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Ironische Blicke

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Noch im Rahmen seines Studiums drehte Andreas Dresen an der Babelsberger Filmhochschule zwei Dokumentarfilme, die wie einige andere Arbeiten aus jener Zeit heute auch auf DVD3 zugänglich sind: WAS JEDER MUSS … (1988) über einen jungen Mann, der zum Wehrdienst bei der NVA eingezogen und vom Filmteam dorthin begleitet wird, und JENSEITS VON KLEIN WANZLEBEN (1989), eine Art Gruppenporträt einer »Brigade der Freundschaft«, die, vom FDJ-Zentralrat nach Afrika entsandt, in Simbabwe ein Ausbildungscamp aufbauen soll. Beides Themen, die politisch erwünscht waren, weshalb die Dreharbeiten sowohl von der NVA als dann auch vom FDJ-Zentralrat gefördert wurden, was dem Filmteam Möglichkeiten und Zugänge öffnete. In beiden Fällen entstand aber letzthin etwas, das die Erwartungen der Auftraggeber substanziell unterlief.

Dabei entsprach die Grundlinie der jeweiligen Vorgänge im Grunde dem, was erwartet wurde. WAS JEDER MUSS … ließe sich in diesem Sinne so nacherzählen: Der Film zeigt den Protagonisten, der Härten des Armeelebens auf sich nimmt, einrückt, weil »jeder muss«, und sich dann sogar dazu bekennt, dass es in der Welt der Militärblöcke wohl kaum ohne Armee gehe. Er nimmt am militärischen Training teil und gehört dazu, als die Vereidigung geprobt und vollzogen wird; er erträgt den Kasernenalltag sowie die Trennung von seiner Freundin und dem gemeinsamen Baby und begeht schließlich in der Kaserne das von der FDJ-Leitung gestaltete Weihnachten, mit dem der Film endet. Und JENSEITS VON KLEIN WANZLEBEN ließe sich entsprechend so umreißen: Der Film berichtet davon, wie 120 km südwestlich von Harare im Busch aus dem Nichts ein Camp errichtet, mit Trinkwasser und Energie versorgt wird, die Mitglieder der Brigade die ersten Häuser beziehen und wie im Zuge des Camp-Aufbaus als learnig by doing eine Gruppe einheimischer junger Männer ausgebildet wird. Wer beide Filme aber sieht, bemerkt bald, dass diese Art der Zusammenfassung nicht das trifft, was sie ausmacht. Denn das Geschehen wird mit einem ironischen Blick, einer ironischen Konstruktion und Materialauswahl unterlaufen.

In WAS JEDER MUSS … geschieht das schon dadurch, dass mehrfach Szenen beim ›Training‹ gezeigt werden, in denen der Protagonist den wiederholten Kommandos »Tempo 1, Tempo 2, Tempo 3 und Tempo 4« folgend den immer gleichen Bewegungsablauf im Umgang mit der Waffe in vier Phasen nachvollziehen muss – einen Ablauf, der zudem bereits in der jeweiligen Szene mehrfach repetiert wird. Allein schon diese auffällige Wiederholung des banalen Drills auf Kommando, der ein Moment von Entwürdigung in sich trägt, setzt – fast einem Leitmotiv gleich – den Ton für die Ödnis des Ganzen.

Gesteigert wird der entsprechende Eindruck dann über mehrere Stationen hinweg, vor allem in einer Sequenz, die zeigt, wie die Truppe die anstehende Vereidigung trainiert. In einer von hinten aufgenommenen Reihe Uniformierter, drücken diese auf das Kommando »Stillgestanden« – visuell höchst skurril – einheitlich den Hintern heraus. Schon hier mögen einem Bergsons Ideen über Komik in den Sinn kommen: Komik entstehe durch »mechanische Starrheit« des Lebendigen,4 dysfunktionale Routinen eingeschlossen. »Stellungen, Gebärden und Bewegungen des menschlichen Körpers sind in dem Maße komisch als uns dieser Körper dabei an einen bloßen Mechanismus erinnert.«5


WAS JEDER MUSS … Körper als Mechanismus

Der entsprechende Eindruck wird in der Sequenz weiter forciert mit Aufnahmen, die von den angetretenen jungen Männern nur noch ausgerichtete Reihen von Stiefeln oder Helmen zeigen, dazwischen lediglich eine Spur des Lebendigen: das vertraute Gesicht des Protagonisten seitlich von hinten in einer nahen Aufnahme, jedoch visuell eingezwängt zwischen Helm, Riemen und Uniformteilen; einmal auch eine kleine abweichende Fußbewegung in der ausgerichteten Reihe. Dazu ertönt eine dröhnende Kommandostimme. Sie spricht die befohlenen Gruß- und Eidesformeln vor; die Soldaten haben sie solange zu wiederholen, bis das Ergebnis befriedigt, immer wieder unterbrochen vom Kommando »einheitlicher und lauter!«. Nachdem die ungeheuerliche Abschlusszeile des Eids »… und mein Leben zur Erringung des Sieges einzusetzen« nach mehrfacher Probe hinreichend lautstark deklamiert wurde, kippt die Offiziersstimme in einen Klang fast schon ziviler Routine: »wir lassen es dabei bewenden«. Die Ironie der visuellen Perspektivierung und der Bild-Ton-Montage der Sequenz, die mit bitterer Komik das Groteske des gesamten Rituals hervortreibt, ist offensichtlich. Vom Pathos des Eides bleibt durch die offengelegte Mechanik der Wiederholung, die vor allem auf Lautstärke und Einheitlichkeit aus ist, nichts übrig. In der ironischen Akzentuierung von WAS JEDER MUSS … entsteht damit eine Metapher: »das politische Bekenntnis als Lippenbekenntnis, bei dem es nur noch um die Formel ging«. »Dieses stupide Training war plötzlich ein trauriges, entlarvendes Gleichnis auf die Entleerung der sozialistischen Idee. Überall nur öde geistlose Rituale und sinnlose Disziplin«,6 so hat es Dresen selbst formuliert.

JENSEITS VON KLEIN WANZLEBEN zeugt ebenfalls von Ironie, wenn auch einer etwas anders gearteten Form. Bereits der Titel ist dafür ein Indiz, denn natürlich spielt er – in Umkehrung der Jenseits-Richtung – auf den Kinohit JENSEITS VON AFRIKA (OUT OF AFRICA, 1985) an. Zwar stammt einer der Brigadeteilnehmer tatsächlich aus Klein Wanzleben, aber der sprechende Name des zu Filmbeginn sogar kurz besuchten, eher trist ins Bild gesetzten Börde-Ortes steht im Titel natürlich für die Enge der DDR.

Die Erzählung des Films geht dann von der Interview-Auskunft eines der parteischulvorgebildeten Protagonisten, von dem aus Klein Wanzleben, aus. Er erklärt wortreich, ihn und seine Frau habe es gereizt, einmal die Sicherheit, das Geregelte und Geborgene des DDR-Lebens auf Zeit hinter sich zu lassen und das Abenteuer, Ungewissheit und das nicht Vorprogrammierte zu suchen. Was Dresens Film dann aber gleichsam zum Haupterzählstrang macht, ist zu beobachten, wie die Gruppe dabei ist, in den aufgebauten Häusern des Camps die üblichen DDR-Wohnzimmer mit den vom FDJ-Zentralrat entsandten Schrankwänden, Polstergarnituren, individuell ergänzt durch Häkeldeckchen, einzurichten. Mitten im Busch suchen sie eine genaue Replik ihres DDR-Lebens herzustellen. Die mitgereisten Kinder werden von einer Teilnehmerin nach heimatlichem Schema unterrichtet, für die Kamera legen sie sogar die Pionierhalstücher an, und noch das gehortete Klopapier kommt aus dem Zentralrats-Container. Die Welten der DDR-Familien und der afrikanischen Bauarbeiter mit ihrem Umfeld bleiben außerhalb weniger Arbeitsszenen und selbst bei einer organisierten abendlichen Freiluftvorführung eines Films über die DDR-Hauptstadt eher getrennt. Man bleibt unter sich. Auf den filmisch akzentuierten Widerspruch des Ganzen zu der Idee, den Alltag und die engen Regeln der DDR zu verlassen, angesprochen, reagieren alle irritiert und verlegen um Antworten bemüht, die in den Augen des Zentralrats noch als politisch korrekt gelten könnten; eine der Frauen beharrt auf ihrem Recht auf Gemütlichkeit. Die Ironie liegt hier auch darin, dass das von den ›Abenteurern‹ duplizierte DDR-Leben in der Verfremdung durch die afrikanische Umgebung besonders bizarr wirkt. Irgendwie erscheint der hier und da teils in kontrastierenden Montagen ins Bild kommende Alltag derer, denen die Solidarität gelten soll, deutlich lebendiger als der Alltag jener, die Solidarität bringen wollen, aber vor allem mit ihrer eigenen Lage beschäftigt sind.


JENSEITS VON KLEIN WANZLEBEN: Ein DDR-Wohnzimmer im Busch von Simbabwe

Obwohl noch studentische Arbeiten, die zudem mit ihrer Zeitzeugenschaft die Realität der sich bald darauf auflösenden DDR reflektieren, setzen die beiden frühen Dokumentarfilme bereits für einiges den Ton, das für Dresens Filmarbeit folgenreich werden sollte. Das betrifft schon die Teams. Mit Andreas Höfer, dem Kameramann beider Filme, arbeitete und arbeitet Dresen bis heute bei einer Vielzahl seiner Projekte immer wieder zusammen. Das gleiche gilt für Laila Stieler, die bereits zu WAS JEDER MUSS … und seither bis hin zu RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH (2022) mindestens acht Drehbücher für Dresen-Filme schrieb oder mitschrieb. Und – wie Andreas Dresen erzählte – habe er schließlich bei der JENSEITS-VON-KLEIN-WANZLEBEN-Premiere an der Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche seinen Produzenten, Peter Rommel, kennengelernt, mit dem sich dann eine ebenfalls bis heute andauernde fruchtbare Zusammenarbeit anbahnte.7


HERR WICHMANN VON DER CDU: Visuelle Ironie – der Protagonist im Kreis der Werbeträger

Auch die Techniken des ironischen Erzählens treten in Dresens späteren Filmen immer wieder hervor, eher punktuell in Spielfilmen. Im Dokumentarfilm greift er sie aber wiederholt auf, vor allem in seinen beiden Filmen über den Brandenburgischen Lokalpolitiker Wichmann. Unter den neuen Bedingungen der demokratischen Gesellschaft ringt Dresen nicht mehr mit der versteinerten Realität, wie sie die Endzeitjahre der DDR prägte, dennoch provoziert ihn beim Blick auf Wichmanns Wahlkampf ebenfalls manches zur Entleerung tendierende Ritual und der Leerlauf konventioneller Formeln. Auch daran akzentuiert er dann gern mit ironischem Blick Bizarres.

FILM-KONZEPTE 64 - Andreas Dresen

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