudetengebiete hatte sie Hitler zu einem national- und militärpolitischen Prestige verholfen, das sogar die wenigen militärischen Kritiker, die auf die unzulängliche Rüstung und die damit verbundene Risikopolitik hinwiesen, schließlich verstummen ließ und geneigt machte, sich auch bei der Planung des Überfalls auf die Sowjetunion Hitler anzuschließen. Zu den Besonderheiten der faschistischen Außenpolitik Mussolinis und Hitlers gehörte es schließlich, dass die Diktatoren sich ihre Erfolge (Mussolini schwadronierte von der Herrschaft über den ganzen Mittelmeerraum, dem mare nostro) durch Plebiszite jeweils absegnen ließen, vor allem, um ihre Herrschaft zu sichern.

Der Vierjahresplan

Zu der nationalsozialistischen Mobilisierungsstrategie gehörte auch der schrittweise Umbau der Wirtschaftsverfassung zu einer „Kommandowirtschaft“ (Dietmar Petzina). Zwar blieben die privaten Verfügungsrechte über die wirtschaftlichen Unternehmen und das Eigentum unangetastet (im Unterscheid zur Kollektivierung in der Sowjetunion), aber der Staat wurde zum größten Investor und der öffentliche Sektor der größte Konsument. Das war vor allem Folge der einseitigen Rüstungspolitik, die entgegen der wirtschaftlichen Vernunft vorrangig vorangetrieben werden sollte. Darum wurde gegen alle Gebote der Marktwirtschaft die Autarkiepolitik Deutschlands gesteigert und die deutsche Wirtschaft zunehmend vom Weltmarkt abgekoppelt. Um die Zufuhr von blockadegefährdeten Gütern im Kriegsfalle zu sichern und aus Gründen der raschen Aufrüstung konzentrierte man sich auf den Abbau und die Verarbeitung unrentabler Rohstoffe. Die Entscheidung über Devisenund Rohstoffbeschaffung, über Arbeitskräftelenkung und Produktionsschwerpunkte, über Industrieförderung, die Schaffung von synthetischen Ersatzstoffen und die Auftragserteilung wurde auf eine staatliche Behörde, die Behörde des Beauftragten für den Vierjahresplan verlagert, die neben dem Reichwirtschaftsministerium unter dem Kommando von Hermann Göring eingerichtet wurde. Zusammengesetzt war diese Mammuteinrichtung aus Vertretern von Staat und Partei, von Wehrmacht und Industriemanagern, und sie beanspruchte weitgehende Lenkungskompetenzen vor allem in allen rüstungswirtschaftlich relevanten Bereichen, während der Konsumgüterbereich, der ohnehin eher stiefmütterlich behandelt und gedrosselt wurde, den Kräften des Marktes überlassen blieb. Mit dem Vierjahresplan sollten widersprüchliche Ziele realisiert werden: die Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung, ein hohes Konsumniveau und hohe Ausgaben für die Rüstung. Die Umlenkung der Ressourcen in staatliche Investitionen und die Prioritäten in der Handelspolitik, die den für die Herstellung von Konsumgütern erforderlichen Import von Rohstoffen wie Wolle, Baumwolle oder Südfrüchte einschränkten, bewirkten eine anhaltende Verschlechterung der Konsumgüter. Textilien wurden mehr und mehr aus synthetischem Gewebe hergestellt und kratzten, Schuhe hielten oft nur noch für eine Saison und statt Butter sollte es vorwiegend Margarine geben. Nur wer es sich leisten konnte, kaufte noch Butter, die unter dem Ladentisch lag. Die ehrgeizigen Ziele des Vierjahresplans wurden in keinem Bereich erreicht und auch die Engpässe im militärwirtschaftlichen Bereich führten zu einer Aufrüstung, die nur wenige Vorzeigeobjekte besaß, aber kaum über eine Tiefenrüstung verfügte. Man war auf Blitzkriege angewiesen.

Haushalts- und Finanzpolitik

Auch die Finanzierung der Rüstungsausgaben lief zunehmend nur über staatliche Eingriffe und eine ständige Geldvermehrung, was schließlich dazu zwingen musste, weitere Ausgaben nur über Krieg und Eroberungen in einer Form der Raubwirtschaft zu finanzieren. Dass eine solche staatliche Intervention und protektionistische Autarkiepolitik möglich war, gehörte zu den Folgen der Weltwirtschaftskrise, die überall die Marktmechanismen und internationalen Wirtschaftsbeziehungen zerstört hatte. Wer davon zunächst profitierte, waren die Diktatoren. Ihr politischer Wille zur Expansion war es schließlich, der auch der Ökonomie neue Strukturen auferlegte und bisherige Mechanismen außer Kraft setzte. Die Rückkehr zu einer ausgeglichenen Haushalts- und Finanzpolitik nach einer Phase der Defizitsteigerung zur Wirtschaftsförderung hätte 1936/1937 eine Drosselung der einseitigen Rüstungspolitik erfordert; doch das passte nicht in Hitlers Expansionspläne, so dass er sich zur Politik der Vierjahrespläne und der Kommandowirtschaft entschied.

Italienischer Korporatismus

Auch der italienische Korporatismus, den Mussolini 1926 mit dem Gesetz über Korporationen eingeführt hatte, gehört in den Zusammenhang staatlicher Wirtschaftslenkung und wird zu einem Merkmal der Diktaturen. Freilich überwiegt zunächst ein sozialer Anspruch, nämlich die Idee der sozialen Organisation zur Verwirklichung eines Ausgleichs zwischen Kapital und Arbeit. Ein Dilemma der Politik sollte gelöst werden: Wie kann man eine Gesellschaft organisieren, so dass ein Ausgleich der Interessen anstatt einer Fragmentierung und Spaltung der Gesellschaft in antagonistische Meinungen und Interessen hergestellt wird? Auch anderswo in Europa, nämlich in Frankreich, Schweden und der Schweiz, wurden in den 30er Jahren ähnliche Projekte vertreten und ansatzweise eingeführt. Auch der New Deal Roosevelts näherte sich dem an. In Italien wurden 1934 22 Korporationen geschaffen – ein System von Syndikaten bestehend aus Vertretern der Arbeiter, Unternehmer, Anbieter und Verbraucher. Sie sollten die Märkte regulieren und die Wirtschaft modernisieren. Sie inszenierten Kampagnen für die wirtschaftliche Unabhängigkeit Italiens vom Weltmarkt, wie etwa den „Erntefeldzug“. Italienische Tüchtigkeit sollte gefördert und auch die Geburtenrate erhöht werden. Doch bald trat der für moderne Zivilisationen übliche Zusammenhang zwischen einer (bescheidenen) Wohlstandsvermehrung und einem Sinken der Geburtenrate hervor. An dem „demografischen Übergang“ konnte auch eine Diktatur nichts ändern, wohl konnte sie, wie auch das italienische Beispiel zeigt, gesellschaftliche Organisationen, wie die Korporationen, zu einem verlängerten Arm staatlicher Wirtschaftspolitik umfunktionieren (und damit den Selbstverwaltungscharakter der Korporationen ad absurdum führen) und sie für die Rüstungspolitik dienstbar machen.

Verfolgungsmaßnahmen gegen deutsche Juden

Zur selben Zeit, als die Wirtschaftspolitik Deutschlands auf Kriegswirtschaft umgestellt wurde, verschärften sich auch die Verfolgungsmaßnahmen gegen die deutschen Juden, sofern die Vermögenderen und Einflussreicheren unter ihnen nicht schon durch Auswanderung dem staatlich organisierten Antisemitismus entkommen waren. Auch wenn Göring mit seiner Vierjahresplanpolitik großes Interesse an der Ausplünderung der noch im Land verbliebenen Juden hatte, waren die neuerlichen Verfolgungsmaßnahem des Jahres 1938 nicht primär auf ökonomische Interessen zurückzuführen. Vielmehr griff auch in diesem zentralen Politikfeld des NS-Regimes dessen allgemeine Logik der Radikalisierung. Wieder war es das Zusammenspiel von Parteiaktivisten an der Basis, die neue Ausgrenzungs- und Verfolgungsaktionen auslösten, und von staatlichen Koordinationen und pseudogesetzlicher Rechtfertigung von oben, die eine vom Regime ausgelöste Situation ausnutzten und verschärften. Hatte es im Sommer 1938 schon Zerstörungen von Synagogen und Aufstellungen von jüdischem Besitz und Vermögen gegeben, so wurden die Novemberpogrome von 1938 durch die heftige Verzweiflungs- und Racheaktion des jungen Herschel Grynszpan ausgelöst, der von dem schrecklichen Schicksal seiner Eltern erfahren hatte, die von NS-Behörden zusammen mit anderen polnischen Juden, die in Deutschland lebten, deportiert worden waren und im Niemandsland zwischen Deutschland und Polen unter elenden Bedingungen tagelang ausharren mussten. Das tödliche Attentat Grynszpans auf einen deutschen Legationssekretär in Paris vom 7. November 1938 wurde von Goebbels am 9. November zu einer Propaganda- und Gewaltkampagne ausgenutzt, mit der er seine durch eine Liebesaffäre gefährdete innerparteiliche Stellung stärken und die politisch einflusslos gewordene SA zu einer neuen Art des wilden Bürgerkriegs, nun gegen die deutschen Juden, anstacheln konnte. Es kam auf den telefonischen Befehl vieler NS-Gauleiter, die Goebbels gehört hatten, zu Pogromaktionen überall in Deutschland: zur Zerstörung von Synagogen, Geschäften und Wohnhäusern, zur Verhaftung und Einlieferung jüdischer Männer in Konzentrationslager. Mindestens 91 Männer wurden in zwei Nächten des Pogroms umgebracht, rund 30.000 Juden vorübergehend interniert, bis sie ihre Bereitschaft zur Auswanderung erklärten. Im zweiten Akt der Verfolgung wurde Göring aktiv, der sich am jüdischen Vermögen schadlos hielt, das er für seine leeren Kassen und die Rüstung dringend benötigte. Die deutschen Juden wurden per Verordnung zu hohen Entschädigungen und Zwangsabgaben gezwungen, es begann die Welle der „Arisierungen“, mit denen jüdisches Vermögen enteignet oder zu extrem niedrigen Immobilienpreisen etc. zwangsweise veräußert werden musste und öffentlich zum Kauf angeboten wurde. Die deutsche „Volksgemeinschaft“ konnte sich bereichern und ihre angeblichen Feinde ausschließen. Die Novemberpogrome von 1938 bedeuteten den letzen Schritt in der Ausgrenzung und Entrechtung sowie den Übergang von der Ausgrenzung zur Ausmerzung, zur physischen Verfolgung und Vernichtung. Die SS drohte, dass im Falle eines Krieges die Vernichtung des Judentums auf der Tagesordnung stünde. Hitler sollte diese Drohung am 30. Januar 1939 wiederholen. Auch das war ein Grund dafür, dass das Jahr 1938 zu einer wichtigen Zäsur in der Geschichte des „Dritten Reiches“, aber auch für die internationale Politik wurde.

Bedeutung von Hitlers Herrschaft

Hitlers außenpolitische Erfolge, verstärkt durch glanzvolle Inszenierungen wie die der Olympischen Spiele 1936, haben nicht nur Außen- und Innenpolitik in einer neuartigen Weise miteinander verschränkt sowie den Nimbus des charismatischen Führers in einer bis dahin unvorstellbaren und alle anderen autoritären Herrschaften und deren Popularität weit übertreffenden Weise gesteigert. Sie haben auch das internationale System schrittweise revolutioniert und zerstört. Dieses war durch die Folgen der Weltwirtschaftskrise derart geschwächt, dass überall von Rom bis Tokio die aggressive Politik der revisionistischen Mächte, die sich als „Habe-Nichtse“ (Andreas Hillgruber) verstanden, die Spielregeln der Politik durcheinanderbrachte und auch ideologische Gegensätze, wie im Falle des Spanischen Bürgerkriegs (1936–1939), stärker handlungsleitend machte. Dass das internationale System mit der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs und dem Übergang zu einem Weltanschauungs- und Vernichtungskrieg zwischen 1939 und 1941 aus den Fugen geriet und in einen globalen Krieg mündete, war vor allem Folge der Politik Hitlers, der nach seinen glänzenden Erfolgen in der nationalen Aufbau- und Außenpolitik und getragen von der Massenzustimmung großer Teile der deutschen Gesellschaft sich eine Basis geschaffen hatte, auf der er im Windschatten anderer Konflikte und Probleme vorübergehend Macht akkumulierte, die ihn zu dieser revolutionären Politik befähigte. Diese folgte dem ideologischen Eroberungs- und Vernichtungswillen des Diktators. Das war, trotz aller Parallelen in der Ausrichtung von autoritären und totalitären Diktaturen im 20. Jahrhundert, eine einzigartige Konstellation, die das nationalsozialistische Deutschland und Hitlers Herrschaft für ein paar Jahre vorübergehend zum Gravitationszentrum der europäischen und globalen Politik machte. Weltpolitisch gesehen war das noch einmal gleichsam ein letztes Aufbäumen europäischer Weltpolitik, freilich auf einer machtpolitisch äußerst fragilen und primär zerstörerischen sowie zur ordnungspolitischen Neuordnung völlig unfähigen Politik. Damit gerieten vorübergehend auch verschiedene „kleine Diktatoren“ in Ostmittel- und Südosteuropa, sofern ihre Staaten vom „Großdeutschen Reich“ nicht zerstört wurden, wie Polen, in den Sog der nationalsozialistischen Großraum- und Lebensraumpolitik, um schließlich nach 1945 dann Opfer der Eroberungs- und Besatzungspolitik Josef Stalins zu werden.

Spanische Politik

Spanien war wie andere auch ein politischer Krisenherd in der weltweiten Auseinandersetzung um Demokratie und Diktatur. Dass das Land zu einem Schlachtfeld der Ideologien und europäischen Mächte wurde, hatte mit den Interessen der Mächte zu tun, die diese extremen Ideologien verkörperten und den innerspanischen Konflikt für ihre machtpolitischen Zwecke nutzen wollten. In der wechselvollen spanischen Politik hatte es seit Jahrzehnten eine Auseinandersetzung zwischen liberal-progressiven Bewegungen und Regierungen einerseits und autoritär-traditionalistischen Kräften und Diktaturen andererseits gegeben. Alle politischen Strömungen, die sich in Europa fanden, gab es auch in Spanien und meist in einer extremen Form: vom Anarchismus über den Sozialismus und Kommunismus zum linken Republikanismus, vom katholischen Reformismus bis zum Monarchismus und Faschismus. Spanien war in seiner politischen Kultur zwischen zwei Blöcken zerrissen und ökonomisch rückständig. Die Demokratie und internationale Wirtschaft in Form des Goldstandards kamen sehr spät nach Spanien. Nach dem Scheitern der Diktatur Miguel Primo de Riveras zwischen 1923 und 1930 versuchte die Zweite Spanische Republik trotz zahlreicher Spaltungen zwischen den einzelnen politischen Lagern und Regionen das Land zu modernisieren: einmal in wirtschaftlicher Hinsicht durch die Reform der Landwirtschaft und die Aufteilung des Großgrundbesitzes beziehungsweise die Verteilung des Bodens an bisher landlose und verarmte Bauern, andererseits in sozialer und politisch-kultureller Hinsicht durch eine Reform des Bildungswesens, was einen Angriff auf kirchliche Einflussbereiche bedeutete und von einem heftigen Antiklerikalismus begleitet wurde.

Als eine Folge der neuen Polarisierungen bildete sich eine neue politische Rechte (CEDA) unter José María Gil-Robles y Quiñones heraus, die sich als Sammlungsbewegung gegen die antiklerikalen Angriffe zur Wehr setzte und die katholische Lebensweise zu verteidigen versuchte. Auf der Linken bildete sich eine weitere sozialistische Partei unter Francisco Largo Caballero heraus, der sich als „spanischer Lenin“ verstand. Im Oktober 1934 verschärften sich die sozialen Spannungen, als in Asturien Arbeiter einen revolutionären Sowjet („Rat“) errichteten, der schließlich von der Regierung mit großer Brutalität bekämpft wurde. An der Spitze der militärischen Operation stand ein junger Generalmajor, Francisco Franco.

Der Spanische Bürgerkrieg

Bei den vorgezogenen Neuwahlen im Februar 1936 besiegte eine Volksfront der linken Parteien die CEDA. Durch die allgemeine Mobilisierung vor und während der Wahlen kam es auf dem Land immer wieder zu Unruhen der Bauern, zunehmend wurden Kirchen niedergebrannt. Der am 13. Juli 1936 stattgefundene Mord an dem politischen Führer des Rechten Nationalblocks, José Calvo Sotelo, einem Hoffnungsträger der Rechten und Vertreter eines neuen Typs autoritärer politischer Herrschaft, löste eine neue Militärrevolte aus, die schon vorher geplant war. Sie begann am 17. Juli in Marokko und wurde nach einigen Tagen von General Franco geführt. Dieser begann mit Hilfe italienischer Flugzeuge, spanische Soldaten aus Marokko auf das spanische Festland zu transportieren. Mit der Entscheidung Hitlers, einige Tage später – auf Bitten spanischer Emissäre Francos – auch deutsche Flugzeuge zum Truppentransport einzusetzen, begann die deutsche Intervention in den Spanischen Bürgerkrieg. Schließlich hatten Mussolini und Hitler 100 Maschinen der deutschen „Legion Condor“, deren Einsatz in Deutschland geheim blieb, und 78.000 Mann italienischer Bodentruppen sowie Flugzeuge und Panzer zur Unterstützung der Aufständischen eingesetzt. Hitlers Intervention hatte vorwiegend politisch-strategische Motive: Er wollte ein Bündnis der beiden Volksfrontmächte Frankreich und Spanien verhindern und sich als Bündnispartner Italiens andienen, auf dessen Unterstützung er in der Österreich-Frage angewiesen war. Die gemeinsame Intervention in Spanien war der Vorlauf für die Bildung der „Achse“ zwischen Berlin und Rom, die neben machtpolitischen Interessen auch auf der ideologischen Gemeinsamkeit der beiden faschistischen Mächte beruhte, die sich zuvor durchaus in politisch gegnerischen außenpolitischen Lagern befunden hatten. Mit der internationalen Hilfe für die Sache der spanischen Republik von der französischen Regierung und später auch der Sowjetunion wurde der Bürgerkrieg bald zu einer Auseinandersetzung zwischen der Linken und der Rechten, zwischen Faschismus und antifaschistischem Kommunismus. Den ideologischen Gegensatz von weltgeschichtlicher Dimension unterstrich vor allem die Mitwirkung internationaler Freiwilligenbrigaden auf der Seite der Republik, denen sich bedeutende Intellektuelle wie André Malraux, George Orwell, Wystan Hugh Auden und Ernest Hemingway anschlossen, während das Gros der Brigaden sich aus freiwilligen französischen und belgischen Arbeitern gebildet hatte. Auch aus den USA unterstützten 2800 Kämpfer die Republik. Innerhalb der Brigaden gab es interne Spannungen, die deren Erfolg beziehungsweise deren Aussichten auf Überleben schmälerten, aber bezeichnend für die Ideologisierung waren. Während die Sowjetunion die Kommunisten zur Befolgung der „Volksfront“ zwang, gab es unter den politisch unabhängigeren Gruppen, vor allem unter den Intellektuellen, eine zunehmende Ernüchterung über die politische Intoleranz der Kommunisten. Das waren Risse, die die politische Linke später immer wieder schwächen sollten. Schließlich sollte auch eine Revolte der republikanischen Armee die Sache der Republik schwer gefährden.

Francos Regime

Franco setzte auf eine systematische Eroberung des Landes. Im Februar 1939 fiel Barcelona in die Hand der Nationalisten, im März wurde Madrid eingenommen. Franco errichtete eine Diktatur, in die auch die spanische faschistische Bewegung, die Falange, eingegliedert wurde. Sie war auf Druck des Generalissimo schon 1937 aus verschiedenen faschistischen Gruppen vereinigt worden und fungierte nun als Staatspartei. Franco feierte seinen Triumph mit dem Befehl zum Bau eines riesigen Denkmals in der Sierra de Guadarrama, einer unterirdischen Kirche mit einem riesigen Kreuz darüber und einem langen Kirchenschiff. Das Valle de los Caídos sollte als Grab für die Gefallenen des Kriegs und als sichtbares Monument des Anspruchs Francos dienen, sich als Herrscher einer neuen Form der Monarchie zu etablieren – als ein „Caudillo durch die Gnade Gottes“, wie er auf Münzen verkündete. Francos Regime passte nicht in die politische Typologie faschistischer Regime, sondern ähnelte autoritären Regimen der Zeit, wie etwa dem von Admiral Miklós Horthy in Ungarn. Doch im Unterschied zu anderen faschistischen oder autoritären Regimen der Zwischenkriegszeit sollte Francos Monarchie ohne Monarchen dank einer geschickten Schaukelpolitik und der militärstrategischen Lage Spaniens, aber auch dank der Unterstützung durch die katholische Kirche auch die große Zäsur 1945 überstehen und bis zu seinem Tod 1975 bestehen.


Der spanische General und Diktator Francisco Franco 1936.

Die Sowjetunion

Mit dem Spanischen Bürgerkrieg war auch die Sowjetunion nach einer langen Phase der Isolierung tendenziell wieder auf die internationale politische Bühne zurückgekehrt, um allerdings im Krisenjahr 1938 wieder erleben zu müssen, dass das Vaterland der kommunistischen Revolution von den bürgerlich-demokratischen Ordnungen nach wie vor ausgegrenzt blieb. Die Entscheidung über die Die Sowjetunion Verstümmelung und den Ausverkauf der Tschechoslowakei, immerhin ein Nachbarland der Sowjetunion, fiel auf der Münchener Konferenz Ende September 1938 ohne Josef Stalin. Das sollte sich mit der Kriegspolitik Hitlers ändern, der in kürzester Zeit durch seinen Kurs der nun offenen Aggression Stalin zunächst dadurch wieder ins Spiel brachte, indem er ihn zum Komplizen seines kriegsvorbereitenden Paktes vom August 1939 und der Zerstörung Polens machte, dann aber durch seinen Angriff auf die Sowjetunion, dem genuinen Ziel seiner Weltanschauungspolitik, Stalin erst zum Opfer, dann zu einem wichtigen Akteur in der Anti-Hitler-Koalition sowie zu einem der Gewinner des Zweiten Weltkrieges und Herrn von Osteuropa machte.

Ideologie und Zukunftsverheißung

Die Sowjetunion übte auch noch zur Zeit des Spanischen Bürgerkriegs eine große Faszinationskraft auf die Arbeiter und Intellektuellen Europas aus, obwohl zu dieser Zeit schon die stalinistischen Denunziationen, Säuberungen und Schauprozesse begonnen hatten und die ersten Wellen des Terrors in den Jahren 1937/1938 über 1,5 Millionen Menschen erfasst hatten, die verhaftet, vor Gericht gestellt und hingerichtet (681.692 Personen) wurden. Nur unter den Internationalen Freiwilligenbrigaden hatte die Desillusionierung über Intoleranz und Terror der Sowjetunion schon eingesetzt. Die Sowjetunion war in der Zwischenkriegszeit und auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg das Land der Verheißung; einer Verheißung einer neuen Welt, in der die Probleme der alten Welt überwunden, in der die Anarchie des liberalen Marktes und die Zerstörung der kapitalistischen Ökonomie bewältigt würden, in der schließlich ein neuer Mensch entstünde. Diese Anziehungskraft begründete sich durch das siegreiche Überleben der bolschewistischen Ordnung nach dem Bürgerkrieg und der Intervention ausländischer Mächte nach der gewaltigen ökonomischen Aufholjagd, mit der eine rückständige Wirtschaft in die industrielle Moderne gebracht werden sollte. Das sollte die Verwirklichung eines ganzen Ideengebäudes von Welt- und Gesellschaftsdeutungen gemäß marxistisch-leninistischer Prinzipien und durch seine angebliche wissenschaftliche Fundierung ein Projekt mit Zukunft und Dauerhaftigkeit sein. Der historische und dialektische Materialismus, wie er aus den Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels abgeleitet wurde, sollte eine Antwort auf die Krisen und Ungewissheiten der alten Welt liefern und den Weg in eine neue weisen. Eine vollständige Darlegung dieser Ideologie und Zukunftsverheißung fand sich in dem »Kurzen Lehrgang der Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion« (Bolschewiki), der unter der Mitwirkung von Stalin geschrieben war und 1938 erschien. Er sollte der Durchsetzung der Autorität der Partei und ihres Führers in einer Phase dienen, in der es immer wieder zu ideologischen und Machtkämpfen gekommen war. Er sollte die Rechtfertigung für den gewaltigen Ausbau des Staates samt seiner riesigen administrativen und technischen Bürokratie liefern, mit der die Einführung der Planwirtschaft betrieben werden sollte. Die Festigung der kommunistischen Herrschaft war das Ziel dieser Maßnahmen und dem hatte sich auch die kommunistische Weltbewegung zu fügen. Die Konsolidierung der Macht war zugleich das eigentliche Werk Stalins, mit dem er nach einer Phase der internen Macht- und Diadochenkämpfe seine Autokratie begründete.

Totalitärer Eingriff

Der Einführung der Fünfjahrespläne von 1928/1929 und 1932 kam dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Nach einem Jahrzehnt des Experiments mit unterschiedlichen Wirtschaftsformen, in der staatswirtschaftliche und privatwirtschaftliche Formen nebeneinander bestanden hatten, wurden in neuen Fünfjahresplänen Planungsvorgaben für die Grundstoffindustrie wie für die Konsumgüterindustrie formuliert und die Kollektivierung der Landwirtschaft eingeleitet. Alle ökonomischen Bereiche und Tätigkeiten sollten in einen einheitlichen Rahmen gefasst und von oben durch einen Plan von Partei und Staat gelenkt werden – ein autoritärer Staatssozialismus, der die Macht der Partei und ihres Führers begründen sollte und etwas ganz Neues in der Geschichte der Ökonomie darstellen würde. Bis in die Sprache von Politik und Gesellschaft reichten die Auswirkungen dieses totalitären Eingriffs. Vor allem führte er zu einer Umwälzung traditioneller Lebensweisen auf dem Land und in der industriellen Arbeitswelt. Der Grundstoff- und Schwerindustrie galt der eigentliche Vorrang, was auch die Rüstungspolitik befördern sollte.

Kollektivierung der Landwirtschaft

Dabei waren die Zahlen der in der Industrie Beschäftigten dramatisch angestiegen und die bäuerlichen Wirtschaften, in denen einmal vier Fünftel der Bevölkerung arbeiteten und lebten, einer strikten Kontrolle des Kollektivs unterworfen worden. Das Tempo, mit dem die Kollektivierung und damit die Technisierung und Maschinisierung der Landwirtschaft erfolgte, war geradezu mörderisch und nahm keinerlei Rücksicht auf die Lebensformen der Bauern. Im September 1929 waren sieben Prozent aller bäuerlichen Haushalte kollektiviert, im MΠrz 1930 galt das schon für 59 Prozent. In der Realität der Industrieplanung überwogen die Krisen und Engpässe, die immer wieder rücksichtslos bewältigt wurden. In der Landwirtschaft waren der Widerspruch zwischen Plansoll und Ergebnis sowie die von der Brutalität der Kollektivierung herbeigeführten Pannen und Verweigerungen noch größer. Die „Kulaken“, das mittlere Bauerntum, das der Revolution mit zum Sieg verholfen hatte, leisteten Widerstand und wurden Gegenstand einer tödlichen Stigmatisierung. Das Ergebnis waren die Zerstörung von Maschinen, Ineffizienz und eine große Hungersnot 1932, der mehr als 5 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Selbst Ende der 30er Jahre war die landwirtschaftliche Produktion kaum höher als zehn Jahre zuvor. Die Transformation der Gesellschaft im Namen einer neuen Doktrin war von Zukunftsvisionen und Feindbildern, von Verschwörungsängsten und der Konstruktion von Sündenböcken begleitet. Der „Kulak“, der bäuerliche Wucherer und Kleinkapitalist, wurde als der eigentliche Feind ausgemacht, der den gesellschaftlichen Veränderungsvorgang behinderte. Wer zu dieser Gruppe der Stigmatisierten gehörte, die mehr als die anderen hatten, war nicht auszumachen, umso besser eignete sich das Feindbild zu Propaganda- und Terrormaßnahmen gegen die bäuerliche Welt.

Organisiert und umgesetzt wurde diese Fundamentalveränderung, die von politischer Unfreiheit und ökonomischer Gängelung beziehungsweise Kontrolle begleitet war, von der kommunistischen Partei und ihren Funktionären. Um diese wachsende Funktionärsgruppe wiederum unter Kontrolle zu behalten und Unsicherheiten über deren Loyalität zu begegnen, kam es immer wieder zu Parteisäuberungen, bei denen Mitgliedsbücher ausgetauscht, Mitglieder ausgeschlossen oder zum „freiwilligen“ Austritt gezwungen wurden. Allein 1933 wurden etwa 800.000 Mitglieder ausgeschlossen, gleichzeitig wurde der Beamtenapparat gesäubert.

Die Partei

Die Partei, der nur eine Minderheit der Bevölkerung angehörte (1930 etwa 1,2 Mio. Menschen), diktierte Politik und Verwaltung. Sie war nach dem Prinzip des „demokratischen Zentralismus“ aufgebaut und von einer strikten Parteidisziplin mitsamt ritueller Formen der Selbstkritik bestimmt. Die höchsten Parteigremien, das Zentralkomitee und darüber das Politbüro, bestimmten den Kurs. Stalin hatte seine Macht durch die Übernahme des Amtes des Generalsekretärs 1922 aufgebaut und dauerhaft gesichert. Er entschied damit über Aufnahme und Karriere in der Partei. Der Diktator besaß eine genaue Kenntnis der Personalien sowie der Schwächen seiner Helfer und Rivalen. Überall hatte Stalin seine Männer platziert und vor allem die höchsten Organe mit seinen Anhängern besetzt. Die Integration und Durchsetzung von Parteientscheidungen wurde durch die Parteiorganisation und den allgegenwärtigen politischen Terror des Geheimdienstes herbeigeführt und gesichert.

Die Führerherrschaft

Stalins Macht stützte sich auf verschiedene Faktoren: auf die Beherrschung und Mobilisierung der Partei, auf die Planwirtschaft und Industrialisierung, die neue Apparate schufen und den totalitären Charakter des Regimes verstärkten, schließlich auf die eigene, von Misstrauen und einer Paranoia geprägten Persönlichkeitsstruktur. Einen Personen- oder gar Führerkult gab es anfangs nicht, allenfalls seit den 1930er Jahren im Wettstreit der Diktaturen und während des Krieges. Im Unterschied zum faschistischen, vor allem zum nationalsozialistischen Führerprinzip war eine charismatische Führerherrschaft kein notwendiges und essentielles Instrument der Herrschaft, und das sowjetische Herrschaftssystem konnte sich nach Stalins Tod auch durch ein kollektives Führungssystem einer Troika behaupten.

Praxis der Säuberungen und Vernichtung

Auch die totalitäre Praxis der Säuberungen und der Vernichtung war, einmal abgesehen von der gemeinsamen ideologischen Begründung durch ein Freund-Feind-Schema, Ausdruck des ideologischen Ziels einer neuen gesellschaftlichen Ordnung und zugleich Instrument der Steigerung der Macht. Das Herrschaftsziel des Nationalsozialismus, das ebenfalls in Terror und Vernichtung mündete, bestand hingegen in der Herstellung rassischer Homogenität als Schlüssel zur Lösung aller gesellschaftlichen Probleme der Gegenwart. Bei dem Versuch einer rücksichtslosen Industrialisierung und Umsetzung kommunistischer Gesellschaftsentwürfe verlor das kommunistische System sehr rasch jeden Ansatz von Rationalität und Kontrolle, und es entfaltete sich rasch eine nicht mehr zu bremsende Welle von terroristischer Gewalt. Der Absturz in Menschenverachtung und Gewalt war jedoch keine Perversion von Prinzipien, die zu Zeiten Lenins noch nicht bestanden, sondern lag in der Logik auch seiner Herrschaftsziele. Die Zahl der Opfer der Terrorwellen und Säuberungen übertraf alle bisherigen Erfahrungen in der Geschichte von politischer Gewalt. Zwischen 1937 und 1941 wurden etwa sieben Millionen Menschen in Straf- und Arbeitslager gebracht. Am Vorabend des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion waren sogar 1,93 Millionen Menschen in den Lagern. Die Zahl der Toten betrug nach Schätzungen für die Zeit von 1934 bis 1940 300.000, dazu kommen noch 600.000 Tote durch Deportation und Flucht. In der Armee wurden im Zuge der Säuberungen drei von fünf Marschällen, 13 von 15 Armeegenerälen und 57 von 85 Korpskommandeuren hingerichtet – ein gewaltiger Aderlass in der Führung, der die internationalen Beobachter zu der Annahme verleitete, dass die Rote Armee 1939 völlig geschwächt sein müsste. Einzig die gewaltigen personellen und ökonomischen Ressourcen der Sowjetunion und die größere politische Anpassungsfähigkeit, vor allem während des Krieges, gaben dem stalinistisch-kommunistischen System eine längere Lebensdauer als dem nationalsozialistischen. Der militärische Sieg über Hitler und die gewaltige Expansion beziehungsweise Hegemonialstellung der Sowjetunion als Folge des Krieges verschafften auch Stalin eine größere Popularität und stärkten zusätzlich die Beharrungskraft des kommunistischen Systems.

wbg Weltgeschichte Bd. VI

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